Jenny by Sigrid Undset - HTML preview

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IV.

Jenny zog die Arme unter der Decke hervor und verschränkte sie im Nacken. Es war eiskalt im Zimmer und finster; nicht ein Streifen Tageslicht fiel durch die Läden. Sie entzündete ein Streichholz und sah nach der Uhr — gleich sieben. Ein wenig konnte sie noch liegen und faulenzen; sie kroch wieder ganz unter die Decke und bohrte die Wange ins Kopfkissen.

„Jenny — schläfst du?“ Franziska öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. Sie kam an das Bett heran, tastete im Dunkeln nach der Freundin Gesicht und streichelte sie: „Müde?“

„Gar nicht. Jetzt werde ich aufstehen.“

„Wann kamst du nach Haus?“

„Gegen drei. Ich war draußen in Prati und badete vor dem Mittag, und dann aß ich dort bei der Ripetta, weißt Du? Als ich heimkam, legte ich mich hin. Ich bin jetzt völlig ausgeschlafen — nun will ich aufstehen!“

„Wart noch ein wenig, hier ist es so kalt; ich werde etwas bei Dir einheizen.“ Franziska zündete die Lampe auf dem Tische an.

„Du brauchst doch nur nach der Signora zu rufen — nein, aber Cesca, komm her, darf ich sehen?“ Jenny setzte sich im Bett aufrecht.

Franziska stellte die Lampe auf das Nachttischchen und drehte sich im Licht langsam um sich selbst.

Sie hatte eine weiße Spitzenbluse zu ihrem grünen Rock angezogen und eine bronzefarbene Seidenschärpe mit pfauenblauen Streifen um die Schultern geschlungen. Rund um den Hals lagen die großen tiefroten Korallen in doppelter Reihe und lange, geschliffene Ohrgehänge tropften auf ihre gelblichweiße Haut herab. Lächelnd schob Franziska das Haar zur Seite, um zu zeigen, daß sie mit einem Faden Stoffgarn an den Ohren festgebunden waren.

„Denk’ dir, ich bekam sie für sechsundachtzig Lire — ist das nicht großartig — nun, wie stehen sie mir?“

„Hervorragend. Das Kostüm ist fabelhaft. — Du, ich hätte Lust, dich darin zu malen.“

„Ja. Ich könnte jetzt gut für dich sitzen. Ich habe nicht die Ruhe in mir, am Tage etwas zu tun. Ach du, Jenny —.“ Sie seufzte leise und setzte sich auf die Bettkante. „Nein, ich muß jetzt nach dem Ofen sehen.“

Sie kam zurück mit einem steinernen Krug voll Glut und hockte sich vor dem kleinen Ofen nieder.

„Bleib nur liegen, Jenny, bis es hier warm geworden ist. Ich werde schon das Bett machen, auch den Tisch decken und den Tee kochen. — Ah, du hast deine Studie mit heimgebracht — laß mich sehen!“

Sie stellte das Studienbrett gegen einen Stuhl und beleuchtete das Bild:

„Aber, nein!“

„Es ist nicht übel, findest du nicht? — Ich will noch einige Skizzen dort draußen machen — ich plane ein großes Bild; ist das Motiv nicht gut — mit all den Arbeitsleuten und Maultierkarren dort unten im Ausgrabungsfeld?“

„Ja, weißt du, — daraus müßtest du doch etwas machen können. Ich freue mich darauf, Gunnar und Ahlin dies hier zu zeigen: Aber du bist aufgestanden? Jenny, laß mich dein Haar kämmen! Gott, was hast du doch für Haar, Mädel. Darf ich nicht einmal versuchen, es auf moderne Art zu frisieren, so mit Locken? Bitte!“

Franziska ließ das lange blonde Haar durch ihre Finger gleiten. „Sitz’ ruhig. Ein Brief ist heut Morgen für dich gekommen — ich nahm ihn mit herauf; fandest du ihn? Er war von deinem kleinen Bruder, nicht wahr?“

„Ja,“ sagte Jenny und lachte.

„War der Brief fröhlich — hast du dich gefreut?“

„Du kannst glauben, der war vergnügt. Ach, Cesca, mitunter wünschte ich, daß ich nur so einen Sonntag Vormittag, weißt du — einen kleinen Abstecher nach Hause machen könnte, um mit Kalfatrus über Nordmarken spazieren zu gehen. Er ist wirklich ein guter Kerl, weißt du.“

Franziska betrachtete Jennys lächelndes Gesicht im Spiegel. Darauf nahm sie das Haar wieder herunter und begann aufs neue, es zu bürsten.

