Schon lange hatte es im Norden von Tschoson in den beiden Provinzen Hamgyong-Nord und -Süd nicht mehr geregnet, und es stand eine große Dürre und Hungersnot bevor. In der Stadt Kyongsong[26] nun lebten drei arme Bürger. Ein Mißjahr mußte ihre Armut nur noch drückender gestalten. Sie beschlossen daher, eine Wallfahrt auf den Päktusan zu machen, um dort oben dem Himmel zu opfern.
Schon waren sie einige Tage zusammen gewandert, da sprach nach einigem Nachdenken Herr Kim: »Hört, meine Freunde! Ich mache euch folgenden Vorschlag! Unsere drei Namen sind alle verschieden und jeder hat eine andere Bedeutung: du heißt Herr J — und j bedeutet Pflaume. Und du«, damit wandte er sich zum zweiten, »heißt Herr Pä — und pä bedeutet Birne. Und er«, damit meinte er sich selbst, »heißt Herr Kim — und kim bedeutet Gold. Wie wäre es nun, wenn demjenigen, der zuerst den Gegenstand seines Namens auffindet, die beiden übrigen die Kosten der Wallfahrt zahlen würden?«
Der Vorschlag fand begeisterte Zustimmung, und jeder hoffte in seinem Herzen, daß er der Glückliche sein möge, der zuerst das fände, was sein Name bedeutet.
Die drei Wallfahrer, die vorher sich in einem fort gut unterhalten und einen Witz nach dem andern erzählt hatten, wurden plötzlich auffallend still. Ein jeder blickte gespannt umher, ob er den gesuchten Gegenstand nicht irgendwo sähe.
Nach einiger Zeit kamen sie an einem alten, abgestorbenen Birnbaum vorbei. »Da bin ich!« rief sofort Herr Pä und stellte sich unter den Birnbaum.
Aber kopfschüttelnd meinten die beiden andern: »Der Baum ist ja verdorrt, der gilt nicht!« Meister Pä schwieg, aber er schwur in seinem Herzen Rache. Freilich wußte er selbst nicht, wofür er sich rächen solle.
Wieder war man eine Weile gegangen, als sie auf dem Boden ein Stück Eisen fanden. Meister Kim hob es schnell auf und sagte lächelnd: »Da bin ich!«
Wie wir alle wissen, bedeutet das chinesische Zeichen Gold, im Koreanischen jedoch Eisen (=sö). »Du wolltest doch ,Gold‘ heißen! Eisen gilt nicht, wir zahlen nicht!«
Herr Kim wußte nichts zu erwidern; er schwieg still, aber er schwur in seinem Herzen Rache.
Schon neigte sich der Tag dem Ende zu, da fand Herr J auf dem Waldwege einen Pflaumenkern. Er bückte sich eilig und sprach: »Da bin ich!«
Doch die Gefährten lachten ihn nur aus und sagten: »Nein, nein! Das ist ja nur der Kern, aber keine Pflaume! Das gilt nicht!«
Herr J schwieg, aber er schwor in seinem Herzen gleichfalls Rache, wenn er auch noch nicht wußte, wie er sich rächen sollte ...
Einige Tage später waren sie oben am Kraterrand des Päktusan angekommen. Keiner der drei Pilger hatte das Glück gehabt, die Reise von den zwei anderen bezahlt zu bekommen; es schien vielmehr, als ob sich die Kameraden nicht mehr so liebten wie ehedem. Enttäuscht blickten sie hinab in den schwarzen Spiegel des Tschondschi[27], dann aber rafften sie sich auf, erinnerten sich des Zweckes ihrer Wallfahrt und trafen die Vorbereitungen für das Himmelsopfer.
Nicht allzuweit entfernt vom See, dort, wo der Hurka[28] den See verläßt, lag die einsame Hütte eines Wahrsagers. Keiner der drei Pilger sprach davon, aber als es galt, das Opfer vorzubereiten, meinte Herr Kim: »Ich will gehen und etwas Holz für das Opfer sammeln.« Und er ging fort, aber vorerst nicht zum Holzlesen, sondern er stieg hinab zur Hütte des Wahrsagers, erzählte diesem die ganze Geschichte und bat um seinen Rat, wie er es anfangen müsse, um den gewünschten Gegenstand zu finden.
Der Wahrsager murmelte etwas wie »Dummkopf« in seinen Bart — Herr Kim verstand nicht, was er sagte — dann fuhr der Einsiedler laut zu sprechen fort: »Wenn du mir drei Silberyang[29] gibst, so will ich dir zu dem Gegenstände verhelfen.«
Seufzend öffnete Kim die Schnüre seines mageren Beutels und zahlte die drei Silberstücke. Der Wahrsager strich sie schmunzelnd ein, ging dann in sein Zimmer und brachte einen goldhaltigen Quarzstein mit heraus. Diesen übergab er dem Pilger und sagte: »Wenn der Kuckuck schreit, dann ziehst du schnell den Stein hervor und zeigst ihn den Gefährten!«
Herr Kim nahm schnell Abschied, raffte auf dem Weg etwas Holz zusammen und kam keuchend zu den übrigen Pilgern zurück. Diese hatten unterdessen ein Loch für das Feuer gegraben.
