Die Katastrophale Metamorphose des Ovid by Jo Krall / Hugo C - HTML preview

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Tag 7 – Dienstag 22. Juni

Beim Aufwachen ergriff mich Übelkeit. Der Geruch in dem Zimmer war bestialisch. Konnte es sein, dass das Simulacrum Angelikas echten Körper nutzte, der verweste? Lebte ich mit einem Zombie in der gleichen Wohnung? Kritisch musterte ich sie, als sie nackt im Badezimmer stand. Sie missverstand mich:

"Schon wieder? Was ist mit dir los?" Kichern "Na gut …" Diesmal, dauerte es kürzer. Es gelang mir, wenig an den Geruch zu denken. Die meiste Zeit blieb ich sogar in meinem Körper. Nur am Ende hielt ich es nicht mehr aus. Meine Pobacken sahen von hinten grotesk aus, als mein Körper sich verrenkte.

Vor meinem Büro saßen die üblichen Neandertaler. Heute hatte ich keine Lust, mir ihre ewig gleichen Geschichten anzuhören. Stattdessen surfte ich im Internet. Es war ein frustrierender Vormittag. Nietzsche war das Highlight, der größenwahnsinnige Irre. Ich irrte in den Seitenarmen des Netzes herum, gefüllt mit Verschwörungstheorien, Außerirdischen und paranormalen Aktivitäten. Die meisten schrieben geistlos voneinander ab, zumeist wortwörtlich. Die wenigen Autoren mit halbwegs intakten Gehirnzellen waren Betrüger. Der Rest wäre in einer steinzeitlichen Neandertalerhorde durch seine Dummheit aufgefallen. Entweder war ich der einzige NT oder es gelang den anderen, ihre Präsenz gut zu verbergen. Ich schüttelte den Kopf. Bald würde ich mich in die Kette paranoider Area 51 Fanatiker einreihen. Die Lösung musste einfacher sein.

Widerwillig wandte ich mich meinen Berufspflichten zu. Diesmal ordnete ich die Konsumenten nach aufsteigender Schuhgröße. Ernst fügte ich hinzu, dass aufgrund der Budgetzwänge der Regierung jeder Besucher nur zweieinviertel Minuten Zeit hätte. Zuerst waren die Neandertaler verwirrt, dann lobten sie die Maßnahme.

Beim Mittagessen war Frau Malowas wegen eines Termins im Ministerium nicht anwesend. In mein Büro zurückgekehrt, kontaktierte ich Nadous Mobiltelefonfirma und identifizierte mich als Mitarbeiter der Konsumentenberatungsstelle. Nadous Akte war offen, der Fall nicht entschieden. Das Mädchen hatte sich zu früh gefreut. Auf meine Proteste hin stimmte die zuständige Sachbearbeiterin nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten mürrisch einer Stornierung zu. Sobald dies geregelt war, rief ich Nadou auf ihrem Handy an. Das Telefon war angeschaltet und sie meldete sich schnell.

"Hallo, hier Nadou."

"Servus Nadou, hier Jo. Ich sprach gerade mit der Telefongesellschaft. Es scheint Probleme zu geben. Wir sollten uns möglichst schnell sehen, um das zu besprechen. Am besten heute noch."

Nadou war überrascht, von mir zu hören: "Meinen Sie, ich meine, meinst du wirklich ... Ich dachte, alles wäre jetzt in Ordnung."

Schnell entgegnete ich:

"Wie ich sagte, ich habe gerade mit ihnen telefoniert. Wenn du das aus der Welt schaffen möchtest, sollten wir uns bald sehen."

Sie schwieg einige Zeit und erwiderte:

"Na gut. Aber heute Nachmittag kann ich nicht, da habe ich Unterricht."

Ich war überrascht, dass sie noch zur Schule ging, ich hatte sie als berufstätig eingeschätzt.

"Wann ist die Schule zu Ende?"

"Fünf Uhr dreißig."

"Da haben wir geschlossen. Morgen Vormittag bist du in der Klasse, nicht wahr?"

"Genau."

Ich zögerte wohldosiert:

"Das ist schlecht. Die zuständige Sachbearbeiterin ist morgen Nachmittag beim Arzt und danach auf Urlaub. Laut ihrer Aussage muss dein Fall unbedingt vorher geregelt werden, sonst verpasst sie einen internen Termin. Daher wird sie die Akte morgen Mittag an die Rechtsabteilung weiterleiten. Wenn wir uns heute nicht sehen, geht die Sache zu Gericht und es wird gegen deine Eltern und dich Klage erhoben."

Jetzt klang Panik in ihrer Stimme mit:

"Das darf unter keinen Umständen passieren, meine Eltern bringen mich um."

Zögern, eine Idee.

"Kann ich vielleicht ausnahmsweise nach der Sprechstunde zu Ihnen, ... zu dir kommen?"