„Nein, Cesca — wir haben doch keine Zeit.“

„Natürlich. Kommen sie zu früh, dann können sie ja zu mir hineingehen. Da sieht es freilich aus wie in einer Rumpelkammer, aber meinetwegen. Uebrigens — die kommen nicht so früh. Gunnar wenigstens nicht — und vor ihm geniere ich mich wahrhaftig nicht. Vor Ahlin übrigens auch nicht. Ah richtig, er war heute Mittag bei mir — ich lag im Bett, während er saß und plauderte. Als ich mich ankleiden wollte, schickte ich ihn auf den Balkon hinaus. Wir gingen dann fort und aßen vornehm auf Tre Re. Den ganzen Nachmittag sind wir zusammen gewesen.“

Jenny schwieg.

„Wir sahen Gram drinnen auf Nazionale. Uh, Jenny, er war schauderhaft. Ist dir etwas Schlimmeres je begegnet?“

„Ich finde ihn durchaus nicht so schauderhaft. Er ist nur unbeholfen, der arme Kerl. Genau so wie ich im Anfang war. Einer von den Menschen, die gern fröhlich sein wollen und nicht können.“

„Ich kam heute Vormittag mit dem Zug aus Florenz,“ äffte Franziska nach und lachte. „Puh. Wäre er dann wenigstens im Flugzeug gekommen!“

„Du warst recht ungezogen gegen ihn, mein Kind. Das darfst du nicht. Eigentlich hätte ich Lust gehabt, ihn heute Abend zu uns einzuladen. Ich wagte es aber deinetwegen nicht — ich wollte mich nicht der Gefahr aussetzen, daß du gegen meinen Gast unhöflich bist.“

„Der Gefahr hättest du dich durchaus nicht ausgesetzt. Das weißt du sehr gut.“ Franziska war gekränkt.

„Besinnst du dich auf den Abend, als ich Douglas mit zu mir genommen hatte zum Tee?“

„Nach der Geschichte mit dem Modell — danke ergebenst!“

„Herrgott. Was ging das im übrigen dich an?“

„So, meinst du nicht? Nachdem er um mich angehalten hatte? Und ich sozusagen entschlossen war, ihn zu nehmen?“

„Das konnte er schwerlich ahnen,“ sagte Jenny.

„Ich hatte jedenfalls nicht bestimmt Nein gesagt. Am Tage vorher war ich mit ihm draußen in Versailles. Und da hatte er mich viele, viele Male küssen und unten im Park seinen Kopf in meine Arme legen dürfen. Und wenn ich ihm sagte, daß ich ihm nicht gut sei, dann glaube er es nicht, meinte er.“

„Cesca.“ Jenny fing ihre Augen im Spiegel ein. „All das hat ja keinen Sinn. Du bist das allerbeste kleine Ding auf der Welt, wenn du richtig überlegst. Manchmal ist es aber, als sähest du nicht, daß es Menschen sind, die du vor dir hast. Menschen mit Gefühlen, auf die du Rücksicht nehmen mußt. Du würdest auch Rücksicht nehmen, wenn du nur nachdächtest. Du willst ja doch nur lieb und gut sein.“

Per bacco. Bist du dessen so sicher? Ach, nun sollst du aber einen Strauß Rosen sehen. Ahlin kaufte gestern Abend ein Bukett für mich an der Spanischen Treppe.“ Cesca lächelte trotzig.

„Ich finde, du solltest dergleichen zu verhindern suchen. Unter anderem schon, weil du weißt, Ahlin hat nicht die Mittel dazu.“

„Geht denn das mich etwas an? Wenn er verliebt in mich ist, so macht ihm das sicher Freude.“

„Ich will gar nicht von deinem Ruf sprechen. Der leidet durch diese ewigen Geschichten!“

„Reden wir nicht über meinen Ruf, das lohnt nicht. Aber du hast bitter wahr gesprochen. Meinen Ruf daheim in Kristiania — den habe ich ein für allemal gründlich zunichtegemacht.“ Sie lachte hysterisch. „Was schert es mich aber! Ich lache darüber.“

