Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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KLEIN-GUANTANAMO

Nervös trommelte der Mann mit seinen Fingern auf das Armaturenbrett. Schweiß rann über seine Stirn und durchnässte seine Kleidung, die Klimaanlage blieb wirkungslos. Er schloss die Augen, die Sterne weigerten sich, zu verschwinden und sein Atem ging stoßweise. Mach nicht schlapp, Körper, ich brauche dich noch! Die Mittagssonne quälte ihn, 100.000 Lux schlugen auf seine Netzhaut ein. Mit zugekniffenen Augen prüfte er das Areal, nichts Verdächtiges zu sehen. Vier Minuten verblieben. Übelkeit erfasste ihn und hastig parkte er den Sportwagen auf einem Behindertenparkplatz und eilte zur Toilette. Fahrig spülte er seinen Mund aus und sah im Spiegel den verschwitzten Mann mit dem wirren Haar. Der Tankwart beäugte ihn geringschätzig, als er ein Fläschchen Wodka kaufte und mit einem Schluck leerte.

In das Auto zurückgekehrt, nahm er eine Dosis Atemspray. Wohin hatte der Asiate gesagt, sollte er hinfahren? "Letzte Reihe, drittletzter Platz." Nie wieder, schwor sich Wiolkowski. Das war das letzte Mal. Eine Hupe gellte ihm entgegen, fast hätte er ein vorbeifahrendes Auto gerammt. Seine Finger glitten vom Lenkrad ab und nur mit Mühe gelang es ihm, das Gefährt abzustellen. Niemand zu sehen. Gehörte der Kleinbus Zivilbullen? Nein, holländisches Kennzeichen, so durchtrieben waren sie nicht.

Plötzlich war er da, saß das Schlitzauge neben ihm auf dem Beifahrersitz.

"Wo?"

Unbeholfen holte Wiolkowski den Aktenkoffer vom Rücksitz und öffnete ihn.

"Hier"

Der Asiate prüfte die Pläne eingehend mit einer Lupe.

"Softcopy?"

Wiolkowski überreichte ihm einen USB-Stick. Der Mann nahm ein Tablet und kontrollierte die Dateien.

"Okay. Hier Geld."

In dem Umschlag warteten 10.000 Euro auf ihn, wie vereinbart.

"Warten fünf Minuten, dann fahren."

Wiolkowski nickte. Der Asiate ignorierte ihn und stieg aus. Er ging zu einem VW-Golf mit Wiesbadener Kennzeichen und fuhr davon. Mietwagen. Erleichtert atmete Wiolkowski auf. Die Sterne waren verschwunden, der rasende Puls näherte sich Normallast. Erneut betrachtete er das Geld. Ein Lächeln spielte um seine Züge und er begann zu pfeifen. Seinen CD-Spieler einschaltend, genoss er die ersten Takte der Jupitersymphonie von Mozart. Das Leben war schön! Entspannt dirigierte er mit geschlossenen Augen, ganz in den Genuss der Musik vertieft.

Mit Erstaunen spürte er die Hand, die ihn gewaltsam aus dem Auto zog. Er hatte das Auto versperrt gehabt, wie war das möglich? Vor ihm standen zwei tätowierte Schlägertypen mit Rossschwanz, Lederjacke und Bierbauch.

"Mitkommen, Arschloch!"

Der Größere zeigte ihm seine im Gürtel steckende Pistole, der Kleinere grinste ihn durch seine Zahnlücke an und wies auf ein Messer.

"Für dein bestes Stück, wenn du nicht spurst."

Sie führten ihn zu einem Nebeneingang des bei der Autobahnstation gelegenen Motels und zogen an der Türe. Zwischen die beiden eingezwängt, stieg er die Treppen empor in das oberste Stockwerk. Am Ende des Gangs öffnete der Größere ein Zimmer und trat ein. Der Raum war schäbig, in der Mitte stand ein alter Sessel.

