(I) Gestatten, Theoplus Noktios
Prof. Dr. Theoplus Noktios ist aufgeregt. Ein Zustand der recht selten bei Ihm anzutreffen ist.
Drei Jahre sind vergangen. Generalmajor Pavel Rebelkov’s Proto-Operation, die erste Gehirntransplantation beim Menschen, steht unmittelbar bevor.
Dr. Septimus Kholdrust hat seine Splice-Technik an duzenden Bonobos getestet und perfektioniert. Gerade noch rechtzeitig, denn Rebelkov geht es schlecht.
Er benötigt mittlerweile ein Exo-Skellet um sich fortzubewegen und reinen Sauerstoff zum wachbleiben.
Trotzdem ist der treue General Ihrer Majestät, Königin Hypatia I, in Amt und Würde.
Seine Entscheidungen und der Führungsstil haben sich dabei an die Körperliche Verfassung angepasst. In allen Ecken des Reiches, innerhalb und außerhalb des Militärs, sind seine Launen gefürchtet.
Auch der persönliche Leibarzt Ihrer Majestät ist eine Kapazität. Fachlich unschlagbar. Er legt kaum noch selbst Hand an, aber in Rebelkov’s Fall wird er zusammen mit Kholdrust Höchstselbst aktiv.
Dr. Theoplus Noktios? Was ist er für ein Kandidat? Wenig ist über Ihn bekannt. Will man es entschlüsseln so ist eine Reise in die Vergangenheit von Nöten.
Seine Kindheit und Schulzeit sind dabei vernachlässigbar. Der Vater ist zwar früh verstorben aber dies hatte kaum Einfluss auf den jungen Theoplus.
Noktios‘ wahres Leben beginnt erst mit einem fulminanten Ereignis, das sich damals an seiner Dissertationsfeier zugetragen hat.
Das Fest der königlichen Medizinischen Fakultät ist und war immer ein besonderes Ereignis. Er war im Zentrum des Geschehens anzutreffen, Bewunderer um Ihn herum. Als Jahrgangsbester wurde er auch von den Professoren hofiert.
Es war eine gediegene Feier hochqualifizierter Mediziner, jetzt gehört auch er, Theoplus Noktios zu diesem erlesenen Kreis.
Unerwartet, beispielhaft jedoch, einfach so in den Raum, plötzlich, die Ansage einer zugegeben recht eleganten alten Dame. Sie hat sich anscheinend extra herausgeputzt.
"Ja, sehr schön Theo. Gut gemacht, Junge. Fachlich einwandfrei..."
Theoplus dreht sich zu seiner Mutter um. Diese fährt genüsslich fort: "Du würdest dich gescheiter um dein Privatleben kümmern. Eine Familie gründen..."
Lächelnd, ohne jedoch die Hauer zu zeigen geht daraufhin der junge Mediziner auf seine alte Dame zu.
Dann holt er aus und scheuert Ihr eine mit der flachen Hand, so fest er kann, mitten ins Gesicht.
Seine Ohrfeige ist so heftig, das Artoklavia Noktios aus den Socken fliegt. Sie stürzt auf den kalten Marmor und bleibt benommen liegen.
Auf dem Rückweg zu seinen Kollegen zeigt Noktios auf zwei Medizinisch-Technische Assistenten und spricht durch die Stille im Raum folgende Worte: "Entfernt den Abfall".
Diese schlucken erst mal, machen Sich aber dann doch ohne Murren gleich an die Arbeit. Sie heben die schwer benommene alte Dame vorsichtig hoch und geleiten Sie in aller Stille raus.
Diese Szene bleibt Theoplus schon verborgen. Kein einziges Mal dreht er sich um.
Einige Professoren runzeln die Stirn und linsen sich an. Was war das eben? Einzelne unter Ihnen huschen schnell ans Buffet und beginnen eifrig zu tuscheln.
Aber wer die Mediziner kennt weiß dass Sie ein absonderlicher Menschenschlag sind. Warum soll man sich von dieser Banalität das Fest vermiesen lassen?
Das Ereignis eben trübt die Stimmung im Großen und Ganzen kaum. Im Gegenteil: Der eine oder andere klopft dem Primus sogar auf die Schulter.
Sie ist dann rasch gestorben, die alte Noktios. Ihr einziger Sohn Theoplus hat sich geweigert sie nochmal zu sehen, blieb der Einäscherung fern.
