Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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20. Goldknüppel — Silberknüppel




In alten Tagen lebten irgendwo zwei Brüder. Der jüngere war ehrlich und freundlich und erfüllte den Eltern gegenüber alle Pflichten eines Sohnes. Der ältere Bruder aber hatte nicht nur ein unfreundliches Wesen, zu den Eltern war er obendrein noch ungezogen.

Eines Tages war der jüngere Bruder tief in die Berge gegangen und hatte eine Last Holz geschlagen. Er saß unter einem Baum und ruhte sich ein wenig aus. Eine Zeitlang saß er da, als plötzlich über seinem Kopf eine dicke Haselnuß herunterfiel.

Er wollte sie sofort aufheben, denn er dachte daran, sie den Eltern mitzunehmen. »Ja, was ist denn da für eine Haselnuß heruntergefallen? Die werde ich für den Vater mitnehmen!« sagte er zu sich selbst. Da fiel noch eine Nuß herunter. »Die nehme ich für die Mutter mit!« Es ging weiter, noch eine Nuß fiel herunter. »Die werde ich dem Bruder mitnehmen!« Als noch eine Nuß herunterfiel, sagte er: »Die bekommt die Schwägerin!« — und als es noch kein Ende nahm und noch eine Nuß herunterfiel, da sagte er: »Die werde ich selbst essen«, und er steckte sie alle sorgfältig in seine Tasche.

Als es Abend wurde, nahm er seine Holzlast auf den Rücken und wollte nach Hause zurückkehren, doch weil er tief aus den Bergen kam und der Weg weit war, dunkelte es, bevor er es richtig gewahr wurde. Nach allen vier Himmelsrichtungen war es duster. Der Weg war weit, und sicher würde es beschwerlich werden, nach Hause zurückzugehen. Er irrte auf den Bergpfaden hin und her und fand wider Erwarten unten am Berg ein leeres Haus.

Dahin ging er, um die Nacht dort zu verbringen. Er stellte seine Holzlast ab, trat ein und legte sich schlafen. Tief in der Nacht, er lag in einem Zimmer und schlief, ertönte plötzlich draußen Lärm — da kam ein ganzer Haufen Waldschrate herbei. Die Schrate blieben auf dem Maru, riesenhaft standen sie da, jeder hatte einen blitzblanken Knüppel in der Hand, ttukttak, ttukttak klopften sie damit.


»Silber, komm raus, ttukttak,

Gold, komm heraus, ttukttak«,

sangen sie und spielten herum.


Der junge Bruder? Der lag in einer Zimmerecke und mußte das alles mit ansehen — wieviel Angst stand er dabei aus! Eine Haselnuß holte er heraus, steckte sie in den Mund und preßte die Lippen fest aufeinander, damit die draußen ihn nicht atmen hören konnten.

Aber bald konnte er nicht mehr, die Nuß fiel herunter und machte ziemlichen Lärm. Die Schrate erschraken. »Oh! Was ist das? Vielleicht fällt das Haus zusammen!« Sie ließen alles stehen und liegen und liefen weg.

Als es am nächsten Morgen dämmerte, ging der jüngere Bruder noch voller Furcht auf den Maru hinaus — und dort lagen Goldknüppel und Silberknüppel durcheinander, Goldklumpen und Silberklumpen haufenweise herum.

Der jüngere Bruder ließ sein Holz Holz sein, er war ganz plötzlich ein reicher Mann geworden. Goldknüppel, Silberknüppel, Goldklumpen, Silberklumpen lud er auf seine Kraxe und stieg zu seinem Haus hinunter.

Daheim verkaufte er das Gold und das Silber, er kaufte sich dafür Felder für Reis und Trockenfelder für andere Feldfrüchte, er kaufte sich ein großes Haus und hübsche Schränke und führte ein schönes Leben.

Nicht nur das — immer, wenn er Geld brauchte, hat er einen von den Knüppeln genommen.