"Ausziehen"

Wiolkowski entkleidete sich bis auf die Unterhose.

"Hast du nicht gehört? Ausziehen!"

Zögernd entfernte Wiolkowski das letzte Kleidungsstück und stand seine Blöße bedeckend vor den Männern.

"Hände nach hinten."

Wiolkowski folgte dem Befehl. Der Kleinere lachte auf:

"Ist das wirklich dein eigener Pimmel oder hast du den einem Kleinkind geklaut? Der ist ja winzig. Kein Wunder, dass du Geld brauchst. Ohne Knete lässt dich keine ran."

Wiolkowski errötete.

"Setz dich."

Nackt nahm er auf dem dreckigen Stuhl Platz. Der Kleinere fesselte seine Hände mit Klebeband hinter der Lehne und klebte seinen Mund zu. Fünf Minuten lang betrachteten sie ihn wortlos. Der Größere nahm das Messer und ging zu ihm.

"Du bist zu übel für diese Welt. Bringen wir es hinter uns."

Die Klinge näherte sich seinem Bauch. In Panik registrierte Wiolkowski erst durch die Reaktion seiner Peiniger, dass er sich beschmutzt hatte. Während er ihm die Fesseln löste, stöhnte der Kleinere angewidert:

"Du bist ja eklig. Wie das stinkt! Eigentlich wollte ich mit dir ein bisschen Spaß haben, bevor ich dich umlege. Wisch das auf und wasch dich. Du brauchst gar nicht erst zu schreien, in diesem Teil vom Hotel ist keiner. Wir haben dem Portier gesagt, dass wir einen Porno drehen. Für 100 Euro hat er uns versprochen, dass uns keiner stören wird. Wenn du nachher wieder gut riechst, bin ich vielleicht nett zu dir. Das rettet dich nicht, aber wir machen es kurz und schmerzlos."

Nachdem Wiolkowski sich und das Zimmer gereinigt hatte, betrachtete der Größere ihn und bemerkte abfällig zu seinem Kollegen:

"Den willst du wirklich ficken? Der ist doch widerlich. Kleiner Pimmel und lauter Scheiße."

Der Kleinere begutachtete ihn ebenfalls kritisch.

"Hast Recht. Er gehört dir."

"Und was soll ich mit ihm machen? Der nervt. Ist es Zeit, ihn kalt zu machen?"

Der Kleinere schaute auf seine Uhr.

"Nee, Kalle hat eine SMS geschickt, dass er sich verspätet. Der Leichenwagen hat eine Panne gehabt. Vor heute Abend ist er nicht da."

"Mist, ich habe Karten für das Dortmund Spiel, so eine Scheiße. Kann ich ihn nicht jetzt abknallen?"

"Du weißt, dass es zu früh ist. Der Kerl bekommt Leichenstarre und wir kriegen ihn kaum in den Sarg. Erinnere dich an den anderen Typen. Es war eklig, jeden Knochen haben wir dem brechen müssen."

"Und dass du ihn umbringst? Die Karten sind wirklich gut."

"Nee, nee. Du schießt, ich trage und putze das Blut und das Gehirn weg, das ist der Deal."

Wütend trat der Größere mit dem Fuß gegen das Bett.

"Scheiße. Okay, Arschloch, komm mit. Wegen dir verpasse ich den neuen Spieler, den sie von Real gekauft haben. Das wirst du mir büßen."

Er führte Wiolkowski zur Badewanne und befahl ihm, sich hineinzusetzen. Die Gliedmaßen befestigte er mit Klebeband an dem Email.

"Den Mund lasse ich dir frei. Wenn du zu früh erstickst, haben wir den Salat."

Sorgfältig arretierte er Wiolkowskis Kopf mit einem Seil und Klebeband an der Waschmuschel. Der Größere entfernte sich und kam nach einigen Minuten mit einem Partybierfass zurück. Der Deckel war entfernt worden und es war randvoll mit Eiswürfeln gefüllt. Der Mann befestigte das Fass mit geübten Handgriffen über Wiolkowskis Kopf und öffnete den Zapfhahn geringfügig. Dann schloss er die Tür zum Badezimmer und schaltete das Licht aus.

