Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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X.

Jenny und Helge liefen Hand in Hand die Via Magnanapoli hinab. Die Straße bestand aus einer einzigen Treppe, die zum Trajanischen Forum hinunterführte. Auf der letzten Stufe zog er sie an sich und gab ihr blitzschnell einen Kuß.

„Bist du toll, weißt du nicht, daß es hierzulande nicht erlaubt ist, auf der Straße zu küssen?“

Dann lachten sie beide. An einem der ersten Abende hatten zwei Wächter sie auf dem Lateranplatz angesprochen. Sie waren unter den Pinien an der alten Stadtmauer auf und ab gegangen und hatten sich geküßt.

Der letzte Sonnenstreifen berührte die Bronzestatue des Heiligen auf der Säule und flammte an dem Mauerwerk der Häuser und an den Baumkronen der Anhöhe auf. Der Platz mit seinen alten verfallenen Häusern rings um das ausgegrabene Forum unterhalb des Straßenkörpers lag im Schatten.

Jenny und Helge lehnten sich über das Geländer und versuchten, die fetten faulen Katzen zu zählen, die sich zwischen den grauen Säulenstümpfen drunten auf der grasüberwucherten Schuttstätte breit machten. Jetzt bei beginnender Dämmerung erwachten sie allmählich zum Leben. Ein rotes Tier, das auf dem Sockel der Trajanssäule gelegen hatte, reckte sich, wetzte seine Krallen am Mauerwerk und setzte in lautlos weichem Sprung auf das Gras, glitt wie ein heller Schatten davon und verschwand.

„Ich zähle nicht mehr als dreiundzwanzig,“ sagte Helge.

„Ich fünfundzwanzig.“ Sie wandte sich halb um und verscheuchte einen Ansichtskartenverkäufer, der herbeigekommen war und seine Ware in allen möglichen Sprachen anbot.

Dann beugte sie sich wieder über das Geländer und starrte gedankenverloren in das buschige Gras, sich der leisen, glücklichen Mattigkeit hingebend, die eines langen Sonntages unzähligen Küssen draußen auf der mattgrünen Campagna folgte. Helge hielt ihre Hand auf seinem Arm fest und streichelte sie; Jenny strich über seinen Aermel und barg die Hand zwischen seine beiden Hände, während Helge leise und froh vor sich hinlachte.

„Lachst du, Jung?“

„Ich dachte nur an die Altertumsforscher.“ Da lachte sie auch — still und gedankenlos, wie glückliche Menschen über etwas Gleichgültiges lachen.

Des Morgens waren sie über das Forum gegangen, hatten eine Weile oben auf dem hohen Sockel der Foscassäule gesessen und miteinander geflüstert. Zu ihren Füßen breitete sich das Ruinenfeld aus, vom Sonnenlicht vergoldet und vom Alter verwittert, während Touristen, klein und schwarz, zwischen den Mauerresten umherkrabbelten. Aber ein wenig abseits, inmitten der Scharen der Reisegesellschaft die Einsamkeit suchend, schlenderte ein jungverheiratetes Paar. Er war fettleibig, sommersprossig und blond, mit Kniehosen und Kodak, und las seinem jungen Weibe aus dem Baedeker vor. Sie aber, ganz jung, üppig und dunkel, mit einem angeborenen hausfraulichen Gepräge in dem weichen, mehlweißen Gesicht, setzte sich auf einer umgestürzten Säule in Positur, worauf der Mann sie knipste. Die beiden aber, die oben zu Füßen der Foscassäule saßen und von ihrer Liebe flüsterten, gedankenlos, unbekümmert darum, daß sie sich zufällig auf dem Forum Romanum befanden, lachten.

„Bist du hungrig?“ fragte Helge.

„Nein. Du?“

„Nein. Weißt du, wozu ich Lust hätte?“

„Nein?“

„Mit dir nach Haus zu gehen, Jenny. Bei dir zu Hause heute Abend Tee zu trinken. Geht das nicht?“

„Ja, natürlich.“

Sie schickten sich an, durch die Stadt hinabzugehen, durch die Seitengassen, Arm in Arm.

Auf ihrem dunklen Treppenflur riß er sie plötzlich an sich. Sein Arm lag hart unter ihrer Brust, und er küßte sie wild und heftig, daß ihr Herz plötzlich stark und angstvoll zu schlagen begann. Zorn über sich selbst stieg in ihr auf, weil sie diese Furcht nicht zu überwinden vermochte.

