Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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VIII.

Heggen saß am äußersten Ende des Marmortisches und nahm an der Unterhaltung fast nicht teil. Ab und zu schielte er zu Jenny hinüber, die sich, Whisky und Selter vor sich, in eine Ecke geklemmt hatte. Sie unterhielt sich übertrieben lebhaft quer über den Tisch mit einer jungen schwedischen Frau und nahm nicht im geringsten Notiz von den neben ihr sitzenden Dr. Broager und der kleinen dänischen Malerin, Loulou von Schulin, die beide versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Heggen sah, sie hatte wieder zuviel getrunken.

Sie bildeten eine kleine Schar von Skandinaviern und einigen Deutschen, die in einer Weinkneipe zusammengetroffen und jetzt am Ende der Nacht im hintersten Winkel eines düsteren Cafés gelandet waren. Die Gesellschaft hatte dem Alkohol reichlich zugesprochen und war sehr wenig gewillt, den Aufforderungen des Wirtes nachzukommen, zu gehen, da es weit über die vorgeschriebene Polizeistunde sei und er zweihundert Lire Strafe zu zahlen haben würde, ja sicher!

Gunnar Heggen war der einzige, der es mehr als gern gesehen hätte, daß das Trinkgelage ein Ende nähme. Er war der einzig Nüchterne und hatte schlechte Laune.

Dr. Broager brachte alle Augenblicke seinen schwarzen Schnurrbart auf Jennys Hand an. Wenn sie diese an sich zog, versuchte er es auf ihrem nackten Arm. Die andere Hand hatte er hinter ihr aufs Sofa gelegt. Sie saßen zusammengedrängt im Winkel, so daß jeder Versuch, sich ihm zu entwinden, umsonst gewesen wäre. Im übrigen war ihr Widerstand auch ziemlich schwach, und sie lachte ohne Zorn über seine Zudringlichkeit.

„Pfui!“ sagte Loulou von Schulin und zog die Schultern hoch. „Daß Sie das ertragen können! Finden Sie ihn denn nicht widerlich, Jenny?“

„O doch, natürlich. Aber Sie sehen ja, er ist genau so wie eine Schmeißfliege — es nützt nichts, ihn wegzujagen. Pfui, hören Sie doch auf, Doktor —“

„Pfui,“ sagte die andere wie vorher. „Daß Sie das aushalten können!“

„Pah! Ich kann mich ja mit Seife abwaschen, wenn ich nach Hause komme.“

„So?“ Loulou von Schulin warf sich über Jennys Schoß und streichelte ihre Arme. „Wir geben jetzt auf die armen schönen Hände acht! Sehen Sie!“ Sie hob die eine Hand in die Höhe und zeigte sie der Tafelrunde. „Ist sie nicht entzückend?“ Dann löste sie ihren giftgrünen Automobilschleier vom Hute und hüllte Arme und Hände darin ein. „Ins Fliegennetz — seht doch nur!“ Und sie streckte Broager blitzschnell die Zunge heraus.

Jenny blieb einen Augenblick, die Arme in den grünem Schleier gewickelt, sitzen. Dann machte sie sich frei und zog Jacke und Handschuhe an.

Broager versank in einen kleinen Halbschlummer. Aber Fräulein Schulin hob ihr Glas:

„Prost! Herr Heggen!“

Er tat, als hörte er nicht. Erst, als sie es wiederholte, griff er nach seinem Glase. „Pardon — ich sah nicht,“ trank und sah wieder fort.

Dieser oder jener lächelte. Da Heggen und Fräulein Winge Tür an Tür im obersten Stockwerk irgendwo drüben zwischen Babuino und Corso wohnten, glaubte man genug zu wissen. Was aber Fräulein von Schulin betraf, so war sie vorübergehend mit einem norwegischen Schriftsteller legitim verheiratet gewesen, reiste dann von ihm und dem Kinde in die weite Welt hinaus, wo sie wieder ihren Mädchennamen, die Anrede Fräulein und Malerin angenommen hatte, und außerdem Freundschaften mit Frauen unterhielt, worüber besonders üble Gerüchte im Umlauf waren.

Der Wirt kehrte wieder zur Gesellschaft zurück und parlamentierte eindringlich, um sie zur Tür hinauszubekommen. Die beiden Kellner löschten die Gasflammen drüben im Lokal und stellten sich abwartend am Tische auf. Es blieb also nichts anderes übrig, als zu bezahlen und dann zu gehen.