Danach ist er aufgeblüht, der junge Doktor, obwohl er einen Schritt einschlug den keiner seiner Kollegen verstehen konnte.
Anstatt in die Forschung zu gehen, wie für die hellsten der Branche üblich, machte er eine Allgemeinmedizinische Praxis im Süden Lyporos auf. Die Überraschung war groß, ebenso der Fehler.
Noktios hasst Banalität und Allerweltsmenschen. Außerdem spricht er ohne Rücksicht auf Verluste das aus, was er denkt.
Mit dem Eid des Hippokrates hat das wenig zu tun.
Jenes gipfelte, als eines Tages eine typische Mutter in seine Praxis kam und Ihm stolz das ganze Zentralwort vor die Nase hielt. Dieses Verbrechen als Lebensleistung lehnt der strebsame Mediziner ab. Noktios, verbal treffsicher, wenngleich ohne Empathie stellte folgendes klar:
"Jeder ist für immer tot. Deshalb ist der Hass auf die Mutter der stärkste überhaupt."
Nun, verbale Aussagen haben eine einzige Eigenschaft: Unsere Gesamtsituation bleibt gleich. Dennoch mag man geteilter Meinung sein.
Die einen werden einen Funken Wahrheit erkennen, andere finden es verwerflich.
Wie dem auch sei, in unserem Fall rannte die so gescholtene Heulend aus der Praxis. Ein Ereignis das Folgen hatte. Auch die Obrigkeit bekam langsam von seinen Verbalen Eskapaden Wind. Nach langem Ringen musste er seine Praxis schließen.
Sein weiterer Weg ist bereits erzählt. Den Posten als Leiter des intensivmedizinischen Instituts ihrer Majestät hat er bis heute inne.
Theoplus Noktios ist kein Misanthrop. Sein Kredo ist, das jeder einzelne durch Fleiß und Disziplin größeres als das eigene unscheinbare Leben leisten kann. Er steht loyal zum Protokoll.
Ja, Noktios kann wenig mit Frauen anfangen. Sie langweilen Ihn. Ausnahmen bestätigen die Regel, als eines Tages die junge Nimoa Sopor in seine Praxis spaziert kam.
Traurig war sie, depressiv aber sarkastisch. Sie hatte bereits einen Sohn, Albiw, der diese Eigenschaften vererbt bekam, zumindest die ersten Zwei.
Das Kinde Albiw war ein Grübler. Untypisch, interessant. Ohne Freunde ging er als Hans Guck in die Luft durch sein kurzes Leben. Er starb bei einem Verkehrsunfall, unter mysteriösen Umständen. Der Fahrer gab zu Protokoll: "Der ist einfach auf die Straße getappt."
Nimoa, am Boden zerstört suchte Rat beim jungen Noktios. Ob Sie eine Beziehung hatten weiß niemand genau, dagegen spricht das Nimoa weiterhin mit Ihrem Mann, einem Banker, zusammen lebte. Es ist schon seltsam, das eine so kreative, freie Pflanze mit so was Langweiligem Verheiratet ist. Noktios hat das nie verstanden.
Etwa ein Jahr nach dem tragischen Verlust bekam Sie eine Tochter, Rose, Ihr letztes Kind. Aber Nimoa war gezeichnet. Sie magerte Zusehens ab, verweigerte sich dem täglichen Leben. Der Banker verließ die beiden und keine zehn Jahre nach dem letzten Zusammentreffen mit Theoplus ist Sie gestorben.
Noktios nahm den Todesfall zur Kenntnis, nur er selbst weiß, wie. Wichtig ist jedoch, und überliefert, dass er Ihrer Tochter geholfen hat.
War Nimoa Sopor schon sehr speziell, so ist nun Rose, Ihre Tochter, dies im Quadrat. Apathisch, geistesabwesend, mit kahlrasiertem Kopf und Ritzen an den Unterarmen machte Sie Noktios unter einer Brücke im Obdachlosenbezirk Lyporos ausfindig.
Er lieferte Sie umgehend in die wichtigste Klinik solcher armen Existenzen, dem berühmten Bergsanatorium Altrosa, höchstpersönlich ein.
Bis zum heutigen Tage lebt Sie dort. Ihr Zustand hat sich verbessert. Mit der Ritzerei hat Sie aufgehört. Die Medikamente wirken. Verträumt streichelt Sie jetzt lieber den ganzen Tag die Rosen im Blumengarten des Sanatoriums.