Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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III.

Zwei Tage später, als Jenny des Nachmittags arbeitete, bekam sie Besuch von Helges Vater.

Jetzt, als er dastand, mit dem Hute in der Hand, sah sie, daß sein Haar ganz grau war, so grau, daß man nicht mehr unterscheiden konnte, welche Farbe es ursprünglich gehabt hatte. Jung sah er aber trotzdem aus. Die Gestalt war schlank, ein wenig gebeugt, aber nicht wie bei einem alten Manne, eher, als sei er ein wenig zu schmächtig für seine Größe. Seine Augen waren jung, obgleich sie trüb und müde aus dem mageren, glattrasierten Antlitz blickten. Sie waren aber so groß und so leuchtend blau, daß sie einen merkwürdig offenen Eindruck machten, verwundert und grüblerisch zugleich.

„Ja, Sie werden begreifen, daß es mich danach verlangt, Sie zu begrüßen, Fräulein Winge,“ sagte er und reichte ihr die Hand. „Nein — ich bitte Sie, legen Sie die Schürze nicht ab. Und sagen Sie’s mir, wenn ich Sie störe.“

„Nein, lieber Herr Gram,“ sagte Jenny fröhlich; seine Stimme und sein Lächeln gefielen ihr. Sie warf die Malerschürze auf den Kohlenkasten. „Es wird sowieso bald dunkel. Wie liebenswürdig von Ihnen, mich zu besuchen!“

„Es ist eine Ewigkeit her, daß ich in einem Atelier war,“ sagte Gram und blickte umher. Dann setzte er sich aufs Sofa.

„Verkehren Sie mit keinem anderen der Maler — irgend jemandem aus Ihrer Zeit?“ fragte Jenny.

„Nein, mit niemandem,“ antwortete er kurz.

„Aber.“ Jenny überlegte. „Aber wie in aller Welt haben sie hierher gefunden? Haben Sie sich bei mir zu Hause erkundigt — oder im Künstlerbund?“

Gram lachte.

„Nein. Ich sah Sie ja vorgestern auf der Treppe. Dann gestern, als ich in mein Geschäft ging, sah ich Sie wieder. Ich ging ein Stück hinter Ihnen her, da ich die Absicht hatte, Sie anzuhalten und mich Ihnen vorzustellen. Sie gingen hier hinein, und ich wußte, daß in diesem Hause ein Atelier war. Nun ja, so bekam ich die Idee, zu Ihnen hinaufzusteigen und Ihnen eine Visite zu machen.“

„Wissen Sie,“ Jenny lächelte vergnügt, „Helge lief auch auf der Straße hinter mir her, einer Freundin und mir. Er hatte sich allerdings verlaufen, unten in den alten Straßen am Flohmarkt. Dann kam er eben auf uns zu und sprach uns an — bändelte an, wie der feine Ausdruck dafür heißt. So wurden wir bekannt. Wir fanden zuerst, daß er ein wenig dreist war. Aber es scheint so, daß er von Ihnen seinen Mut geerbt hat.“

Gram runzelte die Stirn und schwieg einen Augenblick. In Jenny stieg ein unbehagliches Gefühl auf, als hätte sie etwas Dummes gesagt. Sie überlegte, wie sie fortfahren sollte.

„Dürfte ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten, während Sie hier sind?“

Sie zündete ohne weiteres den Apparat an und setzte Wasser auf.

„Ja, ja, Fräulein Winge — Sie brauchen nicht zu fürchten, daß Helge mir sonst irgendwie ähnelt. Ich glaube, daß er glücklicherweise nicht das Geringste mit seinem Vater gemein hat.“ Er lachte.

Jenny wußte nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Sie beschäftigte sich damit, Teetassen herbeizuholen:

„Ja, hier ist es recht leer, wie Sie sehen. Aber ich wohne zu Haus bei meiner Mutter.“

„Ah so, Sie wohnen zu Hause? — Das Atelier ist sicher sehr gut — nicht wahr?“

„O ja, ich glaube.“

Er schwieg wieder und blickte geradeaus.

„Ja, Fräulein Winge — ich habe viel an Sie gedacht. Ich glaubte ja, meines Sohnes Briefe so zu verstehen, daß Sie und er —“

„Ja, Helge und ich haben uns sehr gern,“ sagte Jenny. Sie stand aufrecht da und sah ihn an. Gram ergriff ihre Hand und hielt sie fest.

„Ich kenne meinen Sohn so wenig, Jenny Winge. Ich weiß im Grunde nichts Genaues von ihm — wie er ist. Aber wenn Sie ihn gern haben, so kennen Sie ihn wohl sicher besser als ich. Und daß sie ihn lieben, beweist mir, daß ich seiner froh sein darf und stolz auf ihn. Ich habe immer geglaubt, daß er ein guter Junge sei, auch recht begabt. Daß er Sie lieb hat, dessen bin ich sicher, jetzt, da ich Sie gesehen. Möge er Sie nur glücklich machen, Jenny.“

„Ich danke Ihnen,“ sagte Jenny und reichte ihm nochmals die Hand.

„Ja.“ Gram sah vor sich hin. „Sie können sich denken, daß ich über meinen Jungen froh bin. Mein einziger Sohn. Ich glaube auch, Helge hat mich im Grunde lieb.“

„Das hat er. Helge hat Sie sehr lieb. Sowohl Sie als seine Mutter.“ Gleich darauf errötete sie aber, als hätte sie etwas Taktloses gesagt.

