Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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EINE UNGEWÖHNLICHE VITA

Dr. Stuck hatte entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten Schwierigkeiten beim Aufstehen. Er blickte im Bett zur Seite und erblickte eine nackte, junge Frau. Sein Adrenalinspiegel schnellte in die Höhe und die Erinnerung an die letzte Nacht setzte ein. Im fahlen Tageslicht übernahm rasch sein Gehirn die interne Führerschaft, und er begutachtete ihren Körper mit klinischem Interesse. Mit Ausnahme eines blauen Flecks am rechten Knie wiesen keine Spuren mehr auf den Unfall der letzten Nacht hin.

In 45 Minuten würde sein Chauffeur erscheinen, um ihn wie gewohnt abzuholen. Dieser dürfte Krista Hofmann unter keinen Umständen erblicken. Außerdem musste er unbedingt alle Hinweise auf ihre Anwesenheit beseitigen, damit seine Putzfrau nicht von seinem doppelten nächtlichen Abenteuer erführe. Daher weckte er Krista Hofmann rüder als geplant auf.

"Krista, wach bitte auf, es ist spät, und ich muss zu einem Termin.”

Sie blinzelte ihn verschlafen an und streckte ihre Arme nach ihm aus.

"Sag den Termin ab, schließlich bist du der Chef. Wir beide haben etwas vor, was dir sicher mehr Befriedigung bereiten wird.”

Mit diesen Worten hob sie die Decke hoch und reckte ihm spielerisch ein Bein entgegen.

"Komm, ein bisschen Zeit haben wir noch.”

"Gerne ein anderes Mal, jetzt muss ich weg. Ich habe leider nichts zum Frühstücken zu Hause, das nehme ich meist im Büro ein. Am besten isst du im Hotel. Das Taxi bestelle ich dir gleich.”

Sie seufzte und stand auf.

"Schade, hätte mir großen Spaß gemacht.”

Unter der Dusche stehend, rief sie:

"Bist du sicher, dass du nicht mit mir duschen möchtest? Komm!”

Im Kopf war er bereits der Vorstandsvorsitzende, der seinen Tag strukturierte und vorplante. Dennoch gewann beim Anblick ihres nassen, nackten Körpers seine untere Körperhälfte den inneren Wettstreit.

Im Büro wartete bei seinem Eintreffen bereits Peter Markowski in seinem Vorzimmer. Dieser begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen.

"Ich habe interessante Neuigkeiten für Sie.”

"Kommen Sie mit und erzählen Sie. Frau Semmler, es wäre nett, wenn Sie mir heute ein zweites Brötchen zum Frühstück organisieren könnten.”

Dr. Stuck war trotz der Eile korrekt gekleidet und strahlte die gleiche entspannte Energie wie immer aus. Niemand hätte bei ihm die Aufregungen der letzten Nacht vermutet. Von Kopf bis Fuß war er der Industriekapitän auf der Brücke, der sich auf den Kurs seines Schiffs konzentrierte. Nachdem die beiden sich gesetzt hatten und Frau Semmler das Zimmer verlassen hatte, begann Markowski, zu erzählen.

"Es gibt Zeiten, in denen mir mein Beruf besonders viel Spaß macht und mich an meine Kindheit erinnert. Manche Aufgaben sind wie kompliziert verschnürte Geschenke. Es ist harte Arbeit, an den Inhalt zu kommen, aber das Ergebnis ist den Aufwand wert. Voilà, in diesem Paket ist der bemerkenswerteste Lebenslauf, den ich bei einem Topmanager jemals gesehen habe.”

"Sie machen mich neugierig!”

"Letztes Mal hatte ich erwähnt, dass ich bei John Swansea lauter Nieten gezogen hatte. Ich wollte nicht locker lassen, und habe einige Freunde und Bekannte getroffen.”

Stuck wusste von früheren Anlässen her, dass er gut beraten war, sich nicht nach diesen Bekanntschaften zu erkundigen.

"Ein paar von ihnen waren so nett, mir zu helfen und fragten in ihrem Freundeskreis nach.”

Beide gaben sich keinen Illusionen bezüglich Markowskis Beziehung zu seinen ‚Freien‘ hin. Ebenso wenig zweifelten sie an der Illegalität der eingesetzten Mittel. In diesem Fall war Schweigen die beste rechtliche Verteidigung, und sie praktizierten es ausgiebig. Vor Gericht konnte Dr. Stuck behaupten, nicht über die gesetzeswidrigen Methoden informiert gewesen zu sein, ohne einen Meineid zu leisten.