„Cesca, Geliebte. Ich begreife nicht — du machst dir ja aus keinem dieser Landsleute etwas. Warum also. Und das mit Ahlin. Kannst du denn nicht begreifen — daß es ihm Ernst ist? Auch Norman Douglas war es Ernst. Du weißt nicht, was du tust. Ich glaube, Gott helfe mir, du hast keinen Instinkt, Kind.“

Franziska legte Kamm und Bürste beiseite und betrachtete Jennys frisierten Kopf im Spiegel. Sie suchte ihr herausforderndes kleines Lächeln festzuhalten. Es welkte jedoch dahin — ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Auch ich bekam heute morgen einen Brief.“ Ihre Stimme zitterte. Jenny erhob sich. „Aus Berlin — von Borghild. — Willst du dich nicht erst fertigmachen, Jenny? Soll ich jetzt das Teewasser aufsetzen oder erst die Artischocken kochen? Sie kommen wohl bald?“

Sie huschte hin und her, und begann, das Bett in Ordnung zu bringen.

„Wir könnten ja auch Marietta rufen — aber wir machen es lieber selbst, nicht wahr Jenny?“

„Also — sie schreibt, Hans Hermann hat sich verheiratet. Vorige Woche. Es ist sicher schon sehr weit.“

Jenny legte die Streichholzschachtel beiseite, während sie ängstlich zu Franziskas weißem Gesicht hinübersah. Darauf schritt sie behutsam auf sie zu.

„Ja, es ist also die, mit der er verlobt war, weißt du. Diese Sängerin — Berit Eck.“ Franziska sprach mit leiser erloschener Stimme. Einen Augenblick beugte sie sich zur Freundin hinüber. Dann begann sie wieder, mit ihren zitternden Händen das Laken wegzustopfen.

Jenny rührte sich nicht.

„Nun — du wußtest ja, daß sie verlobt waren — schon seit einem Jahre.“

„Ja.“

Jenny deckte still den Tisch für vier Personen. Franziska breitete die Decke über das Bett und holte die Rosen herbei. Sie stand und nestelte an ihrem Blusenausschnitt, zog einen Briefumschlag hervor und drehte ihn zwischen den Fingern.

„Sie hatte die beiden im Tiergarten getroffen, schreibt sie. Sie schreibt ... Oh, sie kann so brutal sein, die Borghild.“ Franziska sprang zum Ofen, riß die Tür auf — und warf den Brief ins Feuer. Darauf sank sie in einem Lehnstuhl zusammen und brach in ein bitterliches Weinen aus.

Jenny legte ihren Arm um ihren Nacken:

„Cesca, meine liebe kleine Cesca!“

Franziska preßte ihr Gesicht gegen Jennys Arm.

„Uebrigens sah sie so elend aus, das arme Ding. Sie ging und hing in seinem Arm, und er schaute verärgert und böse drein. Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ach Gott, das arme, arme Wesen — sich in eine solche Lage zu bringen, daß sie auf diese Weise von ihm abhängig wird — er hat sie sicherlich auf den Knien zu sich kriechen lassen. — Daß sie so wahnsinnig sein konnte, wo sie ihn doch kannte. Aber zu denken, Jenny, daß er ein Kind von einer anderen haben soll — ach Gott, ach Gott, ach Gott.“

Jenny hatte sich auf die Stuhllehne gesetzt. Cesca schmiegte sich an sie:

„Nein, ich besitze scheinbar keinen Instinkt, wie du sagtest. Vielleicht habe ich ihn nicht einmal wirklich geliebt. Und doch hätte ich so gern ein Kind von ihm gehabt. Doch dann vermochte ich nicht, mich dazu zu entschließen. — Mitunter wollte er, daß wir heiraten sollten — ohne weiteres zum Standesamt gehen. Nein, ich wollte nicht. Zu Hause wären sie böse geworden. Die Leute hätten sicher gedacht, daß wir uns heiraten müßten! Und das wollte ich auch nicht. Sie glaubten ja trotzdem schon das Schlimmste. Aber das war mir gleichgültig. Ich wußte sehr wohl, ich machte meinen Ruf zuschanden um seinetwillen. Doch daraus machte ich mir nichts. Begreifst du das — ich war gleichgültig. Aber Hans dachte, ich weigerte mich aus Angst, er würde mich hinterher nicht heiraten. Dann laß uns erst zum Standesamt gehen, verdammtes Mädel, sagte er. Aber ich wollte nicht. Er glaubte, das Ganze sei nur Berechnung gewesen. Du Eiszapfen, sagte er. Aber, bei Gott, du verstellst dich nur. Mitunter glaubte ich auch, daß ich keiner sei. Vielleicht war ich nur deshalb so ängstlich, weil er so brutal war. Er schlug mich oft — riß mir beinahe die Kleider vom Körper; ich mußte kratzen und beißen, um loszukommen — heulen und weinen.“