„Mein lieber Junge,“ flüsterte sie in der Dunkelheit; sie wollte sich dadurch selber zur Ruhe zwingen.

„Wart’ noch einen Augenblick,“ flüsterte Helge, als sie drin das Licht anzünden wollte. Er küßte sie wie vorher. „Zieh dieses Geishagewand an, du siehst so lieb darin aus — ich setze mich solange auf den Balkon hinaus.“

Jenny zog sich im Finstern um. Dann setzte sie Teewasser auf und füllte die Vasen mit Anemonen und Mandelzweigen, bevor sie ihn hereinrief und die Lampe anzündete.

„O Jenny!“ Er zog sie wieder an sich.

„Du bist so schön. Alles ist so schön an dir. O, es ist herrlich bei dir zu sein. Ich wünschte, ich könnte immer bei dir sein.“

Sie legte beide Hände um sein Gesicht.

„Jenny, möchtest du das auch, daß wir immer beisammen sein könnten?“

Sie blickte ihm in die schönen, goldbraunen Augen:

„Ja Helge. Das möchte ich auch.“

„Wünschst du nicht auch, daß er nie ein Ende nähme, dieser Lenz hier unten — unser Lenz?“

„Doch.“ Sie warf sich jäh im seine Arme „O ja, Helge.“ Sie küßte ihn und ließ ihre halbgeöffneten Lippen und ihre geschlossenen Augen um mehr Küsse flehen. Die Worte von ihrem nimmer endenden Frühling schienen einen leisen angstvollen Schmerz in ihr zu wecken, sie wußte, daß dieser Frühling und ihr Traum einmal ein Ende finden würden. Und im Unterbewußtsein lag eine leise Furcht, über die sie sich keine Rechenschaft geben wollte, die aber lebendig geworden war, als er sagte: möchtest du, daß wir immer zusammen blieben?

„Ich wünschte, ich brauchte nicht heimzureisen,“ sagte Helge innig.

„Ich reise doch auch,“ flüsterte sie sanft. „Wir kehren wieder hierher zurück, Helge. Zusammen.“

„Du hast dich also entschlossen, nach Hause zu fahren? Und nun komme ich dazwischen und zerstöre alle deine Pläne?“

Sie küßte ihn rasch und sprang fort zum kochenden Teewasser.

„Nein, ich war schon vorher halb dazu entschlossen, siehst du, da Mama mich ja doch sehr nötig hat.“ Sie lachte. „Fast schäme ich mich — sie ist ja so gerührt darüber, daß ich nach Hause komme und ihr helfen will. Und dabei ist es nur, weil ich mit meinem Liebsten zusammen sein möchte. Aber es ist schon gut so. Ich wohne ja billiger zu Haus, wenn ich ihr auch beistehe, und kann vielleicht ein wenig sparen. Dann bewahre ich das Geld auf — bis auf später ...“

Helge nahm die Teetasse, die sie ihm reichte. Dann ergriff er ihre Hand.

„Aber wenn du das nächste Mal fortreist, nimmst du mich mit! Ja, denn — du willst doch — du meinst doch — daß wir uns heiraten, Jenny?“

Sein Antlitz war so jung und sah in so banger Frage zu ihr auf, daß sie es wieder und wieder küssen mußte. Sie vergaß, daß sie sich vor diesem Wort selbst gefürchtet hatte, das vorher zwischen ihnen nicht gefallen war.

„Es wird wohl das Praktischste sein, mein Junge. Da wir uns doch darüber einig sind, daß wir immer zusammen bleiben wollen.“

Helge küßte still ihre Hand.

„Wann?“ flüsterte er nach einer Weile.

„Wann du willst,“ erwiderte sie ebenso leise — und fest.

Wieder küßte er ihre Hand.

„Ich wünschte, es ließe sich so einrichten, daß wir uns hier unten heiraten könnten,“ sagte er kurz darauf in einem anderen Ton.

Sie antwortete nicht, sondern strich nur über sein Haar.

