Der Präfekt Ye Tung Uhi lebte in der Stadt Nam Won, in der südlichen Provinz Chull Lah Do. Er hatte einen Sohn, welcher sechzehn Jahre alt war und als einziges Kind sehr verhätschelt wurde. Der Jüngling war hübsch von Gesicht, hatte eine schöne Gestalt und galt als das Muster eines guten Sohnes, da er ausserdem auch noch sehr talentvoll war. Er bewohnte eines der Hintergebäude in der Amtswohnung seines Vaters und brachte den ganzen Tag mit seinem Studium zu. Abends ging er stets zu seinem Vater, erkundigte sich nach seinem Befinden und wünschte ihm eine angenehme Nacht und morgens war seine erste Beschäftigung, dass er sich befragte, wie sein Vater geruht habe und wie sein Gesundheitszustand sei. —
Der Präfekt war erst soeben in diese Provinz versetzt und zu seiner jetzigen Stellung erhoben worden, als sich die folgenden Begebenheiten abspielten.
Der kalte Winter, den der Sohn meistens im Hause zugebracht hatte, war vor dem nahenden Frühling geflohen und als die Bäume zu knospen begannen, das Wetter wärmer wurde und die Vögel zu zwitschern anfingen, dachte der fleissige Jüngling Ye Toh Ryung — oder kurzweg Toh Ryung genannt, er wolle auch die Frühjahrszeit geniessen. Wie das Getier, welches seinen Winterschlaf gehalten hat, sich freudig an der Sonne wärmt und in derselben neu aufzuleben scheint, so auch Toh Ryung. Er entzückte sich an allem was er sah und befragte seinen pan san — den ihn begleitenden Diener — nach den schönsten Plätzen der Umgebung. Dieser, ein Einheimischer der Provinz, gab mit Vergnügen den gewünschten Bescheid, war aber von einem Orte ganz besonderen Lobes voll, indem er sagte: „Die schönste Szenerie bietet Kang Hal Loo dar und alle Beamten besuchen diesen Platz. Die Tempel dort sind mit den Namen der Besucher bemalt, welche die schöne Gegend preisen.“ „Gut,“ antwortete ihm Toh Ryung, „gehen wir auch dorthin. Reise du voraus und mache alles zu meiner Ankunft bereit.“
Der Diener hatte nichts Eiligeres zu thun, als den Befehlen seines jungen Herrn nachzukommen und als dieser in Kang Hal Loo anlangte, war er sehr zufrieden mit den Anordnungen, welche der Diener getroffen hatte. Er hatte ihm in einem der schönsten Tempel ein Unterkommen besorgt und alle Bequemlichkeiten für einen längeren Aufenthalt herbeigeschafft. Der Fussboden war mit neuen schönen Matten bedeckt und weiche Polster luden zum Ausruhen ein. Toh Ryung liess sich auf einem derselben nieder und freute sich der prachtvollen Aussicht; obgleich er totmüde war rief er doch seinen pan san herbei und gab seiner Zufriedenheit über die gute Unterkunft und prachtvolle Aussicht Ausdruck, indem er sagte, er fände alles so herrlich, dass selbst Götter damit zufrieden sein müssten und es gewiss auch wären.
„Ja,“ antwortete ihm der Diener hocherfreut, „es ist so, wie du sagst, selbst Geister erfreuen sich öfters an dem Anblick dieser schönen Gegend und wohnen als Gäste in den Räumen, welche jetzt die deinigen sind.“
Während dieser Rede des Dieners sah der Herr, welcher seine Blicke ins Freie hinaus schweifen liess, plötzlich die Gestalt eines sehr schönen Mädchens in der Luft schweben, und ebenso schnell wieder verschwinden. Toh Ryung glaubte einen Geist gesehen zu haben. Ehe er sich ganz von seinem Erstaunen erholt hatte, erschien und verschwand die Gestalt schon wieder. Es war ein junges Mädchen, welches, sich schaukelnd, vor den Blicken der Erstaunten auf- und niederschwebte. Toh Ryung konnte sich von dem lieblichen Anblick gar nicht losreissen und als das Mädchen längst aufgehört hatte sich zu schaukeln, war er noch immer nicht mit sich einig, ob die schwebende Gestalt ein Geist oder ein menschliches Wesen war, oder ob er vielleicht gar nur geträumt.