„Und doch gingst du immer wieder zu ihm?“ fragte Jenny leise.

„Ja. Die Portierfrau wollte nicht mehr bei ihm aufräumen. So ging ich hinauf und tat es. Ich hatte die Schlüssel zu seinen Zimmern. Ich wischte auf und machte das Bett — Gott weiß, wer dort mit ihm gelegen hatte.“

Jenny schüttelte den Kopf.

„Borghild war rasend darüber. Sie war es, die mir bewies, daß er eine Geliebte hatte. Ich wußte wohl etwas — aber ich wollte gar keine Gewißheit haben! Borghild behauptete, er hätte mir nur die Schlüssel gegeben, damit ich kommen und sie überraschen sollte. Aus Eifersucht sollte ich mich ihm geben, da ich ja doch schon kompromittiert sei. Aber darin irrte sie. Mich liebte er — auf seine Weise. Er hatte mich lieb, Jenny, so wie er es vermochte. Aber Borghild war so erzürnt, weil ich den Diamantring von der Urgroßmutter Rustung versetzte. Ach, das habe ich dir niemals erzählt.“

Sie richtete sich auf und lachte leise.

„Ja, siehst du, er brauchte Geld. Hundert Kronen. Ich versprach ihm, er sollte sie von mir erhalten. Ich ahnte nicht, woher sie nehmen. Papa wagte ich nicht um einen Oere zu bitten — ich hatte schon allzuviel verbraucht. So ging ich denn hin und versetzte — meine Uhr und ein goldenes Kettenarmband und dann den Diamantring; einen ganz alten, du weißt, mit vielen kleinen Diamanten auf einer größeren Platte. Borghild war rasend, weil sie ihn nicht bekommen hatte, denn sie war doch die älteste, aber Großmutter hatte ausdrücklich gesagt, ich sollte ihn haben, weil ich nach ihr genannt war. Ich ging also eines Morgens hin, gleich nachdem geöffnet worden war. Es war ein peinlicher Augenblick. Aber ich bekam doch das Geld und ging hinauf zu Hans. Er fragte, auf welche Weise ich es beschafft hätte, und ich sagte es ihm. Dafür küßte er mich. ‚Dann‘, sagte er, ‚gib mir den Leihschein und das Geld, Pussel‘ — so nannte er mich immer. Ich gab ihm beides — ich glaubte ja, er wolle die Sachen wieder einlösen, und ich sagte, das dürfe er nicht; ich war sehr gerührt, siehst du. Ich kann es auf andere Weise in Ordnung bringen, sagte Hans, und dann nahm er es und ging. Ich saß bei ihm oben und wartete — oh, ich war so gerührt, denn ich wußte, er brauchte das Geld. Ich wollte am nächsten Tage hingehen und es wieder versetzen — ich empfand es nicht mehr als unangenehm, überhaupt nichts würde mir peinlich sein; ich wollte ihm alles herbeischaffen, was er brauchte. Dann kam er zurück — weißt du, was er getan hatte“ — sie lachte unter Tränen — „es in der Volksbank eingelöst und bei einem Privatbankier in Pfand gegeben, wie er sagte. Dort bekam er viel mehr.

Wir bummelten den ganzen darauffolgenden Tag zusammen, siehst du. Champagner und alles Mögliche! Dann blieb ich des Nachts auf, und er spielte — spielte — du großer Gott! Ich lag auf dem Fußboden und heulte. Mir war alles gleich, wenn er nur so spielte — und für mich allein. Ach, du hast ihn nicht spielen hören, du — dann würdest du alles verstehen. Aber danach! Das war eine Geschichte. Wir kämpften auf Leben und Tod. Aber ich entkam ihm doch. Borghild lag wach, als ich heim kam. Mein Kleid war ganz in Fetzen gerissen. — Du siehst aus wie ein Straßenmädchen, sagte Borghild. So wirst du auch noch einmal enden, sagte sie. Ich lachte nur. Die Uhr war fünf.

