Als der Fischkönig einst in seinem Reiche umherschwamm sah er einen fetten Wurm dicht vor seinen Augen auf- und niederhüpfen und gierig nach ihm schnappend, geriet ein Angelhaken in seinen Rachen. Es gelang ihm jedoch bald die Leine, an welcher der Haken mit dem Wurm befestigt war, zu zerreissen und so dem traurigen Schicksale zu entgehen, seinen königlichen Leichnam den gewöhnlichen Sterblichen zur Nahrung hingeben zu müssen.
Alle Grossen des Reiches, vom Wallfische an bis zur Schildkröte wurden an das Krankenlager des Königs berufen. Sie erschienen mit ernsten Gesichtern und jeder nachdenkend, auf welche Weise der Haken wohl aus dem königlichen Schlunde entfernt werden könne. Endlich meinte die Schildkröte, dass das einzige dazu wirksame Mittel Umschläge von einem Paar ganz frischen Hasenaugen wären. Den Rat fand man wohl gut, woher aber ein Paar frische Hasenaugen bekommen? Auch hierfür wusste die Schildkröte Abhilfe; sie sagte, sie kenne einen Hasen und würde es versuchen ihn zum Palaste zu bringen. Sobald sie ihn jedoch hergeleitet haben würde, wolle sie sich wieder entfernen, es wäre dann Sache der Aerzte dem Hasen die Augen herauszunehmen, ihr wäre der Anblick von Blut zuwider, und sie könne es nicht riechen. Der König bedankte sich huldvoll für den guten Rat und die Schildkröte wusste wohl, dass ihr Glück gemacht sei, wenn es ihr nur gelänge des Hasen habhaft zu werden.
Am nächsten schönen Tage kroch sie auf einen Hügel, wo sie ganz sicher war den Hasen zu treffen. Sie täuschte sich auch nicht; der Hase war gerade beim Frühmahle, spitzte die Ohren als er das Geräusch hörte, welches die Schildkröte beim Klettern machte und wollte, davon laufen. Als er sie aber erkannte, blieb er auf den Hinterpfoten sitzen und fragte was sie auf diesem Hügel wolle?
„Ach,“ antwortete die Schildkröte, „ich habe immer schon so viel von der schönen Aussicht gehört, welche man von diesem Berge haben soll und will mich nun einmal selbst von der Wahrheit dieser Aussage überzeugen.“
Darauf drehte sie ihren langen Hals nach allen Windrichtungen und sagte dann zum Hasen: „ich sehe wirklich hier nichts besonders Schönes!“
„Um eine schöne Aussicht zu haben, musst du noch weit höher auf den Berg klettern,“ erwiderte ihr der Hase und machte sich fertig, die Schildkröte höher hinauf zu begleiten.
„Ach nein,“ sagte diese, „ich habe schon vollkommen genug mit dem, was ich gesehen und ziehe doch mein Wasser vor. Da habe ich schöne grüne Wälder, Thäler und Höhen, grosse kühle Grotten, schöne Paläste und weite Ebenen, auf denen sich bunte Fische umhertummeln. Das beste dabei ist aber doch, dass das Wasser einen überall hinträgt und man sich nie ermüdet wie auf dem Lande. Nein, nein, lasst mich nur mit eurer heissen, vertrockneten Erde in Ruhe, ich will schnell wieder in mein Wasser zurück.“ Mit diesen Worten machte sie sich langsam auf den Rückweg, wobei ihr der Hase nachdenklich folgte.
„Ich möchte mir gern einmal dein Reich ansehen,“ sagte der Hase, — „aber ich habe so grosse Angst vor dem Wasser! Hat man gar keine Beschwerden darin, kommt einem nichts davon in die Augen, Ohren und den Mund?“
„Ih, bewahre,“ war die Antwort der Schildkröte, „das Wasser macht nicht mehr Beschwerde als die Luft, es kommt nur auf die Gewohnheit an.“
„Wie gern möchte ich dich begleiten, aber ich kann nicht schwimmen,“ meinte der Hase.
