In der Regierungszeit des Königs Sejong in der Epoche des späteren Josŏn-Reiches gab es einen Minister, der mit Familiennamen Hong hieß; sein Eigenname soll anonym bleiben. Er stammte aus einer Familie, die von Generation zu Generation Ansehen genossen und Wohlstand erfahren hatte. Bereits in jungen Jahren bestand er das Goagŏ-Examen[96] und machte eine steile Karriere, bis er das höchste Amt der I-Dynastie, nämlich Ijo Pansŏ[97], erlangte. So stand er sowohl am Hof als auch im Volk in einem Ruf, der ihm den größten Respekt einbrachte. Er zeichnete sich so durch Königstreue und Liebe zu den Eltern aus, daß sein Name im ganzen Land bekannt wurde.
Ihm wurden früh zwei Söhne geboren; der eine hieß Inhiŏng, von seiner Ehefrau, einer geborenen Iu, zur Welt gebracht, und der andere, dessen Mutter eine Hausdienerin namens Chunsim war, Gildong.
Noch bevor Gildong geboren worden war, hatte Minister Hong einen Traum, in dem plötzlich Blitz und Donner losbrachen und ein blauer Drache mit gesträubtem Bart auf ihn losging. Es war ein Alptraum gewesen, aus dem er erschrocken aufwachte.
Er freute sich innerlich und dachte: „Da ich gerade von einem Drachen geträumt habe, werde ich bestimmt einen Sohn bekommen."
Daraufhin trat er ins Schlafzimmer, wo er von seiner Frau empfangen wurde. Mit freudigem Gesicht ergriff der Minister ihre Hände und versuchte, sich ihr zu nähern; aber sie machte eine ernste Miene:
„Ein Minister hat sein Gesicht zu wahren und seine Würde", sagte sie. „Daher kann ich Eurem Wunsch nicht entsprechen. Ihr möchtet wie ein ungestümer junger Mann etwas Unmoralisches mit mir anstellen." Sie riß sich von ihm los und ging hinaus.
Der Minister war beleidigt. Sehr verärgert kehrte er in den Herrenflügel zurück und schimpfte über die Engstirnigkeit seiner Frau. In diesem Augenblick brachte ihm die junge Dienerin Chunsim den Tee. Da niemand in der Nähe war, führte er sie in das Nebenzimmer, um sich an sie heranzumachen; sie war achtzehn Jahre alt. Nachdem sie sich einmal mit ihm eingelassen hatte, trat sie nicht mehr aus dem Haustor und dachte nicht im mindesten daran, einen anderen zu heiraten. Der Minister fand ihr Benehmen anständig und machte sie zu seiner Konkubine.
Tatsächlich wurde sie im gleichen Monat schwanger und brachte nach zehn Monaten einen Sohn zur Welt. Das Baby hatte ein ungewöhnliches Aussehen, und seine Gesichtszüge ließen auf eine große Persönlichkeit schließen; darüber freute sich der Minister sehr, obwohl er bedauerte, daß der Sohn nicht von seiner Frau stammte.
Gildong war mittlerweile acht Jahre alt und ein auffallend kluges Kind, das von eins auf hundert schließen konnte. Darum liebte er ihn umso mehr. Jedesmal jedoch, wenn er ihn Vater und den Halbbruder Bruder nannte, tadelte ihn der Minister und verbot es ihm, weil er dem Leib einer Dienerin niedriger Herkunft entstammte. Bis zu seinem zehnten Geburtstag durfte Gildong Vater und Bruder nicht öffentlich ansprechen und wurde sogar von der Dienerschaft verachtet, was ihm so schwer zu schaffen machte, daß er mit seiner Trauer nicht fertigwurde und keine Ruhe fand.
Der neunte Monat im Herbst kam; eine frische Brise wehte einsam und stimmte die Menschen traurig. Gildong, der im Arbeitszimmer in Schriftstücken las, schob plötzlich den Schreibtisch beiseite und seufzte:
„Wenn jemand mit großem Ehrgeiz zur Welt gekommen ist, geziemt es ihm, sich einen großen Schriftsteller wie Konfutse oder Mengtse zum Vorbild zu nehmen; sonst sollte man besser die Kriegskunst studieren, das Generalssiegel am Gürtel tragend viele Länder bezwingen und sich so um das eigene Land verdient machen, um seinen Namen unsterblich werden zu lassen. Aber wie einsam bin ich! Ich darf den eigenen Vater nicht Vater und den Bruder nicht Bruder nennen. Mir ist zumute, als zerbreche mein Herz. Unsäglich ist meine Traurigkeit!" Darauf stieg er in den Hof hinab und übte sich im Umgang mit dem Schwert.
