Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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27.  Soja-Kerlchen und. Bohnen-Kerlchen




In alten Tagen lebte einmal ein Ehepaar mit seiner Tochter zusammen. In einem Jahr wurde die Mutter schwer krank und starb schließlich, und der Mann mußte sich eine neue Frau nehmen. Die neue Mutter haßte die Tochter der ersten Frau maßlos.

Nun gebar auch die zweite Frau eine Tochter. Obwohl die beiden Töchter als Schwestern im gleichen Haus aufwuchsen, führten sie ein völlig unterschiedliches Leben. Die Mutter haßte die ältere Tochter, ihr gab sie nur Sojabohnensuppe mit Reis; aber die Tochter, die sie selbst geboren hatte, liebte sie sehr und fütterte sie mit roten Bohnen mit Reis. Deshalb rief man die ältere Schwester nur Soja-Kerlchen, während die jüngere Schwester Bohnen-Kerlchen gerufen wurde.

Nun, je größer sie wurde, um so hübscher wurde Soja-Kerlchen auch, und ihr Körper war kräftig. Doch Bohnen-Kerlchen bekam zu einem dünnen Körper ein immer widerlicheres Gesicht. Das kam so, weil die Stiefmutter nicht wußte, daß in den Sojabohnen noch mehr nahrhafte Stoffe enthalten sind und weil sie ihre eigene Tochter nur mit roten Bohnen fütterte.

Bevor man sich versah, waren aus den beiden Mädchen Jungfrauen geworden. Nun begann im Yóngdúng-Tempel eine Opferfeier für Yóngdúng, und die Stiefmutter nahm nur ihre eigene Tochter mit, um das Fest anzusehen. Nicht nur das — sie befahl Soja-Kerlchen, die darum bat, mitgehen zu dürfen, auch noch, eine große Schüssel mit Wasser zu füllen, fünf Körbe Getreide zu stoßen und zwölf Bündel Hanf zu spinnen. 

Soja-Kerlchen wünschte sich von ganzem Herzen, an dem Fest teilzunehmen, sie goß und goß fleißig Wasser in die Schüssel. Aber soviel sie auch goß, sie konnte sie nicht füllen. Soja-Kerlchen war so traurig, daß sie anfing zu heulen. Da kam irgendwoher eine Krähe geflogen. »Du mußt dir mal den Boden der Schüssel ansehen!« riet sie ihr. Unten in der Schüssel war ein Loch. Soja-Kerlchen wußte mit dem Loch, das da hineingebohrt war, nichts anzufangen. Da sprach die Krähe sie noch einmal an und riet ihr, sie solle doch den Boden des Speiseschranks ansehen. Am Boden dieses Schrankes gab es Kiefernharz. Mit dem Kiefernharz stopfte Soja-Kerlchen das Loch zu, das unten in die Schüssel gebohrt war, und füllte die Schüssel dann ganz mit Wasser. Als die Schüssel gefüllt war, ging sie auf den Hof hinaus, um nach dem Getreide, das dort ausgebreitet war, zu sehen. Und waren da nicht unzählige Spatzen, die piepsten und alle Körner aufpickten? Es sah schlimm aus, und mit »Huyói« vertrieb Soja-Kerlchen die Spatzen. Sie war ganz niedergeschlagen, als sie das mit ansehen mußte — doch alles kam ganz anders: Die Getreidekörner waren alle übriggeblieben, und die Spreu war verschwunden!

Soja-Kerlchen ging in den Stall, wo der Hanf aufgehoben wurde. Da hatte die Kuh den Hanf von Anfang bis Ende alles aufgefressen — und zum Hinterteil war er dann gesponnen wieder herausgekommen!

Die Arbeiten, die ihr die Stiefmutter aufgetragen hatte, waren also alle auf einfache Weise erledigt. Soja-Kerlchen hatte ihre Pflicht erfüllt und machte sich nun wirklich auf den Weg zum Yóngdúng -Tempel.

Da hatte am Wegesrand ein Himmelssohn ein Paar schwarze Schuhe hingestellt, denn er suchte nach einem Mädchen, dessen Füße da hineinpassen würden. Aber es gab kein Mädchen, dem die Schuhe paßten. Gerade im rechten Augenblick ging Soja-Kerlchen vorbei. Der Himmelssohn versuchte auch ihr die Schuhe anzuziehen — und da paßten sie ganz genau. Sie lief, die neuen schwarzen Schuhe an den Füßen, zum Festplatz.

Als sie Soja-Kerlchen sah, die so unerwartet früh auftauchte, erschrak die Stiefmutter. »Schon fertig?« — »Ja, aber es war schwer, weil in den Boden der Schüssel ein Loch gebohrt war!« — »Was hast du denn gemacht, daß das Wasser dringeblieben ist?« — »Eine Krähe ist gekommen, die hat gewußt, daß am Boden des Speiseschranks Kiefernharz ist, und da ist es leichtgegangen.« — »Ach, da hast du aber viel Mühe gehabt! Was für eine Schüssel war denn kaputt? So was!« So gab die Stiefmutter ihr zuckersüße Worte und streichelte ihr sogar über den Kopf. Doch nun fielen ihre Augen auf die schwarzen Schuhe, die Soja-Kerlchen angezogen hatte. »Du, wo kommen denn die Schuhe her?« — »Auf dem Weg hierher, da war ein Himmelssohn, der hat ein Mädchen gesucht, dem die Schuhe passen. Irgendwie waren sie richtig für mich, ich hab mich selbst gewundert. Also hab ich sie anbehalten und bin hergekommen.«

Die Stiefmutter wurde neidisch auf die Schuhe. »Du, die Schuhe sind wirklich hübsch. Wir wollen doch mal versuchen, sie Bohnen-Kerlchen anzuziehen«, und als Soja-Kerlchen sich weigerte, zog sie ihr einfach die Schuhe aus und ließ Bohnen-Kerlchen sie anziehen. Zwar wollten sie Bohnen-Kerlchen gar nicht besonders passen, doch mit Gewalt wurde sie hineingezwängt.

Das Ende des Festes war gekommen. Der Himmelssohn wollte seine Braut holen. Er suchte das Mädchen, dem er die schwarzen Schuhe angezogen hatte. Bohnen-Kerlchen tat, als ob sie das Mädchen wäre, und trat als Braut hervor. Aber der Himmelssohn wußte wohl, welches Mädchen er selbst erwählt hatte. Er suchte nur nach Soja-Kerlchen. Am Ende kam heraus, daß die Stiefmutter Soja-Kerlchen zu betrügen versucht und Bohnen-Kerlchen als Braut vorgeschickt hatte. Das meldete der Himmelssohn beim Bezirksamt, und man verbannte die Stiefmutter an einen entlegenen Ort. Der Himmelssohn aber feierte zu guter Letzt Hochzeit mit Soja-Kerlchen.