Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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IV.

Gert und Jenny gingen unter den mageren Nadelbäumen Seite an Seite über den Weg hinab. Einmal stand er still und pflückte einige vertrocknete Erdbeeren, sprang ihr nach und steckte sie ihr in den Mund. Sie lächelte ein wenig zum Dank und er nahm ihre Hand, während sie hinunter gingen, dem Wasser zu, das hinter den Bäumen unter der Sonnenbrücke bläulich schimmerte.

Er sah fröhlich und jung aus in dem hellen Sommeranzug. Der Panamahut verbarg sein Haar.

Jenny setzte sich an den Waldrand und Gert streckte sich vor ihr im Schatten der großen Hängebirken aus.

Es war glühend heiß und still. Der Grashügel, der am Strande auslief, war gelbgefärbt vom Sonnenbrand. Ueber Nesodden stand eine metallblaue Dunstwolke, hinter deren Rand einige Wölkchen hervorglitten, rauchgelb und weißlich. Der Fjord breitete sich lichtblau aus, von quirlenden Stromstreifen unterbrochen; die Segler weit draußen lagen still und weiß auf der Fläche und der Rauch der Dampfschiffe stand unendlich lange in grauen Streifen in der schwülen Luft.

Aber zwischen den Steinen, die von der Ebbe bloßgelegt waren, rieselte das Wasser, und die rankenartigen Zweige der Hängebirken bewegten sich ganz sacht über ihnen, indem hin und wieder ein Blatt, in der Trockenheit verdorrt, herniedersank.

Gert nahm eines, das sich in ihrer lichten Haarflut verfangen hatte, fort, sie hatte den Hut abgelegt. Er betrachtete das Blatt:

„Ist es nicht sonderbar, daß es in diesem Jahre nicht regnen kann, du? Ihr Frauen habt es gut, ihr dürft so dünn gekleidet gehen. Dein Kleid sieht übrigens wie Halbtrauer aus, wenn du nicht die hellrosa Perlen trägst, aber es steht dir außerordentlich gut!“

Das Kleid war weiß und durchsichtig, mit kleinen schwarzen Blumen gemustert, überall gekräuselt und von einem strammen schwarzseidenen Gürtelband zusammengehalten. Der Strohhut, den sie im Schoß hatte, war ebenfalls schwarz, mit schwarzen Sammetrosen geziert. Nur die blaßroten Krystallperlen leuchteten auf der reinen Haut des Halses.

Er beugte sich vor, so daß er ihren Fuß gerade über dem Ausschnitt des Schuhes küssen konnte. Dann strich er mit zwei Fingern über die feine Biegung des Spanns mit dem durchsichtigen Strumpf und faßte um ihre Knöchel.

Kurz darauf schob sie behutsam seine Hand zurück, er griff nach der ihren, hielt sie fest und lächelte zu ihr empor. Sie lächelte zurück, dann drehte sie den Kopf nach der anderen Seite.

„Du bist so still, Jenny, ist dir die Wärme lästig?“

„Ja,“ sagte sie. Dann schwiegen sie wieder.

Ein Stück Weges von ihnen entfernt, dort wo sich ein Villengarten bis zum Wasser erstreckte, trieben einige halbwüchsige Jungen auf der Badehausbrücke ihr Spiel. Oben im Hause schnarrte ein Grammophon. Ab und zu wehten Klänge der Musik vom Seebade zu ihnen herüber.

„Du, Gert —“ Jenny hielt plötzlich seine Hand fest. „Wenn ich einige Tage oben bei Mama gewesen und dann wieder in die Stadt zurückgekehrt bin, reise ich fort.“

„Wieso?“ Er stützte sich auf seinen Ellenbogen. „Wohin willst du reisen?“

„Nach Berlin,“ sagte Jenny. Sie fühlte selbst, wie ihre Stimme zitterte.

Gert blickte ihr ins Gesicht, schwieg aber still. Auch sie sprach nicht.