Minister Hong, der gerade den Mondschein betrachtete, wurde gewahr, daß Gildong müßig auf und ab ging; sofort rief er ihn zu sich.
„Welche Lust treibt dich denn in dieser tiefen Nacht schlaflos umher?"
„Ich liebe zwar den Mondschein", erwiderte Gildong respektvoll, „aber wie könnte ich mich ein Menschenkind nennen, der ich unter den Menschen, die der Himmel als die wertvollsten Wesen im Universum geschaffen hat, keinen Wert besitze?"
„Was soll das denn heißen?" fragte der Minister.
Gildong verbeugte sich erneut. „Eine Sache bedrückt mich Zeit meines Lebens: Obwohl ich dank Euch als achtbarer Junge geboren wurde und Vater und Mutter, die mich großgezogen haben, zu großem Dank verpflichtet bin, darf ich den Vater nicht mit Vater und den Bruder nicht mit Bruder anreden." Er wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen.
Nachdem der Minister ihm zugehört hatte, empfand er Mitleid mit dem Jungen; aber weil er fürchtete, der Junge könnte dadurch, daß er ihn trösten würde, verwöhnt werden, tadelte er ihn heftig:
„Du bist nicht der einzige, der als Kind einer niedrigen Dienerin im Hause eines Ministers geboren wurde. Wie kannst ausgerechnet du dich so ungezogen benehmen? Wenn du so etwas noch einmal sagst, werde ich dir das nicht verzeihen."
Darauf wagte Gildong kein Wort mehr zu sagen; er warf sich auf den Boden und schluchzte nur. Als der Minister ihm befahl, sich zurückzuziehen, ging er in sein Schlafzimmer, doch er war unendlich traurig. Gildong, der in Begabung und Temperament niemandem nachstand und großen Ehrgeiz hatte, vermochte sich nicht zu beruhigen und hatte schließlich Schwierigkeiten, nachts einzuschlafen.
Eines Tages suchte er seine Mutter in ihrem Zimmer auf und sagte weinend zu ihr:
„Ich habe dir unendlich zu danken, daß ich aufgrund der Bindung aus meinem Vorleben im jetzigen Leben als dein Sohn geboren worden bin. Aber ich bin dazu verdammt, von niedriger Herkunft zu sein; das beklage ich unendlich. Es ist nicht richtig, daß ein Mann von den anderen verachtet wird; da ich mit diesem Gefühl nicht fertigwerde, habe ich vor, deine Nähe zu verlassen. Mach dir bitte keine Sorgen um mich und lebe wohl!"
Als die Mutter dies hörte, war sie zutiefst erschrocken. „Du bist nicht der einzige, der im Hause eines Ministers von niedriger Herkunft ist. Warum bereitest du mir durch deine engstirnige Denkweise Kummer?"
„Einst war Gilsan, der Sohn von Jang Chung, von niedriger Herkunft", erwiderte Gildong, „aber er verlor mit dreizehn Jahren die Mutter und stieg auf den Berg Unbongsan, um sich dort auszubilden; schließlich konnte er der Nachwelt einen berühmten Namen hinterlassen. Ich möchte ihm gerne nacheifern und diese gewöhnliche Gesellschaft verlassen; daher bitte ich dich, dich zu beruhigen und mir eine gute Zukunft zu wünschen. Ich beobachte gerade, wie sich Gogsanmo verhält, Vaters andere Konkubine; sie behandelt uns wie Feinde, weil sie fürchtet, die Gunst des Ministers zu verlieren. Da ich großes Unheil kommen sehe, bitte ich dich, dir keine allzu großen Sorgen darüber zu machen, daß ich das Haus verlasse!"
Die Mutter war traurig.