Schließlich hätte ich mich ja auch ergeben, weißt du. Wäre da nicht ein Hindernis gewesen. Mitunter sagte er: ‚Du bist, weiß der Teufel, auch das einzige anständige Mädchen, das ich getroffen habe — es gibt, weiß Gott, nicht einen einzigen Mann, der dich herumbringen kann.‘ War es nicht furchtbar? ‚Ich habe Achtung vor dir, Pussel!‘ Denk dir, er hatte Achtung vor mir, weil ich das nicht tun wollte, worum er immer gebettelt, weswegen er mir gedroht hatte. Ich, die ich immer wünschte, ich hätte die Kraft — ich wollte ja so gern alles tun, um ihm eine Freude zu machen. Wenn ich nur über diesen Widerwillen hinweggekommen wäre; er war so brutal — und ich wußte, er hatte andere. Ich wünschte, er sollte aufhören mich zu erschrecken — dann hätte ich es gekonnt. Aber dann wäre ich in seinen Augen eine Gefallene gewesen ... Deshalb brach ich schließlich den Verkehr ab, weil er wollte, daß ich etwas tun sollte, um dessentwillen er mich dann verachtet hätte.“

Sie schmiegte sich an Jenny und ließ sich streicheln.

„Hast du mich lieb, Jenny?“

„Das weißt du ja — Cesca, Liebes du!“

„Du bist so gut. Gib mir noch einen Kuß! Gunnar ist auch gut. Ahlin auch. Ich werde auf mich achten — du kannst dir doch denken — ich will ihm kein Leid zufügen. Uebrigens — vielleicht heirate ich ihn. Wenn er mir so gut ist! Ahlin würde nie brutal sein, das weiß ich. Glaubst du, er würde mich quälen? Wohl kaum. Dann könnte ich Kinder bekommen. Du weißt ja, ich erbe einmal. Und er ist so arm. Wir könnten dann im Auslande leben. Ich würde immer arbeiten. Er auch. Du — über allen seinen Arbeiten liegt etwas ungemein Feines. Das Relief mit den spielenden kleinen Knaben! Und der Entwurf zum Almquistmonument! Es ist ja nicht so original in der Komposition, aber Herrgott, wie schön, wie vornehm und ruhig und wie echt — diese plastischen Figuren.“

Jenny lächelte fein und strich Franziska über das Haar — es war an den Seiten feucht geworden von ihren Tränen.

„Wenn ich nur auch immer arbeiten könnte. Ach, aber Jenny. Diese ewigen Stiche im Herzen. Und im Kopf. Die Augen schmerzen auch, Jenny — ich bin ja so totmüde.“

„Du weißt ja, was der Arzt sagt — alles nur Nervosität. Wenn du nur vernünftig sein wolltest.“

„Ja — das sagen sie. Aber ich habe solche Furcht. Du sagst — ich hätte keinen Instinkt — nicht so, wie du meinst. Aber auf andere Weise. Ich bin häßlich gewesen in dieser Woche. Das weiß ich sehr wohl. Aber ich ging umher und lauerte — ich fühlte, daß etwas Fürchterliches kommen würde. Und nun siehst du ja!“

Jenny küßte sie wieder.

