Heggen reiste ab und Oberstleutnant Jahrmann kehrte mit seiner ältesten Tochter zurück. Diese fuhren dann wieder weiter zu einer verheirateten Schwester Franziskas.
Cesca und Jenny waren nun wieder allein auf Tegneby. Sie gingen jede für sich umher, in ihre Gedanken eingesponnen.
Jenny wußte jetzt bestimmt, daß sie schwanger war. Was es aber in Wirklichkeit bedeutete, hatte sie sich noch nicht klargemacht. Versuchte sie, ein wenig in die Zukunft zu denken, so streikte ihre Phantasie. Eigentlich war ihr jetzt ungleich wohler zumute, als in den verzweifelten Wochen, als sie unablässig darauf wartete, daß es sich als Irrtum erweisen sollte.
Sie tröstete sich damit, daß sich wohl ein Ausweg für sie, wie für die vielen anderen, finden würde. Von ihrer Reise ins Ausland hatte sie ja schon seit dem Herbst gesprochen. Wie an eine schwache Möglichkeit dachte sie an Paris — dorthin zu fahren und zu einer age-femmes zu gehen. Aber sie mochte es sich nicht genauer überlegen.
Ob sie überhaupt Gert gegenüber erwähnen wollte, wie es mit ihr stand, wußte sie nicht. Sie hatte die Absicht, es nicht zu tun.
Wenn sie nicht mit sich selbst beschäftigt war, so dachte sie an Cesca. Mit ihr war auch etwas nicht so, wie es sollte. Trotzdem war sie sicher, daß Cesca Ahlin sehr gern hatte. War er es, der sich nichts mehr aus ihr machte?
Cesca hatte es schwer gehabt das Jahr hindurch, während sie verheiratet gewesen, das merkte Jenny. Sie war so klein und schüchtern geworden. Furchtbar beschränkt waren ihre Verhältnisse, und sie saß abends eine Stunde nach der anderen auf Jennys Bettrand und klagte über ihre häuslichen Widerwärtigkeiten. Stockholm war so teuer und billiges Essen herzustellen war schwer, wenn man so etwas nicht gelernt hatte. Alle Hausarbeit ging schwer von der Hand, wenn man so irrsinnig erzogen worden war wie sie. Und es war zum Verzweifeln, daß man die Arbeit, kaum daß sie getan war, wieder von neuem in Angriff nehmen mußte. Sowie sie das Haus gereinigt hatte, war es wieder schmutzig, und kaum war sie mit dem Essen fertig, mußte aufgewaschen werden — und dann hatte sie schon wieder Essen zu kochen und wieder abzuwaschen. — Wenn Lennert auch versuchte, ihr zu helfen, so war er doch ebenso ungeschickt und unpraktisch wie sie selbst. Dazu kamen ihre Sorgen um ihn — das Monument hatte er nicht bekommen — niemals begegnete er einer Anerkennung, trotzdem er doch so begabt war. Er war aber nur zu vornehm, sowohl als Mensch wie als Künstler. Das war nun eben nicht zu ändern, sie wünschte ja auch nicht, daß er anders wäre. Dann diese langwierige Krankheit im Frühling — zwei Monate hatte er an Scharlachfieber und Lungenentzündung und anderen Krankheiten, die eine Folge davon waren, gelegen — diese Zeit hatte Cesca furchtbar angegriffen.
Da war aber etwas anderes, wovon Cesca nicht sprach — das fühlte Jenny. Jenny wußte auch, sie konnte nicht so gegen Cesca sein wie früher, sie hatte nicht mehr das ruhige Herz und den offenen Sinn, um anderer Sorgen hinnehmen und trösten zu können. Es schmerzte sie, daß sie Cesca nicht helfen konnte.
Cesca war eines Tages nach Moß gefahren, um Einkäufe zu machen. Jenny wollte sie nicht begleiten, so blieb sie denn daheim und vertrieb sich die Zeit im Garten. Sie las, um nicht zu denken, und begann, Muster zu stricken, weil sie die Gedanken nicht bei ihrer Lektüre sammeln konnte. Aber sie verzählte sich bei der Arbeit, mußte trennen und strickte wieder, indem sie sich zwang, aufzupassen.
Cesca kam nicht zum Essen nach Hause, wie sie versprochen hatte. Jenny aß schließlich allein und beschäftigte sich den Nachmittag über, so gut es ging. Sie rauchte, aber die Zigaretten schmeckten nicht, sie strickte, aber die Arbeit sank ihr jeden Augenblick in den Schoß.