Was die Konkubine Gogsanmo anbetraf, so war sie ursprünglich eine Gisaeng[98] aus der Gegend Gogsan gewesen, bevor sie eine von Minister Hongs Konkubinen wurde. Sie nannte sich Choran, sie war die übermütigste und unerzogenste Frau im Hause. Sie verleumdete beim Minister alle, die ihr nicht gefielen; deshalb gab es im Hause des öfteren Szenen, die das Leben dort belasteten. Sie hatte Minister Hong aber keinen Sohn schenken können. Daß nun Chunsim ihm einen Sohn geboren hatte und in seiner Gunst lebte, machte sie so eifersüchtig, daß sie den Plan zu einem heimtückischen Attentat schmiedete.
Eines Tages kam sie auf eine bösartige Idee. Sie rief eine Schamanin zu sich und sagte:
„Der einzige Weg, mir ein angenehmeres Leben zu verschaffen, ist, Gildong zu beseitigen. Wenn du mir meinen Wunsch erfülltest, würde ich dich reichlich belohnen."
Die Schamanin freute sich über diesen Auftrag und antwortete:
„Außerhalb des Hŭnginmun-Tores wohnt eine berühmte Wahrsagerin; sie braucht nur einen Blick auf ein Gesicht zu werfen, um eine gute oder eine unheilvolle Zukunft prophezeien zu können. Man soll diese Frau hierher rufen, damit Sie ihr Ihr Anliegen ausführlich vortragen können. Dann können Sie sie dem Herrn Minister empfehlen, damit sie ihm erzählt, sie sehe für den Jungen eine unheilvolle Zukunft voraus. Dann wird der Minister ihr Glauben schenken und den Jungen beseitigen wollen. Es wäre eine gute List, wenn Sie sich dann einschalteten, um den Plan durchzuführen."
Choran freute sich sehr, gab ihr als Vorauszahlung fünfzig Iang[99] und befahl ihr, die Wahrsagerin zu ihr zu bringen. Darauf ging die Schamanin weg.
Am nächsten Tag: Der Minister war in das Zimmer seiner Frau getreten und unterhielt sich gerade mit ihr über Gildongs bewundernswerte Eigenschaften, wobei er lediglich dessen niedrige Herkunft bedauerte. Da tauchte plötzlich vor dem Zimmer unterhalb der großen Halle eine Frau auf und grüßte den Minister. Dieser fragte sie verwundert:
„Was bist du für eine Frau, und warum bist du hierher gekommen?"
„Ich bin Wahrsagerin von Beruf", antwortete die Frau. „Ich bin zufällig an Eurer Residenz vorbeigekommen."
Der Minister wurde neugierig auf Gildongs Zukunft und ließ ihn sofort zu sich kommen. Nachdem ihn die Wahrsagerin eine Weile betrachtet hatte, sagte sie entsetzt:
„Wenn ich das Gesicht Eures Sohnes betrachte, so kann ich darin ablesen, daß er eine große Persönlichkeit und ein tapferer Mann werden könnte; das Problem liegt lediglich darin, daß er keine entsprechend hohe Stellung bekommen wird. Ansonsten scheint es nichts Bedenkliches zu geben, aber ..."
Dann zögerte sie, was den Minister und seine Gemahlin verwunderte.
„Du sollst mir die Wahrheit erzählen!"
Darauf tat sie so, als könne sie es nur gezwungenermaßen verraten. Nachdem sie dafür gesorgt hatte, daß die anderen Anwesenden sich entfernten, sagte sie:
„Als ich das Gesicht Eures werten Sohnes betrachtete, sah ich, daß in ihm eine unendliche Schaffenskraft steckt. Zwischen seinen Brauen strahlt eine natürliche Kraft hervor, so daß man ihm eine königliche Physiognomie bescheinigen kann. Ließe man ihm freie Hand, so würde Unheil dieses Haus heimsuchen, und die Familie würde zugrundegehen; daher würde ich dem erhabenen Herrn raten, auf ihn achtzugeben."
Der Minister war schockiert und blieb eine Weile sprachlos. Dann nahm er sich zusammen.
„Es ist nicht einfach, dem eigenen Schicksal zu entgehen. Du darfst darüber kein Gerücht verbreiten", befahl er ihr und gab ihr etwas Geld.
Darauf ließ Minister Hong Gildong in eine Hütte in den Bergen umziehen, die er eigens zu diesem Zweck bauen ließ, und ließ seine Handlungen strengstens überwachen.
Als Gildong auch noch diese Behandlung widerfuhr, konnte er seine Traurigkeit schwer beherrschen. Unter diesen Umständen blieb ihm nichts anderes übrig, als die altchinesische Literatur über die Kriegskunst zu lesen und Astrologie und Geomantik zu studieren. Als Minister Hong davon erfuhr, erschien ihm das noch verdächtiger.