Schließlich meinte er:

„Wann hast du dich dazu entschlossen?“

„Eigentlich ist es die ganze Zeit hindurch meine Absicht gewesen — das weißt du ja — wieder ins Ausland zu gehen —“

„Ja, gewiß. Aber, wann hast du dich entschlossen, jetzt zu reisen?“

„Im Sommer auf Tegneby.“

„Ich wünschte, du hättest es mir eher gesagt, Jenny,“ sagte Gram. Obgleich seine Stimme leise und ruhig klang, schnitt sie ihr in die Seele.

Sie zögerte.

„Ich wollte es dir sagen, Gert. Nicht schreiben, sondern sagen. Als ich an dich schrieb und dich bat, gestern hierher zu kommen, hatte ich es dir sagen wollen. Aber ich kam nicht dazu —.“

Sein Antlitz färbte sich steingrau.

„Ich verstehe. Aber Gott des Himmels, Kind, wie mußt du es schwer gehabt haben!“ rief er plötzlich aus.

„Ja,“ sagte Jenny ruhig. „Am meisten deinetwegen, Gert. Ich bitte dich nicht, mir zu verzeihen.“

„Ich — dir? Ach, du großer Gott, kannst du mir verzeihen, Jenny —? Ich ahnte ja, daß dieser Tag kommen würde.“

„Das ahnten wir wohl beide,“ sagte sie wie vorher.

Er warf sich plötzlich auf den Boden und bohrte das Gesicht in den Sand. Sie beugte sich nieder und legte ihre Hand auf seinen Nacken.

„Kleine, kleine, kleine Jenny — oh, kleine Jenny, was habe ich dir getan!“

„Lieber —“.

„Mein weißes Vögelchen, habe ich dich mit meinen häßlichen, schmutzigen Fäusten berührt, deine weißen Flügel befleckt?“

„Gert!“ Sie ergriff seine Hände und sprach schnell und heftig. „Hör zu. Du hast mir doch nur Gutes erwiesen, ich bin es ja, die —. Ich war so müde, und du botest mir eine Ruhestätte, ich fror, und du wärmtest mich. Ich mußte ausruhen und ich mußte gewärmt werden, ich mußte fühlen, daß ein Mensch mich liebte. Herrgott, Gert, ich wollte dich nicht betrügen, aber du konntest es nicht verstehen, ich hätte dir niemals erklären können, daß ich dich auf andere Art liebte, so — armselig. Kannst du nicht begreifen?“

„Nein, Jenny. Ich glaube nicht daran, daß ein junges, unschuldiges Mädchen einem Manne alles schenkt, wenn sie nicht sicher meint, ihre Liebe würde immer dauern.“

„Das gerade bitte ich dich, mir zu vergeben. Ich wußte, daß du es nicht verstehen würdest, und ich nahm dennoch alles hin, was du mir gabst. So wurde es eine Qual für mich selbst — schlimmer und schlimmer, und ich fühlte, ich war nicht imstande, so fortzufahren. Ich habe dich doch gern, Gert, aber wenn ich nur annehmen soll und in Wahrheit nichts besitze, womit ich es dir vergelten kann ...“

„Wolltest du mir das gestern sagen,“ fragte Gert kurz darauf.

Jenny nickte.

„Und statt dessen —“.

Er wurde glühend rot.

„Ich konnte nicht, Gert. Du kamst so froh an. Ich wußte, daß du gewartet und dich gesehnt hattest.“

Er erhob brüsk den Kopf:

„Das hättest du nicht tun sollen, Jenny. Nein. Hättest mir nicht so ein — Almosen geben sollen.“

Sie bedeckte ihr Gesicht. Die qualvollen Stunden fielen ihr ein, die sie oben in ihrem verstaubten Atelier in der sonnendurchglühten, eingeschlossenen Luft zugebracht, in steter Ruhelosigkeit umhergehend, aufräumend und ihn erwartend, während ihr Herz sich vor Schmerz zusammenkrampfte. Aber sie war nicht fähig, es ihm zu sagen.

