Ohne es verabredet zu haben, gingen sie an dem Restaurant vorüber, wo sie sonst zu essen pflegten und immer viele Skandinavier trafen. Sie schritten immer weiter durch die Dämmerung, nach der Tiber und über die Brücke bis in die alten Borgo-Viertel. In einem Winkel am Petersplatz lag ein kleines Restaurant, wo sie mitunter gegessen hatten, wenn sie vom Vatikan kamen. Hier traten sie ein.
Sie aßen, ohne mit einander zu sprechen. Jenny zündete sich eine Zigarette an, als sie fertig war, nippte an ihrem Rotwein und rieb die duftenden Mandarinenschalen zwischen ihren Fingern.
Heggen rauchte ebenfalls und starrte vor sich hin. Sie befanden sich fast allein im Lokal.
„Hast du Lust, den Brief zu lesen, den ich kürzlich von Cesca bekam?“ fragte Jenny plötzlich.
„Danke. Ich sah es, daß ein Brief für dich gekommen war. Ist er aus Stockholm?“
„Ja. Sie sind jetzt dort, werden auch den Winter über da wohnen bleiben.“
Jenny holte den Brief aus ihrer Handtasche hervor und reichte ihn Gunnar.
Cescas Brief lautete:
„Meine liebe, süße Jenny!
Du darfst mir nicht böse sein, daß ich Dir noch nicht für Deinen letzten Brief gedankt habe. Ich hatte jeden Tag die Absicht, es zu tun, aber es wurde nichts daraus. Ich freue mich so sehr, daß Du wieder in Rom bist und daß Du malst, besonders auch, daß Du mit Gunnar zusammen bist.
Wir sind jetzt also nach Stockholm zurückgekehrt und wohnen wieder in der alten Wohnung. Es war unmöglich, in unserem Dörfchen zu bleiben, als es wirklich kalt wurde, denn dort zog es schrecklich und wir konnten es nur in der Küche ordentlich warm bekommen. Wenn wir es uns doch leisten könnten, das kleine Häuschen zu kaufen, aber es wird zu teuer, denn wir müßten zuviel daran ausbessern, die Scheune als Atelier für Lennart umbauen und überall Oefen setzen lassen. Aber wir haben es für den nächsten Sommer wieder gemietet, und darüber freue ich mich, denn es ist mir der liebste Platz auf der Welt. Du kannst Dir etwas so Schönes wie die Westküste nicht vorstellen. Sie ist so eigentümlich, öde und verwittert mit den grauen Hügeln und dem vom Sturm zerzausten Gestrüpp in den Felsspalten, mit den Geißblattranken und den armseligen kleinen Häusern, dem Meer und dem wunderbaren Himmel. Die Bilder, die ich davon gemalt habe, seien gut, sagt man, und Lennart und ich leben dort so herrlich miteinander. Jetzt sind wir für immer Freunde, und wenn er findet, daß ich merkwürdig bin, so küßt er mich nur und sagt, ich sei eine kleine Seejungfrau, und irgend sowas Nettes, und mit der Zeit schlage ich auch völlig Wurzel bei ihm.
Aber jetzt sind wir wieder in der Stadt. Aus der Pariser Reise wird diesmal nichts, und das ist auch gleich. Ich finde es beinahe herzlos, Dir darüber etwas zu schreiben, Jenny, denn Du bist viel, viel besser als ich, und es war so bitter und fürchterlich, daß Du Deinen kleinen Jungen hergeben mußtest und ich finde, ich habe es nicht verdient, das Glück, meinen heißen Wunsch erfüllt zu sehen, aber ich erwarte also ein kleines Baby. Es dauert nur noch fünf Monate. Ich wollte es zuerst selbst nicht glauben, aber jetzt ist es ganz sicher. Ich versuchte, es so lange wie möglich Lennart zu verheimlichen, ich schämte mich furchtbar der beiden Male wegen, die ich ihn damit an der Nase herumgeführt, und hatte Angst, daß ich mich täuschen könnte, so daß ich es erst ableugnete, als er es zu ahnen begann. Aber schließlich mußte ich mich ja zu einem Bekenntnis bequemen, ich begreife es aber eigentlich noch nicht, daß ich wirklich einen kleinen Buben bekomme. Lennart sagt übrigens, er will am liebsten noch eine kleine Cesca haben, aber das tut er bloß, um mich im voraus zu trösten, wenn es so würde, denn ich bin überzeugt, eigentlich will er am liebsten einen Sohn haben. Aber Du weißt, wird es ein Mädchen, so freuen wir uns ebenso sehr darüber, und außerdem, haben wir erst eins, so können wir ja immer mehr bekommen.