Sein Diener überzeugte ihn aber bald, dass die liebliche Erscheinung kein Geist gewesen sei, sondern eine öffentliche Tänzerin. „Sie heisst Yang Ye,“ fuhr er fort „und wohnt nur wenige Schritte von hier entfernt mit ihrer Mutter, welche Uhl Mah genannt wird.“
„Oh!“ rief Toh Ryung, „das trifft sich ja ganz prächtig. Geh sogleich zu den Frauen und bescheide die Tänzerin zu mir, damit sie vor mir singe und tanze.“
In der Zeit, welche der Diener zu seiner Botschaft gebrauchte und die ziemlich lang währte, weil er bis zur Vorderfront des Hauses laufen musste, in welchem Uhl Mah wohnte, denn sie hatten das Mädchen von der Gartenseite her gesehen, wusste sich Toh Ryung vor Ungeduld nicht zu lassen.
Der Diener klopfte mit aller Macht an die Hausthür, die zu Uhl Mahs Wohnung führte und rief die Tänzerin beim Namen.
„Wer ruft nach mir?“ fragte diese, auf den Lärm aufmerksam gemacht.
„Wer dich ruft ist ganz gleich,“ antwortete ihr der Diener, „mache du nur die Thür auf.“ Nachdem sie ihm geöffnet hatte, fragte die Tänzerin: „Wer bist du und was willst du von mir?“ „Ich bin nichts und ich will nichts“ entgegnete ihr der Diener, „aber Ye Toh Ryung, der Sohn des Präfekten, wünscht ,den blühenden Frühling’ zu sehen,“ dies war nämlich die Bedeutung des Namens Chun Yang Ye.
„Wer hat denn Toh Ryung meinen Namen gesagt?“ fragte ihn die Tänzerin.
„Das thut gar nichts zur Sache, wer ihm deinen Namen gesagt hat,“ erhielt sie zur Antwort. „Wenn du nicht wünschest öffentlich gekannt zu sein, musst du dich nicht schaukeln, dass dich jedermann sehen kann. Mein Herr kam hierher, um die Naturschönheiten zu bewundern und nun will er nichts anderes mehr sehen, seitdem er dich erblickte. Er ist ein sehr anständiger junger Mann, du hast nichts von ihm zu befürchten und wenn du ihm Freude mit deinem Tanz gemacht hast, wird er dich reichlich belohnen, denn er ist der einzige Sohn des Präfekten.“
Die Tänzerin seufzte tief auf und bedauerte zu der Klasse zu gehören, die nichts anderes zu thun hat, als den Launen der Grossen zu gehorchen. Sie kleidete sich an, machte sich so hübsch als nur möglich und folgte dann dem Diener zu dem Tempel, worin Toh Ryung seine Wohnung aufgeschlagen hatte. Dann wartete sie geduldig an der Thür der Vorhalle, bis ihre Ankunft dem Sohn des Präfekten gemeldet worden war, denn einer gee sang — öffentlichen Tänzerin — ist es verboten ohne Erlaubnis die Wohnung eines Edelmannes zu betreten. Toh Ryung liess sie bitten näher zu kommen.
„Wie heisst du? und wie alt bist du?“ fragte er sie.
„Ich heisse Chun Yang Ye,“ antwortete sie mit silberheller Stimme, „und ich bin zweimal acht Jahre alt.“
Lachend erwiderte Toh Ryung: „Das passt ja sehr gut, ich bin viermal vier Jahre alt. Wir haben also das gleiche Alter. Du bist sehr schön“, fuhr er fort, „dein Name bezeichnet deine Gestalt und deine Wangen blühen wie die zarten Blumen, welche der Frühling bringt. Deine Augen sind klar wie die des Adlers, dabei aber sanft wie der Mondschein! Wann ist dein Geburtstag?“ fragte er weiter.
„Mein Geburtstag,“ antwortete die geschmeichelte Schöne, „fällt auf den achten Tag des vierten Monats. Gerade um die Mitternachtsstunde wurde ich geboren“, und dabei bemerkte sie mit Vergnügen, welch’ einen guten Eindruck ihre Worte auf den Jüngling machten.