„Ja, ich glaube wohl. Aber er sah natürlich früh ein, daß sein Vater und seine Mutter einander nicht liebten. Helge hat ein trauriges Heim gehabt, Jenny. Ich kann es ebensogut selbst sagen; haben Sie es noch nicht bemerkt, so werden Sie es bald selber sehen. Sie sind ja sicher ein kluges Mädchen. Aber eben deshalb glaube ich, Helge weiß, was es wert ist, wenn zwei sich lieb haben. Und er wird Sie und sich behüten —.“

Jenny schenkte Tee ein:

„Helge pflegte in Rom nachmittags zum Tee zu mir zu kommen. Eigentlich lernten wir uns gerade in diesen Nachmittagsstunden näher kennen, glaube ich —.“

„Und da gewannen Sie sich lieb.“

„Ja — nicht gleich. Das heißt, im Grunde vielleicht doch. Aber wir dachten an nichts anderes, als gute Freunde zu sein — damals. Ja, später kam er dann natürlich auch und trank seinen Tee bei mir —.“

Sie lächelten beide.

„Können Sie mir nicht ein wenig erzählen, wie Helge als Knabe war — als kleiner Junge, meine ich — oder sonst etwas —?“

Gram schüttelte trübe lächelnd den Kopf:

„Nein, Jenny. Ich kann Ihnen nichts von meinem Sohn erzählen. Er war immer gut und folgsam. Fleißig auf der Schule — nicht gerade ein Licht, doch recht fleißig und tüchtig. Aber Helge war als Knabe sehr verschlossen — auch als Erwachsener — jedenfalls mir gegenüber —. Erzählen Sie lieber, Jenny,“ lachte er warm.

„Wovon?“

„Von Helge natürlich. Ja — zeigen Sie mir, wie mein Sohn in den Augen des jungen Mädchens aussieht, das ihn liebt. Sie sind ja kein gewöhnliches junges Mädchen, sondern eine tüchtige Künstlerin, und ich glaube auch, Sie sind klug und gütig. Können Sie mir nicht erzählen, wie es kam, daß Sie Helge liebgewannen, welche Eigenschaften an dem Jungen Sie veranlaßt haben, ihn zu wählen? Lassen Sie mich hören!“

„Ja.“ Dann lachte sie. „Das ist nicht so ohne weiteres zu erklären, — wir hatten uns eben gern —.“

„So.“ Er lachte auch. „Ja, es war eine dumme Frage, Jenny. Es scheint ja fast, als hätte ich vergessen, wie es zuging, als man jung war und verliebt — nicht wahr?“

„Nicht wahr! Wissen Sie, das sagt Helge auch so oft. Auch etwas, das ich so gern an ihm mochte. Er war so jungenhaft. Ich sah sehr wohl, daß er verschlossen war, dann aber öffnete er mir nach und nach sein Herz —.“

„Das kann ich gut verstehen — daß man zu Ihnen Vertrauen bekommt, Jenny. Ja, aber erzählen Sie weiter — aber, Sie brauchen nicht so erschrocken auszusehen. Sie verstehen doch, ich meinte nicht, Sie sollten mir Ihre und Helges Liebesgeschichte auseinandersetzen oder dergleichen —. Nur ein wenig von sich selbst erzählen — und von Helge. Von Ihrer Arbeit, Kind. Und von Rom. Damit ich alter Mann wieder weiß, wie es ist, Künstler zu sein. Und frei. An Dingen zu arbeiten, die einem Freude machen. Jung zu sein. Verliebt und glücklich —.“

Gram blieb etwa zwei Stunden bei ihr. Dann, als er gehen wollte und im Ueberzieher, den Hut in der Hand, dastand, sagte er leise:

„Hören Sie zu, Jenny. Es hat ja keinen Zweck, Ihnen zu verbergen, wie die Verhältnisse in meiner Familie liegen. Es ist besser, daß, wenn wir uns zu Hause wiedersehen, wir uns noch nicht kennen. Daß Helges Mutter nicht erfährt, daß ich Ihre Bekanntschaft auf eigene Faust gemacht habe. Auch Ihretwegen — damit Sie nicht Spott und Unannehmlichkeiten ausgesetzt sind. Es liegt nun einmal so, daß die Tatsache, daß ich einen Menschen gern habe, besonders eine Dame, schon genügt, um meine Frau gegen den Betreffenden aufzubringen ... Sie finden das seltsam. Aber Sie begreifen —?“

„Ja,“ sagte Jenny schwach.

„Nun, leben Sie wohl, Jenny. Ich freue mich Helges wegen — glauben Sie mir?“

Sie hatte am Abend vorher an Helge geschrieben und ihm von ihrem Besuch bei seiner Mutter erzählt. Als sie den Brief noch einmal durchlas, quälte es sie, daß der Abschnitt von ihrer Begegnung mit der Mutter so armselig und trocken ausgefallen war.

An diesem Abend schrieb sie ihm wieder und berichtete von dem Besuch seines Vaters. Aber dann riß sie den Brief entzwei und begann von neuem. — Es war so peinlich zu erzählen, daß Frau Gram von dieser Sache nichts erfahren dürfe. Widerwärtig war es, Geheimnisse mit dem einen gegen den anderen zu haben. Helges wegen empfand sie es wie eine Demütigung, daß sie mit einem Male Mitwisser von dem Elend geworden war, das in seinem Vaterhause herrschte. Schließlich erwähnte sie die Angelegenheit gar nicht. Es war leichter, ihm alles zu erklären, wenn er kam.