Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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VIII.

Das Mittagessen war schnell beendet. Sie versuchte die Zeitung zu lesen und eine Weile ihre Gedanken auszuschalten. Es war aber umsonst. So würde es doch besser sein, heimzugehen und sich dort hinzusetzen —.

Als sie kam, stand ein Mann wartend auf dem obersten Treppenabsatz. Er war groß und schmächtig. Sie sprang die letzten Stufen hinauf und rief Helges Namen.

Sie erkannte seinen Vater. „Es ist nicht Helge,“ entgegnete er.

Jenny streckte ihm atemlos beide Hände entgegen:

„Gert — was ist — ist etwas Schlimmes geschehen?“

„Still, still, Jenny.“ Er ergriff ihre Hand. „Helge ist fortgereist nach Kongsberg zu einem Freund, einem Schulkameraden, der dort Arzt ist. Zu Besuch. Herrgott, Kind, du fürchtest doch nichts anderes —.“ Er lächelte ganz leise.

„Oh, ich weiß nicht —.“

„Nein. Aber liebe Jenny — du bist ja ganz außer dir —.“

Sie ging ihm vorauf durch den Gang und schloß das Atelier auf. Drinnen war es taghell und Gert Gram betrachtete sie. Er war selbst bleich.

„Ist dir so weh ums Herz, Jenny? — Helge sagte — ich verstand ihn jedenfalls so — daß ihr übereingekommen seid ... ihr fändet beide, daß ihr nicht zueinander paßt —.“

Jenny schwieg. Wie sie jetzt einen Dritten es aussprechen hörte, war es ihr, als müsse sie widersprechen. Sie hatte es vorhin nicht begriffen, daß es vorbei sein sollte. Aber da stand er und sagte: sie seien sich klar geworden, daß es so das Beste wäre. Helge war fortgereist, und die Liebe, die sie einmal für ihn empfunden, war gestorben — sie konnte sie nicht mehr in sich finden — und daher war es eben vorbei. Aber Gott im Himmel, wie war es denn möglich, daß es zu Ende sein sollte, zumal sie es ja gar nicht gewollt —.

„Ist es so schwer für dich, Jenny?“ fragte er wieder. „Hast du ihn doch noch lieb —?“

Jenny warf den Kopf zurück:

„Natürlich bin ich Helge gut.“ Ihre Stimme bebte leise: „Man hört doch nicht ohne weiteres auf, einen Menschen gern zu haben, den man geliebt hat. Es ist einem doch nicht gleichgültig, ob man einem anderen wehetut —.“

Gram antwortete nicht gleich. Er setzte sich aufs Sofa, drehte seinen Hut zwischen den Händen und betrachtete ihn:

„Ich verstehe ja, daß es schmerzlich und schlimm für euch beide ist. Aber Jenny — wenn du es dir überlegst — glaubst du nicht selbst, daß es das Beste für euch ist —?“

Sie entgegnete nichts.

„Wie innig froh ich war, Jenny, als ich dich traf und sah, wie die Frau war, die mein Sohn erwählt hatte — das kann ich dir nicht beschreiben. Es schien mir, als sollte mein Junge alles das besitzen, worauf ich in meinem Leben hatte verzichten müssen. Du warst so schön und fein, ich hatte den Eindruck, als seiest du ebenso gut, wie du klug, stark und selbständig warst; und dann warst du eine begabte Künstlerin, die weder an Ziel noch Mitteln zweifelte. Du sprachst froh und warm von deiner Arbeit, und froh und warm von deinem Freunde ... Dann kam Helge heim. Da fand ich, daß du dich verändertest — merkwürdig schnell. Die peinlichen Vorkommnisse, die in meinem Hause nun einmal an der Tagesordnung sind, machten also einen zu starken Eindruck auf dich. Ich dachte, es sei unmöglich, daß Dinge wie eine — unbehagliche, zukünftige Schwiegermutter einem jungen liebenden Weib vollständig das Glück verbittern könnten. Ich begann zu fürchten, daß tiefere Mißverhältnisse, die du jetzt nach und nach entdecktest, Schuld wären. Daß du vielleicht sahest, daß deine Liebe zu Helge nicht so felsenfest war, wie du geglaubt. Daß dir klar wurde, daß ihr im Grunde nicht zusammen paßtet, wie du natürlich angenommen hattest. Daß mehr eine Augenblicksstimmung euch zusammengeführt hatte —. Dort unten, ihr Beide allein, losgelöst von jedem alltäglichen, heimlichen Band, allein in der neuen Umgebung, Beide jung und frei, glücklich durch die Arbeit und wohl Beide mit der Liebessehnsucht der Jugend im Herzen — sollte all das nicht vorübergehende Sympathie und Verständnis erwecken können, selbst wenn diese Sympathie, dieses Verständnis nicht in die tiefsten Winkel eurer beider Seelen gedrungen war?“

Jenny stand drüben am Fenster und blickte zu ihm hinüber. Sie empfand einen seltsam heftigen Unwillen, als er sprach. Herrgott, vielleicht hatte er Recht. Aber er verstand ja gar nicht, was ihr eigentlich das Herz so schwer machte, während er ihr alles so klar auseinandersetzte:

„Das ändert nichts an der Sache — selbst, wenn etwas an dem ist, was du sagst. Möglich, daß du Recht hast —.“

„Es ist jedenfalls besser, Jenny, daß ihr es jetzt eingesehen habt. Besser, als wenn es später gekommen wäre, wenn die Bande fester geknüpft waren und es schmerzlicher gewesen wäre, sie zu lösen —.“