"Diese Freunde verschafften sich Zugang zu Dokumenten, die das Leben von John Swansea dokumentieren. Er ist, wie wir vermutet haben, Amerikaner. Über seine ersten drei Lebensjahrzehnte ist fast nichts bekannt, und das hat einen guten Grund. Alle Unterlagen wurden bewusst vernichtet. Lediglich das Jahrgangsfoto der Wharton University überlebte, es existieren zu viele Exemplare. Die Ursache der planmäßigen Identitätslöschung dürfte seine damalige Tätigkeit als verdeckter Ermittler für den FBI gewesen sein. Es ist mir ein Rätsel, wie er zu dem Job kam. Ziel der Untersuchung war die Mafia an der Ostküste, allerdings war sie nicht besonders erfolgreich. Ein paar untere Chargen landeten für kurze Zeit hinter Gittern, ein großer Wurf war nicht dabei. Unser Mann wurde im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes mit dem neuen Namen ‚John Swansea‘ in die amerikanische Provinz geschickt, möglichst weit weg von der Mafia und New York. In seinem Fall hieß das Alamogordo, New Mexico.

Der Name des Ortes ist Ihnen vielleicht bekannt, Oppenheimer hat dort in den 40ern die Atombombe entwickelt. Die Amerikaner betreiben weiterhin eine große Atomforschungseinrichtung mitten in der Wüste. Swansea hat als Leiter der Verwaltung angefangen und für die Militärs Proviant eingekauft und den Reinigungsdienst organisiert, ein glorifizierter Hausbesorger. Ziemlich schnell sorgte er für Furore. Nach 12 Monaten holte ihn das Pentagon in einen Vorort von Washington D.C. und vertraute ihm eine streng geheime Aufgabe an. Gerüchten zufolge war er der DIA zugeordnet, dem amerikanischen Militärgeheimdienst. Vermutlich war er zu Beginn in der Verwaltung tätig, internationale Logistik oder Ähnliches. Daraufhin ging er im Auftrag der DIA einige Zeit in das Ausland. Ich nehme an, dass es Deutschland war, denn am Ende dieser Zeit konnte er Deutsch.

Von da an beginnt eine Periode des langsamen Ausklinkens aus dem geheimdienstlichen Bereich. Erleichtert wurde das durch eine Serie von Todesfällen bei der Mafiafamilie, gegen die er ermittelt hatte. Nicht dass Sie glauben, da hätte ein Bandenkrieg getobt, alles natürliche Todesursachen. Die meisten Capos waren in den Achtzigern und es gab eine Reihe von Schlaganfällen, Herzinfarkten und Alzheimer-Erkrankungen. Johns ehemalige Familie zerfiel, und ein anderer Clan übernahm die Aktivitäten.

Swansea nutzte seine Freiheit und erhielt bei einem Lieferanten der DIA ein Vorstandsmandat. Deren PR-Dame hatte hauptsächlich den Auftrag, den Namen des Unternehmens und seiner Vorstände aus der Zeitung herauszuhalten. Danach holte ihn ein großer US-Rüstungskonzern als Direktor. Das ist die höchste Position, bei welcher der Name des Rolleninhabers nicht im Geschäftsbericht anzuführen oder der Wertpapieraufsicht zu melden ist. Persönlich glaube ich, dass er diese Aufgaben nicht innehatte, weil er ein guter Manager war. Meines Erachtens war er jedes Mal der Vertrauensmann der DIA, der er bis heute angehört. Ich bin mir sicher, dass die Militärs ihn zu wichtigen Lieferanten geschickt haben, um darauf zu achten, dass sie nicht übervorteilt werden.

Der Jahresbericht von RSS führt keine Kunden an. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass die größten Abnehmer das amerikanische Militär und die NATO sind. Dabei ist die RSS kein bekannter Rüstungskonzern, viele ihrer Produkte sind dual-use, das heißt, sie werden sowohl militärisch wie zivil genutzt. Es ist folglich kein Zufall, dass der Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens, Graf von Tilly, ein ehemaliger deutscher Verteidigungsminister ist. Das deutsche Verteidigungsministerium verfolgt bei ihren Lieferanten eine ähnliche Personalpolitik wie die Amerikaner. Meines Erachtens ist Swansea nicht deswegen im Vorstand von RSS, weil er ein hervorragender Manager ist, sondern weil ihn das amerikanische Militär, das die NATO dominiert, auf der Position haben möchte.”

