Koreanische Literatur: Ausgewählte Erzählungen Band 1 by HŎ GIUN et al. - HTML preview

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Die Geschichte von Hŭngbu




Einmal lebten in den Grenzgebieten zwischen der Provinz Jŏnrado und der Provinz Giŏngsangdo zwei Brüder. Der ältere hieß Nolbu und der jüngere Hŭngbu. Nolbu, der sehr bösartig veranlagt war, hatte die Äcker und Reisfelder, die ihre Eltern noch zu ihren Lebzeiten an die beiden vererbt hatten, in seinen Besitz gebracht; nicht nur dies, er mißhandelte auch seinen ausgesprochen gutmütigen Bruder und vertrieb ihn aus dem Haus, so daß sich Hŭngbu am Fuß des gegenüberliegenden Berges ein Domizil bauen mußte.

Nolbu war so bösartig, daß er seinen Bruder bei jeder Gelegenheit verspottete oder endlos vor ihm prahlte. Wenn man seinen Charakter näher betrachtete, so verdiente er das Prädikat „Hundesohn". Er stellte lauter dumme Sachen an. So tanzte er zum Beispiel, wo um einen Toten getrauert wurde; wo ein Feuer ausbrach, schürte er es noch; er hängte Hund und Hühner auf in einem Haus, in dem ein Kind geboren wurde[64]; wenn er auf den Markt ging, zwang er die Markthändler, die Waren unangemessen billig zu verkaufen. Zu Hause stellte er unsittliche Dinge an: Er versohlte weinende Kinder, gab Säuglingen Kot zu essen, verpaßte unbeteiligten Leuten Ohrfeigen, nahm seinen Schuldnern die Ehefrauen weg, peinigte alte Menschen, indem er sie am Hinterkopf packte und kräftig an den Haaren zog, versetzte schwangeren Frauen Fußtritte in den Bauch. Er schiß in Brunnen, ließ Felder, auf denen Frühreis wuchs, überfluten, warf Steine in einen Topf, in dem gerade Reis kochte, schnitt Ähren ab, wo Getreide reifte, bohrte Löcher in die Raine zwischen Reisfeldern, trieb einen Keil in Kürbisse, stieß bucklige Menschen um und trat sie rücksichtslos mit den Fersen, und so weiter und so fort.

So querköpfig dieser Kerl auch war, er war dermaßen reich, daß er an vornehmen Kleidern und gutem Essen nichts entbehrte.

Hŭngbu hingegen hatte sein Zuhause verloren. So zog er hinaus, um Baumaterial für ein Haus zu beschaffen, aber nicht etwa in einen undurchdringlichen Wald, um kleine sowie extra große Bäume zu fällen; denn was er damit baute, waren keineswegs eine große Halle mit Holzfußboden, Dienerschaftsflügel, Hauptgebäude, Ehepaarflügel, eine kleine Vorhalle, prachtvolle Dächer, Gitterfenster, Schiebetüren und somit ein von vier Flügeln umgebenes Haus - sondern er ging, um sich Baustoff zu verschaffen, bloß in ein Dickicht von Kauliangstangen, schnitt ein Büschel Kauliangstangen heraus und baute so, als errichtete er eine innere Kammer, eine große Halle mit Holzboden, einen Dienerschaftsflügel, das Hauptgebäude und schließlich eine Residenz mit rundherum gezogenen Dächern. Als er sich nun umschaute, sah er, daß noch die Hälfte des Bündels Kauliangstangen übrig geblieben war.

Ungeachtet dessen, ob das Zimmer groß war oder klein, legte sich das Ehepaar Hŭngbu hin; wenn es sich streckte, ragten die Füße in den Hof hinaus, die Köpfe in den Hinterhof. Das Gesäß reichte über den Zaun hinaus. So machten sich die Dorfbewohner im Vorbeigehen über sie lustig. Dann brach Hŭngbu erschreckt in lautes Klagen aus:

„O weh! Was für ein unglücklicher Mensch bin ich! Die Glücklichen leben, mit hohen Ämtern bekleidet, in einer prachtvollen Residenz in Ruhm und Reichtum, gut angezogen und wohlgenährt, und ich armes Schwein? Ich lebe erbärmlich in einer Hütte, durch deren Dach man die Sterne sieht; wenn es aus kalten Wolken vom Himmel rieselt, strömt der Regen in das Zimmer. In diesem trostlosen Zimmer ist eine alte Strohmatte ausgelegt, wo Flöhe und Wanzen den Menschen das Blut aus dem Körper saugen. Das Haustor besteht nur aus dem Innengeflecht und die Rückwand aus dünnen Latten, so daß der kalte Dezemberwind wie ein Pfeil eindringt. Die kleinen Kinder betteln um Muttermilch, die größeren um Essen - es ist unsäglich traurig."