„Ist es möglich!“ rief freudig erstaunt Toh aus, „das ist ja gerade am Tage des Laternenfestes; an diesem Tage bin auch ich geboren, aber nicht erst um zwölf, sondern schon um elf Uhr. Ich bedauere es, nicht eine Stunde später das Licht der Welt erblickt zu haben, dann wären wir ganz genau gleich alt. Trotzdem glaube ich aber, dass die Götter bestimmte Zwecke damit verbanden, uns einen gemeinsamen Geburtstag zu geben und uns in unserm sechszehnten Lebensjahre zusammenzuführen. Es muss in der Absicht des Himmels liegen, uns durch eine Heirat zu verbinden.“ Erschrocken sprang Chun Yang auf, um davon zu laufen, doch er hiess ihr, sich ruhig wieder niederzusetzen, lief aber selbst im Zimmer auf und nieder und wusste vor Aufregung nicht was er reden sollte. Endlich fasste er sich und sagte: „Oft schon habe ich mir in lauen Frühlingsnächten von schönen gee sang vortanzen und vorsingen lassen, oft auch schon besang ich sie in selbst gedichteten Versen, aber noch nie habe ich an einer mein Herz verloren, wie ich auch noch nie eine gesehen habe, welche dir an Schönheit gleich käme. Du erscheinst mir mehr, als eine gewöhnliche Sterbliche, du bist mir von Anfang an bestimmt gewesen und ich will kein anderes Mädchen als dich heiraten.“
Chun Yang Ye legte ihre Stirn in Falten, obwohl sie sich beinahe von den zärtlichen Worten des Jünglings gefangen nehmen liess und bedachte die Folgen, welche ihr und ihm aus einer Heirat erwachsen würden, dann sagte sie: „Du weisst es, dass eines Edelmannes Sohn keine gee sang ohne Erlaubnis seiner Eltern heiraten darf; ich bin nun leider dem Namen nach und vom Geschick auserkoren eine gee sang. Aber ich bin bisher ein ehrbares Mädchen gewesen und will es auch bleiben.“
„Gewiss,“ sagte Toh, „wir können nicht die sechs öffentlichen Zeremonien vornehmen (elterliche Vereinbarungen, Briefwechsel, Kontrakte, Geschenksaustausch, vorherige Besuche und endlich die Vermählungsfeierlichkeit), aber wir können uns im Geheimen verheiraten.“
„Nein, das ist unmöglich,“ erwiderte die Tänzerin, „dein Vater würde nie seine Einwilligung dazu geben und sollte er einstmals von hier versetzt werden, so würdest du nicht den Mut haben, mich mit dir zu nehmen. Dann würdest du dir eine Lebensgefährtin aus deinem Stande nehmen und mich bald vergessen. Es kann und es darf nicht sein,“ beschloss sie ihre Rede indem sie sich erhob, um fortzugehen.
„Bleibe noch,“ bat er. „Du thust mir Unrecht; ich werde dich nie vergessen und nie ein anderes Weib als dich nehmen. Das schwöre ich dir und du weisst der Mund eines yang ban (Edelmann) ist nicht doppelzüngig, er kann nicht lügen. Sollten wir wirklich den Aufenthalt in. dieser Provinz aufgeben müssen und ich im ersten Augenblick verhindert sein, dich mit mir zu nehmen, so will ich bald zu dir zurückkehren. Du musst mir nicht widersprechen und dich nicht länger weigern.“
„Aber, nehmen wir an, du vergisst dein Versprechen,“ entgegnete sie, noch immer zögernd. „Ein Versprechen ist bald gegeben, aber es halten ist schwer. Gieb mir das Versprechen, dass du mich heiraten willst, schwarz auf weiss, dann will ich dir glauben und nicht länger widerstehen.“
Sofort kam der junge Mann diesem Wunsche nach und schrieb: Ich, Toh Ryung kam nach Kang Hal Loo, um die Gegend zu bewundern. Dort lernte ich die mir vom Himmel auserkorene Braut kennen. Ich verbinde mich mit ihr für die Zeit von hundert Jahren und will ihr während dieser Zeitdauer ein treuer Gatte sein. Sollte ich jemals meine Meinung in diesem Punkte ändern, so zeige man diese Schrift der nächsten Polizeibehörde.
Als er geendigt hatte faltete er das Papier sorgfältig zusammen und überreichte es Chun Yang. Diese steckte das wertvolle Schriftstück in ihre Tasche und sagte:
„Die Worte haben keine Beine und können doch tausend Meilen wandern! Angenommen dein Vater erfährt etwas von unserer Heirat, wie würdest du dich ihm gegenüber verhalten?“
„Sei ohne Furcht,“ entgegnete Toh Ryung, „mein Vater ist auch einst jung gewesen, wer weiss, ob er es nicht ähnlich wie ich in seiner Jugend gemacht hat. Ich habe mit dir einen Bund geschlossen und dies könnte mein Vater, selbst wenn er es wollte, nicht ungeschehen machen. Sollte er mich wegen unserer Heirat enterben, so will ich dir doch treu bleiben, mit dir leben und sterben.“
Nun erhob sich Chun Yang, zeigte mit ihrer kleinen alabasterweissen Hand nach einem ganz nahe gelegenen Bambuswäldchen und sagte: „Dort ist das Haus meiner Mutter; ich kann nicht mehr zu dir kommen, du musst zu mir kommen. Betrachte das Haus meiner Mutter als das deine, komme und bleibe bei mir, so lange wie es die Pflicht, die du deinen Eltern schuldig bist, erlaubt.