Endlich gegen zehn Uhr fuhr Cesca die Allee herauf. Jenny war ihr entgegengegangen. Gleich nachdem sie zu ihr auf das Wägelchen gestiegen war, sah sie, daß irgendetwas vorgefallen sein mußte. Aber keine von ihnen sprach.
Erst gegen Ende der Mahlzeit, als sie bei der letzten Tasse Tee saßen, sagte Franziska, ohne Jenny anzublicken, leise:
„Weißt du, wen ich heute in der Stadt traf?“
„Nein?“
„Hans Hermann. — Er ist zu Besuch auf Jelö. Dort lebt ein altes, reiches Fräulein Oehrn, bei der er wohnt. Sie protegiert ihn sozusagen in Allem.“
„Ist seine Frau mit?“ fragte Jenny nach einer Weile.
„Nein, sie sind jetzt geschieden. Die Aermste, sie verlor ihren kleinen Jungen im Frühling, ich las es in der Zeitung.“
Dann begann Cesca von anderen Dingen zu sprechen.
Als Jenny sich aber niedergelegt hatte, schlich sie zu ihr hinüber. Sie kroch ins Himmelbett hinauf, setzte sich ans Fußende, zog die Beine hoch und deckte ihren Nachtrock darüber. Die Arme über die Knie verschränkt, saß sie in der weißen Dämmerung des Bettes; das schwarzhaarige Köpfchen hob sich wie ein dunkler Schattenfleck gegen die hellen Gardinen ab.
„Du, ich reise morgen nach Hause. Ich telegraphiere morgen früh an Lennart, und mittags fahre ich dann. Du weißt ja, Jenny, daß du durchaus hier bleiben darfst, solange du Lust hast. Du mußt mich nicht für rücksichtslos halten, aber ich wage es nicht, ich reise sofort.“
Sie atmete schwer.
„Ich verstehe es nicht, Jenny. Ich habe mit ihm gesprochen und er hat mich geküßt, und doch schlug ich nicht nach ihm. Ich hörte allem zu, was er mir sagte, und ich schlug ihm nicht einmal mitten ins Gesicht. Ich liebe ihn nicht mehr, das weiß ich jetzt, und dennoch hat er diese Macht über mich. Weißt du, daß ich Furcht habe? Ich wage nicht hierzubleiben, denn ich weiß nicht, wozu er mich verleiten könnte. Wenn ich jetzt an ihn denke, so hasse ich ihn, aber ich werde geradezu versteinert, wenn er spricht. Ich kann nicht verstehen, daß ein Mensch so zynisch sein kann, so brutal, so schamlos! Es ist geradezu, als könne er nicht begreifen, daß es etwas gibt, was Ehre und Scham heißt. Er rechnet nicht damit und glaubt nicht, daß es andere tun. Er geht ohne weiteres davon aus, daß es nur aus Berechnung geschieht, wenn wir anderen an Recht und Unrecht glauben. Es ist mir, als hypnotisierte er mich damit. Denk dir, ich bin den ganzen Nachmittag mit ihm zusammen gewesen, und ich hörte mir an, was er sagte. Ach Gott, er sprach davon, daß ich jetzt verheiratet sei und daß ich nun meiner Tugend wegen nicht so zimperlich zu sein brauchte oder wie er sagte. Uebrigens deutete er an, daß er jetzt frei sei und daß ich mir irgendwie Hoffnungen machen dürfte, glaube ich. Er küßte mich im Park, und mir war, als müßte ich aus vollem Halse schreien, aber ich konnte nicht einen Laut hervorbringen. O Gott, wie war mir Angst! Er sagte, er käme übermorgen hier hinaus — morgen haben sie große Gesellschaft. Und die ganze Zeit ging er mit dem Lächeln umher, vor dem ich schon früher solche Furcht hatte. —
Muß ich nicht reisen, wenn es so mit mir steht?“
„Doch, Cesca.“
„Ich bin sicher eine Gans. — Aber du begreifst —“ rief sie plötzlich heftig aus. „Ich wage es nicht, mich auf mich selbst zu verlassen. Aber eines kannst du mir glauben: wäre ich Lennart untreu geworden, weiß Gott, ich ginge geradenwegs zu ihm und erzählte es ihm, und dann brächte ich mich sofort vor seinen Augen um —.“
„Liebst du deinen Mann?“ fragte Jenny leise.
