Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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RENDEZVOUS

Gegen sieben Uhr abends verließ Laura das Büro. Sie fuhr direkt nach Hause, und bevor sie sich umgezogen hatte, holte sie ihr Mobiltelefon und wählte seine Nummer. Diesmal meldete er sich fast sofort.

"Hallo, kannst du gerade sprechen?"

"Yup, allein im Auto."

"OK. Ich habe seit Tagen versucht, dich zu erreichen. Was ist los? Willst du nicht mehr mit mir reden?"

"Nonsens. Bin nonstop am Arbeiten. Arbeitsfrühstück, Arbeitsmittagessen und am Abend natürlich Geschäftsessen und Arbeitsbarbesuch. Seit zehn Tagen die erste freie Minute, Wochenende eingerechnet."

"Das trifft sich gut. Ich muss dich unbedingt heute sehen."

"Ist es so dringend bei dir?"

"Sei kein Schwein! Wobei, das auch, vor allem aber möchte ich etwas mit dir besprechen?"

"Muss ich mir Sorgen machen, oder kann ich mich freuen?"

"Konntest du dich jemals auf ein Treffen mit mir nicht freuen?"

"Gut gebrüllt. Ich organisiere einen Tisch bei ‚Karl‘. Halb neun?"

"Super, freue mich!"

"Ebenfalls!"

Schnell duschte sie sich und zog sich um. Heute machte es ihr richtigen Spaß, sich sorgfältig zu schminken und anzuziehen. Das kleine Entchen bewies, dass es ein Schwan war. Am Ende prüfte sie sich kritisch im Spiegel und war mit dem Ergebnis zufrieden.

‚Karl‘ war ihr Lieblingslokal. Es lag abgelegen, rund 20 Kilometer entfernt. Die Distanz reichte, niemanden aus dem Büro zufällig zu treffen. Selbst wenn, der andere würde nichts erwähnen, da er sicher nicht mit dem offiziellen Lebenspartner dort wäre. Das Ambiente war ländlich gediegen, auf der Speisekarte gaben sich Flugenten, Gänselebermousse und Zimtparfait ein Stelldichein. Die Wände in dem alten Fachwerkhaus teilten den Raum in abgetrennte Bereiche, sodass der Eindruck einer Vielzahl von Separees entstand. Kurzum, ‚Karl‘ war das ideale Lokal für wohlbetuchte Turteltauben.

Bei ihrem Eintreffen führte ein Kellner sie zu dem Tisch, an dem er bereits saß. Von Kopf bis Fuß entsprach er dem konservativen Topmanager, der jederzeit publikationsreif abgelichtet werden konnte. Die spärlichen Haare waren kurz geschnitten, was den militärisch durchtrainierten Eindruck seines Körpers verstärkte. Er half ihr wie üblich galant aus dem Mantel, doch vermieden sie in der Öffentlichkeit alle Zärtlichkeiten.

"Wie geht es dir, Schatz?"

"Sehr gut, momentan habe ich fast so viel Arbeit wie du, aber es macht Spaß. Nur wäre es angenehm, häufiger von dir zu hören."

"Ich hatte mich vorhin entschuldigt. Was willst du mit mir diskutieren? Bringen wir es hinter uns, dann haben wir einen ungestörten Abend. Ich habe den Maître gebeten, uns eines der netten Zimmer zum Garten hinaus zu reservieren. Hoffentlich hast du etwas zum Wechseln dabei."

"Natürlich. Ich freue mich schon, dir die Kleider vom Leibe zu reißen."

Zärtlich blickte sie ihn an, und er nahm ihre Hand. Der Kellner, der ihnen gerade die Speisekarten bringen wollte, wendete sich diskret ab und ging zu einem anderen Tisch.

"Bevor ich das Thema anspreche, sollten wir bestellen. Ich bin hungrig."

Nachdem ihnen das Amuse Bouche und der Wein für den ersten Gang serviert worden waren, schaute er sie fragend an.

"Nun?"

Sie hatte lange nachgedacht, wie sie das Thema ansprechen sollte.

"John, warum bist du momentan dermaßen beschäftigt? Du hast überhaupt keine Zeit für mich?"

Sein bis dahin zärtlicher Blick änderte sich schlagartig. Die Pupillen verengten sich und die Lider senkten sich geringfügig. Automatisch zuckte seine Hand, die sich in ihrer befand, als ob er sie zurückziehen wollte. Er bekam sich unter Kontrolle und entgegnete betont gelassen:

"Wir analysieren gerade die Quartalsergebnisse und bereiten die Investorenkonferenz vor. Das ist der Job vom Finanzvorstand, am Ende des Tages stehe ich aber vorne und werde von den Anlegern gegrillt."

