Lauras Unschuld by Hugo C - HTML preview

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DAS GUTACHTEN

Die Zusammenarbeit mit Krista Hofmann fiel Laura nicht leicht. Sie empfand Krista als Gegenentwurf zu sich selbst. Konträr zu Laura war die jüngere Frau extrem auf ihre Außenwirkung bedacht. Das Konstanteste an ihrer Kleidung war die Abwechslung, kein Stück hatte sie zweimal getragen. Damit nicht genug: Es waren nicht nur die Textilien, die bei Krista wechselten. Täglich trug sie ihre Haare anders, selbst das Make-up wies eine unerschöpfliche Variantenzahl auf, von den Schuhen ganz zu schweigen. Fachlich akzeptierte Laura sie hundertprozentig, persönlich konnte sie mit ihr nicht warm werden.

Wie vereinbart waren sie gemeinsam zu einem Abendessen gegangen. Das Ergebnis war ein Desaster gewesen. Krista hatte Laura ebenso beharrlich wie erfolglos nach ihrem Privatleben ausgefragt, ohne von sich erzählen zu wollen. Dann hatte sie Laura zum Thema LS-Interna verhört. Verärgert hatte sie geschwiegen. Krista erkannte das und versuchte, Konversation zum Thema Mode zu machen, womit sie bei Laura auf ehrliches Desinteresse stieß. Letztlich erlöste der Kellner die beiden, als er die Rechnung präsentierte. Entgegen der ursprünglichen Absicht schlug keine der Frauen einen anschließenden Cocktailbarbesuch vor. Erleichtert begaben sie sich auf den Heimweg.

Die Zusammenarbeit im Büro war freudlos, aber produktiv. Tag und Nacht arbeiteten sie an der Präsentation für Dr. Stuck. Laura war beeindruckt von der industriellen Effizienz von Meir Huxley. Während des Tages entwarf sie handschriftlich mit Krista Ideen zum Aussehen der Präsentation und über Nacht wurden diese von den Galeerensklaven bei Meir Huxley verlässlich in perfekte PowerPoint-Präsentationen konvertiert. Was immer sie an Daten haben wollte, am nächsten Morgen spätestens lag eine Präsentation zu diesem Thema vor ihr.

Schließlich war der große Tag der Präsentation gekommen. Dr. Meier bat Laura mit dem LS-Team zusammen kurz davor zu einer Vorbesprechung. Er wollte ausloten, ob sie den Verkauf unterstützte. Deutlich waren die Dollarzeichen der Erfolgsprämie in seinen Augen zu sehen. LS war ein zu kleiner Fisch für Meir Huxley, um für andere Aufträge als den eigenen Verkauf interessant zu sein. Dr. Stuck als Leiter eines mittelgroßen Unternehmens war nicht prominent genug, Aufsichtsrat in bedeutenden Firmen zu werden und deren Entscheidungen zur Auswahl von Investmentbanken zu beeinflussen. Für Dr. Meier war dies ein One-Night-Stand.

Als sie das Büro von Dr. Stuck betraten, war Uwe Gömmler, Finanzvorstand von LS, bereits anwesend. Gömmler war ungefähr fünfzig und dem Klischee des Buchhalters entsprechend, krönte seinen Kopf ein dürrer Haarkranz. Er war ein zutiefst humorloser Mensch, der die irritierende Angewohnheit hatte, unmotiviert zu lachen. Im Unternehmen hatte er den Ruf eines kompetenten Pedanten, der seine Zahlen im Schlaf beherrschte. Er war kein Visionär, gerade daher ergänzte er Dr. Stuck ideal.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde leitete Dr. Meier die Präsentation ein und übergab das Wort an Jai Khosla. Krista Hofmann, die eine bemerkenswerte Balance zwischen Businesslook und Sex-Appeal gefunden hatte, blieb die ganze Zeit stumm. Unentwegt musterte sie Dr. Stuck. Jai Khosla beschrieb kurz den Auftrag und die gewählte Vorgehensweise, dann fasste er die Ergebnisse zusammen.

