Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

PLEASE NOTE: This is an HTML preview only and some elements such as links or page numbers may be incorrect.
Download the book in PDF, ePub, Kindle for a complete version.

 

IX.

Als sie am Morgen erwachte, sagte sie zu sich selber, er würde wohl nicht kommen, und das wäre natürlich auch das Beste. Als er aber an ihre Türe klopfte, war sie dennoch froh.

„Fräulein Winge, ich habe noch nicht gefrühstückt, können Sie mir nicht ein wenig Tee geben und einen Bissen Brot?“

Jenny sah sich im Zimmer um.

„Ja, hier ist aber noch nicht aufgeräumt, Gram.“

„Ich mache die Augen zu, und dann sperren Sie mich hinaus auf den Balkon,“ sagte er an der Tür. „Ich bin ja so schrecklich durstig auf Tee!“

„Na ja, dann warten Sie einen Augenblick.“ Jenny warf die Decke über das ungemachte Bett und räumte den Waschtisch auf. Den Frisiermantel vertauschte sie gegen ihren langen Kimono.

„So, bitte. Setzen Sie sich auf den Balkon hinaus, dann werde ich Ihnen Tee bringen.“

Sie stellte ein kleines Taburett hinaus und brachte Brot und Käse herbei. Gram betrachtete ihre bloßen weißen Arme und die langen Aermel des Kimono, die um sie herflatterten. Das Gewand war dunkelblau, mit gelben und violetten Iris durchwirkt.

„Wie wunderhübsch ist das Kleid — ein echtes Geishagewand!“

„Ja, es ist auch echt. Franziska und ich kauften uns beide eines in Paris — für die Morgenstunden im Hause.“

„Das liebe ich an Ihnen, daß Sie so gut gekleidet umhergehen, auch wenn Sie allein sind.“ Er zündete sich eine Zigarette an und blickte in den Rauch. „Ach — des Morgens daheim — das Mädchen und Mutter und Schwester liefen umher und sahen aus wie —. Finden Sie nicht, Frauen müßten sich so schön machen, als es ihnen nur möglich ist?“

„Doch. Aber es geht nicht, wenn man des Morgens den Haushalt in Ordnung bringen muß, Gram.“

„Zum Frühstück jedenfalls könnten sie sich doch das Haar machen und ein Kleid anziehen wie dies da, nicht wahr?“ Im selben Augenblick fing er eine Teetasse auf, die sie mit dem Zipfel ihres Aermels beinahe heruntergerissen hätte.

„Nun, da können Sie sehen, wie praktisch das ist — so, trinken Sie nun Ihren Tee, Sie waren ja so durstig.“ Sie entdeckte plötzlich Franziskas sämtliche helle Strümpfe, die zum Trocknen draußen hingen, und raffte sie in etwas nervöser Hast zusammen.

Er aß und trank, während er sprach.

„Ja, sehen Sie — ich lag und überlegte gestern, bis fast zum Morgen. Darum verschlief ich und hatte nicht mehr Zeit, noch in eine Latteria zu gehen. Ich finde, wir sollten auf die Via Cassia hinauswandern, zu dem Plätzchen, wo Ihre Anemonen stehen.“

„Das Anemonenplätzchen.“ Jenny lachte leise. „Als Sie ein Junge waren, Gram, hatten Sie da auch Anemonenwinkel und Veilchenplätzchen und dergleichen, wo Sie jedes Jahr Ihre Blumen holten, die Sie vor den anderen Kindern verheimlichten?“

„Und ob ich welche hatte. Ich weiß noch einen Birkenhain, wo es duftende Veilchen gab, an dem alten Holmenkollenweg.“

„Oh, ich weiß,“ unterbrach sie ihn triumphierend. „wo der Sörkedalsweg abbiegt, gleich rechts.“

„Richtig. Einen Ort wußte ich auch auf Bygdö, innerhalb Fredriksborg. Und in Skaadalen.“

„Aber ich muß jetzt hinein und mich umziehen,“ sagte Jenny.

„Ziehen Sie das Kleid an, das Sie gestern trugen, das wäre lieb von Ihnen,“ rief er ihr nach.

„Es wird so staubig.“ Aber im selben Augenblick ärgerte sie sich. Warum sollte sie sich nicht damit putzen — das alte schwarzseidene Kleid war viele Jahre hindurch ihre Staatsrobe gewesen — nun brauchte sie es wirklich nicht mehr so ehrerbietig zu behandeln.