Aus dem Zapfhahn entleerte sich alle zwei Sekunden ein eisiger Tropfen auf Wiolkowskis Stirn, immer auf die gleiche Stelle. Nach einer Minute spürte er das Eindringen der Kälte unter seine Haut. Drei Minuten später glaubte er, die Eiskristalle, die in sein Hirn schnitten, einzeln zählen zu können. Ab der neunten Minute schrie er anhaltend, gellend und hoffnungslos. Seine Bewacher ließen einen Sado-Maso Porno mit voller Lautstärke laufen, um ihn zu übertönen. Von Minute 35 an versagte seine Stimme und lediglich ein Krächzen drang aus seinem gepeinigten Antlitz hervor.

Vier Stunden Qual ließen ihn stumm wimmern, die neu hinzugekommene Stimme im Nachbarzimmer verhieß sein Ende. Wiolkowski wollte sich ein letztes Mal aufbäumen, die Kraft reichte nicht. Schritte näherten sich und die Tür wurde geöffnet. Das Licht schmerzte in Wiolkowskis Augen. Resigniert und erschöpft erwartete er den Fangschuss.

"Seid Ihr komplett wahnsinnig geworden? Ich habe euch nur gesagt, ihr sollt ihn festhalten, bis ich mit ihm reden kann. Ich verspäte mich und Ihr veranstaltet ein Klein-Guantanamo!"

Der Größere entgegnete trotzig:

"Er wollte nicht gestehen, und wir dachten, bringen wir es hinter uns."

"Papperlapapp. Natürlich möchte er plaudern, nicht wahr?"

Ein treuherziger Blick traf Wiolkowski. Dieser nickte mit geweiteten Augen.

"Jetzt macht ihn einmal sauber, das stinkt hier wie auf einem öffentlichen Klo. Danach zieht ihn an und bringt ihn zu mir."

Angekleidet beantwortete Wiolkowski krächzend Markowskis Fragen. Die ganze Nacht saß er bei ihm. Gelegentlich die Hand auf ihn legend, nahm Markowski ihm die Beichte ab. Mit dankbaren Augen blickte Wiolkowski ihn an, als er ihm die Absolution erteilte.

Am nächsten Morgen saß Markowski frisch geduscht und rasiert im Vorzimmer seines Vorgesetzten. Niemand hätte ihm die durchwachte Nacht angesehen. Niemand hätte ihn auf der Straße überhaupt angesehen, Punkt. Peter Markowskis Markenzeichen war seine Unauffälligkeit. Ende 40, mittelgroß, mittelbraune Augen und Haare, mitteldicker Bauch, ohne besondere Kennzeichen. Seine Kleidung kaufte er prinzipiell in einem altmodischen Kaufhaus, lediglich Produkte aus dem unteren Mittelsegment. Die Farben waren gedeckt, auffällige Muster vermied er. In seiner Lieblingskneipe, in der er freitagabends mit Freunden Skat spielte, erkannten ihn die Kellner nicht, obwohl er seit Jahren Stammgast war. Schließlich rief Dr. Friedrich Stuck, Generaldirektor von LS Technologies, seinen Sicherheitschef zu sich.

"Der Bösewicht hat gestanden, nicht wahr? Ihre Augen glänzen vor Begeisterung. Was sagt die Polizei?"

"Die weiß nichts."

Stucks Augenbrauen runzelten sich.

"Warum das?"

"Zuerst wollte ich mit Ihnen die weiteren Schritte besprechen. Beim BKA habe ich gelernt, dass Informanten wertvoller sind als Sträflinge."

Stuck rieb das Kinn mit dem Zeigefinger.

"Erklären Sie mal."