Franziska schwieg einen Augenblick.
„Ich weiß es nicht. Wenn ich ihn richtig lieb hätte, so wie man soll, dann hätte ich keine Angst vor Hans Hermann. Meinst du nicht auch, daß ich Hans dann hätte ohrfeigen müssen, wenn er mich so behandelte und mich küßte? Aber jedenfalls weiß ich, daß ich nicht würde weiterleben können, wenn ich Lennart Unrechtes angetan hätte, verstehst du. Während ich Franziska Jahrmann war, war ich nicht weiter vorsichtig mit dem Namen. Aber jetzt heiße ich Franziska Ahlin. Und hätte ich nur den Schatten eines Mißtrauens auf diesen Namen fallen lassen — seinen Namen — so verdiente ich, daß er mich wie eine Dirne niederschösse. Dazu ist Lennart nicht imstande, aber ich bin es, das weiß ich —.“
Sie löste ihre Glieder plötzlich aus der verschlungenen Stellung und schmiegte sich dicht an Jenny.
„Nicht wahr, du glaubst an mich? Meinst du wohl, daß ich leben könnte, wenn ich etwas Ehrloses getan hätte?“
„Nein, Cesca.“ Jenny zog sie an sich und küßte sie. „Ich glaube nicht, daß du es könntest.“
„Ich weiß nicht, was Lennart denkt. Er versteht mich nicht, siehst du. Wenn ich aber nach Hause komme, so sage ich ihm alles. Wie es ist. Das muß sein.“
„Cesca,“ sagte Jenny sanft. Aber dann wollte sie doch nicht fragen, ob Cesca glücklich war.
Aber Cesca begann von selbst zu erzählen.
„Ich habe es die ganze Zeit über schwer gehabt, siehst du. Es ist nicht alles so einfach gegangen, das kannst du glauben. Ich war in vieler Beziehung so unvernünftig, als ich mich verheiratete. Ich nahm Lennart ja, weil Hans wieder anfing, mir zu schreiben, nachdem er geschieden war, und weil er schrieb, daß er mich jetzt haben wollte. Ich hatte aber vor ihm Angst und wollte nicht wieder mit dergleichen beginnen. Das alles sagte ich Lennart, und er war so fein und lieb; er verstand alles und ich fand, er sei der großartigste Mensch auf der ganzen Welt. Das ist er auch, das weiß ich sehr gut. Aber dann tat ich etwas Entsetzliches. Lennart kann es nicht verstehen und ich weiß, er wird es mir nie verzeihen. Vielleicht ist es verkehrt von mir, es zu erzählen, aber ich verstehe es doch nicht, Jenny. Ich muß einen Menschen fragen, ob es so schlimm ist, daß ein Mann es nie verzeihen kann. Und du mußt mir ganz offen antworten, ganz offen, hörst du, ob du glaubst, daß es nie wieder gutzumachen ist .... Wir reisten nachmittags, nach Rocca di Papa, nachdem wir getraut waren. Du weißt ja, welch furchtbare Angst ich davor hatte und wie mir davor graute. Dann am Abend, als Lennart mich in unser Zimmer führte und ich das große Doppelbett sah, begann ich fürchterlich zu weinen. Lennart war aber so lieb — ich sollte dem entgehen, so lange ich selbst wollte. Das war an einem Sonnabend. Wir hatten es nicht besonders gemütlich, das heißt Lennart nicht, glaube ich. Ich wäre ja heilfroh, auf diese Art verheiratet zu sein. Jeden Morgen, wenn ich erwachte, war ich so dankbar, aber ich durfte fast nicht meinen eigenen Gatten küssen. Dann am Mittwoch waren wir auf den Gipfel des Monte Cavo hinaufgestiegen. Es war so wunderbar schön dort oben. Wir schrieben Ende Mai und die Sonne schien. Der Kastanienwald, eben aufgesprungen, leuchtete, der Goldregen blühte wie toll an den Hängen herab, und am Wege entlang standen unzählige weiße Blumen und Lilien. Die Luft war ganz dunstig von der Sonne — es hatte einige Stunden vorher geregnet — und der Nemisee und Albanersee lagen silberweiß vor uns unter dem Waldabhang, umgeben von all den kleinen weißen Städten. Drüben die ganze Campagna und Rom in einen weißen Nebelschleier gehüllt. Und ganz fern das Mittelmeer wie ein matter Goldrand am Horizont. O, es war so herrlich, so herrlich, und ich fand das Leben so wunderbar, nur Lennart war traurig. — Ich fühlte, er war der vorzüglichste Mensch auf der Welt und ich hatte ihn so grenzenlos lieb, das andere war nur furchtbarer Unsinn, das empfand ich plötzlich. Da schlang ich die Arme um seinen Hals und sagte: ‚Jetzt will ich ganz dein werden, denn ich liebe dich —.‘“
Cesca schwieg und atmete schwer.