„Ich war mir über mich selbst nicht klar, als du kamst. Ich dachte einen Augenblick — ich wollte versuchen.“

„Almosen.“ Er schüttelte einen Augenblick schmerzlich das Haupt. „Die ganze Zeit, Jenny — alles was du mir gabst!“

„Gert, ich bin es ja, die von dir Almosen entgegengenommen hat — immer — begreifst du denn nicht?“

„Nein,“ sagte er heftig. Er preßte sein Gesicht wieder in den Boden.

Nach kurzer Zeit erhob er den Kopf:

„Jenny, ist da — irgend ein anderer?“

„Nein,“ sagte sie heftig.

„Glaubst du, ich würde dir einen Vorwurf machen, wenn ein anderer zwischen uns getreten wäre, ein junger Mensch — deinesgleichen? Ich würde das besser verstehen.“

„Kannst du dir denn nicht denken —? Ich finde nicht, daß daran ein anderer Schuld sein muß.“

„Nein, nein.“ Er glitt wieder nieder. „Ich fände es natürlicher. — Als mir dann einfiel, was du mir geschrieben hattest, daß Heggen auf Tegneby gewesen und nach Berlin gefahren ist —.“

Jenny wurde wieder blutrot:

„Glaubst du denn, ich hätte — gestern —“.

Gert schwieg. Kurz darauf sagte er müde:

„Ich verstehe dich ja doch nicht.“

Da schoß plötzlich in ihr das Verlangen hoch, ihm wehe zu tun:

„Einesteils kann man doch sagen, eine zweite oder dritte Person spielt eine Rolle dabei.“

Er sah auf, fragend. Dann griff er plötzlich nach ihr:

„Jenny, Herr Jesus — was meinst du —!“

Sie bereute es schon, rot und hastig sagte sie:

„Nun — meine Arbeit — also die Kunst.“

Gert Gram hatte sich vor ihr auf die Knie erhoben:

„Jenny — ist etwas — Besonderes — du sollst die Wahrheit sagen — du darfst nicht lügen. Ist etwas mit dir vorgefallen? — Sprich —“

Einen Augenblick versuchte sie, ihm frei in die Augen zu schauen. Dann senkte sie den Kopf. Gert Gram aber sank vorn über, das Gesicht in ihrem Schoß bergend:

„O Gott, o Gott. Ach Gott im Himmel —“

„Gert! Lieber, Lieber! Ach, nicht doch Gert! Du reiztest mich mit deinen Vermutungen über einen anderen,“ sagte sie gedemütigt. „Ich hätte es nicht sagen sollen. Ich hatte nicht die Absicht, es dir zu sagen — vielleicht später.“

„Das hätte ich dir nie verziehen,“ sagte Gram. „Wenn du es mir nicht gesagt hättest. Aber — du mußt es doch schon eine Zeitlang gewußt haben,“ meinte er plötzlich. „Weißt du — wie weit du bist?“

„Im dritten Monat,“ sagte sie kurz.

„Aber Jenny,“ er faßte entsetzt ihre beiden Hände, „jetzt kannst du dich ja nicht — von mir trennen, so ohne weiteres, meine ich. Jetzt können wir ja nicht auseinandergehen.“

„Doch.“ Sie strich ihm liebkosend über das Gesicht. „Doch. Wäre es nicht so gekommen, so hätte ich es wohl noch eine Zeitlang so weitergetrieben. Aber jetzt mußte ich der Sache in die Augen schauen — und alles klarstellen.“

Er lag eine Weile still da.

