Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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FRONTSCHWEINE

Hansi Posselt schaute angewidert auf Markowskis Tablett: angetrockneter Hühnerschenkel und fetttriefende Pommes frites. Er selbst hatte das geringste Übel gewählt: ein Käsebrötchen, verunziert durch ein welkes Salatblatt. Jedes Mal, wenn Markowski ihn treffen wollte, bestand dieser darauf, eine Autobahnraststätte aufzusuchen. Damit nicht genug, musste er immer etwas essen, um nicht aufzufallen. Sie wollten hier als zwei Geschäftsleute der unteren Preisklasse zwischen zwei Terminen wahrgenommen werden.

Hansi war aus seiner Jugend übleres Essen gewohnt. Einer der Vorteile seines mittlerweile errungenen Wohlstandes war es, diese Art von Abfütterungsstätten nicht mehr aufsuchen zu müssen. Seine eigenen Spiellokale waren ebenfalls nicht an der Spitzengastronomie orientiert. Wie das Autobahnrestaurant lebten sie vom Aufwärmen von Fertiggerichten. Somit wusste er, wie Lieferanten auszuwählen waren, und wie lange Speisen maximal warm gehalten werden durften. Hätte jemand ihm in seinem eigenen Restaurant eine solche Mahlzeit vorgesetzt, er hätte den Leiter des Lokals auf der Stelle hinausgeworfen. Seufzend biss er in das zähe Gebäck und schluckte den Bissen mit Todesverachtung. Die Deutschen verstanden nichts vom Essen.

Peter Markowski seinerseits war einem guten Gericht nicht grundsätzlich abgeneigt. Während seiner Dienstzeit hatte er jedoch gelernt, Nahrungsaufnahme und sinnliches Vergnügen zu trennen. Hier und jetzt war Essen funktional. Autobahnrestaurants waren logistisch unschlagbar, und um nicht aufzufallen, mussten sie sich wie die anderen Römer verhalten. Gut essen könnte er nach Dienstschluss.

"Das Projekt ‚Tschaikowski‘ geht weiter".

Die Bezeichnung hatte Markowski aus nahe liegenden Gründen als Anspielung auf Swanseas Namen gewählt.

"Ich dachte, die hätten das Angebot zurückgezogen?"

"Welches Vögelchen hat dir das zugezwitschert? Ich kann mich nicht erinnern, dir davon erzählt zu haben!"

Hansi schaute ihn mitleidig an.

"Schaun’s, ganz blöd bin I a net!" Es machte ihm gelegentlich großen Spaß, in seinen heimatlichen Dialekt zurückzufallen. Vornehmlich, wenn er einen Gesprächspartner hatte, der ihm nicht folgen konnte und in Verlegenheit geriet. "Wos I von Ihna glernt hob, is, dass Informationen olles san. Je mehr I waaß, desto besser isses."

"Könntest du bitte dein Gossen-Schönbrunnerisch kurz vergessen, und Deutsch mit mir reden? Du bist doch ein gebildeter Mensch!"

"Wann I gebüdet bin, haaßen Sie Lutschker. Die Schul kenn I nur vom Stangeln."

Jetzt wurde Markowski ärgerlich und Hansi fuhr lächelnd fort: "Unseren piefkinesischen Mitbürgern zuliebe bin ich gerne bereit, mich der Sprache von Goethe und Hitler zu bedienen. Besser so?"

"Goethe war wenigstens gebürtiger Deutscher, im Gegensatz zu den fragwürdigen Existenzen, die es über unsere südöstliche Grenze schwappt. Um zur Sache zu kommen. Die Unterlagen über unseren Komponisten, die du mit Bronco gesammelt hast, waren hilfreich. Jetzt ist das Interesse des Komponisten unerwartet erloschen. Um es auf deinem Niveau auszudrücken: Stell dir vor, ein Freier kommt zur Dirne. Er schlägt einen Preis vor, zieht sich aus und noch bevor er angefangen hat, überlegt er es sich anders, nimmt das Geld vom Tisch, kleidet sich an und geht. Genau das hat unser Komponist gemacht."

Jetzt war es an Hansi, verärgert zu sein. Nie hatte er sich als Lude betätigt und hätte diese infame Anschuldigung jedem anderen gegenüber tatkräftig zurückgewiesen. Offensichtlich wollte Markowski, dem das bekannt war, ihm seine anfänglichen Bosheiten zurückzahlen.

"Und jetzt wollen‘s wissen, warum er seine Meinung geändert hat."

"Wir haben einen Verdacht. Unser aller Chef wollte dem Komponisten einen Korb geben. Er wollte sagen, dass der Preis zu niedrig sei und das Angebot ablehnen."