Nun meinte Herr Pä, er müsse doch gehen und Wasser für das Opfer holen. Auch er eilte davon, aber vorerst nicht zur Quelle, sondern zum Wahrsager. Dort stellte er sich vor als Herr Pä, der ein wichtiges Anliegen habe.
Der Wahrsager sah ihn prüfend an, murmelte wieder etwas zwischen seinen Zähnen, befahl dann dem Pilger, die innere Handfläche zu zeigen; hier fuhr er den Linien nach und sagte dann, jedes Wort betonend: »Ich kann dir helfen!« Dann ging er in das Innere seines kleinen Hauses, holte dort eine Birne, übergab sie ihm und sagte, er solle sie beim ersten Kuckucksschrei den Kameraden zeigen.
Meister Pä war hochbefriedigt, zahlte die geforderten drei Silberstücke und ging fort, um noch etwas Wasser zu holen.
Auf dem Rückweg traf er den dritten Pilger, eine Schüssel mit ungekochtem Reis in der Hand. »Ich muß den Reis doch noch einmal waschen, bevor wir ihn dem Himmel opfern!« meinte dieser und ging an Herrn Pä vorüber. Aber kaum war er so weit von ihm entfernt, daß er nicht mehr gesehen werden konnte, so stellte er die Schüssel auf den Boden und eilte gleichfalls zum Wahrsager.
Dieser tat sehr erstaunt, holte Karten und Stäbchen hervor, murmelte wieder unverständliche Worte, legte die Karten und Stäbchen bald auseinander, bald zusammen, schließlich ging er schweigend ins Innere des Hauses und kam mit einer Pflaume zurück. Offenbar hatte kurz vorher bei einem Opfer jemand auch Obst mitgebracht. — Der Wahrsager übergab die Pflaume dem Pilger, forderte drei Silberstücke und befahl, die Pflaume beim ersten Kuckucksschrei vorzuzeigen.
Auf dem Rückweg rechnete Herr J aus, daß ihn eigentlich die ganze Pilgerfahrt nicht mehr als drei Silberlinge gekostet habe, und schon bereute er es, zu dem Wahrsager gegangen zu sein.
Nun fand das Opfer statt. Die Herzen der drei Pilger aber waren ganz anderswo und jeder dachte: hoffentlich schreit der Kuckuck nicht in diesem Augenblick ...
In jener Zeit fand beim Drachenkönig in seinem Wolkenpalast große Beratung statt. Der Drachenkönig beabsichtigte, den Tugendhaftesten unter den Menschenkindern reich zu belohnen. Alle seine Diener, Gesandte und Minister waren erschienen und berichteten von den Guttaten der Menschen. Aber der Gott schüttelte nur immer den Kopf und schien unzufrieden zu sein. Schließlich schlug er die Hände zusammen, daß es drunten auf der Erde donnerte und fragte: »Und ist niemand gekommen, um mir zu opfern?«
Alle waren einen Augenblick still; dann sprach ein junger Drache: »Auf dem Päktusan sind drei Pilger von weither gekommen und eben opfern sie den Reis.« Das erzürnte Gesicht des Drachenkönigs hellte sich etwas auf, da sprach der junge Bote weiter: »Aber, königlicher Herr, urteile selbst, ob die drei Pilger tugendhaft sind!»
Nun erzählte er alles, was sich auf dem Wege und auf der Spitze des Berges zugetragen hatte, wie jeder der drei Gesellen dem nächsten im Herzen Rache geschworen, wie sie einander hintergangen hätten und nur mit halbem Herzen opferten.
Der Wolkenkönig sprach: »sang tjuginun kosahago, pol tjurira!«[30] Er war nahe daran, seinen Blitz auf den Päktusan hinabzuschleudern, aber er besann sich und gab schließlich den Befehl, daß die drei Gegenstände, die die Pilger verborgen hielten, in drei Kröten verwandelt würden...
Das Opfer auf dem Päktusan war vorüber. Alle drei setzten sich schweigsam zusammen, da plötzlich rief der Kuckuck sein »bopkuk, bopkuk!« Wie auf Kommando griffen alle drei in ihr Turumägi[31] und zogen den Gegenstand hervor; Meister Kim meinte, es sei ein goldhaltiger Stein, Meister Pä und J glaubten eine Birne oder Pflaume zu haben. Als nun jeder seinen verborgenen Schatz in die Höhe hielt, da war er schwammig und begann gleichzeitig zu schreien »mäng-kong, mäng-kong!«[32]
Die drei schauten sich betroffen an, dann warfen sie entsetzt die Tiere in den nahen Krater.