„Ach, Unsinn! Ja, aber es ist im Rücken zu schließen, und Cesca ist jetzt nicht zu Hause.“

„Kommen Sie, ich werde es zuknöpfen, ich bin darin Spezialist, ich habe meine Mutter und Sofie mein ganzes Leben lang im Rücken geknöpft, müssen Sie wissen.“

Es waren nur zwei Knöpfe, gerade in der Mitte, die sie nicht allein schließen konnte. So ließ sie denn Grams Hilfe zu.

Er spürte den schwachen, milden Duft ihres Haares und Körpers, während sie bei ihm draußen in der Sonne stand und ihn das Kleid zuknöpfen ließ. An der einen Seite entdeckte er plötzlich einige kleine Bruchstellen in der Seide, die sorgsam gestopft waren. Da füllte sich sein Herz mit einer unendlich weichen Zärtlichkeit für sie. —

„Finden Sie den Namen Helge nett?“ fragte er, als sie später in einer Osteria, weit draußen in der Campagna, zusammen bei Tisch saßen und zu Mittag speisten.

„Ja, er ist hübsch.“

„Wissen Sie, daß ich mit Vornamen Helge heiße?“

„Ja, ich sah, daß Sie sich im Verein hatten eintragen lassen.“ Gleichzeitig errötete sie, denn ihr fiel ein, daß er wohl denken könnte, sie hätte danach geforscht.

„Ja, ich glaube auch, der Name ist hübsch. Im Grunde gibt es wenige, die hübsch oder häßlich sind, nicht wahr? Kennt man irgend jemanden, der diesen oder jenen Namen hat, so kommt es darauf an, ob man diesen Menschen leiden mag oder nicht. Als ich ein Knabe war, hatten wir ein Kindermädchen, das Jenny hieß, die konnte ich nicht ausstehen. Seitdem meinte ich immer, es sei ein häßlicher und gewöhnlicher Name und ich fand es so unglaublich, daß Sie Jenny hießen. Jetzt dagegen finde ich den Namen wunderhübsch, gleichsam so blond. Hören Sie nicht, daß sein Klang ganz lichtblond ist? Jenny — eine dunkle Frau kann so nicht heißen, Fräulein Jahrmann zum Beispiel nicht. Franziska paßt nun wieder genau zu ihr, nicht wahr? Der Name ist so kapriziös, Jenny aber ist so hell, so frisch und klar.“

„Ich bin nach meinen Vorfahren so genannt. Es ist ein Familienname väterlicherseits,“ erwiderte sie, nur um etwas zu sagen.

„Was stellen Sie sich zum Beispiel unter einer Rebekka vor?“ fragte er kurz darauf.

„Ich weiß nicht. Ist das nicht ganz hübsch? Vielleicht ein wenig hart und klappernd.“

„Meine Mutter heißt Rebekka,“ sagte Helge nach einer Weile. „Ich finde auch, es klingt hart. Und meine Schwester heißt Sofia. Sie heiratete, nur um von Hause fortzukommen und in ein eigenes Heim, davon bin ich überzeugt. Ist es nicht merkwürdig, daß meine Mutter so entzückt war, sie verheiraten zu können? selbst hat sie mit meinem Vater wie Hund und Katze gelebt. Aber der Staat, der mit Kaplan Arnesen gemacht wurde, war grenzenlos, als meine Schwester und er sich verlobten. Ich kann meinen Schwager nicht ausstehen. Ich glaube auch, mein Vater kann ihn nicht leiden. Aber Mutter. — Meine ehemalige Verlobte hieß Katharine, sie wurde aber immer nur Titti genannt. Ich sah, daß sie auch Titti in die Zeitung setzen ließ, als sie sich verheiratete. Sie können mir glauben, das war eine dumme Geschichte. Es ist jetzt drei Jahre her. Sie hatte eine Vertretung an der Schule, wo ich Lehrer war. Hübsch war sie nicht im geringsten, nur rasend kokett allen Männern gegenüber; ich aber hatte es niemals erlebt, daß eine Dame sich etwas daraus machte, mit mir zu kokettieren. Das können Sie sich vielleicht denken, wenn Sie sich erinnern, welch eine Figur ich im Anfang hier unten machte. Und außerdem lachte sie immer — sie sprühte Funken, wenn sie sich nur bewegte. Sie war erst neunzehn Jahre alt, Gott weiß, warum sie mich eigentlich nahm —. Ja, dann war ich natürlich rasend eifersüchtig, und das machte ihr Spaß. Je eifersüchtiger sie mich machte, desto verliebter wurde ich. Vielleicht war es meine Männereitelkeit — aber ich hatte nun einmal eine Braut, die rasend umschwärmt war. Ich war damals ja noch sehr grün. Natürlich verlangte ich, sie sollte sich einzig um mich bekümmern, das war vermutlich ein ziemlich unbilliges Verlangen, so wie ich damals war. Wie gesagt, der Herrgott mag wissen, was Titti mit mir wollte. Zu Hause wollten sie, das Verlöbnis sollte noch geheimgehalten werden, weil wir so jung waren. Titti wollte es aber gern veröffentlichen, sie pochte darauf, daß ich fände, sie sei zu sehr von anderen in Anspruch genommen, daß sie aber nicht ausschließlich mit mir zusammen sein könnte, wenn wir nur heimlich verlobt wären. Sie kam dann nach Haus zu uns. Aber Mutter und sie zankten sich immer. Titti haßte Mutter geradezu. Im übrigen wäre es immer genau dasselbe gewesen, mit wem ich mich auch verlobt hätte. Mutter genügte der Umstand, daß sie meine Braut war. Ja, dann löste Titti die Verbindung.“