»Silber, komm raus, ttukttak,

Gold, komm heraus, ttukttak«,


klopfte er mit dem Knüppel auf den Boden; nach Belieben konnte er so Gold und Silber machen und es verkaufen. 

Der ältere Bruder mußte mit ansehen, daß der jüngere reich geworden war und gut leben konnte. Er wußte nicht warum, in ihm wuchs der Neid, in ihm wuchs die Habgier, und so suchte er eines Tages seinen jüngeren Bruder auf. Er fragte ihn: »Wie bist du denn so plötzlich ein reicher Mann geworden? Das kommt mir ganz verdächtig vor! Verheimliche mir nichts, frei heraus damit, erzähle!«, so drängte er. Weil es der ältere Bruder war, gab es keine Ausflucht. »Wie könnte ich denn dich, meinen älteren Bruder, belügen?« meinte der jüngere und erzählte alles genauso, wie es sich zugetragen hatte. Der ältere Bruder hörte sich die Geschichte in allen Einzelheiten an, wie ein Feuer brannte die Habsucht in ihm.

Kaum war er nach Hause zurückgekommen, zog er sich alte Kleider an, nahm die Kraxe auf den Rücken und stieg in die Berge hinauf. Schnell raffte er eine Last Holz zusammen, ließ sie irgendwo stehen und suchte sich einen Haselnußbaum. Darunter setzte er sich und wartete. Und wirklich, nach einer Weile fiel eine Nuß herunter. Er war hocherfreut, hob sie auf. >Die werde ich essen<, dachte er zuerst einmal an sich selbst. Wenig später fiel noch eine Nuß herunter. »Die ist für meinen Sohn!« Als wenig später wieder eine Nuß fiel, sagte er: »Die werde ich meiner Frau geben.« Nach einer Weile fiel eine weitere Nuß herunter. Da endlich meinte er: »Soll ich die dem Vater geben? Soll ich die der Mutter geben?« und steckte sie in die Tasche.

Bevor es überhaupt dunkel wurde, suchte er das leere Haus, ging hinein und wartete darauf, daß es Nacht würde. Bald wurde es duster, immer dunkler, und als es ganz Nacht geworden war, kamen, so wie der jüngere Bruder es ihm erzählt hatte, die Waldschrate. Kaum waren sie alle versammelt, begannen sie ihr Spiel:


»Silber, komm raus, ttukttak,

Gold, komm heraus, ttukttak.«


Da dachte er sich: >Fein, jetzt ist es soweit! Euch will ich ein wenig narren!<, steckte eine Haselnuß in den Mund und biß zu. Ttak machte es. Er hoffte, damit die Schrate vertreiben zu können — doch was war das? Als die das Geräusch hörten, sahen sie sich nach allen Seiten forschend um. »Ja! Ist der Kerl wiedergekommen! Beim letzten Mal hat er uns erschreckt und uns die Goldknüppel, die Silberknüppel gestohlen, und heute will der Kerl uns schon wieder anführen!« sagten sie. »Uh, uh!« schrien sie und stürmten ins Zimmer, griffen sich den älteren Bruder, banden ihn an einem Balken fest, und ein paar Schrate schlugen mit ihren Knüppeln auf ihn ein. »Du Kerl, jetzt kannst du was erleben! Breit sollst du werden, ttukttak!« sangen sie und schlugen zu, bis er wie eine Bettdecke so breit war. Sie schlugen ihn weiter. »Lang sollst du werden, ttukttak!« — bis er so lang war wie ein Aal.

Seitdem hat der ältere Bruder, der mit dem bösen Herzen, der voller Habgier war, einen kranken Körper, er sieht aus wie ein Aal. Sein ganzes Leben blieb er abhängig von seinem jüngeren Bruder, der das gute Herz hatte, mit Schmerzen mußte der ältere seine früheren Fehler bereuen.