„Ach Gott, Jenny, der Junge wurde so glücklich, der Aermste.“ Sie verschluckte ihre Tränen. „Ja, er wurde froh. ‚Jetzt,‘ sagte er, ‚hier?‘ Er nahm mich auf den Arm und wollte mich in den Wald hineintragen. Ich aber wehrte mich und sagte: ‚heute Nacht, heute Nacht!‘ O, Jenny, ich verstehe ja nicht, warum ich es tat, eigentlich wollte ich es aber doch. Es wäre schön gewesen, in dem tiefen Wald mit der Sonne über uns. Aber ich tat, als wollte ich nicht — Gott mag wissen, warum. Dann am Abend, als ich mich zur Ruhe gelegt und nun die vielen Stunden hindurch auf diesen Augenblick gewartet hatte, als dann Lennart kam — ja, da begann ich denn wieder zu heulen —. Doch da raste er hinaus, siehst du, und blieb die ganze Nacht über weg. Ich lag wach. Ich weiß nicht, wo er geblieben war. Wir reisten am nächsten Vormittag nach Rom zurück und wohnten im Hotel. Lennart mietete zwei Zimmer, aber ich ging zu ihm hinein. Schön war es aber dann nicht mehr. Seitdem ist es zwischen mir und Lennart nie wieder gut geworden. Ich verstehe wohl, daß ich ihn furchtbar gekränkt haben muß. Aber du sollst mir sagen, Jenny, ob du glaubst, daß ein Mann so etwas vergessen oder verzeihen kann?“
„Er müßte später eingesehen haben,“ sagte Jenny leise und unsicher, „daß du es damals nicht verstandest, die Gefühle nicht kanntest, die du gekränkt hast.“
„Nein.“ Cesca erschauerte. „Ich verstehe es jetzt. Ich verstehe, daß es etwas Fleckenloses, Reines und Schönes war, das ich beschmutzte. Aber ich wußte es damals nicht. Jenny — kann eines Mannes Liebe das niemals überwinden?“
„Sie müßte es können. Du hast ja späterhin bewiesen, daß du seine gute, treue Frau sein wolltest. Jetzt im Winter rackertest du dich ab, mühtest du dich ab und klagtest nicht. Im Frühling, als er krank war, wachtest du Nacht für Nacht, pflegtest ihn Woche für Woche.“
„Das war ja gar nichts,“ sagte Cesca eifrig. „Er war so gut und geduldig und half mir, so viel er konnte, bei meiner mühevollen Arbeit, wie du es nennst. Und während seiner Krankheit kamen hin und wieder Freunde von ihm und halfen bei der Nachtwache. In der Woche, als er fast im Sterben lag, hatten wir übrigens auch eine Schwester, aber ich wachte trotzdem, weil ich so gern wollte, verstehst du, aber ich hätte es natürlich nicht nötig gehabt.“
Jenny küßte Cesca auf die Stirn.
„Aber etwas habe ich dir noch nicht erzählt, Jenny. Ja, du hast mich auch vor dem gewarnt, wofür mir der Instinkt fehlte, und Gunnar hatte gescholten. Fräulein Linde sagte sogar einmal frei heraus, weißt du noch, daß ein Mann, wenn man ihn aufreizte, zu einer anderen ginge —.“
Jenny erstarrte vor Schreck.
Cesca nickte in die Kissen:
„Ja, ich fragte ihn also so etwas Aehnliches — an jenem Morgen —.“
Jenny lag vollkommen sprachlos da.