Das war es also, er hatte sich entschieden, sie zu belügen. Ihr Geliebter, John Swansea, bereitete die Übernahme der Firma, in der sie arbeitete, vor, und hielt das vor ihr geheim. Der Generaldirektor an ihrem Tisch strahlte eisige Kälte aus. Dies befürchtend, hatte sie einen Rückzugsplan vorbereitet. Mit brechender Stimme und feuchten Pupillen forderte sie ihn heraus: "Ich glaube dir nicht!"

Sie musterte seine Augen. Noch konnte er einlenken, konnte ihre Liebe retten und die Lüge beichten. Er hatte fünf Sekunden Zeit dafür, dann war es geschehen. John beendete ihre gemeinsame Zeit mit der Feststellung:

"Keine Ahnung, wovon du redest!"

"Eine Kollegin hat dich auf der Straße mit einer anderen Frau gesehen. Du hast sie geküsst!"

Das war eine glatte Lüge. Er sollte ihre Frage auf weibliche Überempfindlichkeit und irrationale Eifersucht zurückführen und bald wieder vergessen. Was sie nicht erwartet hatte, war seine Reaktion. Er zögerte, offensichtlich nachdenkend. Jetzt war sie sich ihrer Sache nicht mehr sicher. Hatte sie unabsichtlich ins Schwarze getroffen, oder war er ihr auf die Schliche gekommen? Er nahm sich zusammen, und reagierte wie alle der Untreue zu Recht oder Unrecht beschuldigten Männer.

"Was für ein Unsinn. Ich habe keine andere Frau geküsst. Weder auf der Straße noch sonst wo. Und ich bin kein Popstar. Niemand erkennt mich auf der Straße. Niemand weiß, ob oder mit wem ich verheiratet bin. Ich hasse ‚John Swansea ganz privat‘ Artikel, das weiß unsere PR-Dame genau. Warum sollte deine Kollegin mit dir darüber sprechen? Die einzige Erklärung ist, dass du ihr von unserer Beziehung erzählt hast. Du weißt, das ist gegen unsere Abmachung."

Plötzlich war sie in der Defensive.

"Nein, ich habe es niemandem erzählt. Sie hat gesagt, stell dir vor, wen ich gestern aus dem Einkaufszentrum kommen gesehen habe. Das war der Chef von RSS, der Swansea. Im Arm hat er ein junges Ding gehabt, kaum großjährig. Zuerst habe ich gedacht, der hat aber eine attraktive Tochter. Dann hat er sie innig beschmust. Da wusste ich, das kann nur die Geliebte sein. Ehefrauen küsst man so nicht."

"Kompletter Unsinn. Ich hasse Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit. Niemals würde ich eine Frau ‚innig beschmusen’."

Sie beäugte ihn kritisch. Aus der vorgeschobenen Frage war eine echte geworden. "Vielleicht warst das wirklich nicht du auf der Straße. Aber du reagierst so eigenartig. Ich glaube, du hast eine andere!"

Seine Stimme erhob sich merkbar:

"Das ist nicht okay! Du hast einen unbegründeten Verdacht, ich entkräftige ihn, und du startest den nuklearen Verdachtskrieg. Ich bin schuldig, wenn ich nicht das Gegenteil beweise. Das finde ich nicht in Ordnung. Ich habe bereits erklärt, niemanden außer dir zu haben. Was soll ich jetzt machen? Dir Videoaufnahmen meines Tagesablaufes zur Verfügung stellen, regelmäßige Kontrollanrufe? Das ist nicht okay!"

Der zweite Gang wurde aufgetischt und ermöglichte beiden eine Pause. Sie nahmen das Essen wortlos zu sich. Nachdem die Teller abserviert wurden, blieben sie stumm. Der Rest des Abends schleppte sich dahin. Gerne hätte Laura auf die weiteren Gänge verzichtet und die Quälerei beendet, aber das hätte ihre Beziehung zusätzlich belastet. Daher nahmen sie nach dem Sorbet das Gespräch wieder auf, beschränkten sich hingegen auf leichte Konversation. Als sie nach dem Essen auf den Espresso und die Rechnung warteten, ergriff Laura die Initiative.

"John, eine Beziehung wie unsere braucht unbegrenztes Vertrauen, das ist nicht immer leicht. Du sagst, du hättest mich nicht betrogen, und ich muss dir glauben. Aber es fällt mir schwer."

"Was sollen die Worte? Meinst du nicht, dass wir das anders lösen sollten? Komm, gib mir deine Hand!"

Es hatte etwas Tröstliches an sich, überbrückte jedoch nicht die Distanz zwischen ihnen. Vor dem Lokal, sie waren alleine, umarmten sie sich und er küsste sie innig. Ihre Augen blieben geöffnet. Er merkte dies und ließ sie los. Beide sprachen die Idee, das gebuchte Zimmer zu besuchen, nicht an. Jeder für sich fuhren sie nach Hause.