„Was sollte man tun, wenn dieser so begabte Kerl noch dazu einen übermäßigen Ehrgeiz hätte, wie die Wahrsagerin prophezeit hat?" fragte er sich.
Zur gleichen Zeit zettelte Choran zusammen mit der Schamanin und der Wahrsagerin eine Verschwörung an, um dem Minister einen Schock zu versetzen und Gildong aus dem Weg zu schaffen. Zu diesem Zweck gab sie viel Geld aus und engagierte einen Meuchelmörder namens Tŭgjae. Als sie alle Einzelheiten des Planes besprochen hatten, sagte Choran zu Minister Hong:
„Die Wahrsagerin, die kürzlich hier war, ist eine ungewöhnliche Hellseherin; was soll nun mit Gildong geschehen? Ich bin selber entsetzt und habe Angst vor ihm. Es wäre besser, wenn man ihn rechtzeitig beseitigte."
Minister Hong verzog die Augenbrauen, als er das hörte.
„Diese Angelegenheit habe ich unter Kontrolle, da brauchst du dich nicht einzumischen."
Er schickte sie zwar zurück, doch er war so verwirrt, daß er nachts nicht einschlafen konnte. Schließlich wurde er krank. Als sich seine Gemahlin und Inhiŏng, Inhaber des Joarang-Amtes[100], sehr besorgt zeigten, kam Choran dazwischen:
„Die schwere Erkrankung des Ministers ist auf Gildong zurückzuführen. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach muß man Gildong töten, damit nicht nur der Herr Minister wieder gesund wird, sondern auch diese traditionsreiche Familie wohlbehalten weiterlebt. Warum ziehen Sie das nicht in Betracht?"
„Auch wenn es so wäre, dürfte man angesichts der moralischen Grundsätze, die uns vom Himmel auferlegt sind und die man daher befolgen muß, so etwas nicht tun", antwortete die Gemahlin.
„Wie ich gehört habe", fuhr Choran fort, „gibt es einen Meuchelmörder namens Tŭgjae. Der kann, so heißt es, ohne große Umstände einen Menschen umbringen. Wenn man ihm viel Geld gibt, damit er nachts in Gildongs Zimmer schleicht und ihn tötet, könnte es der Herr Minister, wenn er nachher davon erfährt, nicht mehr rückgängig machen. Ich bitte Euch, dies gründlich zu überlegen."
Mit Tränen in den Augen erwiderten die Gemahlin und der Joarang:
„Das ist eine schreckliche Sache, aber wenn es erstens um das Land, zweitens um den Herrn Minister und drittens um unsere Familie geht, bleibt nichts anderes übrig, als daß du deine List anwendest."
Choran freute sich unverhohlen und ließ Tŭgjae erneut zu sich kommen, um ihm alle Einzelheiten zu erzählen. Dann sagte sie zu ihm:
„Führe den Plan noch in dieser Nacht aus!"
Er war damit einverstanden und wartete, bis es Nacht wurde.
Wenn Gildong an seine beklagenswerte Lage dachte, hatte er keine Lust, auch nur einen Augenblick dort zu bleiben, aber er mußte den strengen Befehl seines Vaters befolgen. Nachts konnte er aber immer schwer einschlafen. So war es auch in dieser Nacht. Er las gerade bei Kerzenschein ein Buch über Wahrsagerei, als er flüchtig zu hören bekam, daß eine Krähe im Vorbeiflug dreimal krähte. Darüber wunderte sich Gildong sehr.
„Das ist ein böses Omen, daß dieser Vogel, der die Nacht scheut, gerade im Vorbeifliegen gekräht hat", sagte er vor sich hin. Er legte die Wahrsagestäbchen auf den Tisch und befragte sie auf das böse Omen hin. Über das Ergebnis erschrak er heftig; er schob den Schreibtisch beiseite, übte die Verwandlungskunst und wartete wachsam ab.
Gegen zwei Uhr morgens öffnete ein Mann mit einem scharfen Messer langsam die Zimmertür und schlich sich in das Zimmer. Gildong versteckte sich schnell und sprach ein Zauberwort aus. Da wirbelte plötzlich ein finsterer Wind auf; die Hütte wurde unsichtbar, übrig blieb nur der schöne Anblick der hohen Berge.