Als die Sonne mit ihren glutroten Strahlen die Bergspitzen am nächsten Morgen vergoldete, sagten sie sich Lebewohl und Toh Ryung machte sich, von seinem Diener begleitet, auf die Heimreise.
Seitdem der Sohn des Präfekten wieder ins väterliche Haus zurückgekommen war, hatte er keine Freude mehr an seinem Studium. Er nahm zwar die Bücher zur Hand, aber die Buchstaben schienen ihm die Gestalt der schönen Chun Yang anzunehmen, welche nach ihm rief. Er hatte keinen anderen Gedanken als an Chun Yang und statt wie sonst seine Exerzitien zu singen, sang er unaufhörlich: Chun Yang Yo poh go sip so (ich will den blühenden Frühling sehen!) Endlich wurde sein Vater auf diesen sonderbaren Gesang aufmerksam und schickte einen Diener zu seinem Sohne, um ihn fragen zu lassen, was der Sinn seiner Gesänge wäre. Er nahm aber gar keine Notiz von dem Diener und der Frage seines Vaters, sondern sang nur immer lauter: „Wie die verschmachtende Erde nach langer Dürre um Regen lechzt, so lechzt meine Seele nach Chun Yang, deren Antlitz auf mich wirkt, wie Sonnenstrahlen nach neutägigem Regen auf die Erde.“ Nun sandte der Vater seinen Sekretär und liess Toh Ryung ernstlich bitten, ihm zu sagen was die Ursache seines unaufhörlichen Singens sei, von dem nur die Worte „ich will sehen, ich will sehen“ verständlich wären. ,,Toh Ryung antwortete mir, dass er aus einem neuen interessanten Werke lese“ gab der Sekretär seinem Herrn, der schweigend das Haupt schüttelte, als Bescheid.
Nach den Erkundigungen seines Vaters verhielt sich der junge Mann zwar ruhiger, erwartete aber mit Ungeduld den Sonnenuntergang und schickte wohl hundertmal seinen Diener hinaus, um nachzusehen, ob es denn noch nicht an der Zeit sei, sich auf den Weg nach Kang Hal Loo zu machen, wo er das Weib seines Herzens besuchen wollte. Endlich wurde im Hause des Präfekten das Licht ausgelöscht — er hatte sich zur Ruhe begeben. Nun kletterte Toh Ryung, von seinem treuen pan san begleitet, über die Mauer und lief der Richtung zu, wo das Haus der alten Uhl Mah stand.
Schon von fern vernahmen sie Musik. Als sie aber ihr Ziel erreicht hatten, hörten sie dass Chun Yang auf der Harfe spielte und dazu eine klagende Weise sang, mit der sie ihrem Schmerze darüber Ausdruck gab, dass sie ihren Liebling seit so langer Zeit nicht gesehen hatte. Endlich ward ihnen die Thür von der alten Mutter geöffnet, welche dem Toh Ryung nicht so recht traute und dieser betrat die Gemächer Chun Yangs. Das ganze Haus gefiel dem jungen Manne sehr gut und die märchenhafte Einrichtung hatte seine volle Bewunderung. Das Hauptzimmer lag nach dem Hofe zu und war von einer blauen Laterne erleuchtet, deren magisches Licht den Raum wie ein Schiff erscheinen liess, welches von der blauen Flut getragen wird. Die Wände waren mit Sprüchen behängt; an der Thür, welche in Chuns Lieblingsgemach führte, stand, von der Hand der Vorfahren geschrieben: Möge ein Jahrhundert zu kurz sein dein Lebensglück zu umspannen und mögen deine Kinder und Kindeskinder bis ins tausendste Glied glücklich sein. Durch das offene Fenster sah man einen im Mondschein schimmernden See, auf welchem zwei weisse Schwäne, die ihre Köpfe unter die Flügel versteckten, schlafend einhertrieben und leises Plätschern liess darauf schliessen, dass der See noch anderes Leben barg.
Ein kleines, mit Schlingpflanzen umranktes Sommerhaus stand auf einer Insel in seiner Mitte und war durch ein Bambuswäldchen neugierigen Blicken entzogen.
