Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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39.  Die Siebengestirne




In alten Tagen gab es in einer reichen Familie nur einen einzigen Sohn. Die Eltern lebten gut, und weil sie außer diesem einen Sohn keine Kinder hatten, zogen sie ihn so wohlbehütet auf, wie sonst wohl nur jemand von königlicher Herkunft aufgezogen wird.

Aber es gibt eine alte Redensart, daß das Leben eines einzigen Sohnes aus reichem Hause nur kurz ist, und so hatte es den Anschein, als ob auch der Sohn dieses Hauses nur ein kurzes Leben haben sollte.

Eines Tages kam ein alter Mönch vorbei, der sah den kleinen Sohn dieses Hauses nur kurze Zeit vor der Tür spielen; mitleidig schnalzte er mit der Zunge und sprach zu sich selbst: »Auch das Gesicht sieht ganz klug aus. Es ist wirklich zu schade, er wird nicht lange leben.«

Das hörte die Mutter, die gerade danebenstand. Wie der alte Mönch das sagte, spitzte sie die Ohren.

»Ehrwürden, was war das, was Ihr da eben gesagt habt?« Der alte Mönch antwortete auf ihre Frage: »Wenn ich das Kind so betrachte — es wird nicht lange leben. Es scheint mir, es wird nicht älter werden können als neunzehn Jahre.« Die Mutter des Knaben erschrak, zweimal, dreimal warf sie sich auf den Boden. »Ehrwürden, wo Ihr doch das Schicksal der Menschen kennt, vielleicht wißt Ihr auch einen Weg, wie Ihr unser Kind retten könnt? Unser Kind ist in der fünften Generation der einzige Sohn, bitte, bitte, mit Eurer ehrwürdigen Gnade, helft, daß meine Familie nicht ausstirbt!«, so bat sie ihn.

Aber der alte Mönch mußte so etwas verweigern. »Ich vermag zwar zu erkennen, ob die Lebensdauer kurz oder lang ist, ich habe aber keine Macht, selbst in das Schicksal eines Menschen einzugreifen.«

Gerade da kam der Vater des Knaben, der irgendwohin weggegangen war, zurück, und er hörte das, und nun baten die Eltern beide, unter Tränen flehten sie; »Wir beiden alten Leute haben noch immer nur dies eine Kind. Bitte, bitte, habt Mitleid mit uns armen Eltern, Ehrwürden! Rettet unser Kind!« — so versuchten die beiden wieder und wieder ihn zu erweichen. Der alte Mönch hörte sich das Flehen der beiden Alten mitleidsvoll an, schließlich sagte er: »Dann versucht es einmal so zu machen, wie ich euch sagen werde. Zwar ist das Schicksal etwas, wovon man nie genau weiß, wie es werden wird, aber versucht einmal, morgen bei Tag auf die Spitze des Südberges zu gehen. Dort werden dann wohl zwei alte Weise Paduk spielen. Vor denen werft euch auf den Boden und bittet sie, euch zu helfen. Ob es dann einen Weg geben wird, das weiß ich nicht« — und dann verschwand der alte Mönch.

Am nächsten Tag kletterten die Mutter und der Vater des Knaben auf die Spitze des Südberges — und wirklich, dort saßen zwei alte Weise und spielten Paduk. Die Eltern warfen sich auf den Boden. »Bitte, bitte, rettet unseren Sohn!« baten sie.

Das Gesicht des einen alten Weisen war sehr schön anzusehen, das Gesicht des anderen war überaus häßlich. Und der Weise mit dem hübschen Gesicht schenkte ihrem Flehen sein Ohr, während der andere Weise, der das häßliche Gesicht hatte, so tat, als ob er nichts hören könnte; er spielte nur einfach weiter Paduk. Lange Zeit spielten sie, bis dann der Weise mit dem hübschen Gesicht ganz mitleidig die alten Eltern ansah, dann sprach er zu dem mit dem häßlichen Gesicht: »Du, die beiden alten Leutchen sind doch wirklich so bedauernswert, unternimm doch was, um den Sohn dieser Leute zu retten!« Der häßliche Weise schüttelte den Kopf. »Ich kann nichts machen«, lehnte er ab.

Die beiden Weisen gerieten sich in die Haare, eine Zeitlang stritten sie hin und her, bis sie auf das Bitten des Weisen mit dem hübschen Gesicht ihren Streit beilegten und übereinkamen, den einzigen Sohn des alten Ehepaares zu retten. Der Weise mit dem hübschen Gesicht, das war der Herr Siebengestirn des Südhimmels, und der mit dem häßlichen Gesicht der Herr des nördlichen Siebengestirns. Der Herr des nördlichen Siebengestirns holte aus seiner Jacke die Liste mit den Namen der Menschen hervor und verbesserte das festgesetzte Lebensalter des Sohnes auf neunundneunzig Jahre. Das alte Ehepaar bedankte sich mit hundertfacher Verbeugung, dann gingen sie nach Hause zurück, und sie haben noch lange glücklich gelebt.

Ja, und daß nach dem Glauben unseres Landes die Leute, wenn ihr Kind nur kurze Zeit zu leben hat, den Herren des Siebengestirns Opfer darbringen — das hat seinen Ursprung in dieser Geschichte.