Ich erwiderte distanziert:

"Das Büro ist ab fünf Uhr versperrt. Für Nicht-Mitarbeiter ist der Aufenthalt um diese Zeit untersagt."

In flehendem Ton beschwor sie mich:

"Bitte, bitte, nur dieses eine Mal. Ich wäre dir wirklich sehr, sehr dankbar."

Ich hatte sie da, wo ich sie haben wollte:

"Wirklich sehr, sehr dankbar?"

Sie stutzte kurz, um wissend zu bestätigen:

"Sehr, sehr, sehr!"

"Gut. Sei pünktlich um sieben Uhr bei der Eingangstür. Gib acht, dass dich keiner sieht. Sonst kann ich dich nicht in das Haus lassen, das würde mich meinen Job kosten."

Der Nachmittag verging im Flug und ich war bester Stimmung. Als ich um 5.30 Uhr das Büro wie immer verließ, ging ich nicht nach Hause, sondern in den nächsten Supermarkt. Ich kaufte zwei Flaschen Sekt, Wodka und eine Packung Kondome, begab mich in einen Park und genoss die nachmittägliche Junisonne. Um sechs Uhr dreißig betrat ich wieder die Konsumentenberatungsstelle und sperrte das Haustor mit meinen Schlüsseln auf. Alle Mitarbeiter waren gegangen. Aus Kostengründen gab es weder Nachtwächter noch Alarmanlage. Nachdem ich den Sekt in das Tiefkühlfach des Eisschranks gelegt hatte, durchsuchte ich das Gebäude. Wir waren ungestört.

Kurz vor sieben Uhr vermeinte ich, einen schwachen Geruch zu vernehmen. Ich schnupperte. Tatsächlich, es roch leicht nach Frau, nach einer sehr aufgeregten Frau. Ich ging aus meinem Zimmer die Treppen hinunter, in Richtung Haupteingang. Die Wahrnehmung wurde mit jedem Schritt stärker und animalischer. Kurz vor der Türe angekommen, hielt ich an, schloss die Augen und atmete tief ein. Die mir entgegenschlagende Feuchtigkeit raubte mir fast den Atem. Ich spürte, wie mein eigener Körper überall reagierte. Schweiß stand auf meiner Stirn, mein Atem beschleunigte sich. Ich musste mich sehr konzentrieren, damit meine Erregung mich nicht voreilig übermannte. Wie ungewohnt. Mein Herz schlug kräftiger als sonst. Es war nicht nur schneller, es war energievoller als früher, Zeichen meiner Metamorphose. Jos Herz hätte der Anstrengung nicht lange standgehalten.

Ich atmete tief ein, dachte an kaltes Wasser und die höchste mir bekannte Primzahl. Bald hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich die Türe öffnen konnte. Sie schritt vor dem Haus auf und ab, bemüht, unauffällig auszusehen. Ich zischte ihr kurz zu. Sie sah mich und eilte in den Hauseingang. Schnell sperrte ich zu und führte sie in mein Zimmer, wo ich sie anwies, sich zu setzen. Nervös fing sie an, sich bei mir zu bedanken. Ich hörte ihr kurz zu, dann unterbrach ich sie:

"Nadou, bevor wir weiter machen, eine gute Nachricht. Ein Kollege hat Geburtstag gehabt und es ist Sekt im Eisschrank. Ich habe mir gedacht, wenn wir so spät hier sind, haben wir wenigstens etwas zu trinken."

Sie erwiderte schüchtern:

"Aber ich trinke nie Alkohol."

"Ach was, heute machen wir eine Ausnahme. Du bist volljährig, zumindest nach Ansicht der Telefonfirma. Ich bringe den Sekt gleich herein."

Ich holte die zwei Flaschen aus dem Tiefkühler in der Teeküche und füllte den Wodka in eine Glaskaraffe. Das alles stellte ich mit zwei Gläsern auf ein Tablett und trug es in mein Zimmer. Dort öffnete ich die Flasche, wobei der Korken an die Decke schoss, abprallte und Nadou nur knapp verfehlte. Sie lachte, jetzt beruhigter.

"Weil du wenig Alkohol möchtest, würde ich dir normalerweise einen Sekt-Orange geben. Leider ist uns der Orangensaft ausgegangen. Daher habe ich in die Karaffe Wasser gegeben, um den Sekt zu verdünnen. Ich trinke ihn lieber pur, für dich mische ich Wasser hinzu."

Mit diesen Worten schenkte ich den Sekt ein und füllte ihr Glas mit dem Wodka aus der Karaffe an.

Sie kostete vorsichtig:

"Puh, der ist ganz schön stark."

Ich erwiderte verächtlich:

"Sei kein Frosch, das bisschen Sekt mit Wasser. So, jetzt stoßen wir an und trinken auf ex."