Heggen gehörte zu den letzten, die das Lokal verließen. Drüben auf dem Marktplatz im Mondenschein sah er, wie Fräulein Schulin Jennys Arm ergriff. Sie liefen auf eine leere Droschke zu, die die anderen im Begriff waren zu stürmen. Er sprang hinüber und hörte von weitem Jenny rufen: „Ihr wißt, die in der Via Paneperna.“ Sie hüpfte in die überfüllte Droschke und fiel irgend jemanden auf den Schoß.

Aber einige Damen wollten wieder ins Freie, andere in den Wagen — ununterbrochen sprang jemand aus der einen Wagentür hinaus und in die andere hinein. Der Kutscher saß unbeweglich auf dem Bock und wartete. Der Gaul schlief, den Kopf bis fast aufs Steinpflaster gesenkt.

Jenny stand wieder auf der Straße, aber Fräulein Schulin streckte die Hand nach ihr aus — es war noch Platz.

„Es ist eine Schande um das Pferd,“ sagte Heggen kurz. So begann sie denn zu gehen, neben ihm, als letzte in der Schar derer, die in der Droschke nicht Platz gehabt hatten. Der Wagen rollte langsam vorauf.

„Du willst doch nicht behaupten, daß du länger mit diesen Menschen zusammen sein magst, ganz bis zur Via Paneperna hinaustrotten nur deswegen?“ sagte Heggen.

„Oh, wir werden schon unterwegs eine leere Droschke finden —“

„Daß du dazu Lust hast — betrunken wie die Lumpen sind sie auch — alle miteinander,“ wiederholte er.

Jenny lachte müde.

„Das bin ich sicher auch.“

Heggen antwortete nicht. Sie waren bis zur Piazza di Spagna gekommen. Da stand sie still:

„Du willst also nicht mitgehen, Gunnar?“

„Wenn du es durchaus noch weiter mitmachen willst, dann ja — sonst nicht.“

„Du brauchst doch um meinetwillen nicht — du kannst dir doch denken, daß ich schon nach Hause finden werde.“

„Gehst du mit, so gehe ich auch mit. Ich erlaube dir nämlich nicht, dich allein mit diesen betrunkenen Menschen herumzutreiben.“

Sie lachte, das gleiche matte und gleichgültige Lachen.

„Zum Teufel, dann bist du morgen so müde, daß du mir auch nicht sitzen kannst.“

„Oh, ich werde das schon fertigbringen.“

„Das glaube ich nicht. Ich kann jedenfalls nicht ordentlich arbeiten, wenn wir so die ganze Nacht durchbummeln.“

Jenny zuckte mit den Schultern. Aber sie schlug die Richtung nach Babuino ein, den anderen entgegengesetzt.

Zwei Polizisten in ihren Umhängen gingen an ihnen vorüber. Sonst war nicht die Spur von Leben auf dem öden Platz. Der Springbrunnen rieselte vor der Spanischen Treppe, die inmitten der immergrünen, schwarzen und silberblinkenden Büsche der Anlagen vom Mondenschein weiß übergossen dalag.

Jenny sagte plötzlich hart und spöttelnd:

„Ich weiß, es ist gut gemeint, Gunnar. Es ist nett von dir, daß du versuchst, auf mich aufzupassen. Aber es hat keinen Zweck.“

Er schwieg.

„Nein, wenn du selbst nicht willst,“ sagte er kurz nach einer Weile.

„Willst,“ äffte sie ihm nach.

„Ja, ich sagte ‚willst‘.“

Jenny atmete kurz und heftig, als wollte sie etwas antworten, hielt aber an sich. Ekel stieg in ihr auf — halbbetrunken war sie, das wußte sie selbst sehr wohl. Es fehlte ja noch, daß sie hier aufschrie, jammerte und heulte, berauscht, wie sie war, Gunnar gegenüber. Sie biß die Zähne zusammen.

So kamen sie zu ihrer Haustür. Heggen schloß auf, entzündete ein Wachshölzchen und begann, die endlos dunkle Treppe hinaufzuleuchten.

Ihre beiden Zimmerchen lagen für sich auf einem halben Stockwerk oben am Ende der Treppe. An den Türen vorüber lief ein kleiner Gang, der in einer Marmortreppe zum flachen Dach des Hauses endigte.

In ihrer Tür reichte sie ihm die Hand:

„Gute Nacht, Gunnar — hab Dank,“ sagte sie leise.