"LS Technologies ist für uns eine Perle der Automotive-Branche. Allerdings teilen wir den Eindruck der meisten Analysten, dass LS am Zenit angekommen ist. Die Branche stagniert in den Regionen der Welt, die LS beliefert, in der Hauptsache Europa. LS wiederum ist von der Unternehmensgröße her zu klein, um in den BRIC-Märkten, also Brasilien, Russland, Indien und China, eine wesentliche Rolle zu spielen. Auch bevorzugen die Hersteller vor Ort qualitativ niederwertigere, gleichzeitig billigere lokale Anbieter. Ihr Name, Herr Dr. Stuck, ist untrennbar mit dem Erfolg des Unternehmens verbunden. Das spricht für ihre allseits anerkannten Qualitäten, führt jedoch zur Frage, ob es ein Leben nach Dr. Stuck gibt."

Nun übernahm Dr. Meier das Wort und fasste zusammen: "LS Technologies ist ein exzellent geführtes Unternehmen in einem beschränkt attraktiven Markt. Die langfristige zukünftige Aktienkursentwicklung dürfte bestenfalls dem Mittelwert der anderen Unternehmen entsprechen. Für Ihre Aktionäre wäre es ein perfekter Zeitpunkt, zum richtigen Preis zu verkaufen.”

Hier sprang wieder Jai Khosla ein: "Was aber ist der richtige Preis?” Er startete den Beamer und öffnete die spiralgebundenen Unterlagen. Mit etlichen Trennblättern versehen, hatten sie den Umfang eines kleineren Lexikons. Alle Exemplare waren auf jeder Seite mit dem Namen des Empfängers versehen. Zusätzlich waren sowohl sichtbare wie auch für das Auge nicht erkennbare digitale Wasserzeichen eingearbeitet. Eine Kopie wäre zweifelsfrei dem ursprünglichen Inhaber des Ausdrucks zuordenbar.

Das durch Meir Huxley erstellte Bewertungsgutachten basierte auf mehreren Komponenten: Nettobarwert der zukünftigen Zahlungsflüsse von LS Technologies, Bewertung vergleichbarer börsennotierter Unternehmen in Deutschland wie im westlichen Ausland, die bisherige Aktienpreisentwicklung, die von den größten Aktionären gezahlten Einstandskosten für ihren Aktienbesitz, sowie die erzielten Preise beim Mehrheitsverkauf anderer Automotive Unternehmen. Zu jedem dieser Bewertungsansätze referierte ein anderer Meir Huxley Experte. Die Seiten quollen über vor Zahlen, Mittelwerten, Vergleichswerten, Prämien und Abschlägen. In der verbalen Darstellung der Investmentbanker war alles klar verständlich, wissenschaftlich und logisch.

Nach einer Stunde näherten sie sich dem Höhepunkt, der Verkündung des empfohlenen Preises. Dr. Stuck war die ganze Zeit weitgehend still geblieben. Uwe Gömmler bewies eine fundierte Kenntnis der Bewertungsansätze und stellte ins Detail gehende Fragen. Mitten im Satz brach er regelmäßig in sein typisches, unmotiviertes Lachen aus. Mittlerweile ignorierte das Team von Meir Huxley diese Bekundungen, nachdem sie zu Beginn der Besprechung versucht hatten, höflich mitzulächeln.

Letztlich verkündete Dr. Meier einen fairen Preis, der ein Viertel über dem momentanen Aktienkurs von 80 lag. Dies war eine typische Transaktionsprämie und 100 war eine eingängige Zielvorgabe.

Für Meir Huxley war der Wert ideal, das Produkt von Prämie im Erfolgsfall mal erwarteter Abschlusswahrscheinlichkeit am höchsten, schließlich erhielten sie ein Prozent des Kaufpreises als Provision. Ein geringerer Preis hätte Zweifel an der Neutralität Meir Huxleys hervorgerufen, ein höherer die Erfolgswahrscheinlichkeit reduziert.

