Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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42. Das Grab des Kaejoji




In alten Tagen gab es im Haus der Familie Ha aus Mup’ung einen Diener mit Namen Kaejoji. Obwohl er nur ein Diener war, sah er gut aus und war kräftig dazu. In Yóngdong hatte er eine zweite Frau; wenn es Nacht wurde, lief er dorthin und schlief dort, wenn es morgens dämmerte, lief er wieder nach Mup’ung zurück.

Einmal ist er schon nachts zurückgekommen. Gerade als er über den Ch’ónman-Hügel ging, mußte er seine Notdurft verrichten, und als er sich dazu hingehockt hatte, kam von hinten ein großer Tiger und setzte sich auch hin. Ganz sacht faßte Kaejoji mit seiner Hand nach hinten, griff sich den Schwanz des Tigers und, hui, schleuderte er den Tiger an seinem Schwanz in die Luft. Da blieb in seiner Hand nichts übrig als der Schwanz des Tigers, der Körper war irgendwohin geflogen und verschwunden. Ins Dorf zurückgekommen, erzählte er, was ihm widerfahren. Die Leute aus dem Dorf liefen zum Hügel hin — der Tiger war weit, weit von dem Ort entfernt, wo Kaejoji seine Notdurft verrichtet hatte, hingefallen und gestorben. Kaejoji war so kräftig wie ein Riese!

Obwohl er stark war wie ein Riese, seinem Herrn gegenüber hat er seine Kraft niemals ausgespielt. Auch sonst hat er niemandem Gewalt angetan, so treu war er.

Wenn man in alten Tagen nach Muju und weiter in die Kyóngsang-Provinz gehen wollte, da gab es keinen anderen Weg als über Mup’ung. Deshalb sind viele Beamte dort vorbeigekommen, und diese Beamten sind hoch zu Roß dort hindurchgeritten — das hat Kaejoji überhaupt nicht gefallen. >Wie kann man durch ein Dorf wie das, wo mein Herr lebt, einfach so durchreiten?< — so dachte sich Kaejoji, und wenn so ein Beamter mit seinem Gefolge vorbeikam, hat er üble Dinge angestellt. Das tat er öfter, so daß die Beamten, die er so belästigte, dem Herrn Ha einen Brief schrieben und ihn aufforderten, etwas zu unternehmen, damit sein Diener so was nicht mehr tun könne. Viele, viele solche Briefe sind gekommen, aber der Herr konnte gar nichts machen, als Kaejoji immer wieder zu sich zu rufen und ihn aufzufordern, das doch zu unterlassen.

Doch Kaejoji hat nie darauf gehört. Wie zuvor hat er sich einen Spaß daraus gemacht, wenn ein Beamter mit seinem Gefolge vorbeikam, sie zu belästigen. Deshalb konnte sein Herr vielen Freunden nicht mehr unter die Augen kommen, und schließlich sind die Freundschaftsbande zerrissen.

Der Herr wollte nun Kaejoji töten, aber weil der so ein kräftiger Kerl war, fürchtete er, selbst totgeschlagen zu werden, wenn er das nicht ganz geschickt anstellte. So ließ er eines Tages den Diener sich mit berauschendem Wein voll und ganz betrinken, und als er dann in seinem Rausch eingeschlafen war, ließ er ihn von den drei stärksten Dienern fesseln. Kaejoji erwachte dabei. »Was soll denn das?« fragte er. Der Herr sagte: »Ich hab dir oft genug gesagt, du sollst meine Freunde nicht belästigen, aber du wolltest nicht hören. Deshalb mußt du sterben!« Kaejoji sagte: »Das alles ist gar nicht nötig — wenn Ihr sagt, ich soll sterben, dann werde ich sterben. Ihr könnt mich noch so sehr binden und schlagen, dadurch werde ich nicht ums Leben kommen. In meinen Achselhöhlen, da gibt es Flügel, und unter den Flügeln, wenn Ihr da was Spitzes hineinbohrt, dann werde ich sterben.«

Der Herr ließ die Diener in den Achselhöhlen von Kaejoji nachsehen — und wirklich, da gab es kleine Flügel. Und als sie unter diesen Flügeln hineinstachen — da war Kaejoji tot. Den Körper des Kaejoji hat man drüben auf dem Berg begraben, und das Grab dort, das ist das Grab des Kaejoji. Auch wenn man heute noch dorthin geht, findet man immer noch das Grab des Kaejoji.