Jetzt bin ich so froh, daß es mir eigentlich gleichgültig ist, wo wir sind; jedenfalls sehne ich mich nicht nach Paris; denke Dir, Frau Lundquist fragte, ob ich nicht ärgerlich sei, daß dieser Junge uns nun die ganze Pariser Fahrt über den Haufen würfe; kannst Du so ein Menschenkind begreifen, und dabei hat sie die zwei entzückendsten Knaben von der Welt. Aber sie verwahrlosen vollständig, wenn sie nicht bei uns sind, und Lennart sagt, sie würde sie uns gern schenken, und könnte ich es mir leisten, so nähme ich sie auch. Dann hätte der Kleine gleich zwei große liebe Brüder zum Spielen, wenn er kommt; es wird einen Spaß geben, wenn wir ihnen den kleinen Vetter zeigen — sie sagen Tante zu mir, eine drollige Sitte, finde ich.
Aber nun muß ich schließen. Weißt Du, worüber ich auch froh bin — unter diesen Umständen kann Lennart doch unmöglich eifersüchtig werden, nicht wahr? Uebrigens glaube ich, das hat aufgehört, denn jetzt weiß er sehr gut, daß ich eigentlich nur ihn wirklich lieb gehabt habe.
Findest Du das häßlich von mir, daß ich Dir soviel von all diesem schreibe, und daß ich so glücklich bin? Aber ich weiß ja doch, daß Du es mir so herzlich gönnst.
Grüß alle Bekannten, die Du dort unten triffst, und Gunnar zu allererst viele Male. Du darfst ihm dies hier ruhig erzählen, wenn Du magst. Und nun leb wohl. Zum Sommer besuchst Du uns!
Tausend liebe Grüße von Deiner treuen kleinen Freundin
Cesca.
PS. Jetzt fällt mir plötzlich ein: Wird es ein Mädchen, so soll es meiner Treu Jenny heißen, was auch Lennart sagen mag. Ich sollte übrigens von ihm grüßen.“
Gunnar reichte Jenny den Brief zurück, die ihn wieder wegsteckte.
„Ich bin froh,“ sagte sie leise. „Ich freue mich über jeden Menschen, den ich glücklich weiß. Diese Freude ist mir geblieben aus alter Zeit — wenn es auch das Einzige ist.“
Sie gingen nicht nach der Stadt zurück, sondern schlenderten über den Petersplatz, der Kirche zu.
Im Mondschein fielen die Schatten kohlschwarz über den Platz. Gleißendes Licht und nächtliche Finsternis lösten sich gespenstisch in dem einen der gewölbten Säulengänge ab. Der andere lag ganz im Dunkeln; nur die Konturen der Statuenreihe auf dem Dache waren von flimmerndem Licht umspielt. Auch die Fassade der Kirche lag im Schatten, während die Kuppel hoch oben hier und da wie silbriges Wasser schimmerte.
Die beiden Fontänen jagten ihre weißen Strahlen funkelnd und schäumend zum mondblauen Himmel auf. Wirbelnd schoß das Wasser in die Höhe, plätscherte gegen die Porphyrschalen, um in die Becken zurückzurieseln und abzutropfen.
Gunnar und Jenny gingen langsam zur Kirche hinüber, im Schatten des Säulenganges.
