Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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IX.

Gunnar Heggen und Jenny Winge wollten im November zusammen eine Ausstellung veranstalten. Aus diesem Anlaß kam er nach Kristiania. Den Sommer hatte er in Smaalene zugebracht, roten Granit, grüne Zweige und blauen Himmel gemalt. Später war er nach Stockholm gefahren, wo er ein Bild verkaufte.

„Wie geht es Cesca?“ fragte Jenny, als sie an einem Vormittag in ihrem Atelier bei einem Glase Whisky saßen.

„Ja — Cesca ...“ Gunnar trank einen Schluck aus seinem Glase, rauchte und blickte Jenny an und Jenny ihn.

Es war so traulich, wieder mit ihm zusammen zu sitzen und von Menschen und Dingen zu sprechen, von denen sie sich so weit entfernt hatte. Ihr war, als habe sie ihn und Cesca einst weit, weit fort von hier in einem Lande am Ende der Welt getroffen, dort mit ihnen gearbeitet, mit ihnen zusammen gelebt und die Freude gesucht.

Sie betrachtete das offene, sonnenverbrannte Gesicht vor ihr mit der schiefen Nase. Er hatte einmal als Kind einen Schlag darüber bekommen. „Und das hat Gunnars Physiognomie gerettet,“ pflegte Cesca zu sagen, „sonst wäre er der schrecklichste Typ eines schönen Mannes geworden.“ Das war damals in Viterbo gewesen.

Im Grunde hatte sie Recht. Zug um Zug besehen war er eigentlich eine richtige Bauernburschenschönheit mit seiner niedrigen, breiten Stirn unter dem braungelockten Haarschopf, mit den großen stahlblauen Augen und dem roten, vollen Munde mit der blanken Reihe weißer Zähne. Bis herab zum runden starken Hals hatte die Sonne ihn verbrannt und seine breite, eher gedrungene Gestalt wirkte fast brutal in ihrer gesunden, muskulösen Schönheit. Im Gegensatz hierzu stand der merkwürdig unschuldige, unberührte Ausdruck, der über dem sinnlichen Mund und den vollen Augenlidern lag und das unendlich feine Lächeln, das mitunter seine Lippen umspielte. Er hatte ein Paar richtige Arbeiterhände mit dicken Sehnen und groben Gelenken an den kurzen Fingern; aber er konnte sie auf eigene, lebhaft anmutige Art bewegen.

Etwas magerer war er geworden, sah aber sonst gesund und wohl aus, während sie sich so müde und unbefriedigt fühlte. Er hatte den ganzen Sommer hindurch gearbeitet, daneben griechische Tragödien, Keats und Shelley gelesen.

„Ich habe aber Lust, die Tragödien in der Ursprache zu lesen,“ sagte Gunnar. „Ich muß also jetzt Griechisch und Latein lernen.“

„Herrgott!“ sagte Jenny. „Ich fürchte, du wirst soviel zu lernen haben, ehe deine Seele Ruhe findet, daß dir schließlich keine Zeit mehr zum Malen bleibt, außer nach Feierabend.“

„Doch, Jenny, ich muß es lernen. Ich will nämlich einige Artikel schreiben.“

„Du auch? Willst du jetzt auch Artikel schreiben?“ Sie lachte.

„Ja, eine ganze Reihe über verschiedene Gegenstände. Unter anderem will ich anregen, daß wir wieder Griechisch und Latein in den Schulen einführen, wir müssen jetzt unbedingt etwas Kultur hier unter die Leute bringen.“

„Teufel!“ sagte Jenny.

„Ja, allerdings Teufel! Es kann nämlich so nicht weiter gehen. Zum nationalen Symbol wird ein rosenrot gefärbter Grütztopf mit einigen eingeritzten Schnörkeln erhoben, was dann eine ungeschickte Nachahmung der armseligsten aller europäischen Stilarten, des Rokoko, vorstellen soll. So sieht nämlich der Nationalismus hier oben aus. Du weißt selbst, den größten Eindruck macht es hierzulande, wenn ein Künstler oder gewöhnlicher Sterblicher mit der Schule oder Tradition bricht, wenn er die Uebernahme der Volkssitte und der Begriffe, die gewöhnliche zivilisierte Menschen von geziemender Lebensweise und Anständigkeit haben, verweigert. Ich habe nun einmal die Absicht, meinen Landsleuten zu erzählen, daß es unter den Verhältnissen, wie sie hier herrschen, eigentlich notwendiger wäre, wenn man versuchte, Verbindungen anzuknüpfen, einiges von den aufgehäuften Schätzen, die man im weiten Europa mit Kultur bezeichnet, sich anzueignen, zu erbeuten und in die heimatliche Höhle zu schleppen. Sie aber brechen ein kleines Glied aus dem Zusammenhang heraus, siehst du, ein einzelnes Ornament aus einem Stil, rein buchstäblich gesprochen, — dasselbe gilt auch für eine Geistesrichtung — schnitzen und klopfen daran herum, und zwar so ungeschickt und häßlich, bis es zuletzt unkenntlich geworden ist, und dann behaupten sie großspurig, es sei original und norwegisches Nationalpatent.“