„Ich kann mir denken, daß er das nicht vergessen kann. Und nicht verzeihen. Wenn er es nur ein wenig entschuldbar fände, sich vorstellen könnte, wie grenzenlos unerfahren ich alles ansah. Aber später —“ Sie suchte nach Worten. „Es ist — so unharmonisch zwischen uns geworden — alles. Es ist, als wollte er mich nicht anrühren; geschieht es, dann ist es gegen seinen Willen und hinterher ist er böse, sowohl auf sich selbst als auf mich. Trotzdem ich versucht habe, es ihm zu erklären. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht recht, was eigentlich dabei ist. Ich habe keinen Widerwillen mehr dagegen, wenn ich ihm eine Freude damit machen kann. Alles, womit ich Lennart eine Freude bereiten kann, ist gut und schön für mich. Er glaubt, es seien Opfer, aber das ist nicht wahr, im Gegenteil. O, ich habe Nacht für Nacht in meinem Zimmer geweint, weil ich wußte, er sehnte sich nach mir, ich habe versucht, ihn herbeizulocken, Jenny, mit dem Bißchen, das ich konnte — und er stößt mich von sich —. Ich habe ihn so gern, Jenny. Sag mir, kann man nicht sehr gut einen Mann auf diese Art liebhaben? Kann ich nicht sehr gut sagen, ich liebe Lennart?“
„Doch, Cesca.“
„O, wie verzweifelt war ich! Aber ich kann doch nichts dafür, daß ich so geschaffen bin. Dann, wenn wir mit anderen Künstlern ausgingen, war er schlechter Stimmung. Er sagt nichts, aber ich weiß, er findet, daß ich mit ihnen kokettiere. Das ist sicher wahr, denn ich werde guter Laune, wenn ich auswärts essen darf und einen Abend kein Essen zu kochen und hinterher nicht aufzuwaschen brauche. Manchmal war ich auch froh, nicht mit Lennart allein sein zu müssen, trotzdem ich ihn gern habe und er mich — das tut er, o ja, das weiß ich wohl, und frage ich ihn danach, so sagt er: das weißt du ja, und lacht dann so seltsam und bitter. Aber er vertraut mir nicht, weil ich ihn nicht so — sinnlich — lieben kann und trotzdem kokett bin. Einmal sagte er, ich ahnte ja nicht, was Liebe bedeute, und es wäre wohl seine Schuld, daß er mich nicht habe erwecken können, es würde aber vielleicht ein anderer kommen — o Gott, wie ich weinte. Dann jetzt im Frühjahr. Du weißt ja, wir haben nicht viel zum Leben. Gunnar verkaufte mir das Stilleben, das ich vor drei Jahren ausgestellt hatte, für dreihundert Kronen. Wir lebten viele Monate von diesem Geld, aber Lennart mochte nicht, daß wir Geld verbrauchten, das ich verdient hatte. Ich verstehe ja nicht, was das ausmachen soll, wenn wir uns liebhaben. Aber er sagt immer, daß er mich ins Elend hinabgezerrt habe. Schulden haben wir auch, natürlich. Ich wollte dann einmal an Papa schreiben und ihn bitten, mir einige hundert Kronen zu schicken. Aber das durfte ich nicht. Ich fand es so ungerecht — Borghild und Helga hatten zu Hause gelebt und alles von Papa bekommen. Er hat sie ins Ausland geschickt, während ich mich von dem kleinen Erbteil von Mama durchgespart und durchgeschlagen habe, seit ich mündig wurde, weil ich nicht einen Oere von Papa annehmen wollte, nachdem er das zu mir gesagt hatte, als ich mit Leutnant Kaarsen auseinanderging und dieses Gerede über mich und Hans entstand. Aber er hat es zurückgenommen und gibt jetzt zu, daß ich Recht hatte. Es war gemein, sowohl von Kaarsen als von denen zu Hause, mich zwingen zu wollen, weil er mich zu der Verlobung verleitet hatte, als ich siebzehn Jahre alt war und nicht wußte, daß eine Ehe etwas anderes bedeutet als das, was in den verdammten Backfischbüchern steht. Als ich anfing, es zu verstehen, wußte ich, daß ich mich lieber umbringen würde als mich mit ihm zu verheiraten. Hätten sie mich aber dazu gebracht — oh, ich wäre reizend geworden, ich hätte alle Liebhaber genommen, die ich hätte bekommen können, nur aus Trotz, um mich an ihnen allen zu rächen. Papa versteht es jetzt und hat gesagt, daß ich Geld von ihm bekommen