Dr. Stuck war ein gepflegter Endfünfziger mit angemessenem Bauchansatz, korpulent, ohne dick zu sein, eine stattliche Erscheinung. Sein Büro war bescheiden eingerichtet, die Kleidung kostspielig unauffällig, Savile Row und Jermyn Street ließen dezent grüßen. Sein Auftreten war von bemühter Bescheidenheit und onkelhafter Freundlichkeit geprägt. Nur gelegentlich trat ein Ego hervor, das sich für größere Aufgaben als die Führung eines Mittelständlers berufen fühlte.

"Wiolkowski hat gestanden, dass er den Franzosen regelmäßig Zeichnungen und Muster zukommen ließ. Ich schlage vor, wir lassen ihn auf freiem Fuß, im Gefängnis hilft er uns nicht. Er soll sich bei uns melden, wenn sie ihn wieder kontaktieren. Dann haben wir sie in flagranti erwischt."

Übel gelaunt schüttelte Dr. Stuck den Kopf und fuhr Wiolkowski an:

"Dem Verbrecher weiter Gehalt zu zahlen, geht mir sehr gegen den Strich."

Er zögerte, seine Züge nahmen einen genüsslichen Eindruck an und er fuhr fort:

"Die Vorstellung, Alain dadurch eines auszuwischen, gefällt mir hingegen umso besser."

Vergnügt leuchteten Stucks Augen, als er sich zu der Entscheidung durchrang:

"Gut, machen wir. Lassen Sie ihn nicht davonkommen. Wie haben Sie ihn übrigens identifiziert?"

Markowskis Hauptaufgabe bestand in der Gegenspionage, im Vereiteln gegen LS gerichteter Spionageversuche. Sobald eine Aufgabe nicht mehr gesetzeskonform war, kamen externe freie Mitarbeiter, seine "Freien", zum Einsatz. Diese hatten unter Auftragsmangel nicht zu klagen.

"Zuerst notierte ich auf dem Firmenparkplatz die Kennzeichen der teuren Autos. Dann fragte ich die Besitzer ab. Drei Mitarbeiter fuhren Autos, die sie sich mit ihrem Gehalt nicht leisten können. Laut Personalunterlagen hat eine geerbt und einer reich geheiratet. Blieb Wiolkowski. Er ist unbescholten, Vater von zwei kleinen Kindern und mit einer hübschen Blondine verheiratet. Seit er laut Personalakte ein Verhältnis mit einer Kollegin hat, explodieren seine Ausgaben. Neues Auto, Schmuck, Hotels und Hypothek kann er mit seinem Einkommen nicht stemmen.

Einer meiner Freien hat Wiolkowski im Namen eines asiatischen Konkurrenten kontaktiert. Er wolle Produktionspläne für eine neue Display-Steuerung haben, die von BMVV ausgeschrieben wurde. Wiolkowski stieg darauf ein, und bei der Übergabe haben wir ihn gefilmt, festgehalten und befragt."

"Ersparen Sie mir die Details. Okay, ich folge ihrem Vorschlag, überwachen Sie ihn!"

Markowski installierte mithilfe seiner Freien eine Vielzahl von Abhöreinrichtungen in Wiolkowskis Umfeld. Besonders die Videoaufnahmen bei dessen übrigens untreuer Freundin erfreuten sich regen Zuspruchs.

Die Umsicht wäre nicht erforderlich gewesen, Wiolkowski meldete sich freiwillig, als er von den Franzosen kontaktiert wurde. Markowski versorgte ihn mit getürktem Material, das auf den ersten Blick plausibel wirkte. Bei der Übergabe an den Mittelsmann filmten Markowski und sein Team diese, hielten sich aber im Hintergrund. Sie hatten Wiolkowski nicht nur elektronische Daten gegeben, sondern auch ein scheinbares Probeexemplar des Bauteils, in dessen Innerem sich ein Peilsender befand, der alle drei Minuten ein Signal absetzte.