Trotz der so miserablen Verhältnisse war das Ehepaar nachts offenbar sehr rege, so daß die Zahl der Kinder von Jahr zu Jahr stieg. Diese wuchsen in verschiedenem Alter heran, und die Eltern waren nicht in der Lage, sie ordentlich anzuziehen. Weder die Großen noch die Kleinen konnten ihren Körper mit Kleidern bedecken. Sie hockten alle in einer Zimmerecke; wenn man die Zimmertür öffnete und hineinschaute, sahen Erwachsene wie Kinder so aus, als badeten sie gerade am Fluß; kurzum, alle lebten nackt. Da sie nicht einmal alle drei Tage eine Mahlzeit bekamen, war gar nicht daran zu denken, die Kinder auch noch anzuziehen.

Tag und Nacht machte sich Hŭngbu Gedanken darüber, doch er kam zu keinem Ergebnis. Dann sagte er plötzlich:

„Endlich habe ich eine Idee!"

Er trieb alle Kinder ins Zimmer und brachte eine breite Strohmatte herbei, die er geschenkt bekommen hatte. Dahinein schnitt er so viele Löcher, wie er Kinder hatte, und er legte sie über die Kinder. Nur die Köpfchen ragten wie Sojabohnenkeime aus der Matte heraus. Wenn ein Kind gehen wollte, um seine Notdurft zu verrichten, mußten ihm alle folgen.

Trotz dieser armseligen Umstände wollte jedoch keiner nachstehen, wenn es um leckeres Essen ging. Eines der Kinder sagte: „Mutter, ich möchte gern Nudelsuppe essen"; das zweite sagte: „Mutter, ich möchte gern Reissuppe essen"; das nächste nun: „Mutter, ich möchte gern Fleischsuppe mit Reis essen"; wieder das nächste: „Ich möchte gern Klebreiskuchen essen."

Die Mutter tröstete sie: „Kinder, quengelt nicht! Wir können uns nicht einmal Kürbissuppe leisten."

Da kam ein weiteres Kind hinzu: „Mutter, seit diesem Jahr habe ich Lust auf eine Frau, ich möchte gern heiraten."

Die Kinder quengelten, aber wovon sollten sie leben? Was das Essen anbelangte, so gab es im Haus nicht einmal eine Handvoll zermahlene Reiskörnchen: Der Eßtisch stand mit den Beinen nach oben, der Reistopf hing an einer Leine an der Wand, das Reissieb aus Bambus machte einen Klimmzug. Kurzum, es gab nur selten zu essen. Tag und Nacht krochen Mäuse herum, um nach einem Reiskorn zu suchen, vergeblich zwar, doch so emsig, daß ihnen die Lymphdrüsen an den Beinen anschwollen. Weil diese nun vereitert und aufgeplatzt waren, stöhnten die Mäuse vor Schmerz so laut, daß die Dorfbewohner nicht richtig schlafen konnten - welch ein Jammer war das!

„Mein liebes Baby, weine nicht! Es hat keinen Sinn, daß du nach meiner Brust verlangst; woher soll die Milch kommen, da ich nichts esse? Meine lieben Kinder, es ist zwecklos, mich um Essen anzuflehen; woher soll das Essen kommen?"

Auf diese Weise versuchte die Mutter, die Kinder zu besänftigen. Hŭngbu nun war von gütiger und milder Natur, so rein wie das am blauen Berge fließende Wasser und so glänzend wie der Edelstein aus dem Berg Gonriunsan[65]. Er nahm sich die Tugendhaftigkeit berühmter Persönlichkeiten zum Vorbild, hielt sich von bösen Menschen fern, Habsucht war ihm fremd, Trinkerei und Frauen interessierten ihn nicht - Reichtum spielte für Hŭngbu keine Rolle. Seine Frau sagte zu ihm:

„Mein Liebster, hör mir zu! Leg deine unnütze Lauterkeit ab! Anja[66], der ganz einfach wohnte und ganz schlecht aß, starb mit dreißig Jahren. Die Brüder Baegi und Sugje[67] verhungerten durch ihre redliche Lebensführung, und die Gisaengs[68] beweinten ihren Tod. Es ist höchste Zeit für dich, deine sinnlose Redlichkeit abzulegen und dich um die Kinder zu kümmern. Sonst werden die Kinder verhungern. Gehe hin zu deinem Bruder und laß dir ein wenig Reis geben, egal ob geschält oder ungeschält!"