„Ich war unten in der St. Agostino-Kirche heut Abend. Du kennst das wunderwirkende Madonnenbild. Ich kniete nieder und versuchte zur Jungfrau Maria zu beten. Ich glaube, mir würde wohl sein, wenn ich katholisch würde. Eine Frau wie die Jungfrau Maria zum Beispiel würde das alles viel besser verstehen können. Ich dürfte mich im Grunde nicht verheiraten, so, wie ich veranlagt bin. Ich könnte ins Kloster gehen — nach Siena zum Beispiel. Ich könnte dann in der Galerie kopieren; das Kloster würde auf diese Weise Geld verdienen. Als ich den Engel zum Melozzo da Forli in Florenz malte, stand dort jeden Tag eine Nonne und kopierte. Es wäre nicht das Schlimmste.“ Sie lachte. „Ja, das heißt, es wäre geradezu schauderhaft. Aber sie sagten ja alle, meine Kopien seien so gut gewesen. Und das stimmt. Ich glaube, ich würde dabei glücklich werden können. ... Ach, Jenny — wenn ich mich gesund fühlte! Wenn ich da drinnen Frieden bekäme — nicht so wirr und eingeschüchtert wäre innerlich! Dann würde ich frisch, und könnte arbeiten, ohne Aufhören. Ich würde so lieb und gut werden. Gott, wie lieb ich dann sein würde ... Ich bin nicht immer gut, das weiß ich wohl. Ich lasse mich von meinen Stimmungen hinreißen, wenn ich in einem Zustande bin wie eben jetzt. Aber das soll ein Ende haben — wenn Ihr alle mich nur liebhaben wollt. Besonders du. — Wir wollen diesen Gram zu uns einladen — wenn ich ihn wiedertreffe, dann werde ich zu ihm gehen und so lieb und gut zu ihm sein, wie du dirs gar nicht vorstellen kannst. Wir wollen ihn zu uns einladen und ihn mitnehmen, wenn wir ausgehen; ich will gern Kopf stehen, um ihm eine Freude zu machen. Hörst du, Jenny — bist du nun zufrieden mit mir?“

„Ja, Cesca.“

„Gunnar nimmt mich nicht ernst,“ sagte sie gedankenvoll.

„Gewiß tut er das. Er findet nur, es ist oft so viel Kindisches an dir. Du weißt, wie er über deine Arbeit denkt — erinnerst du dich, was er in Paris sagte, über deine Energie — dein Talent? Fein und persönlich, sagte er. Da nahm er dich wahrhaftig ernst genug.“

„Ja, gewiß. Gunnar ist übrigens ein prächtiger Kerl. — Er war aber doch böse über die Sache mit Douglas.“

„Jeder Mann wäre das gewesen. Ich wars auch.“

Franziska seufzte. Sie schwieg eine Weile.

„Wie wurdest du diesen Gram gestern los? Ich glaubte, es würde dir nie gelingen — dachte, er wäre mit dir heim gegangen und hätte sich hier aufs Sofa gelegt — mindestens.“

Jenny lachte.

„Nein. Er begleitete mich hinaus auf den Aventinerhügel und frühstückte dort, und dann fuhr er nach Hause. Im übrigen — ich mag ihn gut leiden.“

Dio mio! Jenny, du bist abnorm in deiner Güte. Es muß doch eine Grenze bei dir geben in deiner Rolle, Mutter für uns alle zu sein. Oder bist du vielleicht in ihn verliebt?“

Jenny lachte wieder:

„Kaum. Aber er wird sich auch in dich verlieben. Wenn du nicht ein wenig vorsichtig bist.“

„Das tun sie ja alle miteinander. Gott weiß, aus welchem Grunde. Aber es geht ja immer schnell wieder vorüber. Und hinterher werden sie dann böse auf mich.“ Sie seufzte.

Es kam jemand die Treppe herauf.

„Das ist Gunnar. Ich gehe ein wenig zu mir herüber, ich muß meine Augen kühlen.“

Sie schlüpfte hinaus und flüsterte Heggen, mit dem sie in der Tür zusammentraf, einen „Guten Tag“ zu. Er trat ein und zog die Tür hinter sich ins Schloß.

„Du bist allright, wie ich sehe, Jenny. Das bist du übrigens immer, verteufeltes Menschenkind. Du hast natürlich den ganzen Vormittag gearbeitet. Aber sie?“ Er machte mit dem Kopf eine bezeichnende Bewegung gegen Cescas Zimmer.

„Schlecht. Armes kleines Wesen.“

„Ich sah es in der Zeitung. Ich war oben im Verein auf dem Wege hierher. Darf ich sehen — bist du mit der Studie fertig? Aber hör mal, die ist fein, Jenny —.“

Heggen hielt das Bild gegen das Licht und betrachtete es lange.

„Fein, du. Dies hier — das ist glänzend. Ich finde es sehr stark ... Liegt sie jetzt wieder und weint?“

„Ich weiß es nicht. Sie saß hier drinnen und weinte. Die Schwester schrieb es ihr.“

„Wenn ich dem Lump jemals begegne,“ sagte Heggen, „so werde ich wohl immer einen Vorwand finden, um ihm eine gehörige Tracht Prügel zu verabreichen.“