„Nun ja. Aber diese Sünden beging man auch zu jener Zeit, als die klassische Bildung offizielle Grundlage für die ganze Bildung in unserem Lande war.“

„Ja, gewiß. Hier kannte man jedoch nur einen ganz kleinen Teil des Klassizismus. Ein Bruchstück. Ein wenig lateinische Grammatik wurde gepflegt. Nie hing bei uns ein Bild von dem, was man den klassischen Geist nennt, unter den Gemälden unserer hochehrwürdigen Vorväter. Solange das aber nicht der Fall ist, stehen wir außerhalb Europas. Solange wir nicht in der Historie der Griechen und Römer die älteste Geschichte unserer eigenen Kultur erkennen, haben wir auch keine europäische Kultur. Es kommt ja nicht darauf an, wie diese Geschichte in der Wirklichkeit aussah, sondern nur darauf, wie sie uns überliefert worden ist. Nehmen wir als Beispiel die Kriege zwischen Sparta und Messene: In Wirklichkeit handelte es sich nur um einige halbwilde Hirtenstämme, die sich in grauer Vorzeit bekämpften. Aber in der Ueberlieferung, wie sie uns überbracht ist, waren diese Kriege der klassische Ausdruck des Triebes eines gesunden Volkes, lieber bis zum letzten Mann unterzugehen als Gewalt an seiner Individualität und seinem Recht der Selbständigkeit zu dulden. Herr im Himmel, wir haben für unsere Ehre seit Jahrhunderten nicht mehr gekämpft, sondern statt dessen den Wanst mit einigen Millionen Sandkuchen und ganzen Ladungen von Grütze vollgepfropft. Zum Beispiel die Perserkriege: sie waren eigentlich ganz unbedeutend, doch für ein lebensfähiges Volk bedeuten Salamis, Thermopylae und Akropolis die Blüte aller ältesten und gesündesten Instinkte. Die Worte fahren fort zu leuchten, solange diese Instinkte Wert haben und solange ein Volk glaubt, seine Fähigkeiten behaupten zu müssen und auf seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft stolz sein zu dürfen. Und solange kann ein Dichter ein lebendiges Werk über Thermopylae schreiben und es mit seinen eigenen lebendigen Gefühlen erfüllen. Erinnerst du dich an Leopardis Ode auf Italien — ich las sie dir einmal in Rom vor?“

Jenny nickte.

„Etwas Rhetorik ist zwar dabei — aber bei Gott, sie ist herrlich! Nicht wahr? Er erzählt von Italia, der schönsten Frau, die gefesselt im Staube liegt, mit aufgelöstem Haar, und in ihren Schoß weint. Und dann wünscht er sich, einer der jungen Griechen zu sein, die in Thermopylae dem Tod entgegenschritten, unerschrocken, freudig, als ginge es zum Tanz. Ihre Namen sind geheiligt und Simonides singt sterbend Jubelgesänge vom Gipfel des Antelos. Dann gibt es all die alten, herrlichen Erzählungen, die wie Symbole und Parabeln wirken und niemals alt werden. Denk nur an Orpheus und Eurydike — wie einfach: den Glauben der Liebe schreckt selbst nicht der Tod — aber der Zweifel eines kurzen Augenblicks, und alles ist verloren. Hierzulande kennt man aber nur eine Operette darüber!