„Damit ich nur Peitschenhiebe ernte?" erwiderte Hŭngbu.

„Was redest du! Ein Sprichwort sagt, man soll einem Bettler seinen Napf nicht zerbrechen, auch wenn man ihm nichts gibt. Versuch es zumindest mal! Du weißt ja gar nicht, ob du Peitschenhiebe bekommst."

Darauf begab sich Hŭngbu zum Haus seines älteren Bruders. In der abgetragenen und notdürftig geflickten Kleidung sah er ganz miserabel aus, wenn er auch auf keines der formal nötigen Kleidungsstücke verzichtet hatte, um sein Gesicht zu wahren. Wie ein Kranker taumelte er nun dahin.

Als er sich im Haus seines Bruders umsah, fand er überall prallvolle Reissäcke aufgestapelt, vorn, hinten, rechts und links. Bei diesem Anblick war Hŭngbu sehr erfreut. Doch Nolbu, sein älterer Bruder, war von unmenschlichem Charakter und sah nicht einmal auf, als sein Bruder erschien. Seine früheren Mißhandlungen waren für Hŭngbu so unerträglich gewesen, daß er in Erinnerung daran auf dem Hof stehenblieb. Dort begrüßte er den Bruder und bat um Einlaß.

„Wer bist du?" fragte Nolbu.

„Ich bin Hŭngbu."

„Wessen Sohn ist denn Hŭngbu?"

„Bruder, was soll das? Ich bitte dich, ich bitte dich! Ich bin aus Verzweiflung hergekommen, weil ich nicht mehr weiß, wie ich die Kinder ernähren soll; sie liegen den ganzen Tag hungrig herum. Wenn du mir ein wenig Reis gibst, geschält oder ungeschält, werde ich ihn mit meiner Arbeit bezahlen. Denk doch bitte an unsere Kindheit und hilf uns!" flehte Hŭngbu ihn an.

Was aber war Nolbus Reaktion? Er riß die bösen Augen weit auf und brüllte wütend:

„Du unverschämter Kerl! Hör zu! Der Himmel bringt keinen Menschen zur Welt, um ihn hungern zu lassen; die Erde bringt kein namenloses Kraut hervor. Wo hast du dein Glück verspielt? Warum belästigst du mich nun? Soll ich extra deinetwegen den Haufen von Reissäcken abbauen? Soll ich extra einen Reissack aufmachen, nur um dir etwas davon zu geben? Soll ich extra den vollen Geldschrank öffnen, um dir etwas daraus zu geben? Soll ich extra den Deckel des Riesenkrugs voller Weizenmehl hochheben, um dir etwas davon zu geben? Wie kann ich nur dir ein Kleid geben, wo alle in deiner Familie nackt sind? Soll ich dir kalten Reis geben und in Kauf nehmen, daß die schwarze Hündin hungert, die Welpen geworfen hat und in der Küche liegt? Soll ich dir die Essensreste geben und die Sau, die Ferkel geworfen hat und im innersten Stall liegt, hungern lassen? Soll ich dir Stroh geben, damit die vier großen Kühe, die für die Feldbestellung bestimmt sind, hungern? Unverschämter Kerl, du!"

Darauf ging er auf Hŭngbu los und packte ihn am Hinterkopf; dann brach er einen Stock entzwei und schlug rücksichtslos auf Hŭngbu ein.

„Was machst du, Bruder?" fragte Hŭngbu weinend. „Verglichen mit dir ist der rücksichtsloseste Mensch Dochŏg[69] ein gesitteter Mann, der bösartigste Mensch Goansug[70] ein tugendhafter Mensch gewesen. Wieso bist du so feindselig zu deinem Bruder?"

Seufzend kehrte Hŭngbu nach Hause zurück. Indessen wartete Hŭngbus Frau auf seine Heimkehr und drehte das Spinnrad, wobei sie die weinenden Kinder tröstete.

„Liebe Kinder, meine lieben Kinder, so weint doch nicht! Gestern abend habe ich im Hause Gim Dongjis durch Stampfarbeit Reis geschält, um eine Handvoll Reis zu verdienen. Davon habe ich eine Mahlzeit gekocht, nur für euch. Wir, euer Vater und ich, haben seit gestern abend überhaupt nichts gegessen. Vater ist zum Haus des Onkels hinübergegangen; wenn er Geld oder Reis mitbringt, wollen wir Essen und Suppe kochen, damit wir alle essen können. Weint doch nicht, liebe Kinder!"