Chun führte ihren Gatten zu einem mit den leckersten Speisen besetzten Tisch, auf welchem der schönste, seltenste Wein in prächtigen Krügen prangte; daran setzten sich beide zum gemeinsamen Nachtmahl. Die reizende Frau kredenzte ihrem Gatten einen Becher Wein mit den Worten: „Dies ist das Elexier der Jugend! mögest du, wenn du dasselbe getrunken, nie ein Gefühl von Alter empfinden, selbst wenn Jahrtausende an dir vorübergehen. Mögest du wie ein Gebirge stehen bleiben, welches nie seinen Standpunkt verändert!“ Dann erhob sie ihre liebliche Stimme und sang: „Lass uns miteinander das Leben geniessen, solange wir es können“ Er lobte ihre Kunstfertigkeit und bat sie, noch mehr zu singen und sie sang: „Lass uns trinken solange wir jung sind, denn wer wird uns im Grabe den Becher kredenzen? Lass uns spielen solange wir jung sind, denn mit dem Alter kommen Kummer und Sorge von selbst! Wir sind wie die Blumen, die nur kurze Zeit blühen, um sterbend ihren Samen für ihre Nachkommenschaft herzugeben. Auch der Vollmond muss wieder schwinden, damit ein neuer Mond erscheinen kann!“
Der feurige Wein und Chuns Gesänge machten Toh lustig und übermütig, so dass er immer mehr Wein und mehr Gesang begehrte. Aber sie verweigerte ihm nun beides und sie beendeten ihre Mahlzeit unter fröhlichen Gesprächen. Aber auch ernste Dinge besprachen sie; Chun erwähnte des Kontraktes, den er gemacht und dass sie nun einer für den anderen leben würden; von der Zukunft und selbst vom Tode redeten sie. Nach ihrem Tode wollte sie zu einer Blume werden und er sich in einen Schmetterling verwandeln, damit er auch dann noch an ihrem Busen ruhen und ihren süssen Duft einsaugen könne.
Der Vater wusste noch nichts von der Heirat seines Sohnes, obwohl dieser den Namen Chun Yangs aus der Liste der öffentlichen Tänzerinnen hatte löschen lassen, die im Zimmer des Präfekten hing, denn seitdem sie verheiratet war, brauchte sie nicht mehr mit den anderen öffentlichen Tänzerinnen auszugehen.
Nach wie vor erkundigte sich Toh Ryung abends und morgens nach dem Befinden seines Vaters, aber die Nächte brachte er stets in Kang Hal Loo bei seiner Gattin zu. Den Liebenden verging die Zeit wie ein Traum im Paradiese, ohne dass dem Präfekten etwas davon zu Ohren kam. Er lebte ganz seinem Berufe und versuchte es seinen Unterthanen ihr Los zu verbessern. Niemals hatte der an den König abzugebende Tribut solche Summen erreicht, wie unter seiner Statthalterschaft und doch wurden die Leute nicht so bedrückt wie in jenen Zeiten, wo der Tribut kaum zur Hälfte die Speicher des Königs füllte. Der König erfuhr mit Wohlwollen von der Thätigkeit des biederen Ye Tung Uhi und gab ihm die erste freiwerdende Stelle im Schatzamte, indem er ihm den Titel eines Ho Yoh Pansa (Schatzmeisters) verlieh.
Als der Vater seinem Sohne diese ehrenvolle Ernennung mitteilte und glaubte eine frohe Botschaft zu überbringen, schien Toh Ryung vor Schreck wie zu Boden geschmettert zu sein. Er wunderte sich zwar sehr darüber, schüttelte aber nur den Kopf und trug ihm auf, seiner Mutter die Veränderung, die ihnen allen bevorstände, zu melden und mit ihr die nötigen Reisevorbereitungen zu treffen.
Sobald er sich einen Augenblick freimachen konnte, eilte er zu Chun Yang, welche glaubte er sei erkrankt, so verstört war sein Aussehen; als er ihr aber von dem Geschehenen Mitteilung machte, brach sie in lautes Wehklagen aus. Nachdem sie etwas ruhiger geworden war sagte sie: „Wie ist es nur möglich, dass wir uns trennen können! Wir müssen sterben, denn getrennt voneinander können wir nicht leben. Wenn wir Abschied nehmen, wird es ein Abschied für ewig sein; ich fühle es, wir sehen uns nie wieder. Oh! ich ahnte es, denn wir waren zu glücklich; derjenige, welcher deinem Vater diesen Befehl gab, ist ein Mörder, denn unsere Trennung ist mein Tod. Wenn du mich verlässt muss ich sterben, ich bin ein schwaches, liebendes Weib und kann ohne dich nicht mehr leben.“
Er nahm sie in seine Arme, lehnte ihr Haupt an seine Brust und suchte sie zu trösten indem er zu ihr sagte:
„Weine nicht! ich kann dich nicht weinen sehen, es bricht mein Herz. Wohl wünschte ich, es bliebe immer Frühling! unser jetziger Zustand ist der Winter, der auf hohem Gebirge ruht und plötzlich ins Thal herabkommt, den Frühling vertreibt und alle jungen Pflanzen tötet.