„Das ist es ja nicht, ach, das ist es ja gar nicht!“ Sie unterbrach ihn plötzlich heftig. „Ich — ich verachte mich selbst. Man gibt einer solchen lächerlichen Stimmung nach, lügt sie herbei. Man soll wissen, daß man, ehe man sagt, man liebt, für sein Wort einstehen kann. Eine solche Leichtfertigkeit habe ich immer am allermeisten verachtet. Nun sitze ich selbst in der Schande.“

Gram blickte plötzlich scharf zu ihr hinüber. Er wurde bleich — und dann glühend rot. Nach einer Weile sagte er mühsam:

„Ich sagte, es sei das Beste, daß, wenn zwei Menschen nicht zueinander passen, sie es entdecken, ehe das Verhältnis so tief in ihr Leben eingegriffen hat, daß Beide — und besonders sie — nie wieder die Spuren auslöschen können. Ist es zu spät, so muß man eher versuchen, ob man nicht — mit ein wenig Resignation und viel gutem Willen von beiden Seiten — eine Harmonie zuwege bringen kann. Erweist sich das als eine Unmöglichkeit, so kann man ja noch immer —. Ich weiß ja nicht, ob du und Helge ... wie tief es gegangen ist —.“

Jenny lachte spöttisch:

„Ah, ich verstehe, was du meinst. Für mich ist es ebenso bindend, daß ich Helge habe angehören wollen — mein Wort gegeben habe und es nun nicht halten kann. Ebenso demütigend — vielleicht mehr als wenn ich wirklich sein gewesen wäre —.“

„Du wirst das nicht sagen, wenn du einmal einem Manne begegnest, den du mit großer, wahrer Liebe lieben kannst,“ sagte Gram leise.

Jenny zuckte mit den Schultern:

„Glaubst du übrigens an die große und wahre Liebe, von der du da sprichst?“

„Ja, Jenny.“ Gram lächelte schwach. „— Ich weiß, der Ausdruck kommt euch jungen Menschen heutzutage komisch vor. Ich glaube indessen an sie — aus guten Gründen.“

„Ich glaube, eines jeden Menschen Liebe ist wie er selbst. Wer großzügig veranlagt ist und wahrhaftig gegen sich selbst, wirft sich nicht in kleinen Liebeleien fort. Ich dachte, ich selber ... Aber ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich Helge traf, und ich hatte nie geliebt. Dessen war ich überdrüssig und wollte es gern versuchen. Er war verliebt, warm und jung, aufrichtig, und das lockte mich. So log ich denn mir selber etwas vor, genau wie all die anderen Frauenzimmer — seine Wärme ging auf mich über, und ich bildete mir schleunigst ein, ich sei warm. Obwohl ich wußte, daß man diese Illusion nicht lange aufrecht erhalten kann, jedenfalls nur solange, als von dieser Liebe nicht etwas verlangt wird. Andere Frauen begehen dergleichen in aller Harmlosigkeit, weil sie zwischen Gut und Böse nicht unterscheiden können und sich immer etwas vorlügen — so etwas kann ich aber zu meiner Entschuldigung nicht anführen —. Ich bin also in Wirklichkeit ebenso klein und egoistisch und verlogen wie die anderen. Daher kannst du sicher sein, Gert, daß ich schwerlich deine große und wahrhafte Liebe kennen lernen werde —.“

„Jenny,“ und wieder lächelte Gert sein melancholisches Lächeln, „ich, siehst du, — Gott weiß, ich bin weder groß noch stark, in Lüge und Schlechtigkeit hatte ich zwölf Jahre lang gelebt, und ich war zehn Jahre älter als du jetzt bist — ich sah da eine, die mich an dies Gefühl, von dem du jetzt so höhnisch sprichst, glauben lehrte — so fest, daß ich niemals daran zweifeln werde.“

Eine Weile war es still.

„Und du — bliebst bei ihr,“ sagte Jenny leise.

„Wir hatten beide Kinder. Ich sah damals noch nicht ein, daß ich nicht den geringsten Einfluß auf meine eigenen Kinder gewinnen würde. Schon gar nicht, wenn eine andere als ihre Mutter mein ganzes Herz und meine ganze Seele besaß. Sie war auch verheiratet. Schlecht verheiratet. Hatte ein kleines Mädchen. Das hätte sie wohl mit sich nehmen können. Der Mann war ein Trinker.

Ja, das war auch ein Teil der Strafe, siehst du — Strafe für das Verhältnis, in das ich mich eingelassen hatte — mit jener. Das mir nie etwas anderes gegeben hat als Befriedigung meiner Sinne —. Unser Verhältnis war zu schön, als daß es aus Lüge bestehen konnte. Unsere schöne, herrliche Liebe mußten wir verbergen wie ein Verbrechen —. Oh, kleine Jenny! — Es gibt kein anderes Glück, siehst du —.“

Sie ging zu ihm hin, während er sich erhob. Sie standen dicht beieinander, ohne sich zu rühren, und ohne zu sprechen.

„Ich muß gehen, Kleines,“ sagte er plötzlich gezwungen und trocken. „Ich muß zur üblichen Zeit zu Hause sein, weißt du. Sonst wird sie nur argwöhnisch —.“

Jenny nickte.

Gert Gram ging zur Tür, Jenny begleitete ihn.

„Du darfst nicht fürchten, daß dein Herz nicht lieben kann,“ lachte er plötzlich still. „Ich glaube, es ist ein stolzes kleines Herz, Jenny — und warm! Willst du mich weiter zu deinen Freunden rechnen?“

„Ja,“ sagte Jenny leise und reichte ihm die Hand. Er beugte sich nieder und küßte sie lange — länger als sonst.