Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

PLEASE NOTE: This is an HTML preview only and some elements such as links or page numbers may be incorrect.
Download the book in PDF, ePub, Kindle for a complete version.

Kim Pongdsche : 
 DER BLINDE SÄNGER

Koreanische Sagen

 

Wie es in unserem Tschoson-Reiche seit alters üblich ist, wandern blinde Männer, den langen Bambusstab in der Hand, durch das Land und suchen sich durch Wahrsagen, Flötenspiel, vor allem aber durch Erzählen von Sagen und Geschichten, von Fabeln und Märchen den täglichen Unterhalt zu verdienen.

Die Ankunft dieser blinden Sänger, P’ansu genannt, bringt stets Leben in das einförmige Treiben der Bevölkerung, die Tag für Tag, jahraus jahrein die schwere Arbeit auf den Feldern oder in den Töpfereien verrichtet. Besonders die Frauen und Kinder zeigen rege Anteilnahme an den Erzählungen, lauschen mit Spannung den Worten und dem Flötenspiel des P’ansu und hocken selbst dann, wenn der Sänger längst geendet hat, oft noch bis tief in die Nacht hinein beisammen, die gehörten Geschichten wiederholend oder mit anderen ähnlichen Erzählungen sich wechselseitig ergötzend.

Es war im zehnten oder elften Mondmonat. Die Eichen, Nuß- und Odongbäume hatten bereits ihr Laub abgeworfen. Draußen war es schon ziemlich kalt geworden, und stellenweise waren die Berggipfel bereits mit Schnee bedeckt; aber in der Stube, die durch Öffnen der Türen zu den Nebenräumen vergrößert wurde, war es infolge der unterirdischen Bodenheizung (Ondol) warm und gemütlich. Die Männer und auch ältere Frauen rauchten ihre langen Pfeifen, so daß bald ein süßlicher Qualm den Raum erfüllte.

Wieder war Yun Tschiwon, der blinde Sänger, in das Dorf Sodok-kol in der Provinz Kangwon gekommen und hatte gebeten, in dem größeren Bauernhof des Herrn Im Tschangsu die Nacht zubringen zu dürfen. Hier war der Sänger schon bekannt, denn fast in jedem Jahr um diese Zeit kam der Blinde hierher, und alt und jung freute sich schon im voraus auf die vergnügten Abende und auf die Lieder, die der P’ansu in reichhaltiger Abwechslung zu bieten vermochte. Der Hausherr nahm den Sänger denn auch gerne auf, bewirtete ihn reichlich und bat ihn, einige Tage zu bleiben und ihm das Glück zu gewähren, die Gastfreundschaft gegen ihn erfüllen zu dürfen.

Kaum hatte sich der Sänger auf der einfach gemusterten Strohmatte niedergelassen, so zog er seine Bambusflöte hervor und blies ein Lied, melancholische Weisen, die gut zu dem innerlich-stillen Charakter unserer Landsleute passen. Und nun begann er die Sage vom