Helge seufzte auf: „Aber es geht nicht. Wenn wir doch bald nach Hause fahren müssen ... Es würde wohl auch deine Mutter kränken — so eine übereilte Hochzeit, nicht wahr?“

Jenny schwieg. Es war ihr noch niemals in den Sinn gekommen, daß sie ihrer Mutter Rechenschaft schuldig war für ihre Heirat, so wenig als ihre Mutter sie gefragt hatte, als sie wieder heiratete.

„Ich weiß jedenfalls, daß es meine Eltern verletzen würde. Ich bin nicht eben froh darüber, Jenny, aber ich weiß, es würde der Fall sein. Am liebsten möchte ich nach Hause schreiben, daß ich mich verlobt habe. Und da du etwas früher als ich nach Hause reisen willst — würdest du dann wohl zu uns hinaufgehen und sie begrüßen?“

Jenny warf den Kopf zurück, geradeso, als wollte sie ein unbehagliches Gefühl verjagen. Dann sagte sie:

„Ich werde tun, was du willst, mein Freund; das kannst du dir wohl denken.“

„Ich denke selbst nicht gern daran, Jenny. O nein. Es ist so herrlich gewesen, dies hier — nur du und ich auf der ganzen Welt. Aber es würde meine Mutter sehr verletzen, weißt du. Ich möchte ihr das Leben nicht noch schwerer machen, als es für sie schon ist. Ich liebe meine Mutter nicht mehr so wie früher — das weiß sie auch, und grämt sich sehr darüber. — Es sind ja nur Formalitäten, aber sie würde sehr darunter leiden, wenn sie glauben müßte, ich wollte sie übergehen. Sie würde denken, daß es eine Rache sei für die Geschichte, du weißt.... Wenn das dann überstanden ist, Jenny, können wir heiraten. Dann hat uns niemand weiter dreinzureden. Ich wünschte, daß es recht bald sein könnte. Du nicht auch?“

Sie küßte ihn als Antwort.

„Ich sehne mich ja so nach dir, Jenny,“ flüsterte er. Jenny wehrte sich nicht gegen seine Liebkosungen. Aber plötzlich ließ er sie los, scheu und hastig ...

Ein wenig später saßen sie am Ofen und rauchten, sie im Lehnstuhl, er auf dem Fußboden, den Kopf in ihrem Schoß.

„Kommt Cesca auch heute Nacht nicht nach Hause?“ fragte er plötzlich leise.

„Nein, sie bleibt bis Ende der Woche in Tivoli,“ sagte Jenny schnell und ein wenig nervös.

Helge liebkoste ihre Knöchel und Spann unter dem Saum dem Kimono.

„Du hast so schöne, schmale Füße, Jenny!“ Er strich über die schlanke Wade. Und plötzlich preßte er ihr Bein heftig an seine Brust.

„Du bist ja so herrlich, so herrlich. Ich hab dich so lieb — weißt du, wie ich dich liebe, Jenny? Ich will hier auf dem Boden liegen, dir zu Füßen — setz die kleinen schmalen Schuhe auf meinen Nacken — tu es!“ Er warf sich plötzlich lang vor ihr nieder, versuchte, ihre Beine hochzuheben und ihre Füße auf seinen Kopf zu legen.

„Helge. Helge!“ Seine plötzliche Heftigkeit jagte einen kurzen Schreck durch ihren Körper. Aber ich habe ihn doch lieb, sagte sie zu sich selbst. Fürchte ich mich denn vor dem, was mein Geliebter will? Sie fühlte seine brennend heißen Hände durch die dünnen Strümpfe.

Als sie aber merkte, daß er sie unter die Schuhsohle küßte, stieg plötzlich ein Unwillen in ihr empor. In einem verwirrten Gefühl von Angst und Unlust lachte sie gezwungen auf.

„Nein Helge, laß sein — die Schuhe, mit denen ich auf den schmutzigen Straßen umhergehe!“

Helge Gram richtete sich auf — ernüchtert und gedemütigt. Sie suchte es wegzulachen:

„Bedenke doch, die Schuhe — du kannst dir doch denken, daß Tausende von ekelhaften Bakterien daran kleben.“

„Ach, du Pedant! Und du willst Künstlerin sein?“ Jetzt lachte er auch. Uebertrieben lustig, um seine Verwirrung zu verbergen, nahm er sie in seine Arme, während sie beide aus vollem Halse lachten: „Reizende Braut, laß mich sehen — gewiß doch. Du riechst nach Terpentin und Oelfarben.“

„Unsinn, Geliebter! Ich habe bald drei Wochen lang keinen Pinsel angerührt. Du sollst dich aber waschen, bitte sehr.“

„Hast du vielleicht Karbolwasser, damit ich gehörig desinfiziert werde?“ Er überfiel sie mit eingeseiften Händen. „Frauenzimmer sind chemisch gereinigt von aller Poesie, sagte mein Vater immer.“

„Ja, darin hat dein Vater Recht, Junge!“

„Du verstehst es, eine Kaltwasserkur zu verordnen,“ sagte Helge lachend.