Die Beruhigungsversuche halfen nicht, die Kinder hörten nicht auf zu weinen und bettelten hartnäckig.

Und so sah Hŭngbus wartende Frau aus: Von ihrer Jacke war nur noch der Kragen erhalten; sie trug eine mit Watte gefütterte, zerlumpte Jacke, einen kurzen faltenlosen Rock und Socken, die nur noch aus dem Saum bestanden. An den Strohschuhen, die sie trug, fehlten die Fersen. In dieser Aufmachung trat sie vor das Haustor und wartete, die Hand vor den Augen. Sie wartete so, wie man nach siebenjähriger Dürre auf den Regen wartet, wie man nach neunjähriger Regenzeit auf den Sonnenschein wartet, wie Jegal Iang[71] vor dem Siebensternenalter auf den Südostwind, wie Gangtaegong[72] am Uisu-See auf seine Chance wartete, wie man nach einem langen Feldzug auf den Sieg, wie man bei dem Krampfanfall eines Kindes auf den Arzt, wie eine Ehefrau nach langer Zeit des Alleinseins auf ihren Mann wartet, wie Chunhiang[73] angesichts ihrer Hinrichtung auf I Doriŏng wartete, wie eine alte Jungfrau auf die Hochzeit, wie ein über dreißig Jahre alter Junggeselle auf die Heirat, wie man im Goagŏ-Examen[74] auf die gute Nachricht wartete: So wartete sie mit den Kindern, die schon mehrere Mahlzeiten entbehrt hatten, auf Hŭngbu.

„O weh, o weh!"

Als Hŭngbu weinend zurückkehrte, lief seine Frau ihm entgegen und ergriff seine Hand:

„Weine nicht! Warum weinst du denn, mein Lieber? Bist du von deinem Bruder geschlagen worden? Wieviele Leute habe ich mit dir verwechselt, während ich auf dich wartete! Warum kehrst du erst jetzt zurück?"

Hŭngbu war wahrlich ein gutherziger Mensch.

„Mein Bruder ist nach Seoul verreist, deshalb komme ich mit leeren Händen zurück."

„Was willst du jetzt machen? Du solltest die Kinder ernähren, indem du Strohschuhe herstellst und sie verkaufst. Aber wir haben kein Stroh. Geh zum adligen Herrn hin und laß dir Stroh schenken!"

Hŭngbu ging ins Haus des adligen Herrn:

„Ist der Herr zu Hause?"

„Wer ist da?"

„Ich bin's, Hŭngbu."

„In welcher Angelegenheit bist du gekommen?"

„Wie geht es Ihnen, Herr?"

„Wie geht es euch?"

„Schlecht. Wenn Sie mir ein Bündel Stroh geben, werde ich davon Strohschuhe herstellen. Durch den Verkauf der Strohschuhe kann ich dann meine Kinder ernähren."

„Das Stroh will ich dir geben, du Armer."

Er rief seinen Diener und befahl ihm, Hŭngbu einige Bündel gutes Stroh zu geben. Hŭngbu kehrte mit dem Stroh nach Hause zurück und stellte davon Strohschuhe her. Für zehn Paar Schuhe bekam er drei Don[75]; davon kaufte er Nahrungsmittel, womit ein Essen gekocht wurde. Die ganze Familie aß zusammen. Aber es reichte keineswegs aus. Hŭngbu sah keinen Ausweg.

„Ich will als Tagelöhnerin Geld verdienen!" sagte seine Frau.

Nunmehr arbeitete Hŭngbus Frau als Tagelöhnerin; es gab kaum eine Arbeit, die sie nicht übernahm. Doch wie fleißig sie auch arbeitete, sie konnte die Familie nicht ernähren.

Indessen erhielt Hŭngbu ein Angebot von Gim, einem reichen Mann aus der Stadt:

„Ich gebe dir dreißig Iang[76], wenn du an meiner Stelle ins Gefängnis gehst und eine Prügelstrafe auf dich nimmst."

Hŭngbu dachte, wenn man dreißig Iang bekäme, könnte man für zehn Iang Hauptnahrungsmittel kaufen, für fünf Iang weitere Lebensmittel und für fünf Iang Brennholz; dann hätte man immer noch zehn Iang übrig, um Medizin zu kaufen und sich zu erholen.