Dr. Meier hatte seine Darlegungen beendet und wartete gespannt auf die Reaktion von Dr. Stuck. Insbesondere wollte er wissen, welchen Kaufpreis RSS tatsächlich geboten hätte und die Transaktion stattfinden würde. Gespanntes Schweigen senkte sich über den Raum und alle Blicke waren auf den Firmenchef gerichtet. Schließlich räusperte er sich und begann:

"Tja, meine Herren, falls ich das richtig verstehe, wenn es nach Ihnen ginge, bräuchte ich nur die Vertreter von RSS in den Raum rufen. Wir könnten heute noch die Champagnerkorken knallen lassen, denn mir liegt eine verbale Offerte für 105 von John Swansea vor.”

Dr. Meier zögerte, sich über die Gewissheit seines persönlichen Jahresbonus zu freuen. Dr. Stucks Gesicht passte bedauerlicherweise nicht zu den Worten.

"Ich für meinen Teil wage jedoch, mich der geballten Macht von so viel globaler Expertise in den Weg zu stellen. Lassen Sie mich meine Sicht der Dinge präsentieren. LS Technologies, es wurde heute mehrfach gesagt, ist ein mittelgroßer Spieler im europäischen Autozuliefermarkt, der, auch dies wurde vielfach erwähnt, stagniert.

Jetzt fragen Sie sich, warum der Alte nicht mit dem Preis einverstanden ist, obwohl er Ihnen scheinbar in allem Recht gibt? Sehen Sie, das ist eine Frage der Philosophie und der Lebenserfahrung. Als ich hier anfing, war LS Technologies in einer schwierigen Situation: das Unternehmen war fast nur in Deutschland präsent, hatte keinerlei eigene Technologien, eine viel zu hohe Kostenbasis und einen sich rapide verschlechternden Ruf. Von dieser Ausgangslage her kommend, gelang es uns im Lauf der Jahre, unsere heutige Position mit - hier zitiere ich Sie – ‚überdurchschnittlichem Wachstum und marktführender Profitabilität’ aufzubauen.

Stellen Sie sich vor, wo das Unternehmen auf Basis unserer jetzigen Position in zehn Jahren sein könnte. Derzeit sind wir primär in Europa vertreten, besitzen dank unserer Produktionstechnologien die Kostenführerschaft und haben weltweit einen exzellenten Ruf.

Ich prophezeie Ihnen: In genau zehn Jahren sind wir in unserem Segment unter den Top 3 in Asien und den USA. Wir werden bis dahin jährlich zweistellig wachsen, sowohl bei den Umsätzen wie bei den Gewinnen. Am Ende der Dekade werden wir die globale Nummer Eins im Automotive Electronics Bereich mit der höchsten Rendite aller Autozulieferer sein.

Jetzt können Sie natürlich sagen, lieber Dr. Meier, ich leide an vorzeitiger seniler Demenz oder sollte in medizinische Behandlung gebracht werden. Kein Aktionär würde mir dies glauben. Statt der sprichwörtlichen Taube in zehn Jahren hätte jeder unserer Eigentümer lieber einen Spatzen noch in diesem Monat in der Hand. Zwar kann ich keinen zwingen, seine Aktien nicht an RSS zu verkaufen, davon abraten kann ich natürlich schon.

Und ich kann meine Argumente belegen. Herr Dr. Meier, Sie sagen, wir seien fast nur in Europa präsent, und ich sage Ihnen: Das stimmt. Die Betonung liegt auf dem kleinen Wörtchen ‚fast‘. Mittlerweile haben wir Werke in Mexiko, China, Russland, Indien und Südkorea. Sie sind alle noch klein, und das war der Sinn der Sache.

Wir sind kein Großkonzern, bei uns muss jede Investition wohlüberlegt sein. In all diesen Ländern stellen wir nicht nur europäische Hightech her, sondern mittlerweile äußerst kostengünstige Produkte für den lokalen Massenmarkt. Wir sind genau so teuer wie unsere lokale Konkurrenz, unsere Produkte sind qualitativ jedoch erheblich besser. Nicht umsonst haben wir fünfzig Jahre Erfahrung und ein deutsches Stammhaus. Und das verkauft sich blendend.