Dr. Stuck war ein erfahrener Mann und der festen Überzeugung, ihn könne nichts erschüttern. Seit der Erwähnung der Mafia saß er mit offenem Mund wie versteinert da. Nach einigen Minuten fasste er sich, stand auf und ging umher, mit der Handfläche sein Kinn reibend. Er hielt inne und blickte Markowski an.

"Das ist ja ein toller Tobak! Das bedeutet, uns will nicht ein aufgeblähter, orientierungsloser Mischkonzern kaufen, sondern der amerikanische Geheimdienst! Sei es CIA oder DIA oder wie sie alle heißen. Denen stehen Mittel zur Verfügung, von denen wir nur träumen können! Wahrscheinlich haben sie diesen Raum vor Ewigkeiten verwanzt und mein Haus und Mobiltelefon sowieso.”

"So schlimm ist es nicht. Heute Nacht hat meine Mannschaft bis fünf Minuten vor Ihrem Eintreffen dieses Büro genau untersucht, es ist sauber. Was alle anderen Räume betrifft, für die würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Definitiv abgehört wird Ihr Mobiltelefon. Die Daten jedes Handys werden von meinen Kollegen vom BKA automatisch mitgeschnitten und an die Amerikaner, genauer gesagt: die NSA, weitergeleitet. Der einzige sichere Raum ist Ihr Büro, vorausgesetzt, Sie lassen ihr Mobiltelefon und Ihren Computer im Vorzimmer, so wie jetzt.”

Dr. Stuck schwieg und dachte nach. Sollte sein Haus tatsächlich von den Amerikanern abgehört werden, wäre er nach dem nächtlichen Liebesabenteuer erpressbar. Er stand auf und ging umher, innerlich fluchend wegen seiner Eselei.

Hilfreich war, dass die Initiative eindeutig von Krista ausgegangen war, das eliminierte die sexuelle Nötigung. ‚Topmanager betrügt langjährige Ehefrau mit einer Jüngeren’ würde keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken, geschweige denn Zeitungen verkaufen. Außer seine Familie interessierte das niemanden. Sollte Renate die Unterlagen zugespielt bekommen, würde das ihre Ehe strapazieren, seine berufliche Position wäre nicht beeinträchtigt. Die Amerikaner hätten daraus keine Vorteile gewonnen. Daher war zu erwarten, dass sie zuerst ihn kontaktierten und ihm mit der Weitergabe der Unterlagen drohten.

Gott sei Dank war die sexuelle Nötigung aus dem Spiel, sonst hätten seine Gegner es einfach gehabt. Nach derartigen Medienberichten wäre seinem Aufsichtsrat nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu beurlauben und die Leitung der Verkaufsverhandlungen an seinen Finanzchef zu delegieren. Dieser wäre mit dem Angebot wahrscheinlich einverstanden, falls es ein wenig nachgebessert würde, und schon wäre die LS Technologies verkauft.

Er wandte sich Markowski zu: "Die offensichtliche Frage ist natürlich, warum der amerikanische Geheimdienst LS Technologies kaufen möchte? LS stellt marktübliche Elektronikkomponenten für Personenfahrzeuge her. Wir beliefern kein Militär. Es fällt mir beim besten Willen nicht ein, warum wir für Spione von Interesse sein sollten.”

"Vermutlich können Sie das besser beantworten als ich. Wie schaut unsere Produktpipeline aus? Was könnte die Amis interessieren?”

"Lassen Sie mich nachdenken.” Er schwieg eine halbe Minute.

"Wir entwickeln preiswerte Autokomponenten, keine Hightech. Firmenspionage für Detroits Interessen? Die Anforderungen auf dem amerikanischen Markt sind spürbar anders als bei uns in Europa. Macht keinen Sinn.

Genug der Spekulation, bleiben wir bei den Fakten! Was sind die nächsten Schritte? Finden Sie mehr über das Privatleben von Herrn Swansea heraus. Vielleicht gibt es einen Skandal in der Vergangenheit, den er ungern publiziert sehen möchte, Sie wissen schon! Ich muss wissen, wer ihn berät, wie sein Team ausschaut und ob ein Geheimdienst ihn kontaktiert.”

Markowski nickte gehorsam, seine innere Skepsis blieb. Deutscher Mittelständler gegen das amerikanische Imperium: Im Vergleich dazu war David gegen Goliath der Topfavorit gewesen.