Als er zum Gefängnis aufbrechen wollte, sagte seine Frau zu ihm:

„Geh bitte nicht hin! Wie bist du nur auf die Idee gekommen, deinen Körper, den du von deinen Eltern bekommen hast, für eine Prügelstrafe anzubieten?"

Wie sehr sie ihn auch von seiner Idee abbringen wollte, er hörte nicht auf sie und ging doch zum Gefängnis. Ein Sprichwort sagt, daß ein Pechvogel sich selbst dann die Nase bricht, wenn er auf den Hinterkopf fällt; dies widerfuhr Hŭngbu. Denn die Regierung hatte eine Generalamnestie erlassen, so daß alle Sträflinge freikamen. Hŭngbu kehrte also mit leeren Händen nach Hause zurück.

Seine Frau kam ihm entgegen und fragte:

„Hast du die Prügelstrafe hinter dich gebracht?"

„Nein, das habe ich nicht!"

„Gott sei Dank! Was für eine törichte Idee war das, deinen Körper, den du von deinen Eltern bekommen hast, für eine Prügelstrafe hinzuhalten!"

„Weh, o weh!" sagte Hŭngbu weinend. „Was soll ich nur machen? Ich hatte vorgehabt, von dem Geld für die Prügelstrafe einiges zu kaufen."

„Weine doch nicht!" erwiderte seine Frau. „Um Himmels willen, weine nicht! Wir sind als Nachkommen unserer Familie verpflichtet, regelmäßig Ahnengedenkfeiern zu begehen. Wie kannst du in dieser Lage die Ahnengräber pflegen? Für eine Frau ist es grausam, ihrem Mann nicht helfen zu können. Ich bin auch keine gute Mutter, da ich unsere kleinen Söhne und Töchter nicht ernähren kann. Was soll ich tun? O weh, o weh! O diese unendliche, diese unbeschreibliche Trauer! Ich sollte besser sterben, um all diese Trauer zu vergessen!"

Sie schlug sich mit den Fäusten heftig auf die Brust.

Hŭngbu wurde ebenso traurig und sagte:

„Aus der Geschichte kennen wir viele berühmte Menschen, die bitterarm gewesen waren, aber später eine große Karriere gemacht haben. Wir wollen anständig bleiben und auf eine glückliche Zukunft hoffen!"

So vergingen mehrere Monate, und der Frühling kam. Hŭngbu hatte zumindest so viel Schreiben gelernt, daß er an der Hütte aus Kauliangstangen ein Schild anbringen konnte. Auf dem Schild stand geschrieben: Der Frühling ist willkommen, und bei mir dürfen sich gerne Schwalben einnisten.

In der Tat, als der dritte Tag des dritten Monats nach dem Mondkalender kam, kehrten die Schwalben nach einem Flug über fünf Ozeane zurück und zwitscherten Hŭngbu zu, um ihm einen Gruß zu senden.

„Es gibt anderswo so viele prachtvolle Häuser, daß ihr keinen Grund habt, ausgerechnet an einer Hütte aus Kauliangstangen ein Nest zu bauen", warnte Hŭngbu die Schwalben. „Was wäre es für eine Katastrophe, wenn die Hütte im sechsten und siebten Monat des Jahres im Dauerregen zusammenbräche!"

Die Schwalben beachteten seine Warnung nicht und brachten Schlamm herbei, um ein Nest zu bauen; in dieses Nest legten sie Eier und bebrüteten sie. Bald schlüpften aus den Eiern Küken. Gerade als sie begannen, fliegen zu üben, da kroch eine Riesenschlange heran und verschlang die Schwalbenküken eins nach dem anderen.

Erschrocken rief Hŭngbu: „Was ist das für ein scheußliches Tier! Unschuldige Küken aufzufressen! Die Schwalben schaden den Menschen nicht, sondern haben ein so freundschaftliches Verhältnis zu ihnen, daß sie immer wieder zu ihrem alten Herrn zurückkehren. Es tut mir leid, daß sie nun zusehen müssen, wie ihre kleinen Küken alle zu einer grausigen Beute werden! Du schreckliche Riesenschlange! Wie scheußlich dein Kopf ist!"