Jenny wurde plötzlich ernst. Sie ging auf ihn zu und legte beide Hände auf seine Schultern, indem sie ihn küßte:

„Ich will nicht, daß du auf dem Erdboden zu meinen Füßen liegst, Helge!“

Als er aber gegangen war, schämte sie sich. Es war wohl doch so, als wenn sie eine Kaltwasserkur hätte verordnen wollen, dachte sie. Sie wollte es aber nicht wieder tun. Sie liebte ihn doch.

Heute Abend hatte sie eine Niederlage erlitten. Ihr war der Gedanke gekommen, was wohl Signora Rosa sagen würde, wenn sich etwas ereignete. Und diese Furcht vor einem Auftritt mit einer gekränkten Signora, und ihr eigener Versuch, aus diesem Grunde das Versprechen, das sie ihrem Jungen gegeben hatte, nicht einzulösen, demütigte sie.

Denn, als sie seine Küsse entgegennahm, seine Küsse erwiderte, da verpflichtete sie sich ja, ihm alles zu geben, was er von ihr erbitten würde. Sie war ja die Letzte, die sich auf ein Spiel einlassen wollte — Liebe annehmen und Kleinigkeiten zurückgeben, nicht mehr, als daß sie sich ohne Verlust von dem Spiele zurückziehen könnte, wenn sie sich anders entschieden hätte.

Diese Angst vor etwas, das sie noch nie durchgemacht hatte, war im Grunde nur Nervosität.

Und doch, sie war froh gewesen, solange er sie nicht um mehr gebeten, als sie fröhlich gewähren konnte. Die Stunde mußte ja kommen, wo sie selbst den Wunsch hatte, ihm alles zu geben.

Ach, es war so langsam und unmerklich gekommen, wie der Frühling hier im Süden. Ebenso gleichmäßig und sicher, ohne schroffe Uebergänge. Es gab keine kalten und stürmischen Tage, die das Herz wild machten vor Sehnsucht nach Sonne und überströmendem Licht, nach verzehrender Glut. Keinen jener unheimlich klaren, endlosen, hinreißenden Lenzabende wie daheim. War der Sonnentag vorübergegangen, so fiel die Nacht still und gleichmäßig hernieder, die Kühle kam im Gefolge der Finsternis und verleitete nur zu geborgenem, ruhigem Schlummer zwischen den warmen, schimmernden Tagen. Jeder Tag war ein wenig wärmer als der vergangene, jeder Tag brachte einige Blumen mehr auf der Campagna, die doch nicht grüner war als gestern und dennoch soviel grüner und weicher als vor einer Woche.

So war zu ihr auch die Liebe gekommen. Jeden Abend war ihre Sehnsucht nach dem folgenden Sonntag mit ihm draußen vor den Mauern gewachsen und ganz allmählich wandelte sich ihr Sehnen und suchte ihn selber und seine junge, warme Liebe. Sie hatte seine Küsse hingenommen, weil es sie glücklich machte, und Tag für Tag waren ihrer Küsse mehr, bis endlich die Gespräche zwischen ihnen verstummt und zu lauter Küssen geworden waren.

Sie sah, daß er reifer und männlicher wurde, mit jedem Tage. Alle Unsicherheit glitt von ihm ab; die plötzliche Niedergeschlagenheit überfiel ihn jetzt nie mehr. Sie selbst wurde sicherer, wärmer, fröhlicher. Es war nicht mehr ihrer Jugend kühle, streitbare Selbstsicherheit, sondern eine herzliche Sorglosigkeit; sie war nicht mehr mißtrauisch gegen das Leben, das sich ihren Träumen nicht hatte fügen wollen. Jetzt nahm sie vertrauensvoll jeden Tag hin, in froher Erwartung, daß das Unvorhergesehene gut werde und zum Guten gewendet werden könne.

