Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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RHEINFISCHER

Peter Markowski war überrascht gewesen, Laura Sand im ‚Gigolo‘, einem seiner Lieblingslokale, zu treffen. Die Analyse Lauras hatte bisher für ihn zweite Priorität besessen, jetzt bedauerte er dieses Versäumnis. Er selbst hatte aus seiner Homosexualität nie ein Geheimnis gemacht, obgleich seine Karriere beim BKA darunter gelitten hatte. Es war ihm folglich nicht peinlich, im ‚Gigolo‘ gesehen zu werden. Im Gegensatz zu anderen Schwulenlokalen hatte das ‚Gigolo‘ kein Heteropublikum. Die Eigentümerin, Chloe, legte darauf großes Augenmerk. Wenn der Abend weiter vorrückte, fand sie es in Ordnung, dass alle in Hitze gerieten. Da viel Alkohol floss, wollte sie es ihren Kunden nicht zumuten, nachdenken zu müssen, von welchem Ufer der Gesprächs- oder Tanzpartner käme. Chloe reduzierte gerne die Komplexität im Leben ihrer Gäste.

Was machte Laura Sand in diesem Hardcore Schwulenlokal? Markowski hatte sie hier noch nie gesehen, und sie machte nicht den Eindruck einer Lesbe. Zudem befand sie sich in Gegenwart eines Mannes in ihrem Alter, der offensichtlich an ihr sexuell interessiert war. Er schien sich in dem Lokal unbehaglich zu fühlen, versuchte jedoch, dies nicht zu zeigen. Laura wiederum hatte sichtlich wenig Interesse an ihrem Gesprächspartner. Das Ambiente musterte sie dafür umso intensiver, wie eine Zoobesucherin oder Anthropologin.

Warum hatte Laura für das Treffen mit dem Mann diese Bar gewählt? War eine Beziehung in die Brüche gegangen, und sie schritt auf neuen Wegen? Markowski machte sich eine geistige Notiz und wandte sich wieder seinem Partner zu. Als er später am Abend nach Laura Sand Ausschau hielt, konnte er sie nicht mehr sehen.

***

Einige Tage später hatte Markowski den nächsten Termin bei Dr. Stuck. Markowskis Auftrag war es gewesen, herauszufinden, was John gegen LS Technologies im Schilde führte. Seine Freien hatten wenig Erfolg gehabt. Seit dem Einbruch hatte Swansea seinen privaten Computer nicht verwendet, weshalb Markowski keinen Zugang zu seinem privaten E-Mail-Konto bekommen hatte. Es gelang seinen Experten, die IP-Adresse von Swanseas Sekretärin zu eruieren und auf ihrem Computer einen Trojaner zu platzieren. Dieser ermöglichte ihm den Zutritt zu Swanseas Kalender und seinem beruflichen E-Mail-Konto. Der Mailverkehr war umfangreich, betraf LS Technologies jedoch nicht.

"So, so, Herr Markowski, das heißt, wir wissen nicht viel über seine derzeitigen Aktivitäten und fischen im Trüben, Rheinfischer sozusagen. Wobei: Selbst der Rhein ist mittlerweile nicht mehr so trübe wie unser Wasser hier.

Leider wird das Bild auf meiner Seite des Fischerbootes klarer. In den letzten Wochen äußerten langjährige Kunden zunehmend Beschwerden. Hinsichtlich der harten Fakten hat sich nichts geändert. Unsere Qualität ist genauso hoch wie vor drei Monaten, sechs Monaten oder zwei Jahren. Die Innovationsrate unserer Ingenieure ist ungebrochen hoch und die Pünktlichkeit unserer Lieferungen allzeit gesichert.

Dennoch vernehme ich seitens unserer Abnehmer konstante Kritik. Wenn ich frage, was sich geändert hat, höre ich ausweichende Antworten. Einige sagen, sie wären immer unzufrieden gewesen, und jetzt wäre ihnen der Geduldsfaden gerissen."

"Sind diese Kunden US-Konzerne?"

"Sie denken an das Vorleben von John Swansea. Nein, das ist das Eigenartige. Es handelt sich primär um europäische und asiatische Hersteller, es sind sogar deutsche dabei. Die Amerikaner jammern nicht mehr und weniger als die anderen.

Es kommen einige bestehende größere Aufträge zur Neuausschreibung. Wenn diese Auftraggeber monierten, würde mich das nicht beunruhigen. Das ist Teil der Verhandlungsstrategie, um die Preise für die Auftragsverlängerung zu senken. Diesmal jammern die Kunden, deren Aufträge erst in zwei Jahren auslaufen, genauso, und das macht mir Sorgen. Wenn ein einziger Vertrag vorzeitig wegen dauerhaften Qualitätsmängeln gekündigt wird, kann das einen Dominoeffekt auslösen. Theoretisch kann ich wegen Vertragsbruch klagen. In Wirklichkeit kann ich es mir in einem Markt mit wenigen potenziellen Kunden nicht leisten, mit einem von ihnen verfeindet zu sein."

Markowski blickte Dr. Stuck längere Zeit an und erwiderte: "Das war wohl das Atout von John Swansea. Faktum Eins: John Swansea bricht unerwartet die Gespräche ab. Faktum Zwei: Unsere bis dato zufriedenen Kunden rebellieren unerwartet ohne externen Anlass. Entweder ist John Swansea Hellseher oder er hat besorgniserregende Fähigkeiten, nicht unbedingt magischer Natur. Herr Dr. Stuck, ich glaube, das fällt in Ihr Gebiet."

"Meinen Sie, dass ich ein ebenso begnadeter Wahrsager bin wie John Swansea?"

"Nicht erforderlich. Rufen Sie die Kunden an, die sich nicht beschwert haben. Vielleicht haben John Swanseas Helfer versucht, bei Ihnen Druck zu machen. Fangen Sie am besten bei denen an, mit denen Sie seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Die, mit denen Sie gemeinsam durch dick und dünn gegangen sind."

"Bei Ihnen klingt das wie ein Karl-May-Roman. Einkaufsleute werden alle drei Jahre ausgetauscht. Dann kommt der Nächste aus der Firmenzentrale in Ingolstadt, Detroit oder Tokio. Wenn wir zu teuer werden, bin ich draußen. Egal, ob wir uns die Wiege geteilt haben oder nicht."

"Verstehe. Und Sie kennen niemanden länger?"

"Ich könnte mit Martin Auer sprechen. Wir haben beide in Aachen studiert und während der Saison gehen wir gemeinsam jagen. Er ist bei BMVV in der Fertigung tätig. Nicht der Chef, doch das meiste, was dort besprochen wird, hört er ebenfalls. In der Vergangenheit haben wir es peinlich vermieden, über das Geschäftliche zu reden. Mir scheint, diesmal wäre die Ausnahme berechtigt."

"Ausgezeichnet, das könnte uns den Durchbruch verschaffen."

Es blieb beiderseits unausgesprochen, dass Martin Auer das letzte Schilfrohr war, an das sie sich in Seenot klammerten.