Da fiel ein Schwalbenküken herab; es geriet in den Bambusrolladen und brach sich dabei beide Beinchen. Blutend lag es auf der Erde und zitterte heftig. Hŭngbu sprang zu dem Küken hin, nahm es behutsam in die Hand und sagte:

„Du armes Ding! Früher gab es einen König, der die Tiere gern hatte und liebevoll aufzog. Was für ein Unglück ist euch jetzt widerfahren! He, meine Liebe! Hast du keine Schnur da?"

„Wie könnten wir eine Schnur haben, wo wir so oft hungern müssen, wie die Reichen essen?"

Wider Erwarten holte sie aber ein Stückchen Schnur hervor und gab es Hŭngbu. Dieser legte an die gebrochenen Beinchen zur Stützung Muschelschalen und band sie mit der Schnur fest. Dann legte er das Küken auf kalten Tau, damit es sich erholte.

Nach etwa zehn Tagen waren die Beinchen wieder geheilt, und das Küken nahm von Hŭngbu Abschied, um in ein fernes Land fortzufliegen.

„Ich wünsche dir eine gute Reise", sagte Hŭngbu ergriffen, „und ich hoffe, daß wir uns im dritten Monat des nächsten Jahres wiedersehen!"

Nun machte sich die Schwalbe auf den Weg. Ungeachtet der Stürme und hoch über den Wolken setzte sie Tag und Nacht ihren Flug fort, bis sie schließlich in dem warmen Land Gangnam[77] ankam. Der Schwalbenkönig fragte sie:

„Warum hinkst du denn?"

„Meine Eltern waren nach Korea hinübergeflogen", antwortete die Schwalbe. „Am Haus von Hŭngbu haben sie ein Nest gebaut, wo meine Geschwister und ich geboren wurden. Da wurden wir von einer Riesenschlange überrascht, und meine Geschwister wurden getötet. Nur ich allein blieb am Leben und zappelte, um der Schlange zu entkommen. Da fiel ich hinunter und brach mir beide Beinchen. Als ich blutend zitterte, eilte Hŭngbu mir zu Hilfe. So wurde ich gerettet und konnte hierher zurückfliegen. Ich möchte mich für Hŭngbus Wohltat wenigstens dankbar zeigen."

Der Schwalbenkönig sagte: „Wenn man eine solche Wohltat unerwidert ließe, wäre man ein undankbares Geschöpf. Du sollst Hŭngbu einen Kürbiskern überbringen und damit die Wohltat vergelten!"

Die Schwalbe bedankte sich beim König und brach auf, sobald der dritte Tag des dritten Monats kam. Mehrere Tage lang flog sie durch die Luft, bis sie über Hŭngbus Hütte ankam. Den Kürbiskern im Schnabel, wartete sie auf eine günstige Gelegenheit. Als Hŭngbu die Schwalbe wiedererkannte, rief er ihr zu:

„Hallo, du Schwalbe! Du bist wieder hergekommen, nachdem du vergangenes Jahr weggeflogen bist. Was hast du denn im Schnabel?"

In dem Augenblick ließ die Schwalbe den Kürbiskern vor Hŭngbu fallen. Als dieser ihn aufhob, entdeckte er eine Aufschrift in Gold: „Kürbis zur Vergeltung der Wohltat".

„Es gibt ein Märchen von einer Schlange, die eine Wohltat mit einer Perle erwidert hat", sagte Hŭngbu darauf. „Diese Schwalbe hat in Erinnerung an mich diesen Kern mitgebracht; er muß auch einen Schatz enthalten."

Seine Frau fragte ihn: „Ist das nicht etwa Gold, was da gelblich glänzt?"

„Heutzutage gibt es kein Gold mehr", antwortete Hŭngbu. „Denn früher hatte Jinpiŏng[78] vierzigtausend Gŭn Gold verteilt, um Bŏmabu[79] zu suchen; seither ist kein Gold mehr übrig."

„Oder ist das ein Edelstein?"

„Es gibt keine Edelsteine mehr. Seit der Gonriunsan-Berg[80] verbrannt ist, ist kein Edelstein mehr da."

„Dann ist das vielleicht eine Perle, die auch in der dunklen Nacht glänzt."

„Es wird in dieser Welt keine Perle mehr geben, die in der Nacht glänzt. Nachdem der König Uioang des Je-Reiches die zwölffache Perle des Königs Heoang des Ui-Reiches[81] zerbrochen hat, kann es keine Nachtperle mehr geben."

„Ist das dann durchsichtiger Bernstein?"

„Durchsichtigen Bernstein gibt es auch nicht. Da Janggal aus dem Tang-Reich zu der Zeit, als der König Sejong aus dem Chou-Reich mit unlauteren Mitteln Schätze sammelte, aus allem durchsichtigen Bernstein Weingläser herstellte, kann es keinen durchsichtigen Bernstein mehr geben."

