Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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DES KNABEN WUNSCH

 

Zur Zeit des Königs Son Tschoso[40] lebte in Soul ein höherer P’anso[41] mit Namen Kwon Tschesuni. Dieser hatte eine Tochter, für die er einen Schwiegersohn aussuchen wollte. Eines Tages ging er außerhalb des kleinen Osttores der Stadt spazieren und kam an einen Ort, wo mehrere Knaben mit dem Drachen ihre Wettkämpfe ausführten. Er schaute eine Weile dem lustigen Spiele zu und bewunderte die Gewandtheit der Knaben, die es verstanden, in schwindelnder Höhe einander auszuweichen und sich gegenseitig Schlingen zu stellen, bis endlich der Papierdrachen des einen durch die gläserne Schnur zum Absturz gebracht war. Nun rief Kwon Tschesuni die drei zu sich und ermunterte sie: »Ihr seid so gewandt im Drachenspiel. Nun sagt mir einmal eure Wünsche!«

Da antwortete der älteste: »Ich erlerne fleißig die[42] Schrift und will später ein höherer Beamter werden.«

Diese Antwort gefiel dem P’anso und er fragte ihn nach seinem Namen und wo er wohne.

Zum zweiten Knaben gewandt, fragte er auch diesen nach seinem Herzenswunsch. Der Knabe antwortete: »Ich will nichts von einem P’anso wissen! Ich pflege die Tugend, will einsam als Munhyong[43] leben und ein Hyon-in kundscha, ein ,Heiliger‘ werden.«

Auch diese Antwort war nach dem Herzen des P’anso, denn so sehr er seinen eigenen Beruf als Beamter hochschätzte, hatte er doch Achtung vor den Munhyong, den konfuzianischen Gelehrten. Daher schrieb er auch Name und Wohnort dieses Knaben auf.

Der dritte Junge wartete erst gar nicht ab, bis er gefragt wurde, sondern sagte: »Ich habe gar keinen Wunsch. Ich möchte höchstens drei Stück gebackenen Kuchen[44]

»Ja, wozu denn das?« fragte voller Neugierde der Beamte.

Nun antwortete der Knabe: »Zwei Stücke würde ich in den Mund meiner beiden Kameraden hineinschieben und das dritte in Ihren Mund, damit man keine unnützen Reden führe.«

Kwon Tschesuni wurde ganz rot vor Scham, sagte kein Wort und ging.

Unverhofft wurde er nach einigen Tagen zum König gerufen, der ihn zum gemeinsamen Schießen mit Pfeil und Bogen aufforderte, ein Sport, dem der König leidenschaftlich huldigte. Son Tschoso benützte die Gelegenheit, seine Beamten nach der Stimmung und den Wünschen des Volkes zu befragen. Kwon Tschesuni erzählte die Begegnung mit den drei Knaben. Der König hörte aufmerksam zu, dann ermunterte er den Beamten, den ältesten der drei, der gleichfalls höherer P’anso werden wolle, zum Schwiegersohn zu nehmen.

Es war dies Tsch’ö Hungwon, der später sich als hoher Staatsbeamter einen Namen machte. Den zweiten Knaben ließ der König in der konfuzianischen Hochschule Munmyo unterrichten; es war Pak Sun, später Staatsminister, berühmt wegen seiner Tugend und Gerechtigkeit.

Den dritten und jüngsten der drei Knaben nahm Son Tschoso zu sich in den Palast, ließ ihn wie seinen eigenen Sohn erziehen und ausbilden und nahm ihn zum Schwiegersohn. Auch dieser J Tok-hyong wurde als Premierminister und großer Munhyong berühmt.

Nun begab es sich, daß Jahrzehnte später sich eines Tages alle drei im Palaste trafen und sich ihrer Jugendspiele erinnerten.

Der Herzenswunsch eines jeden der drei war erfüllt worden, aber eigentlich hatten sie es dem Jüngsten zu verdanken, der mit seinem Kuchen den Mund der andern stopfen wollte.

Im Tschangsu klopfte voller Zustimmung auf seine Knie und sagte: »Ich weiß nicht, welchem der drei Jungen ich den Vorzug geben würde, dem ersten wegen seines Strebens nach Gelehrsamkeit, dem zweiten wegen seines Hanges nach Einsamkeit, dem dritten wegen seiner Ehrlichkeit? Wenn es einer richtig verstünde, alles dies zu vereinen, der wäre vollkommen!« Alle Anwesenden stimmten dem bei.

Der Blinde rauchte ein paar Züge von seiner Pfeife, dann legte er sie beiseite und begann eine neue Erzählung.