Engländer und Franzosen haben es verstanden, die alten Symbole für ihre neue, lebende Kunst zu verwenden. Dort draußen wurden in den glücklichen Zeiten doch noch Menschen geboren, deren Triebe und Gefühle so kultiviert waren, daß sie stark genug wurden, um uns der Atriden Schicksal verständlich zu machen, so daß es uns packte, als erlebten wir es in der Wirklichkeit. Auch die Schweden haben noch lebendige Verbindung mit dem Klassizismus. — Wir haben ihn nie gekannt. Was sind es dagegen für Bücher, die hier gelesen werden und — auch geschrieben? Sonnenstrahlerzählungen von geschlechtslosen Maskeradefiguren in Empiregewändern — dänische Schmutzbücher, die einen Mann über sechzehn nicht interessieren können. Oder ein grüner Bengel ereifert sich über das Mystische, Ewigweibliche eines kleinen Laufmädels, das naseweis ist und ihn betrügt, weil er nicht genügend gesunden Menschenverstand besitzt, um zu erkennen, daß der ganze Rebus zumeist mit dem spanischen Röhrchen zu lösen ist.“

Jenny lachte. Gunnar wanderte im Zimmer auf und ab.

„Hjerrild arbeitet wahrscheinlich jetzt auch an einem Buch über die Sphinx. Zufällig kenne ich die Heldin etwas näher. Nun ja, sie stand mir nicht so nahe, daß ich es der Mühe für wert hielt, sie durchzuprügeln. Aber immerhin hatte ich sie doch gern, und die ganze Sache widerte mich daher an. Mir wurde übel, als ich entdeckte, daß sie eben diese Heldin sein sollte. Aber durch die Arbeit bin ich darüber hinweggekommen, weißt du. — Im großen und ganzen, Jenny, gibt es kein Leid, das nicht durch die Arbeit zu überwinden wäre, glaube ich.“

Jenny schwieg eine Weile.

„Aber Cesca ...?“ fragte sie dann.

„Ach, Cesca! Sie hat sicher, seit sie verheiratet ist, keinen Pinsel angerührt. Als ich sie besuchte, öffnete sie mir selbst die Tür — sie haben kein Mädchen. Sie trug eine gestreifte Küchenschürze und hielt einen Besen in der Hand. Ihre Wohnung besteht aus einem Atelier und zwei kleinen Löchern, und im Atelier können sie natürlich nicht beide zugleich arbeiten, und außerdem legt die Wirtschaft ihre ganze Zeit mit Beschlag, wie sie sagte. Am ersten Vormittag, als ich dort war, krabbelte sie die ganze Zeit auf dem Fußboden herum — Ahlin war fort. Erst fegte sie mit einem Besen aus, dann kroch sie umher und wirtschaftete mit einer Hasenpfote unter den Möbeln, sie war nach diesen kleinen Flocken in den Winkeln aus, weißt du. Und dann scheuerte sie und wischte Staub, aber Herr im Himmel, wie ungeschickt sie alles anpackte! Dann ging ich mit ihr fort und kaufte zum Mittagessen ein, ich sollte bei ihnen essen. Später kam Ahlin; da verschwand sie in der Küche, und als das Essen endlich fertig war, da waren ihre kleinen Löckchen ganz naß vom Schweiß. Das Mittagessen war aber nicht schlecht. Sie wusch dann auf — aber wie ungeschickt und schwerfällig — rannte fort und spülte jedes Stück unter der Wasserleitung ab. Ahlin und ich halfen ihr. Zum Abendessen lud ich sie in die Stadt ein — die arme Cesca genoß es, sie freute sich, auf diese Weise nicht kochen und aufwaschen zu müssen. Kommen da noch Kinder hinzu — und das wird ja nicht ausbleiben — so kannst du sicher sein, daß es mit Cescas Malerei aus ist. Und das wäre bei Gott eine Schande — ich kann mir nicht helfen, aber es wäre sehr schade.“

„Ach, ich weiß nicht, Gunnar. Für eine Frau sind ja doch Mann und Kinder die Hauptsache. Früher oder später wird man sich jedenfalls doch danach sehnen.“

Gunnar blickte zu ihr hinüber. Dann seufzte er.

„Wenn sie sich nur gern haben! Glaubst du, daß Cesca glücklich mit Ahlin ist?“

„Wenn ich das wüßte, Jenny! Ja, ich glaube wohl, sie hat ihn sehr gern. Es ging jedenfalls dauernd ‚Lennart meint‘ und ‚findest du die Sauce gut, Lennart‘ und ‚willst du‘ und ‚soll ich‘. Sie hat sich natürlich ein fürchterliches Halbschwedisch angeeignet, wie du dir denken kannst. Ich muß sagen, ich verstehe das Ganze nicht recht — er war ja so verliebt in sie, und er ist nicht tyrannisch oder brutal, im Gegenteil. Aber sie ist so merkwürdig gedrückt und demütig geworden, die kleine Cesca. Daran können doch nicht nur diese Hausfrauensorgen Schuld sein, obgleich diese sie recht bedrücken. Ihre Anlagen waren in dieser Beziehung ja nicht gerade hervorragend, andererseits aber ist sie auf ihre Art ein gewissenhaftes kleines Wesen. Außerdem scheinen sie in sehr kleinen Verhältnissen zu leben. — Vielleicht,“ er lachte etwas frivol, „hat sie diesen oder jenen genialen Streich vollführt. Die Brautnacht dazu benutzt, von Hans Hermann und Norman Douglas zu erzählen, von Hjerrild und ihren anderen Erlebnissen, von Anfang bis zu Ende. Das kann ja dann leicht überwältigend gewirkt haben.“