„Ist das vielleicht ein Stück Eisen?"

„Eisen gibt es heutzutage nicht mehr. Nachdem der Shih-Huang-ti des Ch'in-Reiches in allen neun Provinzen Eisen gesammelt hatte, um daraus zwölf Metallmenschen herstellen zu lassen, gibt es kein Eisen mehr."

„Dann könnte es entweder Schildpatt oder Koralle sein."

„Es gibt weder Schildpatt noch Koralle mehr. Man sagt, aus Schildpatt seien Wandschirme und aus Korallen Treppengeländer hergestellt worden. Nachdem König Goangrioang für einen Wasserpalast sämtliche Schätze aus dem Meer verbraucht hat, kann es unmöglich Schildpatt oder Koralle sein."

„Was mag es denn dann sein; ist es vielleicht ein Kern?"

„In der Tat, das ist ein Kürbiskern", sagte Hŭngbu. 

An einem ausgesuchten Glückstag pflanzte er den Kürbiskern unterhalb des Daches in östlicher Richtung unter der Mauer ein. Einige Tage später sproß ein Pflänzchen, und es wuchs so schnell, daß aus jedem Knoten üppig Blätter herauswuchsen und an jedem Stengel Blüten aufgingen, aus denen sich vier Früchte herausbildeten. Sie ähnelten den Booten auf dem Daedonggang-Fluß und hingen wie die Glocke im Glockenturm in Jongro in Seoul, rund und üppig. Hŭngbu freute sich sehr und gab seiner Begeisterung Ausdruck:

„Im sechsten Monat sind die Blüten verwelkt, und im siebten Monat haben sich die Früchte herausgebildet. Die großen sind wie Krüge, die kleinen wie Töpfe. Was für eine Freude! Meine Liebe, wir wollen einen Kürbis durchsägen; das Innere wollen wir kochen, die Schale wollen wir verkaufen und dafür Reis kaufen. Diesen Reis wollen wir essen!"

„Die Kürbisse sehen ungewöhnlich aus", erwiderte seine Frau; „wir wollen sie im kalten Tau reifen lassen, bevor wir sie ernten!"

Dieser und der folgende Monat vergingen, und als der achte und der neunte Monat gekommen waren, waren die Kürbisse voll reif. Hŭngbu und seine Frau pflückten einen Kürbis und sägten ihn durch. Sie sägten in Takt und Rhythmus. Als der Kürbis entzweiging, stiegen bunte Wolken daraus empor, und aus der Mitte trat ein Paar Knaben in blauer Kleidung hervor. In der linken Hand hielten sie ein Tablett aus Glas, in der rechten eines aus Schildpatt. Sie hoben diese in Augenhöhe, verbeugten sich und sprachen:

„Was sich in dieser Flasche aus Himmelssilber befindet, ist ein seelenerweckender Wein, der auch Tote zum Leben auferstehen läßt. Was sich in dieser Flasche aus weißer Jade befindet, ist ein die Augen öffnender Wein, der auch einem Blinden die Sehkraft wiedergibt. Was mit einem Goldblatt versiegelt ist, das ist ein den Mund öffnendes Heilkraut, das sogar einen Stummen zum Sprechen bringt. Was auf dem Tablett aus Schildpatt liegt, das ist ein Heilkraut, das den Menschen vor dem Altern bewahrt. Auf dem Glastablett liegt eine Medizin, die dem Menschen ewiges Leben verleiht. Diese Dinge sind mehr als hundert Millionen Iang wert. Sie können sie verkaufen und das Geld nach Belieben verwenden!"

Darauf verschwanden sie spurlos.

Hŭngbu freute sich sehr, denn es gab zwar in dieser Welt viele reiche Leute, aber wer hatte schon eine Medizin, die den Menschen vor dem Tod bewahrte? Hŭngbus Frau sagte:

„Auch wenn wir eine Apotheke eröffneten, würde keiner davon etwas wissen, und keiner würde kommen, um die Medizin zu kaufen. Am besten für uns wäre gekochter Reis."

„Also dann wollen wir den zweiten Kürbis durchsägen", sagte Hŭngbu. „Vielleicht gibt es darin gekochten Reis."

