Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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34.  Das Sieben-Berge-Meer




Wo das Sieben-Berge-Meer ist, war ursprünglich Land, das Sieben-Berge-Dorf soll dort gelegen haben. In diesem Dorf lebte ein Alter mit Namen Só. Bei ihm kam eines Tages ein Geomant vorbei, für den sorgte er gut. Als der Geomant sich wieder verabschiedete, wollte er diese Freundlichkeit vergelten. »Ich werde dir etwas sagen. Hier in dieser Gegend wird in nicht allzu ferner Zukunft ein Meer kommen! Geh du weg von hier.« Só hörte das, er fragte, wann denn das geschehen sollte. »Wenn an dem großen Buddha dort drüben Blut am Ohr herunterfließt, dann wird das Meer kommen«, sagte er und ging. Der alte Só, so belehrt, ging von da an jeden Tag, wenn der Morgen dämmerte, nachsehen, ob aus dem Ohr des Buddha schon Blut herausgekommen wäre.

Als Só nun regelmäßig zu dem Buddha ging, fragten ihn die Leute aus der Nachbarschaft: »Warum gehst du denn so oft zu dem Buddha?« Er erklärte es ihnen: »Ein Geomant hat mir gesagt, wenn am Ohr des Buddha Blut ist — dann wird das Meer hierherkommen, deshalb sehe ich regelmäßig nach.« Die Leute aus der Nachbarschaft lachten ihn aus. »Der ist wohl verrückt geworden!«

Einer von ihnen, ein Hundemetzger, ging eines Nachts mit seinen vom Hundeschlachten blutbesudelten Händen heimlich zu dem Buddha hin und beschmierte dessen Ohren mit Blut. Am nächsten Morgen ging der alte Só wie gewöhnlich nachsehen — und als er am Ohr des Buddha Blut tropfen sah, rief er allen Leuten in der Nachbarschaft zu: »Hier wird nun bald das Meer kommen, flieht schnell!«, und er selbst stieg mit den Seinen hoch auf einen Berg. Von den Nachbarn ist niemand mitgegangen.

Als am Morgen dieses Tages die Beamten dem Bürgermeister ihre Aufwartung machten, meinte der Bürgermeister, der Tod stehe ihnen im Gesicht geschrieben. Der Bürgermeister war sicher einer, der sich gut darauf verstand, Gesichter zu lesen.

»Das ist aber seltsam! Bis gestern war alles in Ordnung, und heute seht ihr alle so aus, als ob ihr sterben solltet. Wirklich seltsam! Was hat es denn gegeben?« fragte er. »Ein Alter namens Só hat gesagt, daß hierher das Meer kommen wird, und ist auf den Berg geflüchtet. Dieser Alte hat von einem Geomant gehört, daß, wenn vom Ohr des Buddha Blut fließe, alles hier zu Meer würde. Nun hat so ein Kerl von Hundemetzger, um ihn zu foppen, das Ohr des Buddha mit Hundeblut beschmiert. Gleich hat Só gesagt, daß jetzt, wo am Ohr des Buddha Blut ist, das Meer kommt, und dann ist er mit den Seinen auf einen Berg geflüchtet« — das berichteten die Beamten.

Der Bürgermeister hörte das und sagte: »Der Alte hat recht! Wir wollen auch fliehen!«, und mit den Beamten stieg er auf den Berg.

Als der alte Só unterwegs war auf den Berg, da war ein Salzverkäufer, der saß auf seiner Salzlast und ruhte sich aus. Der Salzverkäufer fragte den Alten: »Was kommt Ihr so schnaufend hier herauf?« — »Hierher wird bald das Meer kommen, deshalb fliehe ich auf einen hochgelegenen Platz.« Der Salzverkäufer meinte: »Wenn das Meer kommt, dann wird es nicht höher steigen als bis unter diesen meinen Tragstock.«

Und dann donnerte es und, wie der Salzverkäufer gesagt hatte, stieg das Meerwasser gerade bis unter seinen Tragstock an. Aus dem Sieben-Berge-Dorf sind nur der alte Só und seine Familie, die Familien des Bürgermeisters und der Beamten, ja, und der Salzverkäufer am Leben geblieben, und alle anderen sind ertrunken. Von den Nachfahren der Familie Só, da leben noch heute viele in der Provinz Ch’ungch’óng.