Über Gildongs unheimliche Verwandlungskunst maßlos erschrocken, versteckte sich Tŭgjae und wollte die Flucht ergreifen. Doch auf einmal gab es keine Spur des Fluchtweges mehr, eine steile Felswand versperrte ihm den Weg, so daß er weder vor noch zurück konnte. Während er sich hierhin und dorthin wandte, hörte er auf einmal Flötentöne erklingen. Als er zur Besinnung kam, sah er einen Knaben auf einem Esel vorbeireiten. Dieser setzte die Flöte ab und schimpfte los:
„Aus welchem Grund wolltest du mich töten? Wie könntest du der gerechten Strafe entgehen, wenn du einen Mord begehst?"
Darauf sprach der Knabe ein Zauberwort. Auf einmal zogen sich schwarze Wolken zusammen, es goß in Strömen, und Sand und Steine flogen durch die Luft. Als Tŭgjae wieder klar denken konnte und den Knaben anblickte, erkannte er in ihm Gildong. Dessen Kunst fand er zwar bewundernswert, aber er glaubte, es mit keinem ebenbürtigen Gegner zu tun zu haben, und nahm allen Mut zusammen.
„Rechne es mir nicht an, Wenn ich dich töte", schrie er laut. „Wie könntest du's mir anrechnen? Choran hat mit einer Schamanin und einer Hellseherin eine Verschwörung beschlossen. Dann hat sie die beiden zu dem Herrn Minister geschickt, um seine Genehmigung einzuholen. So ist dein Tod beschlossene Sache."
Darauf schwang er das Messer hoch und ging auf Gildong los. Dieser war so empört, daß er ihm durch eine Zauberei das Messer abnahm. Er beschimpfte ihn heftig, das Messer in der Hand:
„Durch Habgier geblendet, schreckst du nicht davor zurück, andere Menschen zu ermorden. Damit kein Unheil mehr zu befürchten ist, werde ich so einen brutalen Kerl wie dich töten."
Er schwang einmal das Messer, und Tŭgjaes Kopf rollte auf den Boden. Gildong konnte seine Wut nicht im Zaum halten. So nahm er noch in derselben Nacht die Hellseherin gefangen und brachte sie in seine Hütte, wo Tŭgjae tot dalag. Er polterte los:
„Was hast du gegen mich, daß du zusammen mit Choran einen Mordanschlag gegen mich geplant hast?"
Und er schnitt der armen Frau den Kopf ab.
Nachdem Gildong zwei Menschen getötet hatte, schaute er in den Himmel, um die astrologischen Zeichen abzulesen. Die Milchstraße war nach Westen geneigt, der Mond schien blaß - all das erschien ihm besorgniserregend. In seiner Wut wollte er auch noch Choran töten, aber dann warf er das Messer weg, als ihm einfiel, daß sie in der Gunst des Ministers stand. Er entschloß sich, weit entfernt vom Elternhaus im Exil zu leben; daraufhin wollte er seinen Vater in dessen Zimmer aufsuchen, um sich zu verabschieden.
In diesem Augenblick nahm Minister Hong die Nähe eines Menschen wahr und öffnete verwundert das Fenster. Als er dort Gildong sah, rief er ihn in seine Nähe und fragte:
„Warum wanderst du mitten in der Nacht umher, anstatt zu schlafen?"
Gildong warf sich auf den Boden.
„Ich wollte Euch die Gnade, von den Eltern geboren und großgezogen worden zu sein, oder wenigstens einen Teil davon vergelten, aber eine ehrlose Person in diesem Hause wollte mich töten. Ich konnte mich zwar mit Not retten, doch ich habe keine Möglichkeit, Euch, Herr Minister, meine Kindespflicht zu erfüllen. Daher möchte ich heute von Euch Abschied nehmen."
Zutiefst erschrocken fragte ihn der Minister:
„Was ist denn geschehen, daß du als kleiner Knabe das Haus verlassen willst? Wohin willst du denn gehen?"
„Wenn es hell wird, werdet Ihr erfahren, was geschehen ist", antwortete Gildong. „Mein Schicksal ist nunmehr wie die treibenden Wolken. Wie könnte ich, Euer ausgestoßener Sohn, sagen, wohin ich ziehen und wo ich wohnen werde?"
