Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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XI.

Die saftigen, blaugrünen Riesenblätter der Kaktusbüsche waren zerrissen von Namen, Buchstaben und Herzen. Helge stand und schnitzte ein H und ein J hinein. Jenny hatte den Arm um seine Schulter gelegt und sah ihm zu.

„Wenn wir hierher zurückkehren,“ sagte Helge, „so ist es eine solche braune Narbe wie die anderen. Glaubst du, daß wir es wiederfinden, Jenny?“

Sie nickte.

„Unter all den anderen,“ sagte er mißmutig. „Es stehen so viele Namen hier. Wir gehen dann wieder hier hinaus und suchen danach — wollen wir?“

„Ja.“

„Glaubst du daran, daß wir wieder hierher kommen, Jenny? Daß wir wieder hier stehen werden wie jetzt — oder nicht?“ Er zog sie an sich.

„Warum sollten wir nicht, mein Freund?“ Eng umschlungen gingen sie auf ihren Tisch zu. Und dicht aneinandergeschmiegt saßen sie und starrten auf die Campagna hinaus.

Der Sonnenschein des Frühlingstages rückte höher hinan und die Schlagschatten wanderten über die Hügel. Mitunter schoß das Licht in großen Strahlenbündeln hervor, wenn blanke Wolken, leicht und ruhig bewegt, über den blauen Himmel dahinsegelten. Aber draußen am Horizont, wo der dunkle Eukalyptuswald bei Tre Fontane über den entferntesten Hügelkamm lugte, dampfte ein perlenweißer Nebel auf; gegen Abend würde er wohl wachsen und den ganzen Himmel überfluten.

Weit drüben in der Ebene floß die Tiber dem Meere zu, golden, wenn sie der Sonnenschein traf, doch bleigrau mit mattem Glanz wie der Bauch eines Fisches, wenn die Wolken sich in ihr spiegelten.

Die Tausendschön leuchteten wie frischgefallener Schnee auf den Hügeln. Auf dem Abhang unterhalb des Gemüsegartens der Osteria keimte der junge Weizen empor, lichtgrün und seidenweich. Mitten auf dem Acker draußen standen zwei Mandelbäumchen, deren Blütenkronen blaßrot schimmerten.

„Unser letzter Tag in der Campagna,“ sagte Helge. „Ist es nicht seltsam?“

„Für dieses Mal —“. Sie küßte ihn und wollte ihrem eigenen Mißmut nicht nachgeben.

„Ja. Denkst du niemals daran, Jenny, daß es, wenn wir wieder hier sitzen, dann so nicht wieder sein kann wie jetzt? Man ändert sich dauernd, Tag für Tag — wir sind nicht mehr dieselben, wenn wir wieder hier unten sitzen. Nächstes Jahr — nächsten Frühling — es ist dann nicht mehr dieser Frühling, Jenny. Wir sind dann auch nicht mehr genau dieselben. Und unsere Liebe? Wir werden uns ebenso lieben, aber nicht auf ganz dieselbe Art.“

Jenny zog die Schultern hoch, als wenn es sie fröstelte:

„So etwas würde eine Frau niemals sagen, Helge,“ und sie versuchte zu lachen.

„Findest du es so seltsam, daß ich das sage? Ich kann nicht von dem Gedanken loskommen. Denn ich finde, diese Monate haben mich so sehr verändert. Dich auch — entsinnst du dich des ersten Morgens? Du sagtest, alles sei dir so verändert erschienen, als du hinaustratest. So wie ich war, als ich hierher kam, konntest du mich damals ja nicht liebgewinnen, Jenny, nicht wahr?“

Sie strich ihm über die Wangen:

„Aber Helge, mein Jung, das ist ja eben die große Veränderung — daß wir uns liebgewonnen haben. Und unsere Liebe wächst und wächst beständig. Wenn wir uns jetzt verändern, so liegt das nur daran, daß unsere Liebe wächst. Darum braucht man doch keine Furcht zu hegen? Wir sind zwei frohe Menschen geworden — das ist die Veränderung. Entsinnst du dich des Tages — meines Geburtstages — des Tages auf der Via Cassia? Die ersten feinen Fäden begannen damals, sich zwischen uns zu spinnen; jetzt ist ein starkes Band daraus geworden und es wird immer stärker. Ist das ein Grund, sich zu fürchten, Helge?“

Er küßte sie auf den Hals:

„Morgen reist du —“.

