Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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36.  Die Wasserschnecken-Schöne




In alten Tagen lebte in einem Dorf ein bettelarmer Junggeselle. Er war schon älter als dreißig, aber weil er zu arm war, wollte ihm niemand seine Tochter zur Frau geben. Er lebte nur, um seinen kleinen Acker zu bebauen, wo er Tag für Tag arbeitete. Er beklagte sein Schicksal, daß er immer nur arbeiten mußte, daß er so arm war, nichts zu beißen hatte, sich deshalb auch nicht verheiraten konnte, und so ging die Zeit dahin.

Immer seufzte er: »Da bebaue ich mein Feld, doch mit wem soll ich denn zusammen essen und leben?« Eines Tages nun war er wieder bei der Arbeit auf dem Feld und wiederholte diese Worte. Diesmal antwortete es irgendwoher mit einer Frauenstimme: »Mit mir iß! Mit mir lebe!«

Der Junggeselle hielt das für ganz eigenartig, er blickte sich nach allen Seiten um, aber nichts, was man eine menschliche Gestalt hätte nennen können, war zu sehen. Noch einmal sagte der Junggeselle: »Da bebaue ich mein Feld, doch mit wem soll ich denn zusammen essen und leben?« Und wieder: »Mit mir iß! Mit mir lebe!« war die gleiche Antwort einer Frauenstimme zu hören. Auch als er ein drittes Mal seinen Stoßseufzer wiederholte — wieder gab es diese Antwort.

Daß da, wo es keinen Menschen gab, nur eine Stimme ertönte, erschien dem Junggesellen wundersam, und er versuchte da, wo die Stimme hergekommen war, die Erde aufzugraben. Und dort kam aus der Erde seines Reisfeldes eine große Wasserschnecke hervor. Der Junggeselle nahm sie mit sich nach Hause und steckte sie in einen Wassertopf.

Am nächsten Morgen, als der Junggeselle aufstand, seltsam, da war ein Eßtisch vorbereitet mit dampfendem weißem Reis und köstlichen Beigerichten. Er wunderte sich, aber er aß den Reis und ging aufs Feld hinaus und tat dort wie immer seine Arbeit. Dann kehrte er nach Hause zurück — und da war doch auch der Abendtisch mit köstlichen Speisen vorbereitet! Der Junggeselle war überrascht über diese wunderbare Hilfe, er konnte das nicht verstehen.

Als das ein paar Tage weiterhin so ging, tat er eines Morgens nur so, als ob er aufs Feld gehen wollte, verließ das Haus, kehrte aber heimlich zurück, versteckte sich hinter einer Reisstrohgarbe und lugte von da ins Haus hinein.

Wenig später kam aus dem Wassertopf eine hübsche Jungfrau heraus, sie kochte Reis, richtete die Beikost an. Über alle Maßen schön war diese Jungfrau, ganz unvorstellbar. Als sie den Tisch fertig hatte, schlüpfte sie wieder in den Wassertopf hinein. Als der Junggeselle dann aber in diesen Topf hineinschaute, war nichts darin außer der Wasserschnecke. Er konnte es sich nicht anders erklären — die Jungfrau mußte sich in die Schnecke verwandelt haben.

Am nächsten Morgen versteckte sich der Junggeselle wieder hinter der Reisstrohgarbe und wartete, bis die Jungfrau erschien. Es dauerte nicht lange, und sie kam aus ihrem Wassertopf heraus. Der Junggeselle sprang ins Haus, faßte sie ganz fest, und er bat sie, mit ihm zusammenzuleben. Da sprach die Jungfrau: »Ich habe ursprünglich als Fee im Himmel gelebt, doch weil ich mich dem Jadekaiser gegenüber eines Vergehens schuldig gemacht habe, mußte ich hinuntergehen in die Menschenwelt. So ist es dazu gekommen, daß ich mit dir zusammengetroffen bin. Aber jetzt ist noch nicht die rechte Zeit, bitte, gedulde dich nur noch zwei Monate. Wenn du so lange wartest, dann können wir unser ganzes Leben gemeinsam verbringen. Wartest du nicht, dann werden wir irgendwann getrennt werden.«

Von einer solchen Schönheit zu lassen, noch zwei Monate zu warten, das tat ihm im Herzen weh, und so flehte er sie an: »Mich zwei Monate zu gedulden, das kann ich nicht.« So heirateten sie gleich, und die beiden waren von da an ganz glücklich.

Eines Tages wurde der Mann krank, er konnte nicht zur Arbeit aufs Feld hinausgehen, und so ging seine Frau an seiner Statt zur Feldarbeit hinaus. Gerade als sie auf dem Feld bei der Arbeit war, zog ein Beamter mit seinem Gefolge vorbei, und die Wasserschnecken-Schöne versteckte sich im Dickicht. Der Beamte kam gerade an diesem Dickicht vorbei. Er bemerkte, daß da etwas blinkte, und befahl seiner Dienerschaft, der Sache nachzugehen. Als die Diener das Gebüsch genau untersuchten, war da zu ihrer großen Überraschung eine wunderschöne Frau versteckt, strahlend schön.

Der Beamte nahm den Bericht seiner Diener entgegen, nun wollte er aber genau wissen, wieso da eine schöne Frau versteckt war, und er gab den Befehl, sie sofort zu ihm zu bringen. Die Diener übermittelten der Frau den Befehl ihres Herrn, sie drängten sie, schnell herauszukommen, aber die Frau gehorchte nicht. Sie zog ihre goldene Haarnadel heraus und gab sie ihnen und bat, dafür nur ja ihren Körper nicht zu berühren. Aber der Beamte war nicht einverstanden. Als nächstes zog sie ihr Jäckchen aus und gab es hin, danach sogar ihre Hose, und weil der Beamte auch damit noch nicht zufrieden war, wurde die Frau, nur noch mit einem Unterkleid angetan, vor den Beamten gezerrt und von ihm mitgenommen.

Als ihr Mann davon erfuhr, kam er wie verrückt herbeigesprungen und verlangte im Amt, daß ihm seine Frau zurückgegeben werde. Alles umsonst. Der Mann konnte den Schmerz nicht ertragen, er rammte sich einen Pfahl des Amtshauses in den Leib und tötete sich selbst.

Sein Schmerz drang bis zum Himmel, und so wurde seine Seele, die Seele eines unschuldig Gestorbenen, in einen Vogel verwandelt, und der flog morgens und abends in die Nähe des Amtshauses und weinte dort gar bitterlich.

Auch die Frau, die ihre Reinheit nicht verlieren wollte, lebte nicht mehr lange. Sie aß nichts mehr und trank nichts mehr und starb. Ihre Seele soll in einen Eichenbaum eingegangen sein. Wenn der Mann den Bitten seiner Frau nur gehorcht hätte, wenn er nur noch zwei Monate geduldig geblieben wäre — das alles wäre nicht geschehen. Nur weil er sich nicht gedulden konnte, ist es dazu gekommen, daß die beiden — wie die Frau es vorhergesehen hatte — auf so grausame Weise getrennt worden sind.