Sie zersägten den zweiten Kürbis, wobei sie aus Freude über den unverhofften Reichtum sangen. Als der Kürbis durchgesägt war, kamen diesmal allerlei Haushaltsgegenstände zum Vorschein, Kleiderschränke mit Perlmutteinlagen, Kleiderhaken, Seidenmatratzen, Seidendecken, ein Tuschereibstein, ein Wassergefäß mit Drachenmuster für den Tuschereibstein, ein viereckiger Schreibtisch, Lehrbücher zum Erlernen der Schriftzeichen, Tuschestein, Schreibpinsel, Papier, Seidenstoffe und so weiter - alles, was es auf der Welt gab.

„Bisher mußten wir Kleider entbehren; nun wollen wir uns lauter Seidenkleider nähen lassen und sie tragen, so viel wir wollen!"

Hŭngbus Frau freute sich unendlich.

„Meine liebe Frau, was für Kleider soll ich anfertigen lassen?"

„Laß einen Seidenhut, einen seidenen Innenhut anfertigen - alles, was du trägst, soll aus Seide sein; wenn das nicht genügt, laß einen großen Sack aus Seide anfertigen und zieh ihn dir über!"

„Lächerlich! Damit ich ersticke?"

Und sie sägten noch einen Kürbis durch.

Diesmal kam eine goldene Kiste daraus hervor, durch ein Schloß mit goldenem Schildkrötenmuster verschlossen. Hŭngbu kniete unwillkürlich nieder und öffnete die Kiste ehrfürchtig. Die Kiste war angefüllt mit Gold, Weißgold, Silber, Korallen, Perlen, Bisam, Quecksilber und so weiter. Sobald die Kiste geleert war, füllte sie sich wieder. Sechs Tage lang leerten sie die Kiste Tag und Nacht, und so wurden sie innerhalb weniger Tage steinreich.

In ihrer Hütte waren allerlei Schätze wie ein Berg angehäuft, so daß sie einzustürzen drohte.

„Wohin sollen wir mit diesen Schätzen? Wir wollen ein Haus dafür bauen. Vorher wollen wir aber jenen letzten Kürbis durchsägen!"

Sie sägten den letzten Kürbis durch.

Der Kürbis ging krachend entzwei.

Aus dem Kürbis kamen flink hervorragende Zimmerleute mit Werkzeug heraus; sie suchten ein geeignetes Grundstück aus und begannen ein Haus zu bauen. Nach den Zimmerleuten quoll haufenweise Getreide hervor.

Im Nu war ein riesiges Haus fertig; in der Scheune auf der östlichen Seite lagerten zehntausend Sack ungeschälter Reis, in der Scheune in westlicher Richtung fünftausend Sack geschälter Reis, in der Scheune auf der Vorderseite und in der auf der Rückseite waren jeweils fünftausend Sack sonstiges Getreide wie Sojabohnen, rote Bohnen und ähnliches angehäuft; dazu noch war eine Geldsumme in Höhe von neunzehntausend Iang vorhanden. Ein Taschengeld in Höhe von eintausend Iang lag im Schlafzimmer. Diener, Dienerinnen und Laufburschen hielten sich für den Dienst bereit.

„Dieser Kerl hat sich bestimmt durch Diebstähle bereichert. Wie ist es sonst zu erklären, daß er so reich geworden ist? Ich werde mal hingehen. Wenn ich dahingehe, werde ich ihm die Hälfte davon abnehmen", sagte der Schuft Nolbu und ging zum Haus seines Bruders.

Es war ein herrliches Ziegeldachhaus; das Dach sah durch seine geschwungene Form so aus, als könnte es hoch in den Himmel auffliegen. An allen vier Ecken des Hauses hingen Windglöckchen, die unaufhörlich läuteten. Es war ein riesiges Haus, das einem Palast glich; so eines hatte Nolbu im Leben noch nie gesehen.

„Siehe da! Dieses Gesindel ist wohl zum Stehlen ausgezogen. Hŭngbu, du Scheißkerl, bist du zu Hause?"

„Ein Gast scheint gekommen zu sein; schau hinaus!" befahl Hŭngbus Frau einer Dienerin in vornehmem Ton.

„Woher kommen Sie, geehrter Herr?"

Nolbu, der Bösewicht, hatte keine solche Erziehung genossen, daß er sich in einer derartigen Situation richtig hätte benehmen können. Er war verlegen, und was er sagte, verblüffte sie:

„Ich bedeutungsloser Mensch darf mir erlauben, mich zu erkundigen, ob der Besitzerkerl zu Hause ist oder abwesend."

Die Dienerin hielt sic