„Hör einmal zu, Kind. Du weißt, ich wurde im vergangenen Monat geschieden. In zwei Jahren bin ich frei. Dann komme ich zu dir. Ich gebe dir — und dem da — meinen Namen. Ich verlange nichts, verstehst du — nichts. Aber ich fordere mein Recht, dich wieder aufzurichten, wie ich es dir schuldig bin. Weiß Gott, ich werde genug darunter leiden, daß es nicht eher sein kann. Aber ich verlange nichts, das ist selbstverständlich. Du sollst nicht im geringsten an mich alten Mann gebunden sein —“

„Gert. Ich bin froh, daß du von ihr geschieden bist. Aber ich sage dir ein für allemal: ich heirate dich nicht, wenn ich nicht deine richtige Frau werden kann. Es ist nicht der Jahre wegen, die zwischen uns liegen. Hätte ich nicht das Gefühl, Gert, daß ich niemals ganz dein gewesen bin, wie es hätte sein sollen, so bliebe ich bei dir, als dein Weib, solange du jung wärst, als deine Freundin, wenn das Alter käme, deine Krankenschwester, gern, willig und glücklich. Aber ich weiß, ich kann dir nicht das sein, was eine Frau sein soll. Um der Leute willen gehe ich aber nicht hin und verspreche etwas, was ich nicht halten kann, weder vor dem Pfarrer, noch dem Bürgermeister.“

„Oh, aber Jenny, das ist doch Wahnsinn von dir.“

„Du bringst mich jedenfalls nicht davon ab,“ sagte sie hastig.

„Ja, aber Kind, was willst du denn tun? Nein, ich kann es nicht zulassen. Was soll denn mit dir werden? Kleines, du mußt verstehen — du mußt mich dir helfen lassen, Jenny.“

„Still, lieber Freund. Du siehst ja, ich trage es ganz ruhig. Wenn man erst davorsteht, ist es eigentlich nicht so gefährlich, wie man sich immer einbildet. Glücklicherweise habe ich noch etwas Geld.“

„Aber die Menschen, Jenny — sie werden häßlich gegen dich sein — dich in Verruf bringen.“

„Das vermag niemand. Meine einzige Schande ist, Gert, daß ich dich deine Liebe an mir verschwenden ließ.“

„Ach, dieser Unsinn! Nein, aber die Leute — du weißt nicht, wie herzlos sie sind, wie sie dich mit ihrer Bosheit mißhandeln, dich kränken und dich verletzen werden.“

„Daraus mache ich mir nicht viel, Gert.“ Sie lachte ein wenig. „Uebrigens bin ich Gott sei Dank Künstlerin. Man erwartet fast nichts anderes von uns, als daß wir hin und wieder einen Skandal heraufbeschwören.“

Er schüttelte den Kopf. Aus einem plötzlichen, verzweifelten Reuegefühl darüber, daß sie es ihm gesagt, daß sie ihm wehgetan hatte, zog sie ihn fest an sich:

„Du Lieber, du darfst nicht so unglücklich sein, hörst du? Ich bin es auch nicht, wie du siehst. Im Gegenteil, manchmal bin ich froh. Wenn ich versuche, richtig darüber nachzudenken, was es eigentlich bedeutet, daß ich ein Kind bekomme, mein eigenes, kleines, süßes Kind, so kann ich es gar nicht fassen. Ich glaube sicher, daß ich glücklich werde, so glücklich, daß ich es mir noch gar nicht vorstellen kann. Ein lebendiges, kleines Menschlein, das nur mir gehört, das ich lieben, für das ich leben und arbeiten werde. Manchmal denke ich, daß erst jetzt Sinn in mein Leben und meine Arbeit kommt. Glaubst du vielleicht nicht, daß ich mir einen Namen machen könnte, der für mein Kind gut genug ist, Gert? Nur das macht mich noch etwas mutlos, daß ich noch nicht recht weiß, wie es wird, und dann, daß du so traurig bist. O Gert, ich bin vielleicht arm und nüchtern, egoistisch und all so etwas, aber ich bin schließlich eine Frau, ich muß mich doch darüber freuen, daß ich Mutter werde.“

„Jenny.“ Er küßte ihre Hände. „Arme, kleine tapfere Jenny. Es ist beinahe noch schlimmer für mich, daß du es so auffaßt,“ sagte er leise.

Jenny lächelte weh:

„Oh, es wäre doch wohl schlimmer für dich, wenn ich es anders auffaßte.“