Seine Tränen strömten so stark, daß er nicht weiterreden konnte. Bei diesem Anblick empfand Minister Hong Mitleid mit ihm und versuchte ihn zu trösten:
„Ich kann nun besser verstehen, welchen Groll du bisher gehegt hast. Von heute an darfst du deinen Vater und deinen Bruder ordentlich anreden."
Gildong verbeugte sich mehrfach. „Jetzt, wo Ihr mich von meiner tiefen Verbitterung erlöst habt, könnte ich auch in Ruhe sterben. Ich werfe mich auf den Boden und wünsche Euch alles Gute."
Mit wiederholter Verbeugung nahm er vom Minister Abschied; dieser vermochte ihn nicht zurückzuhalten und wünschte ihm nur, er möge gesund bleiben.
Dann ging Gildong in das Zimmer seiner Mutter, um sich auch von ihr zu verabschieden.
„Ich verlasse jetzt deine Nähe, aber ich versichere dir, daß ich eines Tages zurückkehren werde, um für dich zu sorgen. Ich wünsche dir für diese Zeit Wohlergehen und gute Gesundheit!"
Als Chunsim diese Worte hörte, ahnte sie, daß etwas geschehen war. Angesichts des bevorstehenden Abschieds ergriff sie die Hände ihres Sohnes und weinte laut:
„Wohin willst du gehen? Ich war immer traurig, daß du von mir getrennt lebtest, auch während du im selben Haus wohntest. Wie könnte ich weiterleben, nachdem ich dich weggeschickt habe, ohne zu wissen wohin? Ich hoffe, daß du bald zurückkehrst und daß wir uns wiedersehen."
Gildong verbeugte sich mehrmals vor der Mutter und trat aus dem Haustor. Wie elend war ihm zumute, als er nun ziellos hinausziehen mußte, dahin, wo ihm Wolken und Berge den Blick versperrten!
Inzwischen kam es Choran sehr verdächtig vor, daß Tŭgjae nichts von sich hören ließ; sie wollte herausfinden, wie der Plan abgelaufen war. Da erfuhr sie, daß Gildong spurlos verschwunden sei und die Leichen von Tŭgjae und der Hellseherin in seinem Zimmer lägen. Vor Erschütterung wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sofort suchte sie die Gemahlin des Ministers auf und überbrachte ihr die Nachricht. Diese wiederum geriet in Bestürzung und ließ den Joarang zu sich rufen; sie erzählte ihm alles und bat ihn, den Minister darüber zu informieren.
Minister Hong war dermaßen entsetzt, daß er ganz blaß wurde.
„Gildong ist letzte Nacht bei mir erschienen, und ich habe mich darüber gewundert, daß er in Trauer von mir Abschied nahm. Jetzt verstehe ich warum!"
Der Joarang wagte nicht zu verheimlichen, daß dies eine Intrige Chorans gewesen sei. Das löste bei ihm so tiefe Empörung aus, daß er Choran enthaupten und ihren Leichnam heimlich verschwinden ließ. Er versammelte die Dienerinnen und Diener und befahl ihnen, Diskretion zu wahren.
Gildong nun befand sich, nachdem er das Elternhaus verlassen hatte, lange auf Wanderschaft, bis er an einen Ort gelangte, der wunderschön anzusehen war. Als er tief in die Berge hineinmarschierte, um ein bewohntes Haus zu suchen, stieß er unter einem riesigen Felsen auf ein verschlossenes Steintor. Er schob es vorsichtig auf und ging hindurch; da sah er auf einem weiten Feld Hunderte von Häusern stehen. Hier waren viele Leute versammelt, die ein Fest veranstalteten und sich amüsierten.
Es handelte sich um das Versteck einer Räuberbande. Obwohl Gildong unangemeldet auftauchte, wurde er aufgrund seiner ungewöhnlichen Erscheinung freundlich empfangen.
„Wie bist du hierher gekommen? Hier sind zwar lauter tapfere Männer versammelt, aber einen Anführer haben wir bislang nicht bestimmen können. Wenn du genug Mut und Kraft besitzt, bei uns mitzumachen, dann versuch mal, diesen Stein hochzuheben!"
In diesem Angebot sah Gildong eine Chance, und er verbeugte sich vor den Leuten.
