Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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28.  Der große General Yi Ponggu




In alten Tagen lebte der große General Yi Ponggu. Schon in seiner Jugend übte er sich allein, oft bis spät in die Nacht, in der Kunst der Kalligraphie. Die Tochter des vornehmen Herrn im Nachbarhaus verliebte sich in ihn, kletterte schließlich über die Mauer und schlich sich bis in sein Studierzimmer hinein. »Wo gibt es denn das, daß ein unverheiratetes Mädchen aus vornehmem Hause einfach so in das Zimmer eines Mannes hereinkommt, mit dem sie nicht verwandt ist? Für ein Mädchen aus vornehmem Hause schickt es sich nicht, so was zu tun! Schnell, mach, daß du rauskommst! Verschwinde!« So herrschte Yi Ponggu sie an und vertrieb sie.

Doch dieses Mädchen war von dem Mann, den sie liebte und der sie so schlecht behandelte, so enttäuscht, daß sie starb. Als sie tot war, wurde sie ein Rachegeist. Immer folgte sie dem Yi Ponggu nach und störte ihn. Wenn Yi Ponggu irgend etwas unternahm, tauchte dieser Rachegeist auf und mischte sich ein, und wenn sich irgend etwas Gutes ergab und er hoffte, es könne gelingen — war der Rachegeist da und machte alles zunichte. So ein Geist, das muß man wissen, ist etwas, was andere Menschen nicht sehen können, nur den Augen des Yi Ponggu war er sichtbar.

Weil so alles, was er unternahm, danebenging und er keine Freude mehr hatte am Leben, suchte Yi Ponggu sich einen buddhistischen Tempel, wo er in ruhiger Umgebung sich eine Zeitlang völlig entspannen wollte.

Eines Tages ergab es sich, daß er zusammen mit einem Mönch aus diesem Tempel die Berge und Flüsse in der Umgebung aufsuchte. Zu diesem Berg, zu jenem Berg wanderten sie, bis sie sich auf einem Felsen oben auf einer steilen und hohen Bergspitze niedersetzten. Dort erzählten sie sich dies und das. Yi Ponggu sprach auch darüber, daß er die Liebe der Tochter aus dem vornehmen Nachbarhaus so hart zurückgewiesen habe, daß das Mädchen gestorben und ein Rachegeist geworden sei, der ihm nun immer folge und ihm bei allem, was er tue, hinderlich sei. Als er das gehört hatte, erzählte der Mönch, daß auch ihm selber wegen eines solchen Mädchen-Geistes nichts gelinge.

»Als ich noch jung war, kam ich einmal zum Betteln in ein Haus. Da war ein hübsches junges Mädchen ganz allein. Ja, ich war noch jung, so habe ich diesem Mädchen Gewalt angetan.

Das Mädchen war voller Schmerz darüber, daß so ein Drecksmönch es befleckt hatte; so starb es und wurde nach seinem Tode ein Rachegeist, der mir immer vor Augen steht und mich nur belästigt« — das erzählte der Mönch.

Als Yi Ponggu das angehört hatte, sagte er: »Ach, so einer bist du! Daß so ein Dreckskerl wie du einfach so weiterlebt, das geht nicht an!« Und er gab dem Mönch einen Tritt, daß der in die Bergschlucht hinunterstürzte und ums Leben kam. 

Kaum war das geschehen, als aus der Schlucht etwas »T’ukt’ak t’ukt’ak« ertönte, so, als ob jemand geschlagen würde. Yi Ponggu blickte in die Richtung — und da kämpften zwei Rachegeister verbissen miteinander. Einer davon war der Geist, der ihm immer nachgefolgt war, den anderen kannte er nicht. Die beiden Geister kämpften — dann schrie der, der Yi Ponggu immer gefolgt war, auf und starb endgültig.

Der andere Geist, der so gekämpft hatte, trat vor Yi Ponggu. »Von nun an sollt Ihr Euren Frieden haben. Ihr müßt wissen — ich habe den Geist, der Euch so sehr gequält hat, vernichtet.« Yi Ponggu wunderte sich sehr und fragte: »Wer bist du denn, daß du mir so zur Hilfe gekommen bist?« Da sprach der Geist: »Ich bin der Geist des Mädchens, das nur gestorben ist, weil dieser Drecksmönch ihm Gewalt angetan und es mißhandelt hat. Seitdem ich gestorben und ein Geist geworden bin, habe ich mich an diesen Drecksmönch gehängt, um mich zu rächen. Aber bis heute konnte ich mein Ziel nicht erreichen. Als Ihr nun heute diesen Kerl zum Tode befördern wolltet, da hat der Geist, der Euch verfolgte, alles getan, um ihn vor dem Tode zu retten. Ich habe mit diesem anderen Geist gekämpft, damit er sein Werk nicht vollenden konnte. Jetzt ist es so gekommen, daß dieser Rachegeist nicht mehr ist. So werdet Ihr von nun an kein Pech mehr haben, und auch mein Rachedurst ist gestillt«, sagte der Geist und verschwand irgendwohin.

Yi Ponggu widerfuhr von da an nichts Schlimmes mehr, er studierte so fleißig, daß er später die Staatsprüfung bestand und es bis zum General brachte.