„Cesca hat nun wahrhaftig aus ihren Geschichten nie einen Hehl gemacht, die mußte er doch von früher her kennen.“

„Ja gewiß. Aber es konnte sich ja um diese oder jene Pointe handeln, die sie bisher verschwiegen hatte, jetzt aber vielleicht meinte, ihm beichten zu müssen.“

„Pfui, Gunnar!“ sagte Jenny.

„Ja, zum Teufel auch — man weiß niemals, was man von Cesca eigentlich halten soll. Ihre Schilderung der Freundschaft mit Hans Hermann ist seltsam genug. Cesca hat vielleicht nichts getan, was man sozusagen unmoralisch nennt, dessen bin ich sicher. Ich begreife zum Kuckuck auch nicht, was das einem Manne ausmachen kann, ob seine Frau früher ein Verhältnis oder auch mehrere gehabt hat, wenn sie dabei nur rechtschaffen und loyal gehandelt hat. Denn diese Forderung nach physischer Unberührtheit ist ja im Grunde gemein. Hat eine Frau wirklich einen Mann geliebt und seine Liebe hingenommen, so ist es nichtswürdig, sich aus diesem Verhältnis zurückzuziehen, ohne ihm das Höchste haben opfern zu wollen. Natürlich wäre es mir am liebsten, daß meine dereinstige Frau keinen vor mir geliebt hätte. Und man weiß ja auch nicht, wie man bei seiner eigenen Frau urteilt. Es könnte ja sein, daß alte Vorurteile, egoistische Eitelkeit und dergleichen plötzlich auftauchen ...“

Jenny machte eine Bewegung, als wollte sie etwas sagen, schwieg dann aber.

Gunnar war am Fenster stehen geblieben. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und wandte ihr den Rücken zu:

„Nein, Jenny. Ich will dir sagen, was ich so traurig finde. Man trifft ganz selten einmal auf eine Frau, die wirklich in dieser oder jener Richtung Talente hat und Freude daran, sie zu entwickeln, zu arbeiten. Eine Frau, die Energie besitzt, die fühlt, daß sie ein Mensch ist und selbständig über Recht und Unrecht nachdenken kann. Sie hat vielleicht den Willen, ihre Fähigkeiten, soweit es sich lohnt, zu kultivieren, ihre guten und wertvollen Instinkte zu pflegen, und andere, die ihr schlecht und unwürdig erscheinen, zu unterdrücken. Und dann begegnet sie eines schönen Tages einem Manne. Da heißt es denn: Ade Arbeit und Entwicklung, und es ist vorbei mit der ganzen Herrlichkeit. Sie gibt ihr Selbst auf eines elenden Mannes wegen. Jenny — findest du das nicht auch traurig —?“

„Gewiß. Aber so sind wir nun einmal alle geschaffen!“

„Ich begreife euch nicht. Weißt du, warum ich glaube, daß wir Männer euch nie verstehen werden? Zu guterletzt geht es uns nicht in den Kopf, daß Wesen, die doch Menschen sein wollen, so vollständig jeglichen Selbstgefühls ledig sind. Und das ist bei euch der Fall. Die Frau hat keine Seele — wahrhaftig! Ihr gesteht ja mehr oder weniger offen ein, daß Liebesgeschichten das Einzige sind, das euch interessiert.“

„Es gibt aber auch Männer, bei denen dasselbe zutrifft; jedenfalls läßt ihr Lebenswandel darauf schließen.“

„Ja gewiß, aber ein vernünftiger Mann hat auch keinen Respekt vor solchen Schürzenjägern. Offiziell soll es doch nur als eine Art — nun sagen wir natürlichen Zeitvertreibs aufgefaßt werden, neben unserer Arbeit. Oder ein tüchtiger Mann will eine Familie gründen, weil er die Kraft in sich fühlt, für mehrere Menschen zu sorgen, als für sich allein, und einen Nachfolger für seine Arbeit haben will.“

„Ja, aber Gunnar, die Frau hat natürlich andere Aufgaben.“

„Ach still, das ist gar nicht der springende Punkt. Sie wollen ja überhaupt nicht Menschen sein und arbeiten, sondern nur Weibchen. Was zum Teufel soll das heißen, eine ganze Schar von Kindern in die Welt zu setzen, wenn sie doch nicht zu Menschen heranwachsen, sondern nur weiter fortpflanzen — wenn die Rohprodukte nicht bearbeitet werden?“

„Das stimmt allerdings,“ Jenny lachte.