Mit seiner Hilfe war es ihnen ein Leichtes, den französischen Mittelsmann zu verfolgen. Wie zu erwarten, begab er sich direkt vom Flughafen in Roissy zur Zentrale des Konkurrenzunternehmens. Markowski betrat eine Stunde später in Begleitung eines der Freien, der als Zeuge diente, das Gebäude.

Dort fragte er beim Empfang nach dem Leiter der Konzernsicherheit, Jean Duchamps. Er ließ ihm mitteilen, dass er von LS käme, und einige interessante Unterlagen hätte, die der Sicherheitschef sicher sofort sehen wollte. Nach zehn Minuten holte die Sekretärin von Duchamps ihn ab und führte ihn hinauf. Markowski stellte sich nicht lange vor.

"Herr Duchamps, wir haben klare Beweise, dass Ihr Unternehmen LS Technologies ausspioniert hat."

"Unverschämtheit, das ist eine freche Verleumdung. Sollten Sie das öffentlich äußern, werden wir rechtliche Schritte einleiten."

Seine Körpersprache sendete andere Signale. Statt aufzustehen und Markowski samt Begleiter zur Türe hinauszukomplimentieren, verharrte er in seinem Sessel. Markowski überreichte ihm einen USB-Stick.

"Hier finden sie einige ausgewählte Fotos und Videos, ein Teaser sozusagen. Zu Hause habe ich eine Akte, mit der ich einen Gerichtssaal füllen könnte."

Duchamps öffnete die Dateien und betrachtete sie stumm. Mit dem Brustton der Überzeugung äußerte er nach einigen Minuten indigniert:

"Eine unverschämte Fälschung. Digital überarbeitet, das ist offensichtlich."

Seine blasser gewordene Gesichtsfarbe strafte seine Aussage Lügen. Markowski setzte nach:

"Wir haben nicht vor, die Gerichte zu behelligen. Unsere Forderung ist einfach: Ihr Unternehmen zieht sich mit sofortiger Wirkung aus dem Geschäftsbereich Autoelektronik zurück. Andernfalls leiten wir unsere Unterlagen an Berlin weiter. Die Bundeskanzlerin wird in ihrem nächsten Telefonat mit ihrem Präsidenten ihre Entrüstung zum Ausdruck bringen. Als Ihr Hauptaktionär ist Ihr Präsident gezwungen, den Vorstand und den Sicherheitsdirektor, also Sie, mit sofortiger Wirkung zu ersetzen."

"Das ist eine Unverschämtheit. Ich muss mit Herrn Lacombe, unserem PDG sprechen, bevor ich auf diese dreisten Lügen antworten kann. Warten Sie bitte in meinem Vorzimmer."

Lächelnd verließen Markowski und sein Begleiter den Raum. Nach einer Stunde kehrte Duchamps zurück und führte sie wieder in sein Büro.

"Es ist, wie ich es erwartet hatte. Ihre Reise war eine kolossale Zeitverschwendung. Ihre Anschuldigungen sind haltlos und erlogen. Wir werden alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, sollten Sie Ihre Aussagen wiederholen. Herr Alain Lacombe hat mir zudem bestätigt, was ich vermutet hatte. Vollkommen unabhängig von Ihren dreisten Verleumdungen hat unser Unternehmen bereits vor drei Wochen den Beschluss gefasst, aus strategischen Gründen das Geschäftsfeld Autoelektronik aufzugeben. Die Pressekonferenz ist für nächste Woche terminiert. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen."

 Mit dem Gesichtsausdruck einer zufriedenen Katze verließ Markowski den Raum, um Dr. Stuck Bericht zu erstatten.

***

Die nächsten Monate waren geprägt von Alltagsaufträgen: eine kleine Unterschlagung in Tschechien, eine Anklage wegen sexueller Nötigung in einem ostdeutschen Werk, unerlaubte Nutzung des Fuhrparks durch Mitarbeiter am Wochenende. Markowski sehnte sich nach einer Herausforderung. Sie präsentierte sich ihm in Form eines Anrufes von Frau Semmler, der Sekretärin von Dr. Stuck, die mit ihm einen dringenden Termin für den nächsten Morgen um sieben Uhr vereinbarte.