„Ich danke dir. Schlaf gut —“

„Gleichfalls.“

Drinnen in seinem Zimmer öffnete er das Fenster. Gerade gegenüber glänzte der Mondschein auf einer ockergelben Hauswand mit geschlossenen Fensterläden und schwarzen eisernen Balkons. Der Pincio erhob dahinter seinen Gipfel mit den scharfabstechenden dunklen Laubmassen gegen den mondlichtblauen Himmel. Darunter lagen alte, moosbewachsene Dächer; wo des Hauses kohlschwarzer Schatten endete, hing leichenfahle Wäsche zum Trocknen auf einer niedrigen Terrasse. Gunnar beugte sich weit über das Fenstersims, traurig und angewidert. Tod und Teufel, war er denn engherzig oder — aber Jenny in diesem Zustande zu sehen —!

Aber gerade er hatte sie zuerst in dieses Getriebe hineingezogen. Um sie aufzumuntern. Sie verkümmerte ja in den ersten Monaten wie ein kranker Vogel. Er hatte geglaubt, es würde für sie Beide eine boshafte Unterhaltung sein, die anderen zu beobachten — diese Affen. Er hatte ja nicht geahnt, daß es eine derartige Wirkung haben könnte.

Er hörte sie aus ihrem Zimmer und hinauf zum Dache gehen. Heggen zauderte einen Augenblick. Dann folgte er ihr.

Sie saß in dem einzigen Stuhl dort oben, hinter der kleinen Wellblechlaube. Die Tauben gurrten schläfrig in ihrem Schlage, der auf dem Laubendach angebracht war.

„Bist du noch nicht zu Bett gegangen?“ sagte er leise. „Du wirst dich erkälten.“ Er holte ihren Schal aus der Laube und reichte ihn ihr, dann setzte er sich auf den Mauerrand zwischen die Blumentöpfe.

Eine Weile starrten sie so schweigend über die Stadt, deren Kirchenkuppeln im Mondenlicht schwammen. Die Linien der fernen Höhenzüge waren vermischt.

Jenny rauchte. Auch Gunnar zündete sich eine Zigarette an.

„Ich merke übrigens, ich vertrage fast nichts mehr — beim Trinken meine ich. Es wirkt sofort,“ sagte sie gleichsam entschuldigend.

Er sah, daß sie jetzt völlig nüchtern war.

„Ich finde, du solltest es jetzt eine Weile lassen, Jenny. Auch das Rauchen, solltest jedenfalls nur ganz wenig rauchen. Du hast ja über dein Herz geklagt.“

Sie antwortete nicht.

„Im Grunde bist du ja über diese Menschen der gleichen Meinung wie ich. Ich begreife nicht, daß du dich dazu herablassen magst, mit ihnen zusammen zu sein — in dieser Art und Weise.“

„Mitunter,“ sagte sie leise, „braucht man — Betäubung, gerade heraus gesagt. Und was das Sichherablassen betrifft —.“ Er blickte ihr in das weiße Antlitz. Das unbedeckte blonde Haar flimmerte im Mondlicht. „Mitunter finde ich: nicht. Obgleich — jetzt in diesem Augenblick zum Beispiel, schäme ich mich. Jetzt bin ich also ungewöhnlich nüchtern, siehst du.“ Sie lachte ein wenig. „Manchmal ist das nicht der Fall, selbst wenn ich nichts getrunken habe. Dann überkommt mich das Verlangen, mit dieser Sorte zusammen zu sein.“

„Es ist gefährlich, Jenny,“ flüsterte er. Und nach einer Weile: „Ich kann mir nicht helfen, aber ich fand das heute Abend widerlich. Ich habe manches gesehen — wie es zugeht. Ich möchte dich doch nicht gern sinken sehen, so enden sehen wie etwa Loulou —.“

„Du kannst durchaus ruhig sein, Gunnar. So ende ich nicht. Im Grunde bin ich zu so etwas gar nicht fähig. Ich werde schon vorher einen Punkt machen —.“

Er blickte still auf sie.

„Ich weiß, was du meinst,“ sagte er schließlich leise. „Aber Jenny, andere haben ebenso gedacht. Und wenn man dann eine Zeitlang den Strom abwärts geschwommen ist — so tut man es nicht mehr — das, was du einen Punkt machen nennst.“

Er glitt von der Mauerkante herab, ging auf sie zu und ergriff ihre Hand:

„Du Jenny, hör damit auf — ja?“

Sie erhob sich und lachte kurz.

„Vorläufig wenigstens. Ich bin sicher für eine lange Zeit von meiner Bummelsucht geheilt, glaube ich.“

Sie standen einen Augenblick still. Dann schüttelte sie seine Hand:

„Gute Nacht, mein Junge. — Und morgen sitze ich dir,“ sagte sie auf der Treppe.

„Ja, danke.“

Heggen verweilte noch etwas, nachdenklich, während er ein wenig fröstelte. Dann ging er in sein Zimmer hinunter.