„Natürlich stimmt das. Und was die Frau betrifft ... Ach, ich habe es von Kindheit an verfolgt und beobachtet. Aus meiner Zeit auf der Arbeiterhochschule entsinne ich mich eines Mädchens, mit dem ich zusammen englischen Unterricht hatte. Sie lernte englisch, um mit den ausländischen Kriegsschiffmatrosen sprechen zu können. Das Höchste, für das sich diese Mädels einzusetzen vermochten, war die Hoffnung auf eine Stellung in England oder Amerika. Wir Jungen, meine Kameraden und ich, wir studierten, um zu lernen, und das Gehirn zu schulen. Wir versuchten auf jede Art und Weise, das Wenige zu ergänzen, was wir in der Schule gelernt hatten. Die Mädels dagegen lasen nur Unterhaltungsbücher. Nimm zum Beispiel den Sozialismus! Kennst du eine einzige Frau, die überhaupt eine Ahnung davon hat, was er eigentlich bedeutet? Sie wissen es, wenn sie einen Mann haben, der ihnen diesen Begriff klargemacht hat. Versuche aber einer Frau zu erklären, warum die menschliche Gesellschaft verpflichtet ist, jedem Kinde, das geboren wird, die Möglichkeit zu geben, seine Anlagen zu entwickeln, wenn solche vorhanden sind, und das Leben in Freiheit und Schönheit zu leben, wenn es den wahren Sinn der Freiheit begreift und Schönheitssinn besitzt.

Was aber halten die Frauen für Freiheit? Es bedeutet für sie, daß sie jeder Arbeit ledig sein und ihrem Hang zur Unanständigkeit die Zügel schießen lassen dürfen. Und Schönheitssinn?! Der fehlt ihnen vollständig! Sie staffieren sich mit dem Teuersten und Abscheulichsten aus, was die Mode nur erfinden kann. Sieh dir doch ihre Häuser an! Je mehr Geld vorhanden, desto schlimmer sieht es in ihnen aus. Ist jemals eine Mode zu häßlich und schamlos, daß sie sich ihr nicht unterwerfen würden? Nein, wenn die Mittel nur da sind, wird alles mitgemacht. Das kannst du doch nicht abstreiten? — Von der Moral der Frauen will ich keine Silbe sagen, denn sie haben keine. Lassen wir es noch hingehen, wie sie sich gegen uns betragen — aber wenn ihr unter euch seid, so beklascht ihr euch gegenseitig und in welchen Tonarten! Pfui Teufel!“

Jenny lächelte leise. Sie mußte ihm Recht geben und auch wieder nicht, aber sie war zu einer Diskussion nicht aufgelegt. Sie fand aber, daß sie antworten müßte, so sagte sie:

„Das war eine grausame Salve — die ganze Armee auf einmal ruiniert.“

„Du kannst es schriftlich bekommen,“ sagte er zufrieden.

„Ja, du hast ja in vieler Beziehung Recht, Gunnar. Aber es sind doch unter den Frauen Unterschiede zu machen und seien es auch nur Gradunterschiede.“

„Natürlich sind Unterschiede zu machen. Aber laß es gut sein, Jenny, was ich sagte, gilt bis zu einem gewissen Grade auch allen, und weißt du, woher das kommt? Die Hauptsache ist euch allen ein Mann — einen, den ihr habt, oder einer, der euch fehlt. Das Einzige, das im Leben von wirklichem Wert und wirklichem Ernst ist — das hat für euch in Wirklichkeit keinen Wert. Ich meine die Arbeit. Die Besten unter euch nehmen es eine kurze Zeit hindurch ernst. Aber ich glaube wahrhaftig, das liegt daran, daß ihr die sichere Gewißheit habt, während ihr noch jung und schön seid, daß ‚er‘ wohl kommen wird. Geht die Zeit jedoch hin, und er zeigt sich noch immer nicht auf dem Schauplatz, fangt ihr dann an, betagter zu werden, so laßt ihr in der Arbeit nach, geht müde und mißmutig umher und fühlt euch unbefriedigt.“

Jenny nickte.