Zuletzt siegt aber doch der Frühling! Wir sind ja für hundert Jahre miteinander verbunden, unsere Trennung kann nur für kurze Zeit dauern und um so schöner wird unsere Wiedervereinigung sein.“
„Aber wie kann ich hier allein bleiben, während du in der Hauptstadt weilst?“ erwiderte sie. „Denke an die langen ermüdenden Sommertage und an die endlosen Winternächte. Niemand darf ich sehen und niemals werde ich etwas über dich erfahren! wie soll ich das ertragen können.“
„Wenn der König meinen Vater nicht so hochgeehrt hätte, würden wir vielleicht nie voneinander getrennt worden sein, aber da es doch nun einmal so geschehen ist, so bleibt uns nichts anderes übrig als zu scheiden. Du musst mir aber auch vertrauen und es glauben, wenn ich dir sage, dass ich zu dir zurückkehren will. Nimm diesen Spiegel aus Bergkrystall zum Pfande meines Versprechens“, schloss er, indem er ihr einen kleinen Taschenspiegel überreichte.
„Gieb mir eine bestimmte Zeit an, zu der ich dich Wiedersehen werde,“ bat sie ihn und ohne seine Antwort abzuwarten begann sie zu singen: „Wenn der abgestorbene Baum von neuem blüht und der tote Vogel wieder seinen Gesang beginnt, dann werde ich dich sehen. Wenn der Fluss das grosse Gebirge des Ostens in seine Tiefe begraben haben wird, dann werde ich meinen Liebling zu Schiffe zu mir kommen sehen.“
Toh Ryung machte ihr Vorwürfe wegen ihrer Verzagtheit und gab ihr die Versicherung wiederzukehren. Endlich fasste sich Chun Yang, zog einen Ring von ihrem Finger und gab ihn ihrem Geliebten mit den Worten: „Nimm diesen Ring zum Andenken an meine Liebe, Geliebter. Meine Liebe ist wie dieser Ring, sie kennt nicht Anfang und nicht Ende. Gehen musst du, das begreife ich, aber meine Liebe geht mit dir! sie wird dich begleiten und beschützen, wenn du auf gefährlichen Wegen gehst oder reissende Flüsse passieren musst und sie wird dich auch einst in meine Arme zurückführen! Wende deine Zeit in der Hauptstadt nützlich an; studiere fleissig, damit du die öffentlichen Prüfungen mit Ehren bestehen mögest. Wenn du dann zu Rang und Würde gekommen bist, kannst du mich vor aller Welt als dein Weib anerkennen und in dein Haus aufnehmen. Ich will bis dahin meine Augen mit der Hand beschatten und nach deiner Heimkehr ausschauen!“
So trennten sie sich.
Die lange Reise schien Toh Ryung wie die Fahrt zu einem Begräbnis. Seine Gedanken weilten aber stets bei Chun und ihr Bild schwebte Tag und Nacht vor seiner Seele; äusserlich trug er jedoch ein sehr ernstes und ruhiges Wesen zur Schau, denn er hatte seinen Zukunftsplan mit grosser Selbstüberwindung entworfen.
Seine Eltern wunderten sich, in der Hauptstadt angelangt, über sein zurückgezogenes und in sich gekehrtes Wesen, denn er verschloss sich in sein Zimmer und lebte nur seinen Büchern, ging nie aus, suchte keinen Verkehr mit anderen Menschen und mied sorgfältig den Umgang junger Edelleute, die sich vergeblich bemühten sich ihm zu nähern. So vergingen Monate, die ihm schnell wie ein Traum vorüberflogen.