Tapfer leerte sie ihr Glas in einem Zug. Ich füllte uns nach, wobei ich ihr erneut eine großzügige Portion Wodka zukommen ließ. Wieder prostete ich ihr zu und kippte den Inhalt herunter. Sie versuchte, es mir nachzutun, unterbrach einmal und leerte die Flöte. Sofort goss ich den Rest der Flasche nach und öffnete die nächste. Ihr verabreichte ich die übliche Wodkamischung.

Sie trug eine langärmelige, leichte, weiße Bluse, die nur an einem Knopf vor der Brust geschlossen war. Unter der Bluse glaubte ich, ein türkises Top zu erkennen. Ihre Hose war aus einer elastischen Kunstfaser, dreiviertellang und hauteng. An den Füssen hatte sie hochhackige, schwarze Plateauschuhe, durch dünne Bänder gehalten. Die Konturen ihres Lippenstiftes waren unscharf und das Rouge auf der Wange ungleichmäßig aufgetragen. Die Haare schienen feucht zu sein. Wahrscheinlich war sie vom Turnunterricht hierher gehetzt. Ihr Gesicht war mittlerweile deutlich gerötet und Schweiß begann, ihr auf die Stirn zu treten.

"Mir ist schrecklich heiß. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich mir die Jacke aufmache?"

"Nein, nein. Sieht uns ja keiner. Außerdem ist es hier wirklich stickig."

Ich hatte mich nicht hinter den Schreibtisch gesetzt, sondern in den Besucherstuhl neben ihr. Lächelnd prostete ich ihr zu und nahm einen Schluck. Sie hielt tapfer mit, wenngleich mit zunehmend unsicheren Bewegungen.

"Um zur Sache zu kommen. Die Telefonfirma möchte Anklage erheben. Sie sagen, du hättest das Handy betrügerisch erschlichen. Du wärest alt genug, die Unrechtmäßigkeit deines Handelns einzusehen. Sie erklären, dass sämtliche Händler die Anträge nur gegen Vorlage eines Personalausweises akzeptieren. Du hättest den Ausweis deiner älteren, volljährigen Schwester hergezeigt. Deine Eltern wollen sie wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht anklagen. Du könntest dafür in das Jugendgefängnis kommen. Deine Eltern erhalten eine Geldstrafe und müssen die Anwaltskosten zahlen. Von der Summe könnten sie sich ein neues Auto kaufen."

Natürlich hatte die Firma mir das nicht erzählt, aber selbst ein Neandertaler konnte erraten, was passiert war. Entsetzt weiteten sich ihre Augen:

"D-d-d-das darf nicht sein. Das ist entsetzlich. Was kann ich da bl-loß machen?"

Der Alkohol hatte seine Wirkung getan, sie lallte merkbar. Dennoch wollte sie das Glas, das sie in der Hand hielt, austrinken. Fürsorglich nahm ich es ihr aus der Hand. Ein Blick auf die Karaffe zeigte mir, dass sie ein Viertel der Wodkaflasche getrunken hatte. Für jemanden, der Alkohol nicht gewohnt war, war das mehr als genug. Sachte ergriff ich ihre Hand:

"Ich will nur dein Bestes. Du scheinst Alkohol wirklich nicht gut zu vertragen. Ein paar Glas Sekt mit Wasser und ich habe das Gefühl, du wärest beschwipst. Gib her!"

Sie kicherte und ich fuhr fort:

"Die Firma meinte, sie würden von einer Klage absehen, wenn ich mich persönlich für dich verbürgte. Ich sollte ihnen sagen, dass ich dich sehr gut und sehr lange kenne und du bestimmt nicht aus böser Absicht gehandelt hättest. Aber das kann ich nicht. Ich habe dich vor wenigen Tagen das erste Mal gesehen. Diese Lüge könnte mich meinen Job kosten und mir eine Gefängnisstrafe eintragen."

Sie schaute mir tief in die Augen:

"Bitte, bitte! Dieses eine Mal. Sag’ halt, dass du mich sehr lange und sehr gut kennst. Das ist dann ein Geheimnis zwischen uns."

Sie tätschelte mein Knie:

"Bitte!"

Als sie sah, dass ich weiterhin reserviert war, zögerte sie kurz, hielt inne und lächelte mit einem Mal schelmisch. Sie kniete sich vor mich auf den Boden, benetzte mit der Zunge ihre Lippen und schob meine Beine auseinander.

"Dann musst du mich ganz schnell sehr, sehr, sehr gut kennenlernen."

Als sie um elf Uhr nach der Zeit schaute, schreckte sie ausgenüchtert auf, zog sich an und eilte nach Hause. Der Doppel-X Roboter simulierte Schlaf. Falls er den mir anhaftenden Geruch bemerkte oder die Bisse sah, die Nadou hinterlassen hatte, zeigte er dies nicht.