Dr. Stuck begrüßte ihn herzlich in seinem abhörsicheren Büro. Die Türen schlossen einen Faraday’schen Käfig, der keine elektromagnetischen Wellen durchließ. Mobiltelefone hatten keinen Empfang, Abhörsender konnten nicht emittieren. Die Fenster waren mit einem speziellen Film überzogen und bestanden aus mehreren Scheiben, zwischen denen sich ein nahezu perfektes Vakuum befand. Zusätzlich waren Lautsprecher unter den Fenstern angebracht, die phasenversetzten Störschall aussandten. Dadurch wurde das Abhören von Gesprächen mittels auf die Außenscheibe gerichteter Laserstrahlen verunmöglicht. Das Büro des Vorstandsvorsitzenden zeigte zudem auf die fensterlose Innenhoffassade des Fabrikgebäudes. Das beeinträchtigte die Aussicht, verschaffte jedoch guten Schutz gegen optische Spionageversuche.

Zwischen den beiden herrschte ein offener und vertraulicher Gesprächsstil. Markowski hegte einen an Verehrung grenzenden Respekt für Dr. Stuck. Stuck seinerseits wusste, dass Markowski wusste, am Ende seiner Karriereleiter angekommen zu sein und damit zufrieden war. Bedenkenlos weihte Stuck ihn in die dunkelsten Geheimnisse seines Unternehmens ein.

"Herr Markowski, Sie kennen das zweite große Unternehmen in unserer Stadt?"

"Die RSS?"

"Ganz genau, die RSS. Deren Chef, John Swansea, kontaktierte mich vor kurzer Zeit. Um es gerade herauszusagen, er möchte uns kaufen."

Markowski nickte ausdruckslos und wartete ab.

"Seine Motivation ist mir unklar, es macht für mich wenig Sinn. Natürlich schulden wir ihm eine Antwort. Auf Investmentbankseite werde ich Frau Sand aus dem Corporate Development beauftragen. Sie war früher Investmentbankerin und soll die Offerte zusammen mit der Investmentbank Meir Huxley analysieren."

"Soll ich sie sicherheitstechnisch untersuchen?"

"Nein, nicht notwendig. Das ist eine junge, ehrgeizige Dame, die für ihren Beruf lebt, der vertraue ich. Sparen sie sich ihre Energien lieber für RSS auf."

Markowski nickte gehorsam und notierte sich ihren Namen. Eine kleine Überprüfung könnte nicht schaden, er brauchte dies Stuck nicht zu erzählen. In puncto Sicherheit war er der Fachmann.

"Wie gesagt, ich verstehe nicht, warum RSS an uns Interesse hat. Meir Huxley wird mir eine Erklärung der finanztechnischen Seite liefern. Von Ihnen möchte ich etwas anderes wissen. Zum Ersten: Wer ist John Swansea, was treibt ihn an? War er früher in ähnlichen Situationen und wie hat er agiert? Zum Zweiten: Wie sind die Entscheidungsstrukturen bei RSS, wer hat das Sagen? Und zum Dritten: Was genau sind die Pläne von RSS? Welche Berater haben sie engagiert, welches sind die nächsten geplanten Schritte, was sagt deren Betriebsrat? Das ist wahrscheinlich am Wichtigsten.

Der Feind hat uns gerade den Krieg erklärt. Wir installieren hier ab sofort eine Kommandozentrale und Sie sind mein wichtigster General. Von heute an werden wir uns jeden Tag um sieben Uhr morgens in meinem Büro treffen, um den Fortschritt zu besprechen."

Bissig fügte er hinzu:

"Das Spiel werde ich ihm versalzen. Swansea wird mich kennenlernen. Der Krieg beginnt!"