Unterdessen war ein neuer Präfekt in Nam Won angestellt worden, der, ein schlechter Mensch und noch schlechterer Beamter, ein liederliches Leben führte und sich wenig um das Wohlergehen seiner Untergebenen kümmerte. Er war noch nicht lange in seinem Amte, als er von der Schönheit Chun Yang Ye’s hörte. Er beschloss, sich näher nach den Verhältnissen derselben zu erkundigen und wenn das Gerücht über ihre Reize sich bewahrheitete, sie zu heiraten. Sein Sekretär erhielt daher den Auftrag, sich nach der schönen Tänzerin zu befragen, brachte ihm aber den Bescheid, dass der Name Chun Yang Ye nicht mehr auf der Liste der öffentlichen Tänzerinnen stände, weil Ye Toh Ryung, der Sohn des früheren Präfekten, sie geheiratet habe und dieselbe nun eine Dame von Rang geworden sei. ,,Du lügnerischer Schuft von Schreiber,“ schrie ihn der Statthalter an, der nicht duldete, dass jemand wagte ihm zu widersprechen oder es gar versuchte, seine Pläne zu durchkreuzen, „eines Edelmanns Sohn kann keine Tänzerin heiraten! Schere dich zum Henker und bringe sofort dieser ,Dame von Rang‘ meinen Befehl, augenblicklich vor mir zu erscheinen.“
Der Sekretär musste dem Befehl nachkommen und schickte Diener zu Chun Yang Ye, die ihr die Aufforderung des Präfekten bestellen mussten. Die Diener, welche alle in dem Distrikte geboren waren und Chun Yang kannten, führten den Befehl nur sehr ungern aus. Reich mit Geschenken von ihr entlassen, brachten sie die Botschaft zurück, Chun Yang sei schwer erkrankt, läge zu Bett und könne nicht ausgehen. Der Präfekt liess diese Diener auspeitschen und gab ihnen den Befehl, Chun Yang krank oder gesund in einem Stuhle herbeizuholen und drohte, Ungehorsam mit dem Tode zu bestrafen.
So machten sie sich denn wieder auf den Weg und teilten Chun Yang den erhaltenen Befehl mit, wollten ihn aber, von ihrer Verzweiflung gerührt, nicht ausführen. Doch das gab das edle Wesen nicht zu. Sie beschmutzte ihr Gesicht, brachte ihr Haar in Unordnung, hüllte sich in Lumpen und begab sich zum Statthalter.
Sie weinte bitterlich, als sie vor ihm erschien, was diesen nur um so wütender machte, denn ihre Verkleidung und die Thränen, welche sie vergoss, liessen sie nur um so begehrenswerter erscheinen. Er drohte, sie durchprügeln zu lassen, wenn sie sich nicht sogleich beruhigen würde und fand sie noch weit schöner als das Gerücht sie geschildert hatte.
„Was bezweckst du eigentlich mit deinem Betragen, du ungeschliffener Edelstein“, fragte er sie, „wie kannst du es wagen, nicht vor mir erscheinen zu wollen, wie es deine Pflicht als gee sang ist?“
„Wohl bin ich als gee sang geboren,“ war ihre Antwort, „aber durch meine Heirat bin ich zur Standesdame erhoben, und habe infolgedessen nicht nötig deinen Befehlen zu gehorchen.“
„Schweig!“ fuhr sie der Präfekt an. „Du wirst mit den anderen gee sang hierher zu mir kommen — oder die Folgen zu fürchten haben.“
„Nie und nimmer tanze und singe ich vor dir! lieber tausendmal sterben! Du hast kein Recht mir zu befehlen! Du, als erster Diener des Königs, solltest der erste sein, welcher die Gesetze hält, statt sie zu missachten,“ entgegnete ihm kühn Tohs Gattin.
Der Präfekt wurde durch diese Antwort wie von Sinnen; er liess sie in Ketten legen und ins Gefängnis werfen. Alle Anwesenden weinten, doch das machte den ehrlosen Mann nur wilder. Er gab dem Gefängniswärter den Befehl, Chun Yang besonders streng zu halten und ein wachsames Auge auf sie zu haben, damit sie nicht etwa von ihren Bemitleidern befreit würde und ihm entwischen könne.
Der Gefängniswärter versprach den Befehlen nachzukommen; im geheimen aber erwies er der Aermsten alle nur möglichen Wohltaten. Chun Yangs Mutter besuchte ihr Kind im Gefängnis und beklagte ihre traurige Lage, fügte aber missmutig hinzu, dass sie eine Närrin sei, ihrem seit so langer Zeit abwesenden Gatten treu zu bleiben, der doch nie wiederkehren würde und sie ins Elend gestürzt habe. —
Alle anderen, welche dem Gespräche zuhörten, waren auf Chun Yangs Seite und schalten die Mutter, dass sie so thörichte Reden führte. Man sprach der weinenden Chun Yang Trost zu und suchte ihre Lage nach Möglichkeit zu verbessern.