könne, wenn ich wolle —. Als aber Lennart so krank war und so elend, als sie dann sagten, er müßte aufs Land, um gut zu leben, und als ich selbst so müde und elend war, da sagte ich zu ihm, daß ich aufs Land müßte, um mich auszuruhen, weil ich ein Kindchen bekäme. So durfte ich denn an Papa schreiben und um Geld bitten, wir reisten hinauf nach Vermland und lebten dort so herrlich, Lennart erholte sich gut und ich begann, wieder zu malen. Aber allmählich merkte er natürlich, daß ich doch kein Kind bekam. Als er fragte, ob ich mich nicht geirrt hätte, sagte ich ihm, ich hätte gelogen, denn ich wollte ihn jetzt nicht wieder belügen. Darüber ist er aber auch böse, das weiß ich. Ich glaube, er traut mir nicht recht und das ist so schrecklich. Wenn er mich verstände, so müßte er doch an mich glauben, meinst du nicht?“
„Doch, Cesca.“
„Ich habe es früher schon einmal gesagt, daß ich ein Kindchen bekommen würde — im Herbst, als er so traurig war und es uns so schlecht ging. Damit er fröhlich werden sollte und lieb zu mir. Das war er dann auch — o, du kannst dir nicht denken, wie herzlich es war. Ich hatte gelogen, aber denke dir, ich glaubte zum Schluß selber daran, daß es wahr wäre. Ich meinte, Gott würde es so einrichten, damit ich ihn nicht zu enttäuschen brauchte. Aber daraus wurde freilich nichts. Ich bin so verzweifelt, daß ich kein Kind bekomme. Jenny, glaubst du, daß es wahr ist: manche sagen —“ sie flüsterte bebend — „daß eine Frau, die keine solche — Leidenschaft empfinden kann, keine Kinder bekommt?“
„Nein,“ sagte Jenny hart. „Das ist bestimmt nur Unsinn.“
„Ich weiß ganz sicher, daß dann alles gut würde. Lennert wünscht es so furchtbar. Und ich — ja, ich glaube, ich würde ein wahrer Engel werden aus Freude, wenn ich mein eigenes Kindchen hätte. Kannst du dir so etwas wunderbar Schönes vorstellen?“
„Ja,“ flüsterte Jenny mühsam. „Wenn ihr euch doch liebt. Es würde über viele Hindernisse hinweghelfen.“
„Ach gewiß. Wenn es nicht so peinlich wäre, würde ich einmal zu einem Arzt gehen. Ich glaube übrigens, daß ich es eines Tages tue. Meinst du nicht, daß ich es sollte? Wenn ich mich nur nicht so genierte — aber das ist dumm. Es ist ja übrigens einfach meine Pflicht, wenn ich verheiratet bin. Ich kann ja zu einer Aerztin gehen, zu einer verheirateten Frau, die Kinder und alles hat. O denk dir nur: ein kleines winziges Wesen, das einem selbst gehört, wie froh würde Lennart sein!“
Jenny biß in der Dunkelheit die Zähne zusammen.
„Meinst du nicht, daß ich morgen reisen sollte?“
„Doch.“
„Ich sage Lennart alles. Ich weiß nicht, ob er es verstehen wird, wenn ich es auch selbst nicht kann. Aber ich will ihm immer die Wahrheit sagen. Muß ich das nicht, Jenny?“
„Wenn du es für richtig hältst, so sollst du es tun. Ach, Cesca, man sollte immer das tun, was man für recht hält und niemals das, wovon man nicht sicher weiß, ob es richtig ist, Cesca.“
„Ja, das ist wahr! Gute Nacht, meine Jenny, ich danke dir.“ Sie drückte plötzlich die Freundin heftig an sich. „Es ist so herrlich, sich mit dir auszusprechen. Du verstehst es so gut, mich richtig zu nehmen. Du — und Gunnar. Ihr bringt mich immer auf den rechten Weg. Ich wüßte nicht, was ich ohne dich tun sollte.“
Sie stand einen Augenblick neben dem Bett:
„Kannst du nicht im Herbst über Stockholm fahren? O, tu es doch! Du kannst bei uns wohnen, ich bekomme jetzt tausend Kronen von Papa, das soll nämlich auch Borghild für eine Pariser Reise erhalten.“
„Ich weiß nicht recht. Ich hätte schon Lust?“
„Ach tu es doch! Bist du schläfrig? Soll ich gehen?“
„Ja, ich bin ein wenig müde.“ Sie zog Cesca zu sich herab und küßte sie. „Gott behüte dich!“
Cesca schlürfte mit den bloßen Füßen über den Fußboden. In der Tür sagte sie mit ihrer kleinen traurigen Kinderstimme:
„Ich wünschte so sehr, daß Lennart und ich glücklich würden, du!“