„Ich heiße Gildong", sagte er, „und bin in Seoul als Sohn des Ministers Hong und seiner Dienerin geboren. Seit ich das Haus verlassen habe, um mich nicht länger ungerecht behandeln zu lassen, befinde ich mich auf Wanderschaft, die mich in alle Teile der Welt geführt hat. Nun bin ich zufällig unter euch geraten, und ihr habt mich aufgefordert, mich euch anzuschließen. Dafür danke ich euch. Wenn ich nur den Stein dort hochheben soll, wie könnte ich dieses Angebot ausschlagen?"
Darauf hob er den Stein hoch und machte damit ein paar Dutzend Schritte, bevor er ihn abwarf. Der Stein hatte ein Gewicht von tausend Gŭn. Alle Räuber bewunderten ihn:
„Du bist wirklich sehr stark. Hier sind Tausende von Menschen versammelt, aber unter uns gibt es keinen, der diesen Stein hochheben kann. Heute hat uns der Himmel geholfen und uns einen Anführer geschenkt."
Darauf führten sie Gildong auf den Ehrenplatz und schenkten ihm einer nach dem anderen Wein ein. Dann schlachteten sie einen Schimmel, um einen Eid auf ihren Zusammenhalt zu schwören; alle nahmen einträchtig daran teil und feierten den ganzen Tag.
Von diesem Tag an übte Gildong mit allen zusammen die Kriegskunst. Innerhalb einiger Monate brachte er es soweit, daß er sie beherrschte. Eines Tages schlugen die Räuber einmütig vor:
„Wir planen seit langem, den Haeinsa-Tempel in Habchŏn zu überfallen und die Schätze dort zu rauben, aber wir konnten dieses Vorhaben nicht in Angriff nehmen, weil uns List und Taktik fehlten. Was sagen Sie dazu, Anführer?"
Gildong lachte. „Ich werde den Plan bald ausführen. Befolgt nur meine Befehle!"
Mit einem feierlichen Gewand und einer schwarzen Schärpe bekleidet, machte er sich in Begleitung einiger Gefolgsleute auf einem Esel reitend auf den Weg. Vor dem Aufbruch sagte er:
„Ich mache einen Erkundungsritt zu dem Tempel."
Er sah wahrlich wie der Sohn eines Ministers aus.
Als er am Tempel ankam, rief er den Oberpriester und meldete ihm seinen Besuch:
„Ich bin der Sohn von Minister Hong aus Seoul. Ich bin gekommen, um in diesem Tempel ein Studium zu betreiben. Morgen werden zwanzig Sŏm[101] Reis hierhergebracht; wenn Ihr davon eine ordentliche Mahlzeit zubereitet, werde ich auch Euch dazu einladen."
Dann schaute er sich im Tempel um und verließ ihn mit dem Versprechen wiederzukommen. Alle Mönche freuten sich darüber.
Nach seiner Rückkehr schickte Gildong einige Dutzend Sŏm Reis zum Tempel und sagte zu seinen Leuten:
„Ich werde mich an einem bestimmten Tag zum Tempel begeben und dort das eine oder andere vornehmen; folgt mir und tut, was ich Euch sage."
An dem betreffenden Tag begab er sich in Begleitung von einigen Dutzend seiner Leute zum Haeinsa-Tempel, wo er und seine Begleiter von allen Mönchen herzlich begrüßt wurden. Gildong fragte einen alten Mönch:
„Reichte der Reis, den ich euch habe bringen lassen, für die Mahlzeit aus?"
„Doch, das ist mehr als genug! Wir sind Ihnen sehr dankbar."
Gildong nahm den Ehrenplatz ein und lud alle Mönche zum Essen ein. Jeder von ihnen bekam einen gedeckten Tisch[102]. Zuerst trank er den Wein aus, dann bot er jedem einzelnen Wein an; die Mönche konnten ihm gar nicht genug danken.
Nachdem Gildong den gedeckten Tisch in Empfang genommen und zu essen begonnen hatte, steckte er sich plötzlich unauffällig etwas Sand in den Mund. Als er den Reis mit dem Sand kaute, gab es ein so lautes Knirschen, daß die Mönche erschraken und sich bei ihm entschuldigten. Gildong stellte sich wütend und beschwerte sich:
„Bereitet ihr das Essen dermaßen unsauber zu? Das habt ihr absichtlich aus Mißachtung meiner Person getan."