„Ja. Und in sechs Wochen kommst du nach.“

„Ja. Aber dann sind wir nicht hier. Wir können nicht in die Campagna fahren. Das ist es eben, daß wir mitten im Frühling aufbrechen müssen.“

„Daheim haben wir auch Frühling, Helge. Auch dort gibt es Lerchen. Sieh diese treibenden Wolken — das ist fast wie daheim. Denk an den Vestre Aker, Jung — an ganz Nordmarken. Da wollen wir zusammen hinauf gehen. Oh, der Frühling daheim, mit weißen Schneestreifen in allen Schluchten rings um den blauen, blauen Fjord! Dann die letzten Schneeschuhfahrten auf der Frühjahrsbahn; wir machen vielleicht in diesem Jahre auch noch eine Skifahrt zusammen. Wenn der Schnee so naß ist, daß er nicht einmal knirscht, wenn alle Bäche brausen und sprudeln, der Abendhimmel sich über uns breitet, grün und klar, mit großen glitzernden Goldsternen bestickt und die Skier in den Felsspalten schürfen und knirschen.“

„Ja, ja.“ Er bog sie sanft zu sich hinüber. „Vestre Aker — Nordmarken .... Ich bin dort soviel allein umhergegangen, daß es mir davor graut. Ich habe das Gefühl, als müßten dort Fetzen meiner alten abgelegten Seelen auf jedem Busche hängen.“

„Still, still! Es kann so schön werden. Mit meinem Freunde an all den Orten umherzugehen, wo ich so viel allein und traurig gewesen bin, so manchen Lenz hindurch.“

Hand in Hand wanderten sie über die graugrüne Campagna. Jetzt, gegen Abend, hatte der Wolkenschleier sich über den ganzen Himmel gebreitet, und ihnen entgegen wehte der Frühlingswind.

Jenny sagte weh und sehnsuchtsvoll jedem einzelnen Dinge Lebewohl. Drunten auf der Fahrstraße knirschten Heuwagen, von Ochsen gezogen, deren weißgraue Haut in sammetweiches Braun überging, und vor den blaubemalten Weinkarren läuteten die Glöckchen an dem roten Saumzeug der Maultiere.

Alles war lieb und vertraut hier draußen, alles hatte sie Tag für Tag mit ihm zusammen hier gesehen und selber nicht gewußt, daß sie es sah; nun fühlte sie plötzlich, daß alles in ihre Seele eingebrannt war zugleich mit der Erinnerung an diese Tage.

Hier der trockene, rotbraune Hügel, dessen starres, kurzes Wintergras von Tag zu Tag weicher und grüner geworden war, die treuen Tausendschön auf der mageren Erde, die geheimnisvollen Gruben, in die das Erdreich zusammengestürzt war, vor denen sie verwundert gestanden hatten; die dornigen Hecken am Rande der Wege und die blanken, saftiggrünen Blätter der wilden Kalla unter den Büschen ...

Der Lerchen unablässiges Trillern hoch oben unter der weißen Himmelskuppel, die wunderlich glasartigen Töne der unzähligen Drehorgeln, die weit draußen auf den Osterien in der Ebene zum Tanz aufspielten und immer die gleichen kleinen italienischen Melodien hören ließen.

Der Gedanke, daß sie von diesem allen lassen sollte, kam ihr so sinnlos vor.

Sie ging mit Helge durch den flutenden Frühlingswind, der ihren Körper durchkühlte wie ein Bad; sie fühlte sich selbst wie ein kühles, frisches, saftgefülltes Blatt, und sie sehnte sich danach, sich ihm zu geben.

In ihrem dunklen Hausflur sagten sie sich zum letzten Male Lebewohl. Sie wollten nicht voneinander lassen.

„Könnte ich doch heute Nacht bei dir bleiben! Jenny!“

„Helge.“ Sie drängte sich an ihn. „Du darfst!“

Er umfaßte sie heftig, ihre Hüften, ihre Schultern. Aber sobald sie es ausgesprochen hatte, erzitterte sie. Sie wußte selbst nicht, warum ihr Angst wurde — sie wollte nicht ängstlich sein. Im selben Augenblick bereute sie, daß sie eine Bewegung gemacht hatte, als wollte sie sich aus seiner harten Umarmung befreien. Aber da hatte er sie schon freigegeben.

„Nein. Nein. Ich weiß ja, daß es unmöglich ist.“

„Ich will ja so gern,“ flüsterte sie gedemütigt.

„Ja, ja.“ Er küßte sie. „Ich weiß, daß du ... aber ich weiß auch, daß ich nicht darf —.“

„Dank, Jenny! Hab Dank für alles! Jenny, Jenny — Dank für deine Liebe! Gute Nacht.“ —

Die Tränen rannen kalt über ihre Wangen, als sie in ihrem Bett lag. Sie versuchte sich selbst klarzumachen, daß es sinnlos sei, zu liegen und so zu weinen als wäre irgend etwas Schönes zu Ende gegangen, irgend ein Glück zersprungen.