„Jenny“, sagte er plötzlich. Seine Stimme klang ganz ruhig und alltäglich. „Willst du mich heiraten?“
„Nein,“ sagte sie ebenso ruhig und lachte ein wenig.
„Es ist mein Ernst.“
„Ja, aber du wirst wohl begreifen, daß ich das nicht will.“
„Warum eigentlich nicht?“ Sie gingen weiter, der Kirche zu. „Wie ich verstanden habe, bist du augenblicklich selbst der Ansicht, dein Leben sei nicht lebenswert. Mitunter hast du die Absicht, dich ums Leben zu bringen, wie ich gemerkt habe. Wenn du dich aber in einem solchen Aufruhr befindest, weshalb kannst du dich denn nicht ebenso gut mit mir verheiraten? Du kannst es doch auf jeden Fall versuchen, meine ich!“
Jenny schüttelte den Kopf:
„Ich danke dir, Gunnar, aber das heißt, finde ich, die Freundschaft unerlaubt weit treiben.“ Sie wurde mit einem Male ernst: „Erstens mußt du dir doch sagen, daß ich das nicht annehme. Zweitens: würdest du mich dazu bringen, dich als Rettungsplanke anzusehen, so wäre ich nicht wert, daß du dich bemühtest, mir nur den kleinen Finger zu reichen.“
„Es ist nicht Freundschaft, Jenny.“ Er zögerte einen Augenblick. „Sondern ich habe — dich lieb gewonnen. Ich sage es nicht, um dir zu helfen — natürlich will ich dir auch gern helfen. Aber mir ist plötzlich klar geworden — wenn es mit dir ein böses Ende nähme — ich weiß nicht, was ich dann täte. Ich bin nicht fähig, daran zu denken. Nichts auf der Welt würde ich scheuen, um dir zu helfen — weil ich dir so gut bin, verstehst du?“
„O nicht doch, Gunnar.“ Sie stand still und blickte erschrocken zu ihm auf.
„Ja, natürlich weiß ich, daß du mich nicht liebst. Aber deshalb könntest du dich doch gut mit mir verheiraten, dies ebenso gut wie irgend etwas anderes tun, wenn du doch des Ganzen müde bist und meinst, du hättest dich selber aufgegeben.“ Seine Stimme klang heiß und bewegt, als er ausrief: „Du mußt mich ja eines Tages liebgewinnen, ich weiß es so sicher — weil ich dich so lieb habe!“
„Du weißt, daß ich dich gern mag,“ sagte sie ernst. „Aber das ist kein Gefühl, mit dem du dich auf die Dauer begnügen könntest. Zu einem ganzen und starken Gefühl bin ich aber nicht fähig.“
„Natürlich bist du das. Alle Menschen sind es. Ich war doch so überzeugt, daß ich nie etwas anderes als diese — Geschichtchen erleben würde. Ich glaubte eigentlich nicht daran, daß es etwas anderes gäbe —.“ Er senkte die Stimme. „Du bist ja die erste, die ich liebe.“
Sie stand stumm und still.