Darauf befahl er seinen Leuten, die Mönche in einer Reihe mit einer Leine anzubinden; im Tempel herrschte Angst und Panik.
Zur gleichen Zeit drangen Hunderte von kräftigen Räubern in den Tempel ein und nahmen sämtliche Tempelschätze mit, als wären es ihre eigenen. Die Mönche mußten tatenlos zusehen; nur schreien konnten sie.
Da kehrte ein Tempeldiener von auswärts zurück; er sah, was geschah, und verständigte die Behörde. Als der Präfekt der Region Habchŏn die Nachricht erhielt, mobilisierte er die Soldaten, um die Räuber gefangenzunehmen.
Während Hunderte von Soldaten die Verfolgung der Räuber aufnahmen, tauchte plötzlich ein Mönch in Priesterkleidung auf einem Berg auf und rief ihnen zu:
„Die Räuber sind auf einem Pfad in nördlicher Richtung geflohen. Verfolgen Sie sie dorthin und nehmen Sie sie gefangen!"
Die Soldaten glaubten, es handele sich um einen der Mönche des Haeinsa-Tempels, und verlegten ihre Verfolgungsjagd umgehend auf den nördlichen Pfad. Doch es wurde dunkel, so daß Sie die Räuber nicht zu fassen bekamen und sich ergebnislos zurückziehen mußten.
Gildong hatte als Mönch verkleidet im Alleingang die Soldaten getäuscht, nachdem er alle Räuber auf einen breiten Weg in die südliche Richtung geschickt hatte. Dann kehrte er wohlbehalten in das Versteck zurück. Auch alle anderen waren heil mit den Schätzen zurück. Sie kamen heraus, um Gildong zu danken. Dieser lachte:
„Wenn ein Mann keine solche List kennt, eignet er sich nicht zum Anführer einer Räuberbande!"
Von da an nannte Gildong seine Bande Hoalbindang[103]. Er zog durch alle acht Provinzen Koreas, raubte den Präfekten ihre Schätze, wenn sie mit unlauteren Mitteln gesammelt waren, und half den Armen. Das Volk aber verschonte er und ließ auch das Staatsvermögen unangetastet. Alle Räuber bewunderten ihn uneingeschränkt.
Eines Tages versammelte Gildong alle seine Leute zu einer Besprechung um sich:
„Der Gouverneur der Provinz Hamgiŏng[104] ist ein gieriger Beamter und beutet das einfache Volk dermaßen aus, daß die Menschen es nicht ertragen können. Wir sollten ihn nicht ungestraft lassen. Folgt meinem Kommando!"
So drangen einzelne seiner Leute heimlich in die Provinzhauptstadt ein und legten in der Nacht des vereinbarten Tages vor dem Südtor Feuer.
Erschrocken gab der Gouverneur den Befehl, den Brand zu löschen. Alle Beamten und Bürger eilten zur Brandstelle, um das Feuer zu löschen. In der Zwischenzeit drangen Gildongs Räuber zu Hunderten in die Stadt ein, brachen das Lagerhaus auf, stahlen Geld, Getreide und Waffen und flohen durch das Nordtor.
In der Stadt herrschte größte Aufregung. Der Gouverneur war angesichts der unvorhersehbaren Ereignisse fassungslos. Als er am folgenden Tag feststellte, daß Waffen, Geld und Getreide geraubt worden waren und das Lagerhaus leerstand, erblaßte er und setzte alles daran, die Räuber zu fassen. Sofort brachte man am Nordtor einen Steckbrief an, auf dem geschrieben stand, Hong Gildong von der Partei für die Armen sei für den Raubzug verantwortlich. Der Gouverneur entsandte Soldaten, um ihn gefangenzunehmen.
Gildongs Bande hatte nun viel Geld und Getreide gesammelt; aus Furcht, gefaßt zu werden, wandte er auf dem Fluchtweg zur Verkürzung der Entfernung Verwandlungskunst und Zauberei an, so daß er es schaffte, zusammen mit seinen Leuten in der Morgendämmerung in sein Versteck zurückzukommen.
Eines Tages versammelte Gildong die Leute um sich und sprach zu ihnen:
„Wir haben den Haeinsa-Tempel geplündert und aus dem Lagerhaus der Verwaltung der Hamgiŏng-Provinz Geld und Getreide geraubt. Über uns sind Gerüchte weit verbreitet; außerdem ha