Unsere lokalen Kunden waren mit den ersten Serien, die wir belieferten, sehr zufrieden. Sie haben gesehen, was unsere Konkurrenten können und was wir vermögen. Jetzt treten wir in die zweite Phase ein. Die Probeaufträge laufen weiter, ab nun kommen die Massenaufträge hinzu. In 24 Monaten werden wir unter den Top 5 in jedem dieser Märkte sein. Das ist keine Fantasterei eines Vorstandes, der seine Firma nicht verlieren möchte, das basiert auf unterschriebenen Verträgen.

Alles, was wir dafür machen müssen, ist das, was wir seit drei Generationen können: Automobilteile produzieren. Und wenn die Produktion läuft, kommt die nächste Welle. Danach bauen wir die Werke aus und werden noch mehr Aufträge an Land ziehen.

Wenn Sie mich fragen, ist der Zeitraum von zehn Jahren für die globale Führerschaft konservativ angesetzt. Wahrscheinlich schaffen wir es in acht. Wie gesagt, ich kann nicht für die anderen Aktionäre sprechen. Mein bescheidenes Aktienportfolio werde ich für einen Preis von 100 oder 105 sicher nicht verkaufen, Herr Dr. Meier. Selbst bei 120 werde ich nicht einmal die Kaufofferte durchlesen. Jeder Verkauf unter 200 wäre für mich eine Vernichtung meines Kapitals! Und diese Empfehlung werde ich jedem geben, der mich um meine Meinung fragt.”

In dem Raum herrschte betretene Stille. Dr. Meier hatte Dr. Stuck während seiner Ausführungen die ganze Zeit unentwegt in die Augen geblickt, jetzt schaute er nachdenklich auf den Tisch. Nach zwei Minuten absoluter Ruhe fing er an zu sprechen:

"Sie sind ein begnadeter Rhetoriker. Wenn Sie diese Rede vor dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung halten, ist der Ausgang der Veranstaltung gewiss. Vermutlich werden sie mit Hochrufen auf den Schultern hinausgetragen werden.

Trotz Ihrer überzeugenden Argumente bin ich mir nicht sicher, ob Sie damit ihren Aktionären einen Dienst erweisen. Sie sprechen zu Recht von den Begrenzungen, die Ihnen auferlegt sind, da Sie nicht über die Kapitaldecke eines Großkonzerns verfügen.

Das wäre anders, wenn LS Technologies an RSS verkauft würde. RSS hat genügend Geld, um den sofortigen Ausbau aller Ihrer Werke zu finanzieren. Damit wären Sie im Handumdrehen die Nummer Eins.

Sehen Sie das im Rahmen Ihrer persönlichen Lebensplanung. Ohne kapitalstarken Partner können Sie das Unternehmen, wenn alles gut geht, bis zu Ihrer Pensionierung in eine globale Top 3 Position bringen. Dass alles gut geht in diesen riskanten Ländern mit den oft stark verschuldeten Kunden, ist optimistisch. Wenn einer Ihrer größeren Abnehmer die Insolvenz erklärt, ist die Existenz ihres eigenen Unternehmens durch den Zahlungsausfall gefährdet. Bei RSS wären Sie abgesichert gegen solch unvorhersehbare Schwankungen.

Ich glaube nicht, dass ich Sie heute von meiner Position überzeugen kann, aber ich bitte Sie darum, dies in Ruhe zu überschlafen. Vielleicht könnten wir dazu in den nächsten Tagen telefonieren.”

Dr. Stuck stimmte höflich zu. Die Verabschiedung war korrekt, die Spannung nicht gewichen. Dr. Meier schüttelte Laura Sand bemüht freundlich die Hand. Eilig zog er sich mit seinen Mitarbeitern in ein Besprechungszimmer zurück, um zu überlegen, wie und ob sie Dr. Stuck umstimmen könnten. Laura erwartete, dass Meir Huxley einen letzten Angriff lancieren würde. Im Fall des Misserfolgs würde Dr. Meier die Mannschaft bis auf die Minimalbesetzung mit Krista Hofmann abziehen.