Die unglückliche Gattin Toh Ryungs verbrachte die Nacht betend, indem sie die Geister der Vorfahren ihres Mannes anflehte, sie zu erlösen, und als ihre Mutter am nächsten Morgen wieder zu ihr ins Gefängnis kam, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, sprach Chun mit so leiser, unverständlicher Stimme, dass jene heftig erschrak, denn sie glaubte, die Tochter wäre erkrankt.
„Noch bin ich am Leben“, hauchte die Gefangene „aber ich fühle, dass ich sterben werde. Niemals werde ich Toh Ryung wiedersehen; wenn ich gestorben sein werde, so nehmt meinen Leichnam mit nach Seoul und begrabt ihn an der Strasse, auf welcher mein Geliebter wandelt, damit ich ihm wenigstens im Tode nahe sein kann, wenn ich es im Leben nicht durfte.“
Nun machte ihr die Mutter von neuem Vorwürfe darüber, dass sie Toh treu bleiben wolle und beschwor sie, von diesem Eigensinn abzugehen und lieber den Statthalter zu heiraten. Aber Chun Yang erwiderte ihrer Mutter, wenn sie nichts anderes wüsste, als mit ihr zu schelten und von dem Präfekten zu reden, sie besser daran thäte, nicht mehr ins Gefängnis zu kommen, um sie zu besuchen. „Ich folge,“ fügte sie hinzu „der Stimme meines Herzens und thue was recht ist. Wer kann die Zukunft voraussagen? Weil heute die Sonne scheint, ist noch nicht bewiesen, dass sie auch morgen scheinen werde. Ich bereue nicht, was ich bisher gethan habe und bitte dich, mich mit meinem Kummer allein zu lassen, statt ihn durch deine Vorwürfe und deine Unfreundlichkeit zu vermehren.“
Tage, Wochen und Monate vergingen Chun im Gefängnisse und immer blieb sie ihrem fernen Gatten treu. Sie war sehr krank und wäre gewiss längst ihren Leiden erlegen, wenn der treue und wohlwollende Gefängniswärter nicht für sie gesorgt hätte. Da träumte Chun Yang eines Nachts, dass sie wieder in ihrer Mutter Haus sei und sich ankleide, dabei ihren Kristallspiegel, das Geschenk Toh Ryungs, benützend, als dieser plötzlich in zwei Stücke zerbrach. Sie nahm diesen Traum als eine Vorahnung ihres baldigen Todes, denn was sollte das Zerbrechen des Spiegels in zwei Hälften für eine andere Bedeutung haben, als dass ihr Herz brechen würde? So sehr sie sich auch nach dem Tode sehnte, um endlich wieder frei und aus den Händen des Präfekts erlöst zu sein, so sehr bedauerte sie auch den Umstand, ganz allein und verlassen sterben zu müssen, ohne dass ihr geliebter Mann ihr nach dem Tode die Augen zudrücken könne. Da sie aber gern die genaue Deutung ihres Traumes wissen wollte, so bat sie den gütigen Gefängniswärter ihr einen Blinden zu holen, welcher die Kraft besässe, wie viele unter diesen Leuten, Träume auszulegen. Kaum hatte sie diesen Wunsch geäussert, als sie einen blinden Mann vorbei kommen hörte, denn sie vernahm das eigentümlich tickende Geräusch, welches die Blinden mit ihren Stöcken zu machen pflegen, und ausserdem stiess der Vorübergehende den, den Blinden üblichen Ruf aus. Als der blinde Mann eingetreten war und Platz genommen hatte, entdeckten beide, dass sie gute Bekannte waren. Der Blinde hatte früher, ehe ihn das Unglück betroffen, sein Augenlicht zu verlieren, in guten Verhältnissen gelebt und war ein Freund ihres verstorbenen Vaters gewesen. Sie bat ihn daher, er möchte es mit ihr so gut meinen, wie mit ihrem Vater, als dieser noch lebte und ihr die Wahrheit sagen, wann und wo der Tod sie überraschen würde. Er antwortete ihr: „Wenn die Blüten abfallen, so sterben sie nicht, sondern bringen in ihrem Samen neues Leben hervor. Der Tod würde dich auch nur von deinem jetzigen Leben befreien, um dich dereinst im Jenseits glücklicher und in schönerer Gestalt wieder aufleben zu lassen.“
Sie erzählte ihm nun ihren Traum und bat ihn, ihr denselben zu deuten. Er antwortete ihr nach einigem Zögern, dass es nichts Gutes bedeute, wenn man im Traume einen Spiegel ohne Ursache in zwei Stücke brechen sehe, und bat sie, ihm noch näheres über ihr Traumbild zu berichten. Da sagte sie ihm, dass sie gerade in dem Augenblicke, wo sie den Spiegel in zwei Hälft