„Dies Wort, Jenny, habe ich noch niemals ausgesprochen. Ich hatte eine Art von Scheu, Ehrfurcht davor. Ich habe bisher nie eine Frau geliebt. Etwas anderes war dieses dauernde Verliebtsein — in dies oder jenes an ihnen. Cescas Grübchen, wenn sie lachte — das unbewußt Raffinierte an ihr. Dies oder jenes, das meine Phantasie in Bewegung setzte, das mich anregte, Märchen über sie zu dichten, Abenteuer, die ich erleben würde. Einmal war ich in eine Frau verliebt, weil sie das erste Mal, als ich sie sah, ein so wundervolles tiefrotes seidenes Kleid trug, ganz schwarz in den Falten wie die dunkelsten Rosen, ich stellte sie mir immer in diesem Kleide vor. Und du damals in Viterbo. Du warst so fein und still, so zurückhaltend, gleichsam als trügst du Handschuhe bis hinauf zu den Ellenbogen, sowohl innen wie außen, und du hattest einen Schimmer in den Augen, wenn wir anderen lachten, als wolltest du gern mit uns spielen, du konntest aber nicht und wagtest nicht. Da war ich verliebt in den Gedanken, dich ausgelassen und lachend zu sehen. — Aber nie zuvor habe ich ein zweites, lebendes Wesen geliebt.“
Er wandte einen Augenblick die Augen von ihr und starrte zur Säule des Springbrunnens hinauf, die im Mondlicht funkelte. So spürte er das neue Gefühl in sich aufsteigen und funkeln, sein Sinn war voller neuer Worte, die in Ekstase über seine Lippen sprangen:
„Verstehst du mich, Jenny — ich liebe dich so, daß ich finde, alles andere ist gleichgültig. Ich trauere nicht darüber, daß du mich nicht liebst, denn ich weiß, daß es eines Tages der Fall sein wird; ich fühle ja, daß meine Liebe dich dahin bringen wird. Ich habe Zeit zu warten, denn es ist wunderbar, dich so zu lieben. Als du davon sprachst, dich niedertrampeln zu lassen, dich unter eine Lokomotive zu werfen, da geschah etwas mit mir. Ich wußte nicht, was es war, ich wußte nur, ich konnte es nicht mit anhören, ich wußte, ich durfte es nicht geschehen lassen. Es war, als gelte es mein Leben. Du sprachst vom Kinde — es schmerzte mich so wahnsinnig, daß du so gelitten hattest, und ich konnte dir nicht helfen, ja, ich wußte es noch nicht, aber der Wunsch war auch schon in mir wach, daß du mir gut sein mögest.
Ich verstand alles, Jenny, die grenzenlose Liebe und den furchtbaren Verlust, so lieb habe ich dich. Als wir drüben in der Trattoria saßen, als wir dann hier hinübergingen, da war mir plötzlich alles klar und wie grenzenlos lieb und teuer du mir bist. — Jetzt ist mir, als sei es immer so gewesen. Alle Erinnerungen an dich gehören mit zu meiner Liebe. Jetzt verstehe ich auch, warum ich so niedergedrückt war, seit du hierher kamst. Ich sah, wie schwer dich dein Geschick drückte, wie still und trostlos du in der ersten Zeit warst, und wie du später diese wilden Anfälle bekamst. Ich besinne mich auf den Tag in Warnemünde auf der Landstraße, als du dastandst und weintest — auch das gehört mit dazu, weswegen ich dich liebe. Die anderen Männer, die du gekannt hast, Jenny, auch der Vater des Knaben — o ich weiß, wie es gewesen ist. Du hattest mit ihnen geredet und geredet — über all deine Gedanken, und es war schließlich nur ein Gerede von Gedanken. Selbst, wenn du versuchtest, ihnen klar zu machen, wie du fühltest, sie konnten ja nicht verstehen, wie du warst. Aber ich weiß es. Was du an jenem Tag in Warnemünde sagtest, und auch heute, das — du weißt, daß du darüber nur mit mir sprechen kannst; das sind alles Dinge, die ich allein verstehen kann. Ist es nicht so?“
Sie senkte überrascht, zustimmend den Kopf.