"Um bei ihrer ursprünglichen Allegorie zu bleiben, sollen wir unser aller Chef fortan als ‚Chefzuhälter von Markowskis Gnaden’ bezeichnen? Gerne werde ich den Titel ‚Oberstrizzi’ in meinen Berichten an Sie verwenden."

"Nicht nur, dass du mittlerweile unverschämt und frech bist, plötzlich beherrscht du Fremdwörter. ‚Allegorie‘. Mein Bild von dir als Kanalratte aus dem Rinnstein kommt ins Wanken. Jahrelang denke ich, die Pfoten von deinem Großvater wären in den Großaufnahmen vom ‚Dritten Mann‘ in der Wiener Kanalisation zu sehen. Dabei stellst du dich als Geheimer Rat heraus. Wahrscheinlich steht auf deiner Visitenkarte sogar ‚Professor‘, wie bei allen Wienern."

Jetzt kam Markowski der Wahrheit über Hansi entschieden zu nahe. Als Gasthörer besuchte Hansi regelmäßig die Kriminologievorlesungen an der nächstgelegenen Universität. Aus Imagegründen hielt er dies vor seiner Umgebung geheim.

"Sie wissen nicht, was Sie wollen. Einmal verstehen Sie mich nicht, weil ich ihnen zu ungebildet spreche und Sie kein Wienerisch beherrschen. Das nächste Mal verstehen Sie mich nicht, weil ich Ihnen zu gebildet spreche und Sie keine Fremdwörter beherrschen. Vielleicht sollten Sie eine kleine Gebrauchsanweisung für sich selbst herausgeben. Darin steht das zu verwendende Vokabular, Pardon ‚die Wörter‘, die Sie verstehen. Beim Reden mit Ihnen könnte ich in der Anleitung nachschauen, damit selbst Sie es kapieren."

Markowski ignorierte seine Suada.

"Also: Unser aller Chef sprach vor dem Treffen mit dem Tonkünstler mit einigen Leuten, dem kleinsten Kreis sozusagen. Denen sagte er, dass er den offerierten Preis viel zu niedrig fände. In Anbetracht der Differenz erübrigten sich weitere Verhandlungen. Dies hat unser Artist anscheinend gewusst und seine Strategie geändert. Die erste Frage ist, woher er diese Information hatte. Die internen Besprechungen haben in einem abhörsicheren Raum stattgefunden, den ich jedes Mal kurz vorher überprüfen ließ.

Es scheint auf zwei Verdächtige hinauszulaufen: Die eine ist Krista Hofmann, eine Mitarbeiterin der Investmentbank Meir Huxley. Ein junges Ding, das gerade erst bei der Firma angefangen hat. Die könnte der Kuckuck im Nest sein. Unser aller Chef tippt auf sie. Nummer zwei ist ebenfalls eine junge Frau, Laura Sand. Sie ist mein Geheimtipp, etwas an ihr stimmt nicht. Frau Hofmann hat Priorität, obwohl mein Bauch mir sagt, dass sie nicht leichter zu analysieren ist als unser Notenkritzeler. Laura Sand sollte einen Experten wie dich vor keine Probleme stellen."

"Heutzutage sind die Madln die bösen, die Emanzipation lässt grüßen. Klingt machbar, ich melde mich, wenn ich etwas herausgefunden habe."

"Nicht so schnell. Wir müssen außerdem wissen, was der Komponist mit unserer Firma vorhat. Die Kunden laufen uns davon und ich höre Gerüchte, dass die Gewerkschaften anfangen, schwierig zu werden. Der Verdacht liegt nahe, dass die Amis ihre Hände im Spiel haben. Persönlich glaube ich das nicht. Warum soll ein deutscher Mittelständler wie unsere Firma Washington interessieren?"

"Die Weiber auszuspionieren ist nicht schwer. Wenn es darum geht, die Gewerkschaften abzuhören, dann Obacht. Da geraten wir sofort auf Glatteis. Wohlgemerkt, ich habe nicht ‚Terrain‘ gesagt, weil das verstehen‘s wieder net. Dass schon viele Konzernvorstände und Aufsichtsräte wegen solcher Abhörspielchen zurücktreten mussten, das wissen‘s, oder? Die Gewerkschaften und die Zeitungen san komplett einer Meinung, so was geht gar net. Wollen‘s das wirklich riskieren?"

"Natürlich mache ich das auf eigene Faust, gegen die expliziten schriftlichen Anweisungen der Konzernführung."

"Also entweder san Sie sagenhaft selbstlos, oder Sie wollen als geheimer Heiliger des Brutalokapitalismus von Papst Gordon Gecko seliggesprochen werden. Oder aber Sie san schlicht und einfach deppert, was i a net glaub. Warum wollen‘s des Risiko eingehen?"

"Mein Job ist es, LS Technologies zu schützen. Das gilt für innere und äußere Feinde."