Doch jetzt geschah etwas Furchtbares. Das Geschrei der Kröten nahm zu; es tönte herauf aus der Tiefe des Kraters und erscholl im Rücken der drei Pilger, und von der Seite kamen sie in Scharen herangehüpft, bis sie die drei Unglücklichen völlig eingekreist hatten. Dann trat etwas Stille ein. Und jetzt wand sich aus dem Kratersee des Päktusan herauf eine unheimliche Gestalt, ein richtiger Drache mit lohendem Atem und scharfen Krallen an den Zehen; der Drache wandte sich gegen die drei Pilger, und mit großen, glotzigen Augen, aus denen Feuer blitzte, schaute er jeden einzelnen an und sprach: »Mich schickt der Drachen- und Wolkenkönig. Um zu opfern, seid ihr hier diesen heiligen Berg heraufgekommen, aber kein Opfer habt ihr dargebracht, sondern habt im Gegenteil meinen Herrn beleidigt. Wegen der Bedeutung eurer Namen habt ihr Freundestreue einander gebrochen. Hört euer Urteil! Du, Meister J[33], sollst Zahnweh fühlen bis an dein Lebensende! Du, Meister Kim[34], sollst arm bleiben bis an dein Lebensende! Und du, Meister Pä[35], sollst Leibschmerzen haben bis an dein Lebensende!« Dann wandte sich der Drache wieder ab, wälzte sich dem Krater zu, und auch die Kröten hüpften unter fürchterlichem Gequake wieder fort.
Den drei Pilgern war ganz elend zumute. Meister J hielt sich die Wange, denn er hatte wirklich starkes Zahnweh; und Meister Pä klagte über Leibschmerzen, so daß er sich förmlich wand. Nur Meister Kim wußte nicht recht, ob er wache oder träume, aber auch er war mißgestimmt. Allmählich erholten sich die drei von ihrem Schrecken und erzählten einander, was sie im Herzen gedacht hatten und wie ein jeder zum Wahrsager gegangen war. Nun erst wurde allen klar, daß dieser sie arg hintergangen habe. Sie schworen einander, nie mehr einen Zauberer oder Wahrsager aufzusuchen. Dann brachten sie noch einmal dem Himmel und dem Wolkenkönig ein Opfer dar.
Nach diesem Opfer war ihnen wieder leichter ums Herz und sie kehrten zurück in ihre Heimat.
Die Erzählung des blinden Sängers von der Wallfahrt auf den Päktusan fand allgemeinen Beifall, um so mehr, als gerade die Wortspiele, hervorgerufen durch die mehrfache Bedeutung desselben Wortes, bei den Koreanern sehr beliebt sind. Im Tschangsu nahm die Erzählung zum Anlaß, zu betonen, daß nur ein in lauterer Gesinnung dargebrachtes Opfer bei den allmächtigen Göttern Aussicht auf Erhörung finde.
»So schön es ist«, fuhr er dann fort, indem er sich erhob, »den Gesängen und Erzählungen des P’ansu zu lauschen, so müssen wir für heute doch unterbrechen, denn die Nacht ist vorgerückt. Wir alle aber werden gespannt sein auf den morgigen Abend.«
Die Frauen schlossen die Türen zu den Nebenräumen und zogen sich zurück. Auch im »Herrenzimmer« nahmen die Männer, die aus den Nachbarhäusern gekommen waren, Abschied, und nur der Hauswirt mit seinem Gaste, dem blinden Sänger, blieb noch in traulichem Gespräche sitzen; sie tranken eine kleine Schale Yaktschu[36] und rauchten eine Pfeife, um sich dann gleichfalls zur Ruhe zu legen.
Aus dem Anbang[37] jedoch tönte noch lange Geflüster und leises Lachen, ein Zeichen, daß die Erzählungen des Sängers weiterhin die Fantasie der Frauen beschäftigte.
Der folgende Tag war für den Blinden durchaus kein Ruhetag. Schon am Vormittag kamen Leute, die sich wahrsagen lassen wollten, andere erbaten Massagen gegen ihre Leiden, wieder anderswo sollten böse Geister ausgetrieben werden.
Der Blinde war unermüdlich. Aber auch für ihn bedeutete der Abend, an dem sich Männer und Frauen zusammenfanden und gedrängt die kleinen Räume füllten, eine Zeit der Erholung, denn Flötenspiel, Gesang und Erzählung bildeten seine Lieblingsbeschäftigung.
Kaum hatte der P’ansu seine Schüssel Reis mit den Zutaten von Kimdschi[38], getrocknetem Fisch, Eiern, Kartoffeln und getrockneten Algen gegessen, das Tischlein, als Zeichen der Beendigung der Mahlzeit, weggeschoben und das Suknyu[39] zu sich genommen, als er die Flöte zur Hand nahm und einige Weisen spielte. Dann begann er, ohne erst aufgefordert zu werden, seine Erzählung