„Ich weiß, daß ich der einzige bin, der dich von Grund auf versteht, und ich weiß genau, wie du bist. Ach. So lieb wie ich dich habe! Wärst du voller Flecken und blutiger Wunden in deinem Gemüt, ich möchte nur dich haben und all das fortküssen, bis du wieder rein und gesund wärest. Ich will dir ja mit meiner Liebe nur dazu verhelfen, Jenny, so zu werden, wie du’s erstrebst und erreichen mußt, um dich glücklich zu fühlen. Auf welche schlimmen Gedanken du auch kämst — ich würde glauben, du seiest krank, etwas Fremdes habe sich in dein Wesen geschlichen. Wenn du mich auch betrögst, wenn ich dich betrunken im Rinnstein fände — du bist dennoch meine eigene geliebte Jenny. Hörst du? Kannst du nicht mein werden — nur mir gehören, dich in meine Arme legen und dich zu meinem Eigen machen lassen? Du wirst wieder gesund und glücklich werden. — Ich weiß noch nicht recht, wie ich es anfangen werde, aber ich weiß, meine Liebe wird einen Weg finden. Du wirst jeden Morgen ein wenig froher erwachen, und jeder Tag wird etwas lichter und wärmer sein als der vorhergegangene und deine Trauer etwas weniger schwer. Können wir nicht nach Viterbo fahren, irgend wohin? — Ach, laß mich dich mein nennen — ich will dich hegen wie ein krankes Kind. Und wenn du wieder geheilt bist, dann hast du mich liebgewonnen und weißt, wir Beide können gar nicht ohne einander leben. — Hörst du mich, Jenny — du bist krank, du kannst nicht allein auskommen. Schließ nur die Augen und gib mir deine Hände, so nehme ich dich und liebe dich gesund — ach, ich weiß, daß ich es kann.“
Jenny wandte ihm ihr weißes Antlitz zu. Sie hatte sich an eine Säule gelehnt und lächelte weh in den Mondenschein hinaus:
„Wie sollte ich diese große Bosheit und Sünde gegen Gott begehen können.“
„Meinst du, weil du mich nicht liebst? Ich sage dir ja, es macht nichts. Ich weiß, daß meine Liebe so mächtig ist, daß sie dich eines Tages geweckt haben wird, wenn du nur eine Zeitlang von der meinen umsponnen warst.“
Er umfing sie, küßte ihr ganzes Gesicht, badete es in Küssen. Sie war willenlos. Aber nach einer Weile flüsterte sie trotzdem:
„Tu es nicht, Gunnar — sei lieb.“
Er ließ sie zögernd fahren:
„Warum darf ich es nicht tun?“
„Weil du es bist. Wäre es ein anderer gewesen, der mir gleichgültig gewesen wäre — dann weiß ich nicht, ob ich hätte Widerstand leisten mögen.“
Gunnar nahm sie bei der Hand, während sie im Licht des Mondes auf und ab gingen.
„Ich verstehe dich. Als du deinen kleinen Buben bekommen hattest, sahest du in deinem Leben wieder einen Sinn — nach all dem Sinnlosen. Denn du liebtest ihn, und er brauchte dich. Als er dann starb, wurdest du gleichgültig gegen dich selber, denn du fandest, du seiest überflüssig.“
Jenny nickte:
„Ich kenne einige Menschen, die ich gern habe, um deretwillen es mich schmerzen würde, wüßte ich, daß sie traurig sind, und um deretwillen ich froh wäre, wenn es ihnen gut ginge. Aber ich vermag ihnen weder größere Trauer noch Freude zu bringen. So ist es immer gewesen. Und gerade das hat mich früher insgeheim so unglücklich und sehnsüchtig gemacht, daß ich umherlief und mein Dasein keines Menschen Glück bedeutete. Das aber wollte ich sein, Gunnar, eines anderen Menschen Glück. Ich habe nie an ein anderes Glück geglaubt. Du sprachst von der Arbeit, aber ich war nie davon überzeugt, daß sie uns erschöpft — es wäre mir auch so egoistisch vorgekommen. Die tiefste Freude, die man dabei empfindet, ist ja die eigene — und die kann man mit niemanden teilen. Aber es gibt keine Freude, die zugleich Glück bedeutet, wenn man sie nicht mit anderen teilen kann. Außer dem, was uns einzelne Augenblicke in unserer Jugend als Glück empfinden lassen. Das habe ich auch gefühlt, wenn ich meinte, ich