„Waren Sie sehr unglücklich?“ fragte Jenny leise.

„Ja, das war ich. Ich kam eigentlich nicht ganz darüber hinweg, erst, als ich hier war. Es war sicher vor allem meine Eitelkeit, welche litt. Wenn ich sie wirklich geliebt hätte, so hätte ich wünschen müssen, daß sie mit dem anderen glücklich würde, den sie jetzt geheiratet hat. Das war aber durchaus nicht der Fall.“

„Das wäre wohl ein bißchen zu viel Edelmut gewesen,“ sagte Jenny lächelnd.

„Ich weiß nicht. Dies Gefühl müßte man eigentlich haben, wenn man wirklich liebte. Nicht wahr? Aber wissen Sie, was ich so sonderbar finde? Daß Mütter gegen die Bräute ihrer Söhne so wenig freundlich gestimmt sind. Das ist nämlich immer dasselbe.“

„Eine Mutter meint wohl, keine Frau sei gut genug für ihren Jungen.“

„Ja, es ist aber nicht so, wenn die Töchter sich verloben. Ich sah es doch bei dem ekelhaften, rothaarigen, fetten Kaplan. Ich habe niemals mit meiner Schwester sympathisiert. Wenn ich aber daran dachte, daß dieser Kerl — pfui. Wenn er zu Hause saß, und mit ihr koste ... Nein, wissen Sie, ich habe manchmal überlegt: Wenn Frauen eine Zeitlang verheiratet gewesen sind, werden sie weit zynischer als wir Männer. Sie sagen es nicht, aber ich merke es dennoch, wie zynisch sie im tiefsten Herzensgrunde geworden sind. Das Ganze ist ihnen nur ein Geschäft — wenn die Tochter sich verheiratet, so sind sie froh. Nun hat man sie einem Kerl auf den Hals geladen, der sie mit sich schleppen, sie ernähren und kleiden muß. Daß sie sich als Gegenleistung in die Pflichten der Ehe zu finden hat, ist kein Grund, um die Sache besonders feierlich zu nehmen. Wenn dagegen ein Sohn für die gleiche Gegenleistung eine solche Last auf sich lädt, so sind sie naturgemäß nicht so begeistert. Glauben Sie nicht, daß darin ein Körnchen Wahrheit steckt?“

„Mitunter trifft es wohl zu,“ sagte Jenny.

Als Jenny abends heimkehrte, zündete sie die Lampe an und begann an die Mutter zu schreiben — sie wollte am liebsten gleich für die Geburtstagsgrüße danken und berichten, wie sie den Tag verlebt hatte.

Ueber ihre eigene Feierlichkeit am vergangenen Abend mußte sie lachen.

Ach, Herrgott! Ja, gewiß hatte sie es bitter gehabt und war einsam gewesen. Aber schwer hatten es eigentlich die meisten jungen Menschen, die sie gekannt. Viele noch weit schlimmer als sie. Sie brauchte nur an alle die alten und jungen Mädchen, Lehrerinnen auf der Volksschule, zu denken. Beinahe die meisten hatten eine alte Mutter zu versorgen oder Geschwister, denen sie vorwärtshelfen mußten. Auch Gunnar — und jetzt wieder Gram —. Sogar Cesca — das verwöhnte Geschöpf aus einem reichen Hause — mit ihren einundzwanzig Jahren hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und sich seitdem durchgehungert und vorwärtsgearbeitet, wobei ihr nur das kleine Muttererbe ein wenig half.