„Hör zu, Jenny. Ich habe dich immer ebenso hoch geschätzt wie einen ganzen Mann. Du bist jetzt bald neunundzwanzig Jahre, und so alt muß man sein, ehe man anfangen kann, einigermaßen selbständig zu arbeiten. Es ist doch nicht dein Ernst, daß du jetzt, nun du endlich dein eigenes Leben zimmern kannst, dir einen Mann und Kinder, Wirtschaft mit allem Drum und Dran aufladen möchtest, was dir an allen Ecken und Kanten Fesseln auferlegen, in deiner Arbeit immer nur im Wege sein würde?“

Jenny lachte still.

„Herrgott, Mädel! Wenn dir nun wirklich alles das beschert wäre, und du legtest dich hin, um zu sterben, umgeben von Mann und Kindern und deiner Welt, so würdest du doch bereuen und trauern, daß du nicht das Ziel erreichtest, wozu dir die Fähigkeiten zu Gebote standen, dessen bin ich sicher, Jenny!“

„Ja. Aber: Gesetzt den Fall, ich habe das Aeußerste erreicht, was meine Kraft mir gestattete, und ich weiß, in meiner Sterbestunde, daß mein Leben und meine Arbeit mich eine Zeitlang überdauern wird, und ich bin allein, es gibt kein lebendes Wesen, das mir innerlich nahe steht ... Glaubst du nicht, daß ich dann erst recht trauern und bereuen werde?“

Heggen schwieg.

„Ja gewiß,“ sagte er nach einer Pause. „Natürlich bedeutet Ehelosigkeit nicht das gleiche für Frauen wie für uns Männer. Man muß wohl in Betracht ziehen, daß sie außerhalb dessen gestanden haben, um das die Leute nun einmal am meisten Wesen machen in diesem Leben; und daß auf diese Weise eine ganze Reihe von seelischen wie körperlichen Organen unberührt dahinwelken muß. — Ach, Jenny, ich wünschte oft, daß du ein einziges Mal nur ein wenig leichtsinnig wärest, um mit dieser Unzufriedenheit abzurechnen und dann in Ruhe und Frieden weiterarbeiten zu können.“

„Frauen, die einmal ein wenig leichtsinnig gewesen sind, wie du es nennst, Gunnar, können nicht ohne weiteres mit dieser Unzufriedenheit fertig werden. War es das erste Mal eine Enttäuschung, so hoffen sie auf mehr Glück beim nächsten. Und wieder beim nächsten und immer so fort. Man gibt sich nicht mit Enttäuschungen zufrieden. Und ehe man sich’s versieht, ist es eine ganze Reihe von Malen geworden.“

„Zu denen gehörst du aber nicht,“ sagte er schnell.

„Danke! Es ist mir übrigens neu, daß du dergleichen predigst. Du hast früher selber gesagt, daß Frauen, die sich einmal in solche Dinge verwickelt haben, immer untergehen!“

„Die meisten wohl. Aber es muß auch einige andere geben. Ich spreche natürlich nicht von Frauen, die keine anderen Lebensinteressen haben, als einen Mann — man kann ja nicht dauernd seinen Lebenszweck ändern. Ich meine die anderen, die etwas an sich bedeuten — etwas anderes sind als nur Weibchen. Warum solltest zum Beispiel du nicht ehrlich und loyal an einem Manne handeln, selbst wenn ihr Beide einsähet, daß du nicht deine Welt aufgeben und dich verpflichten kannst, für den Rest des Lebens nur sein Weib zu sein? Denn die Liebe hört ja immer einmal auf, früher oder später. Das darfst du um Gotteswillen nicht anzweifeln!“

„Ja, das wissen wir immer genau — und zweifeln trotzdem daran.“ Sie lachte. „Ach nein. Entweder liebt man — und dann glaubt man auch, es währt ewig und es ist das Einzige, das Wert hat. Oder man liebt nicht — und ist unglücklich, daß man es nicht tut.“

„Jenny, ich kann es nicht mit anhören, daß du so sprichst. Sich seiner Kraft bewußt sein, alle Muskeln spannen, bereit sein, aufzunehmen und zu erobern, zu formen und zu gestalten, das Letzte aus seinem Können ans Tageslicht bringen, arbeiten, das ist das Einzige, das Wert besitzt, Jenny!“