Warum sollte die Liebe nicht so kommen dürfen — langsam wie die Wärme, die von Tag zu Tag wuchs und sich Zeit ließ, sich auszubreiten und glühender zu werden. Weil sie früher geglaubt hatte, die Liebe käme wie ein Unwetter, das im Nu einen anderen Menschen aus ihr schüfe, den sie selbst nicht kannte, über den ihr alter Wille keine Macht mehr hatte?

Helge — er nahm dieser Liebe langsames, gesundes Erblühen so unendlich sanft und ruhig hin. An jedem Abend, wenn sie einander Gute Nacht gewünscht hatten, war ihr Herz von Dank für ihn erfüllt, daß er sie nicht um mehr gebeten, als sie an diesem Tage geben konnte.

Oh, wenn sie doch nur hierbleiben könnte, bis zum Mai, zum Sommer, den ganzen Sommer über! Wenn ihre Liebe hier unten reifen könnte, bis sie ganz eins geworden waren, so selbstverständlich, wie sie jetzt einander näher traten.

Irgendwo in den Bergen zusammen wohnen können, diesen Sommer! Die Formalitäten der Eheschließung könnten sie dann hier in der Stadt in Ordnung bringen oder im Herbst zu Hause. Natürlich wollten sie sich heiraten, wie es üblich war, wenn zwei einander liebten.

Dachte sie daran, daß sie nach Hause reisen sollte, so war es ihr, als fürchte sie, aus einem Traum zu erwachen.

Aber das war ja alles Unsinn. Sie hatten sich doch so unsagbar lieb. Nein, sie konnte diese Störungen mit Verlöbnis und Besuch bei Verwandten und dergleichen nicht leiden. Doch das waren Nichtigkeiten.

Aber ewig Dank für diesen weichen Lenz hier unten, der sie so still und sanft einander zugeführt hatte, Beide allein draußen zwischen den Tausendschön der frühlingsjungen Campagna.

„Glaubst du nicht, Jenny wird es eines Tages bereuen, daß sie sich mit diesem Gram verlobt hat,“ fragte Franziska Gunnar Heggen, als sie einmal oben bei ihm saß.

Heggen wendete und drehte seine Zigarre hin und her. Er bemerkte plötzlich, daß es ihm früher niemals in den Sinn gekommen war, wie indiskret es sei, Franziskas Angelegenheiten mit Jenny zu erörtern. Aber über Jennys intimere Verhältnisse mit Franziska zu sprechen, war etwas anderes.

„Begreifst du, was sie mit ihm will?“ fragte Franziska wieder.

„Das begreift man in den meisten Fällen nicht, Cesca. Besonders, was ihr mit diesem oder jenem Menschen wollt. Ich glaube bei Gott,“ er lachte leise vor sich hin, „wir bilden uns ein, daß wir wählen. Aber wir gleichen unseren Brüdern, den unvernünftigen Tieren, mehr, als wir zugeben wollen. Eines schönen Tages ist über unsere Liebe verfügt, wobei unsere natürliche Veranlagung die Hauptschuld trägt, während Ort und Gelegenheit das Uebrige tun.“

„Ich verstehe dich nicht, Gunnar,“ sagte Franziska und zog die Schultern hoch. „Ist denn so über dich dauernd verfügt worden?“

Gunnar lachte — ein wenig unwillig:

„Vielleicht nie — in genügendem Maße. Ich habe nie den kritiklosen Glauben an eine Frau, daß sie die einzige sei, kennen gelernt. Der gehört aber auch mit zur rechten Liebe, und wiederum ist die natürliche Veranlagung des Menschen die Ursache dazu.“

Franziska starrte gedankenvoll vor sich hin:

„Es mag häufig der Fall sein. Aber es kommt auch vor, daß man einen bestimmten Menschen liebt, ohne daß Zeit und Umstände die Triebfeder sind. Ich — ich liebe jenen Mann, weil ich ihn nicht verstehe. Ich konnte es damals nicht fassen, daß es Menschen seiner Art geben sollte. Ich wartete auf ein Ereignis, das alles, was ich gesehen und beobachtet hatte, ins rechte Licht rücken und erklären würde. Ich grub nach einem verborgenen Schatz — und da wurde ich besessen, je länger ich grub. Und der Gedanke, daß eine andere Frau ihn finden könnte, brachte mich schließlich an den Rand des Wahnsinns. — Es gibt Menschen, die einen anderen lieben, weil dieser in ihren Augen vollkommen ist, weil sie in ihm gefunden haben, wonach es sie verlangte. Hast du nie die Liebe gekannt, die dich nur Gutes und Schönes und Edles an einem Weibe sehen ließ, so daß du alles an ihm lieben mußtest?“

„Nein,“ sagte er kurz.