Und was ihre eigene Einsamkeit betraf, so hatte sie die ja selbst gewählt. Stellte sie eins zum anderen, so war der Grund dafür wohl der, daß sie ihren eigenen Fähigkeiten mißtraute. Und um den Zweifel totzuschweigen, hatte sie sich daran geklammert, daß sie etwas Besonderes sei, etwas ganz Anderes als ihre Umgebung. Sie hatte die anderen selbst von sich gestoßen. Nun sie ein Stück Wegs erobert hatte, sich bewußt war, daß sie zu etwas taugte, da war sie ja weit umgänglicher geworden, weit menschenfreundlicher. Sie mußte zugeben, daß sie nie versucht hatte, anderen entgegenzukommen, weder als Kind noch als Erwachsene. Sie war zu hochmütig gewesen, den ersten Schritt zu tun.

Alle Freunde, die sie gehabt — vom Stiefvater bis zu Cesca und Gunnar — alle hatten zuerst die Hand nach ihr ausstrecken müssen.

Dann das andere: War sie wirklich die leidenschaftliche Natur, für die sie sich selbst hielt? Ach! Sie war achtundzwanzig Jahre alt geworden, ohne je das kleinste Gefühl der Liebe gekannt zu haben. Und diese Tatsache berechtigte sie zu dem Vertrauen zu sich selbst, daß sie als Frau nicht Schiffbruch erleiden würde, sollte sie jemals einen Mann lieben. Gesund und schön war sie auch — mit frischen Sinnen, die noch empfänglicher geworden durch ihre Arbeit und ihr Leben in der Fremde. Selbstverständlich sehnte sie sich danach, zu leben und geliebt zu werden — leben zu dürfen.

Sich jedoch selber weiszumachen, daß sie einer beliebigen Mannsperson in die Arme fliegen würde, die im kritischen Augenblick ihren Weg kreuzte — nur weil das Blut aufsässig war ...! Einbildungen, mein Kind! Im Grunde wollte sie sich nur nicht eingestehen, daß sie sich hin und wieder ein wenig langweilte und ganz einfach das Verlangen empfand, eine kleine Eroberung zu machen und ein wenig umschwärmt zu werden wie die kleinen Mädchen — was sie sonst eigentlich als ein niedriges Verlangen ansah. So zog sie es vor, das Gefühl feierlich als Lebenshunger auszulegen und sehnsüchtige Sinne vorzutäuschen, Faseleien, auf die die armen Männer gekommen waren, weil die Aermsten nicht wissen, daß die Frauen im allgemeinen gewöhnlich eitel und dumm sind, so daß sie sich langweilen, wenn sie nicht einen Mann zur Unterhaltung haben. Daher die ganze Fabel von den sinnlichen Frauen, die ebenso selten zu finden sind wie schwarze Schwäne und disziplinierte, guterzogene Frauen.

Jenny stellte das Bildnis von Franziska auf die Staffelei. Die weiße Bluse und der grüne Gürtel lagen jetzt noch hart und häßlich auf. Die Farben mußten gedämpft werden. Das Antlitz versprach gut zu werden, die Stellung war natürlich. —

Jedenfalls war kein Grund vorhanden, wegen dieser Geschichte mit Gram feierlich zu werden. Sie mußte doch weiß Gott einmal beginnen sich natürlich zu geben; diese Angst, die auch in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft mit Gunnar in ihr war, und die sie immer empfand, wenn ein neuer Mann in ihren Gesichtskreis trat, Angst davor, daß sie sich in ihn verlieben könnte oder er sich in sie, mußte sie abzustreifen suchen. Der Gedanke, daß ein Mann an ihr Gefallen finden könnte, war ihr so ungewohnt, daß auch er ihr Angst einflößte und sie verwirrte.

Man mußte doch gut Freund miteinander sein können; es wäre ja sonst traurig bestellt um die Menschheit. Gunnar und sie waren ja Freunde — ruhig und fest. Zwischen ihr und Gram war so vieles, das die Grundlage einer Freundschaft hätte bilden können. Sie hatten soviel Gleiches durchgemacht.

Etwas so Junges und Vertrauensvolles lag in seinem Wesen ihr gegenüber. Dieses „Nicht wahr?“ und „Finden Sie nicht?“, mit dem er immer kam.

Sein Gerede von gestern, daß er sie liebe — oder zu lieben glaube, wie er sich ausdrückte! Sie lachte vor sich hin. Nein, ein erwachsener Mann sprach nicht so, wenn er eine Frau ernstlich liebte und gewinnen wollte.

Er war wirklich ein lieber Junge.

Heute hatte er diese Frage gar nicht berührt.

Ein warmes Gefühl für ihn war in ihr aufgewallt, als er sagte, wenn er sie wirklich geliebt hätte, hätte er doch wünschen müssen, daß seine ehemalige Braut mit dem Andern glücklich würde.