Die dreibändige Reihe „Koreanische Literatur - Ausgewählte Erzählungen" ist in Zusammenarbeit zwischen dem Bouvier Verlag, der Korean Culture and Arts Foundation in Seoul und mir geplant worden mit dem gemeinsamen Ziel, die koreanische Literatur, die hierzulande noch sehr wenig bekannt ist, der Leserschaft im deutschsprachigen Raum in handlichen Taschenbüchern zugänglich zu machen.
Jeder Band ist einer in sich geschlossenen literarischen Epoche gewidmet, ohne daß jedoch der Gesamtüberblick über die erzählerische Tradition Koreas verlorengeht:
Band 1: Klassik
Band 2: Moderne
Band 3: Gegenwart
Im vorliegenden Band 1 findet klassische koreanische Literatur Aufnahme; es handelt sich um vier repräsentative Erzählungen, die trotz des relativ kleinen Umfangs strukturell wie inhaltlich als Romane gelten können. Die Autoren der klassischen Erzählungen Koreas sind im allgemeinen nicht bekannt; dies ist auch hier bei drei der vier Erzählungen der Fall. In dieser Hinsicht stellt die Geschichte von Hong Gildong eine Ausnahme dar; der Autor Hŏ Giun (1569-1618) hatte den Mut, sich mit dieser autobiographisch-sozialkritisch-utopischen Erzählung der damaligen konfuzianisch-konservativen Gesellschaft zu stellen. Daß die Autoren anonym blieben, ist darauf zurückzuführen, daß sie durch ihre harte Kritik an der bestehenden Gesellschaft ihre Existenz nicht gefährden wollten.
Nähere Erläuterungen zur klassischen Literatur Koreas sind in der Einleitung nachzulesen; eine kurze Biographie des Autors Hŏ Giun findet sich im Anhang.
Die klassischen Erzählungen Koreas enthalten zahlreiche Wortspiele und Zitate aus dem asiatischen Altertum, die nachzuvollziehen für den europäischen Leser nicht immer möglich sein dürfte. Daher hielt ich es für angemessen, solche entweder gekürzt wiederzugeben oder teilweise wegzulassen. Andererseits mußte ich gedankliche Sprünge der Autoren überbrücken, da die Geschichte für europäische Leser sonst nicht verständlich würde. Dies liegt in der für die Klassische Literatur typischen Erzählweise begründet. Wenn der Autor einen für Koreaner selbstverständlichen Vorgang einfach übergeht, so liegt das daran, daß er vom Leser erwartet, diese Gedankenkluft mit ihm zu überspringen.
Ein Beispiel: In der Geschichte von Chunhiang bekommt I Doriŏng von seinem Vater, der nach Seoul versetzt worden ist, den Auftrag, seine Mutter im voraus dorthin zu begleiten. Er tut, als bereite er sich auf die Reise vor, schleicht aber gleich zu Chunhiangs Haus hinüber. Nach einer traurigen Abschiedsszene macht er sich direkt auf den Weg nach Seoul; Chunhiang begleitet ihn mehrere Meilen, bevor er davonreitet. Nun ist von seiner Mutter überhaupt nicht mehr die Rede, und es hat den Anschein, als ob Doriŏng den Auftrag seines Vaters nicht erfüllte, was jedoch unvorstellbar ist. Hier mußte ich die Sätze im Deutschen so formulieren, daß zumindest dieser Eindruck nicht entsteht.
Ich habe die Umschrift der koreanischen Eigennamen und spezifischen Ausdrücke sowie der Anmerkungen vereinheitlicht. Dafür habe ich im Einvernehmen mit der Korean Culture and Arts Foundation sowie dem Verlag mein eigenes Transliterationssystem verwendet. Siehe hierzu: K. S. Kuh: Koreanisch I, 3., überarbeitete Auflage, Bonn 1985, S. 158 ff.
Es gibt generell für jede klassische Erzählung mehrere überlieferte Handschriften und Versionen. Ich habe als Vorlage für die Übersetzung jeweils einen als authentisch geltenden Text genommen und gleichzeitig verschiedene Ausgaben berücksichtigt, die die hier enthaltenen Erzählungen in der modernen koreanischen Sprache wiedergeben.
Frank Heidermanns, dem Redaktionsassistenten des Instituts für Koreanische Kultur, bin ich für Korrektur und Schreibarbeiten und Horst Heinecke vom Bouvier Verlag für die Gestaltung der Umschläge sowie für die Verlagsarbeiten für diese Reihe zu Dank verpflichtet. Ebenso dankbar bin ich Frau Dr. Helga Blasius, die die letzten Korrekturen gelesen und mir wertvolle Anregungen gegeben hat.
Bonn, den 15. Januar 1988 K. S. Kuh