"Sie ham da eine deutlich fürnehmere Gesinnung als ich. Ich möcht in zehn Jahren am Pool in der Karibik sitzen, net als Opfer im Graben liegen."

"Spielst du Schach? Was passiert mit dem Bauern und dem Pferd, nachdem der König geschlagen wurde? Den Tod des Königs überlebt keiner aus seinem Team, das verspreche ich dir!"

Posselt war der drohende Unterton nicht entgangen. Kritisch beäugte er sein Gegenüber.

"Ich kenn‘ nur Häfenschach. Da gibt’s jedes Mal zuerst ein Gemetzel unter den Bauern. Leider werd’ ich das Gfühl net los, dass die Bauerntauscherei jeden Moment anfangen könnt‘. Was Sie da sagen: ‚Mitgefangen, mitgehangen’, das gefällt mir überhaupt nicht, aber ich schein ka Wahl zu haben. Was könn’ ma machen, um dem König zu helfen, was uns net umbringt? Ich bin ja kein Moslem oder Japaner. Für Selbstmordkommandos sind wir Wiener viel zu gemütlich."

"Korrektes Deutsch zu sprechen wäre ein hilfreicher erster Schritt, der die Kommunikation fördern könnte. Kaum zu glauben, dass du lange in der Bundesrepublik lebst, so wie du klingst."

Hansi konnte sich nur mit Mühe ein Lächeln verkneifen. Spät im Leben hatte er sein Talent für Sprachen entdeckt. Mittlerweile konnte er überzeugend als Rheinländer auftreten, sah jedoch keine Notwendigkeit, dies Markowski wissen zu lassen. Die Option des Untertauchens wollte er sich offen halten.

"Wie stellen Sie sich das vor, die Gewerkschaften auszuspionieren?"

"Du hast vielleicht gehört, dass es Bücher gibt?"

"Na echt?"

"Günther Wallraff, sagt dir der etwas?"

"Der arbeitet auch für Sie?"

"Stell dich nicht blöder, als du bist! Günther Wallraff hat sich in den siebziger und 80er Jahren in eine Vielzahl von Unternehmen unter falscher Identität eingeschmuggelt. Lies dir ein oder zwei seiner Werke durch, dann weißt du, wie man Gewerkschaften am besten ausspionieren kann."

"Unsereiner geht in den Knast, wenn man sich unter falscher Identität einschmuggelt. Die feinen Herren Akademiker schreiben sogar Bücher darüber!"

"Papperlapapp. Für Firmendetektive ist Wallraff Pflichtlektüre. Von mir bekommst du einen Job bei LS Technologies. Du interessierst dich für die Gewerkschaftsarbeit und versuchst, herauszubekommen, was gerade passiert."

"Das wird dauern, bis die mir vertrauen. Habt Ihr keine Kontaktleute bei der Gewerkschaft, die man ausfragen könnte?"

"Leider nein. Bisher waren die Gewerkschaften kooperativ. Wir haben bewusst darauf verzichtet, Informanten anzuwerben. Wir hatten Angst, das Klima zu vergiften."

"Ehrlich gesagt habe ich ein paar Sachen am Laufen. Vollzeit schaffe ich das unmöglich. Aber ich habe einen jungen Kerl an der Hand, der könnte das erledigen. Der ist clever, nicht auf den Mund gefallen und loyal. Von Beruf ist er Schweißer, das passt."

"Na gut, muss wohl funktionieren."

"Ich glaube, wir sollten die Gewerkschafter außerdem abhören und den E-Mail-Verkehr mitlesen."

"Das kann ich natürlich nicht gutheißen und bin strikt dagegen."

Markowskis breites Lächeln strafte seine Worte Lügen. Er holte aus seiner Aktentasche eine maschingeschriebene Liste mit Namen und Kontaktdetails hervor, betitelt ‚Belegschaftsvertreter Ludwig Steiner Technologies AG‘. Er räusperte sich hüstelnd und meinte: "Du entschuldigst mich, ich muss kurz austreten. Wird mindestens fünf Minuten dauern." Damit begab er sich auf die Toilette. Hansi holte sein Mobiltelefon hervor und machte mehrere Aufnahmen von der Aufstellung. Er steckte das Telefon wieder ein und wartete darauf, dass Markowski zurückkehrte. Als dieser kam, fragte er Posselt:

"So, haben wir alles erledigt und besprochen?"

"Ich glaube schon, ich weiß, was zu veranlassen ist. Was machen wir mit den Kunden? Warum laufen die davon?

"Das ist eine gute Frage, du kannst mir leider nicht helfen. Da werden wir uns selbst umhören müssen."

"Okay, oder vielmehr: zu Befehl, mein Turm!"

Markowski warf Hansi einen wenig amüsierten Blick zu und stand wortlos auf.