Die Schildkröte konnte kaum mehr ihre Aufregung unterdrücken, antwortete aber ganz ruhig:
„Allein könntest du freilich nicht gehen; aber wenn du es doch so gerne versuchen möchtest mein Reich zu besichtigen, so setze dich auf meinen Rücken, stecke deine Pfoten in meinen Mund, und ich will dich hinunterführen.“ Dann versicherte sie ihm auf ihr Ehrenwort, dass auf diese Weise die Reise nichts Gefährliches habe und nun liess sich der Hase bewegen, auf dem Rücken der Schildkröte reitend, die Reise zu unternehmen. Zuerst war es ihm sehr beängstigend unter dem Wasser, aber bald gewöhnte er sich daran. Er war ganz entzückt von all dem Schönen, was er unter dem Wasser sah und von dem er sich früher gar keine Vorstellung gemacht hatte. Trabantenfische kamen ihm entgegen, — denn man hatte schon im Palaste von seiner Ankunft erfahren — und bewillkommneten ihn im Namen des Königs. Bald befand sich der Hase im Krankenzimmer des Königs, denn dorthin hatte ihn die Schildkröte zuerst gebracht, um dann selbst so schnell wie nur möglich zu verschwinden. Die vielen Aerzte, welche den König in seiner Krankheit behandelten, luden den Hasen höflich ein, Platz zu nehmen. Während er nun ganz still auf einem schönen Muschelsessel sass, hörte er wie zwei Doktoren miteinander beratschlagten, wie sie sich am besten der Augen des Hasen bemächtigen könnten, ohne ihn selbst töten zu müssen. Da standen ihm freilich vor Schreck die Haare zu Berge, aber er hatte doch so viel Geistesgegenwart zu fragen, was man denn eigentlich mit seinen Augen vornehmen wolle. Nachdem ihm die Aerzte die Sache auseinander gesetzt hatten und er eine Weile mit den Ohren gewackelt, als wenn er einen Ausweg aus dieser heikeln Geschichte finden wollte, sagte er zu ihnen:
„Ja, ja, das ist alles sehr gut, aber darüber hätte die Schildkröte nur vorher mit mir sprechen sollen. Wir Hasen haben alle zwei Paar Augen; unsere künstlichen, aus Bergkristall gemachten, welche wir bei schlechtem, staubigem Wetter benützen und die wirklichen, welche wir nur bei gutem Wetter tragen. Da ich nun fürchtete das Wasser könne meinen wirklichen Augen schaden, weil sie doch nicht an die Feuchtigkeit des salzigen Meeres gewöhnt sind, nahm ich sie mir heraus, vergrub sie oben am Lande und kam mit meinen Kristallaugen hierher. Aber es wird mir ein grosses Vergnügen sein, dem Könige meine Augen zur Heilung zu geben, denn ich kann mich ganz gut mit meinen künstlichen behelfen und bin fest davon überzeugt, dass Umschläge von meinen Augen Sr. Majestät helfen werden.“ Wenn es dem Könige recht wäre, meinte er, so solle man nur der Schildkröte befehlen ihn wieder an Land zu bringen, er würde sich dann die Ehre geben, so bald als es ihm möglich sei, seine Augen persönlich zu überreichen. Alle Anwesenden waren von der grossen Liebenswürdigkeit des Hasen überrascht und alle, der König aber am meisten, schämten sich, dass sie durch Hinterlist hatten erreichen wollen, was ihnen der gute Hase auf höfliche Anfrage gern gegeben hätte.
Die Schildkröte bekam in nicht allzu höflicher Form den Befehl, sofort den Hasen an der von ihm bezeichneten Stelle zu landen und zu warten, bis er ihrer weitern Hilfe bedürfe.
Sobald der Hase an Land war, schüttelte er sich das Wasser aus dem Felle und sagte zur Schildkröte, sie möge nur selbst nach den Augen graben, denn er hätte gerade nur das eine Paar zur Hand, welches er lieber selbst behalten wolle, als es ihrem gefrässigen Könige zu Umschlägen zu überlassen. Bei diesen Worten rannte er so schnell als ihn seine Beine nur tragen wollten, wieder den Berg hinauf und ist seitdem sehr vorsichtig, wenn er wieder mit einer Schildkröte zusammen kommt.