Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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43. Vom Vogel, dessen Schwanz fünf Fuß lang und dessen Eier fünf Fuß groß waren




In alten Tagen lebten in einem Bauernhaus Großeltern, Eltern und drei Töchter zusammen. Eines Tages ging der Großvater zum Holzmachen in die Berge, die Großmutter zum Wasserholen, der Vater zur Feldarbeit, und die Mutter ist zum Waschplatz gegangen.

Plötzlich ist ein Vogel geflogen gekommen, dessen Schwanz fünf Fuß lang und dessen Eier fünf Fuß groß waren, und der setzte sich vor die drei Schwestern, die miteinander spielten. Der Vogel fing an zu fragen: »Wo ist der Großvater hingegangen?« — »Holz machen.« — »Die Großmutter?« — »Wasser holen.« — »Der Vater?« — »Aufs Feld.« — »Die Mutter?« — »Ist zum Waschplatz gegangen.«

Das alles fragte er und dann: »Ganz gleich, ob es der Großvater oder die Großmutter oder die anderen sind, wenn sie zurückkommen, werde ich sie fangen!« sagte er und flog davon. 

Als die drei Schwestern das hörten, fingen sie bitterlich zu weinen an. Wenig später kam der Großvater zurück. »Warum heult ihr denn?« — »Wir heulen, weil ein Vogel da war mit fünf Fuß langem Schwanz und fünf Fuß großen Eiern, und der hat gesagt, daß er unseren Großvater fangen will.« — »Keine Angst, der Kerl von Vogel soll nur kommen. Mit meiner Tabakspfeife werde ich ihm den Schädel einschlagen!«

Die drei Mädchen hörten auf zu heulen. Da kam der Vogel geflogen. »Was willst du hier?« fragte der Großvater ganz harmlos. »Ich bin nur so vorbeigekommen«, tat der Vogel auch ganz harmlos. »Komm doch rein!« — »Nein, ich muß gleich zurückfliegen«, er tat, als ob er nur sprechen wollte, doch schon hatte er sich den Großvater gekrallt. Der Großvater schlug ihm die Tabakspfeife auf den Kopf, der Vogel schwankte. Großvater meinte: »So ist es richtig«, und wollte den Vogel fangen, aber der riß ihn plötzlich fest an sich und flog mit ihm davon.

Die drei Schwestern waren zu Tode erschrocken. Sie heulten wieder. Wenig später kam der Vater zurück. »Warum heult ihr denn?« fragte er. Sie erzählten ihm genau, was geschehen war. »So was! Aber macht euch keine Sorgen, wenn er diesmal wiederkommt, kriegt er eins mit dem Knüppel drauf.«

Da kam der Vogel wieder. Wie schon beim Großvater sprach er ein paar Worte, dann sprang er den Vater an. Der Vater schlug mit dem Knüppel, den er eingesteckt hatte, auf den Vogel los. Der Vogel schwankte, aber der Vater paßte nicht so gut auf, und da riß ihn der Vogel fest an sich und flog mit ihm davon.

Die Schwestern fingen wieder zu heulen an. Die Großmutter kam zurück. »Keine Sorgen! Beim Reiskochen mach ich den Feuerhaken richtig heiß, damit können wir den Vogel fangen.«

Der Vogel kam geflogen, gleich sprang er die Großmutter an. Die schlug mit dem heißen Feuerhaken nach ihm, aber trotzdem flog der Vogel mit der Großmutter davon.

Die Mutter kam zurück. Auch sie sagte: »Keine Sorge!« — aber sie wurde genauso vom Vogel mitgenommen.

Nun konnten die Töchter nur jeden Tag heulen, sie wußten nicht, wie sie alles zum Guten wenden konnten. Aber man kann nicht immer heulen. Die älteste Schwester schlug vor: »Wir wollen das Nest des Vogels suchen und ihm die Sache heimzahlen!« Und sie machten sich auf den Weg.

Sie liefen einfach ins Blaue, wohin, das war ihnen völlig schleierhaft. Am ersten Tag waren sie schon sehr müde, irgendwo in den Bergen fielen sie hin und weinten. Da erschien ein Alter mit weißem Haar. »Was heult ihr denn so?« Die drei erzählten, was sich bis dahin ereignet hatte. »Dieser Vogel lebt dort hoch oben am Götterberg, in einer Höhle unter einem zehntausend Jahre alten Maulbeerbaum.«

Nur das sagte er, und schon war er wieder verschwunden, der Alte. Die drei Schwestern faßten neuen Mut und suchten nach dem so beschriebenen Ort. Es war nicht schwer, den zehntausendjährigen Maulbeerbaum zu finden. Sie gingen in die Höhle hinein. Der Vogel war nicht zu sehen, nur das, was ein Vogel so zum Leben braucht, lag schmutzig überall herum. Sie wollten warten, bis der Vogel wieder zurückkam. Sie verwandelten sich in Fliegen und versteckten sich unter der Decke.

Wenig später kam der Vogel zurück – nein — ein Vogelpärchen. »Wieder ein Tag, an dem wir uns vergeblich abgemüht haben«, sagte das Männchen. »Mein Lieber, aus welchem Topf möchtest du heute essen?« fragte das Weibchen. »Aus dem obersten, wo wir den Vater und den Sohn zusammen haben verfaulen lassen.« Die beiden holten das Eingelegte aus dem Topf heraus und verzehrten es. Nachdem sie fertig waren, sagte sie: »Das Eisenzimmer ist wohl zu kalt, wir müssen im Holzzimmer schlafen« — und sie gingen zu Bett.

Das, was sie Zimmer nannten, war ein großer Holzkessel. Die drei Schwestern dachten: >Da ergibt sich eine gute Gelegenheit!<

Die älteste und die zweite Schwester hielten den Deckel auf dem Kessel fest, während die jüngste darunter Feuer machte. Im Kessel wurde es den Vögeln heiß, sie führten sich wie verrückt darin auf. Aber bald wurden sie ruhig. Die drei Schwestern gingen in die Höhle hinein. Dort fanden sie Töpfe, in denen etwas eingelegt war. Drei Töpfe waren es, um genau zu sein. Einer davon war leer, in einem waren nur Knochen — und im letzten, da war das Fleisch noch nicht verfault. Sie sahen genau hinein, und da sahen sie die Augen ihrer Mutter. Deshalb meinten sie, daß das andere der Großvater, die Großmutter und der Vater waren — und alle zusammen haben sie dann begraben.