„Ja, aber das ist erst die richtige Liebe. Meinst du nicht? Und ich hätte gewünscht, daß Jenny auf diese Art lieben würde. Aber so kann sie Gram nicht lieben.“

„Ich kenne ihn eigentlich gar nicht, Cesca. Ich weiß nur, er ist nicht so dumm wie er aussieht, wie man zu sagen pflegt. Das heißt, ich glaube, er ist bedeutender, als man nach dem ersten Eindruck denken sollte. Jenny hat wohl gemerkt, wes Geistes Kind er eigentlich ist.“

Cesca schwieg. Sie entzündete eine Zigarette und ließ das Wachszündhölzchen ausbrennen, mit den Augen gedankenvoll der Flamme folgend.

„Hast du nicht bemerkt — er fragt immer ‚finden Sie nicht?‘ und ‚stimmt das nicht?‘ und so. Liegt nicht etwas Feminines oder Unfertiges über ihm?“

„Vielleicht. Aber es kann ja sein, daß gerade dies Jenny angezogen hat. Sie ist ja stark und auch selbständig. Vielleicht mag sie am liebsten gerade einen Mann, der schwächer ist als sie selber.“

„Ich will dir etwas sagen, Gunnar. Ich glaube gar nicht, daß Jenny so stark und selbständig ist. Sie war aber auch auf sich selber angewiesen. Daheim mußte sie unterstützen und helfen und selbst besaß sie keine Seele, bei der sie Schutz suchen konnte. Als wir uns kennen lernten, nahm sie sich meiner an, weil sie sah, daß ich viel weicher war als sie und ihrer bedurfte. Jenny hat immer Menschen getroffen, die bei ihr Zuflucht suchten. Auch Gram bedarf ihrer. Ja, sie ist stark und sicher, sie fühlt es auch, und niemand bittet vergebens um ihre Hilfe. Aber kein Mensch vermag auf die Dauer immer Anderen eine Stütze zu sein, ohne je selber zu empfangen. Begreifst du denn nicht, daß sie furchtbar einsam werden muß, wenn sie immer die Stärkste sein soll? Sie ist allein, und heiratet sie diesen Menschen, so wird es auch nicht anders. Alle sprechen wir mit Jenny über uns selbst, sie aber hat niemanden, mit dem sie reden kann. Oh, Jenny sollte einen Mann haben, zu dem sie aufsehen könnte, dessen Autorität sie fühlte, zu dem sie sagen könnte: so und so habe ich gelebt, so habe ich gearbeitet und so habe ich gekämpft, denn so, meinte ich, sei es recht gewesen. Sie sollte einen Menschen haben, der über ihr Recht und Unrecht zu entscheiden imstande ist. Gram kann es nicht, er ist ihr unterlegen. Und dann kann sie auf sein Urteil nicht vertrauen, nicht wahr? Der Mann, den Jenny braucht, muß genügend Autorität besitzen, um ihre Gedanken zu bestätigen oder zu verwerfen. ‚Nicht wahr?‘ und ‚finden Sie nicht?‘ — jetzt sollte Jenny so fragen dürfen!“

Sie schwiegen beide lange, dann blickte Heggen auf und sagte:

„Es ist recht seltsam, Cesca. Gilt es deine eigenen Geschichten, so weißt du meistens weder aus noch ein. Wenn du aber über die Angelegenheiten anderer sprichst, so habe ich oft den Eindruck, als sähest du am klarsten von uns allen.“

Franziska seufzte schwer auf:

„Darum habe ich ja auch oft die Idee, ins Kloster zu gehen, Gunnar. Wenn ich außerhalb des Ganzen stehe und es beschaue, so glaube ich, alles zu begreifen. Wenn ich aber selbst mitten drin sitze, so verwirrt es mich vollständig.“