hätte etwas erreicht in meinem Streben, besser zu werden. Aber es ist ja töricht, irgendwelche Reichtümer zu sammeln, wenn man sie nicht anwenden will. Bei einer Frau jedenfalls. Ich finde, das Leben einer Frau hat keinen Sinn, wenn sie nicht irgend jemandem zur Freude dient. Mir war es nie beschieden, ich habe nur einigen Menschen Leid gebracht, die kleine, armselige Freude, die ich gab, konnte wohl irgend eine andere auch geben, denn sie liebten mich ja nur, weil sie etwas anderes in mir sahen, als das, was ich wirklich war. — Nachdem Bübchen dann gestorben war, gelangte ich zu der Ansicht, es sei gut, daß niemand mir so nahestand, daß ich ihm ernstlich Leid zufügen konnte. Es gab niemanden, dem ich unersetzlich war. — Und nun sagst du mir dies. Dich hätte ich vielleicht am allerwenigsten in mein verwirrtes Leben hineingezogen. Eigentlich habe ich dich immer am liebsten gehabt von allen, die ich kannte. Mir tat es wohl, daß wir Freunde waren auf diese Art. Daß Liebe und all dergleichen Gefährliches und Unruhiges sich nicht zwischen uns drängen konnte! Ich hielt dich für zu gut dafür. Ach Herrgott, wie innig wünschte ich, es hätte sich nichts geändert.“
„Ich habe heute nicht mehr die Empfindung, als sei es jemals anders gewesen,“ sagte er leise. „Ich liebe dich. Und ich glaube, du brauchst mich. Ich bin so fest überzeugt, daß ich dich wieder zum Glücke zurückführen kann. Und wenn mir nur das gelingt, so hast du mich glücklich gemacht.“
Jenny schüttelte den Kopf:
„Wäre nur das Geringste zurückgeblieben von meinem Glauben an mich selbst! Betrachtete ich mich nicht als so unwiederbringlich abgetan — dann vielleicht. Aber Gunnar, wenn du davon sprichst, daß du mich liebst, so weiß ich, daß das, was du an mir liebst, tot und vernichtet ist. Dann aber ist es ja wieder die alte Sache, du bist verliebt in etwas, was du dir an mir nur einbildest, vielleicht etwas, was ich gewesen bin oder hätte sein können. Aber dennoch — eines Tages wirst du mich sehen, wie ich jetzt bin und dann wirst auch du nur unglücklich.“
„Wie es auch endet — niemals werde ich es als ein Unglück betrachten, daß ich dich liebe. Ich weiß viel besser als du selbst, in dem Zustande, in dem du jetzt bist, bedarf es nur eines Stoßes, und du stürzest — in etwas ganz Wahnwitziges hinaus. Aber ich fühle mich dir nah. Denn ich kann den ganzen Weg übersehen, der dich bis hierher gebracht hat, und wenn du stürztest, so würde ich dir folgen und versuchen, dich auf meinem Arm zurückzutragen und dich dennoch zu lieben.“
Als sie nachts oben im Gang vor ihren Zimmern standen, ergriff er ihre Hände:
„Jenny, soll ich nicht heute Nacht lieber bei dir bleiben, anstatt dich allein zu lassen? Glaubst du nicht, dir würde wohl sein, wenn du in den Armen eines Menschen einschliefest, dem du alles bist — und wenn du morgen so erwachtest?“
Sie blickte auf und lächelte bedeutsam in den goldenen Schein der Wachskerze:
„Vielleicht heut Nacht. Aber ich glaube nicht morgen.“
„Ach Jenny.“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Es ist vielleicht gut, daß ich heute Nacht zu dir komme. Ich finde, ich habe das Recht — ich täte damit nichts Schlechtes. Ich weiß, es wäre das Beste für dich, wenn — du mein würdest. Wirst du böse — wirst du traurig, wenn ich komme?“
„Ich glaube, ich würde traurig werden — hinterher. Deinetwegen. — Ach nein, tu es nicht, Gunnar. Ich will nicht dein werden, wenn ich weiß, daß es für mich ebenso gut ein anderer sein könnte —“
Er lachte kurz, mutwillig und schmerzlich zugleich:
„Wärest du erst mein, dann würdest du dich keinem anderen geben, so gut kenne ich dich, Jenny. Aber wenn du bittest — ich kann warten. — Aber riegele deine Tür zu,“ sagte er mit demselben Lachen.