"Herr Markowski, was haben Sie Neues zu berichten? Gestern war nichts Spannendes dabei."
"Die Analyse von John Swanseas Lebenslauf ist eine härtere Nuss als erwartet. Wenn ich nach Ihnen recherchiere, habe ich in 15 Minuten eine vollständige Akte: Namen und Beruf ihrer Eltern, Geburtsort, Ausbildung, berufliche Positionen, Familienstand, Immobilienbesitz, Hypotheken, Beteiligungen, ehrenamtliche Betätigungen und private Interessen."
Zur Bestätigung hielt er einen umfangreichen Aktenordner hoch, auf dem "Dr. Friedrich Stuck" stand. Dieser war nicht überrascht, jedoch sichtlich unangenehm berührt. Bemüht setzte er eine neutrale Miene auf.
"Orwell muss Sie gekannt haben. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen gratulieren oder schockiert sein soll."
"Mit Geld und Zeit bekomme ich zudem Ihre Kreditkartenabrechnungen und ausländische Geschäftsinteressen und Besitztümer heraus. Bei John Swansea habe ich Probleme. Ungewöhnliche Probleme, um es offen zu sagen. Sein Lebenslauf auf der Website von RSS ist knapp und inhaltsarm. Googeln hilft nichts. Presseartikel decken ausschließlich tagesaktuelle Themen ab. Es ist, als ob er etwas zu verbergen hätte.
Gestern habe ich weiter ausgeholt und Auszüge aus verschiedenen Registern geholt. Seitdem weiß ich, dass er US-Staatsbürger ist, 48 Jahre alt und in einer Kleinstadt in New Mexico geboren wurde. Ich habe eine amerikanische Auskunftei eingeschaltet, die mir heute Nacht ihren Bericht geschickt hat. Die Firma ist sehr gut und hat bei früheren Gelegenheiten exzellente Ergebnisse geliefert."
Er hielt eine A4 Seite hoch, zur Hälfte mit Text bedeckt.
"Leider haben die Kollegen nur beschrieben, was sie nicht gefunden haben. Eigentlich existiert er nicht."
"Jetzt einmal langsam und zum Mitschreiben. John Swansea behandelt seine Vergangenheit mit mehr Diskretion als üblich. Vielleicht ist er auch im Ausland aufgewachsen. Das macht ihn nicht zu einem zweiten Osama Bin Laden oder Mossadagenten. Die einfachste Erklärung ist zumeist die plausibelste."
Markowski überlegte kurz, ob er Dr. Stuck auf Laura Sand ansprechen sollte. Seine Nachforschungen zu ihr erinnerten ihn frappant an das schwarze Loch von Swansea. Ihre Personalakte war korrekt und vollständig. Hingegen fehlten sämtliche Anhaltspunkte für Liebesbeziehungen, Freundschaften oder Hobbys. Laura schien außerhalb der Büroräumlichkeiten nicht zu existieren. Gestern hatte er sich ihre Bankauszüge und Kreditkartenabrechnungen verschafft. Sie hatte keine erkennbaren Hobbys, kaufte keine Sexspielzeuge, war nicht Mitglied einer Partnerbörse, machte keine Urlaube und erwarb keine Kunstwerke. Es war, als ob sie ein zweites Konto besäße, mit dem sie ihr wirkliches Leben bezahlte.
Zum derzeitigen Zeitpunkt wollte er sich auf John Swansea konzentrieren. Immerhin hatte nicht Laura Sand Dr. Stuck auf die Mitarbeit in dem Projekt angesprochen, sondern umgekehrt. Stuck erzählte er nichts vom zweiten Fehlschlag. Ungehorsam und Peinlichkeit vertrugen sich nicht gut.
"Bei Swansea sollten wir intensiver und aggressiver recherchieren, ich will Sie nicht mit den technischen Details langweilen."
Markowski und Dr. Stuck wussten beide, was der Euphemismus "technische Details" in diesem Zusammenhang bedeutete. Dr. Stuck war wohl beraten, von weiteren Nachfragen Abstand zu nehmen, um das sehr dünne Mäntelchen des Unwissens nicht vollständig zu verlieren. Er verstand den Wink:
"Geld ist hier nicht das Thema, werden hoffentlich keine Millionen sein. Machen Sie, was notwendig ist, ohne uns zu exponieren. Ich war meinerseits nicht untätig und habe meine Kontakte auf Swansea angesprochen. Dabei deutete ich an, dass John Swansea als Mitglied meiner Freimaurerloge empfohlen wurde.
Das Ergebnis: Keiner kennt ihn privat. Verheiratet ist er nicht, von einer Lebensgefährtin oder Freundin ist nichts bekannt, seine Sekretärin ist im pensionsreifen Alter. Er soll ein hochintelligenter, kalter Technokrat sein, der keine privaten Interessen hat. Beruflich hat er alle enttäuscht. Mehrere Vorstände haben die Firma verlassen, die Investoren verlieren die Geduld. Zudem ist er medienscheu und vermeidet öffentliche Auftritte, ungewöhnlich für einen CEO. In Berlin ist er eine Nullnummer, kann nicht einfach das Telefon abheben und mit der Kanzlerin sprechen. Durch die Blume haben mir alle zu verstehen gegeben, ich solle ihn nicht aufnehmen, sondern ihm eine Anwartschaftszeit einräumen. Seine Tage bei RSS seien gezählt."
"Haben Ihre Gesprächspartner mehr über seine Vergangenheit gewusst?"
"Gute Frage. Alle waren der Meinung, er hätte in den USA Großes geleistet. Keiner wusste Genaues."
Markowski schüttelte zweifelnd den Kopf. Noch lange nach dem Gespräch saß er in seinem Zimmer und sinnierte über den mysteriösen Amerikaner.