Laura hatte Johns Anrufe vor ihrem Termin mit Dr. Stuck bewusst ignoriert, sie fühlte sich unwohl bei dem Gedanken an ein Treffen. Nach der Besprechung mit Dr. Stuck rief sie John Swansea endlich zurück und landete auf seiner Mailbox. In der Nacht hinterließ er ihr seinerseits eine Nachricht, er wäre gerade auf dem Weg nach Schanghai. Er müsse einige Wochen geschäftlich in Asien sein und würde sich nach seiner Rückkehr melden.
Sie seufzte, als sie die Aufzeichnung abhörte. China wäre nach ihrem Geschmack, Europa war so schrecklich Zwanzigstes Jahrhundert. Ernüchtert ging Laura ihrem alten Leben nach. Am Montag nach der Sitzung mit Meir Huxley war sie wieder ihrem alten Chef zugeordnet. Er war offensichtlich neugierig, traute sich jedoch nicht, sie nach den Geschehnissen der letzten Wochen zu fragen.
Seit etlichen Jahren hatte sie keine Unternehmenskäufe mehr durchgeführt. Fast hätte sie den Reiz der durchwachten Nächte, der harten Verhandlungen auf der Chefetage und den Triumph des erfolgreichen Deals vergessen. Mehrere Wochen hatte sie erneut das intensive Leben eines Deal Junkies gelebt, jederzeit mit Zugang zu unbeschränkten Quantitäten an Adrenalin. Sie fühlte sich wie ein trockener Alkoholiker, der unerwartet in den Genuss eines Vollrausches gekommen war und sich nach den verbotenen Freuden der Vergangenheit sehnte.
Das alles hatte sie hinter sich gelassen, als John das Angebot annahm, Chef von RSS zu werden. Sie war ihm nachgefolgt, von einem Job planlos zum nächsten gesprungen, lediglich darauf achtend, in der Nähe seines Büros zu sein. Ein Faktum hatte sie in all den Jahren erfolgreich verdrängt: Sie wollte Kinder und John nicht. In den letzten Monaten vernahm sie immer dringlicher das Ticken ihrer biologischen Uhr. Eines Morgens kurz nach seiner Abreise klingelte ihr innerer Wecker, und sie stand mit dem klaren Bewusstsein auf, dass das Kapitel ‚John‘ beendet sei.
Mit verzweifelter Vehemenz stürzte sie sich in den nächsten Wochen in die Datingszene. Schnell wurde sie eine hervorragende Kennerin aller Online und Offline Börsen. Ihre wenigen Freundinnen verblüffte sie durch ihren Entschluss, verkuppelt zu werden. Sie traf Dutzende von Männern und entgegen des landläufigen Klischees war es nicht ausschließlich beschädigte Ware.
Mit Übung gelang es ihr, frech, sympathisch und verführerisch zu wirken und den Eindruck der kompetenten zukünftigen Mutter zu vermitteln. Dem Glück zu zweit stand lediglich eines im Weg: sie selbst. Es gelang ihr nicht, aus den Horden paarungswilliger Männer einen heraus zu suchen, der sie interessiert hätte. In den wichtigen Dimensionen waren sie alle so – klein, und das war nicht unbedingt physisch gemeint. Bei keinem von ihnen führte das Eintreten in einen Raum dazu, dass die Gespräche verstummten. Ihr war, als wäre sie aus der Chefetage der Männer in das Großraumbüro abgestiegen.
Am Ende mehrerer intensiver Wochen hatte sie eine Vielzahl langweiliger Abende verlebt, aufgelockert durch einige sehr unterhaltsame Nächte. Den Vater ihrer Kinder hatte sie nicht kennengelernt. Ihr bisher klarer Lebensplan fing an, sich zu verschleiern.
Sie begann, John umso stärker zu vermissen, je mehr Männer sie traf. Er war nicht der schönste oder stärkste Mann, den sie je gesehen hatte. Er war auch nicht der beste Liebhaber, doch er hatte wirkliches Format. Laura beschloss, der schizoiden Natur ihrer Beziehung zu John ein Ende zu bereiten. Sie standen vor einer Weggabelung und mussten gemeinsam eine bewusste und eindeutige Entscheidung treffen. Sie befürchtete, Johns Antwort zu kennen, fand es jedoch unfair, ihm keine Chance zu geben. Der Mangel an Alternativen bestärkte sie in ihrem Entschluss, einen letzten Versuch mit ihm zu wagen. Sehnsüchtig erwartete sie seine Rückkehr.