Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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46.  Die Wein-Murmel




In alten Tagen lebte ein Mann, der hatte keine Frau und keine Kinder, ganz allein lebte er mit einem Hund und einer Katze, für die er sorgte. Den Wein schätzte er über alles, es gab keinen Tag, an dem er nicht betrunken gewesen wäre.

Es war in einer milden Herbstnacht. Der leuchtende Mond stand hoch am Himmel, es war fast so hell wie am Tag, das klagende Zirpen der Zikaden erfüllte die Luft ringsum. Den Alten überfiel ein Gefühl der Einsamkeit. Einen Krug Wein in der Hand ging er hinaus, den Mond zu betrachten und seinen Wein zu trinken. Der Wein schmeckte ihm zu gut, er trank, sang sich ein Liedchen dazu, schaute sich den Mond an. So wurde es spät in der Nacht, ehe der Alte sich anschickte, nach Hause zurückzugehen.

Da lief ein alter Mann hinter ihm her. »He, Ihr, warum wollt Ihr denn schon gehen? Laßt uns zusammen noch ein wenig vergnügt sein!« sprach er. Unser Alter war glücklich darüber, vielleicht einen Freund finden zu können. »Was Ihr da sagt, ist wirklich eine Freude für mich, aber der Wein, den ich mitgebracht hatte, der ist alle geworden, nur der leere Krug ist übriggeblieben. Wein muß man doch haben. Wenn es keinen Wein gibt, wie kann man da Spaß haben?« antwortete er.

»Ja, keine Angst, auch wenn es nicht Euer Wein ist — es gibt schon einen Weg, Wein zum Trinken zu bekommen« — und der Mann holte aus seiner Tasche eine große Murmel hervor, bat um den leeren Krug, tat die Murmel hinein, schüttelte nur ein wenig — und gleich kam köstlicher Wein, mehr als genug, heraus.

Die beiden Alten fingen an zu trinken, schenkten sich gegenseitig ein, sie waren vergnügt und hatten viel Spaß miteinander. Eine ganze Zeit ging das so, sie wurden betrunken, verabschiedeten sich schließlich voneinander. Der Alte mit der Murmel schenkte sie dem Alten mit dem Weinkrug. »Ich laß Euch die Murmel als Freundschaftsgabe. Nehmt sie mit nach Haus, steckt sie in den Krug, und wenn Ihr Lust habt auf Wein, dann schüttelt einfach, und Ihr könnt trinken«, sagte er und verschwand. Dankbar nahm der andere die Murmel entgegen, ging nach Hause zurück und bewahrte die Murmel gut auf.

Später dachte er sich, daß man ja damit auch Geld verdienen könnte, und er fing an, mit Hilfe der Murmel einen Weinhandel zu betreiben. Weil der Wein wirklich gut war, kamen viele zum Trinken, und schon in ein paar Tagen hatte er eine Menge Geld verdient. Aber die Leute meinten, es sei doch eigenartig, daß der Alte plötzlich Weinhändler geworden war, sie beobachteten ihn ganz genau.

Eines Tages fand einer heraus, daß der Wein durch die Zauberkraft einer Murmel entstand, auf ganz geschickte Weise gelang es ihm, die Murmel zu stehlen.

Der Alte wollte weiter Wein verkaufen, schüttelte seinen Krug, schüttelte und schüttelte, aber es kam kein Tropfen Wein mehr heraus. >Seltsam<, dachte er sich, sah in den Krug — die Murmel war verschwunden. Viele Gäste waren da, die alle Wein kaufen wollten, er mußte sie alle wieder wegschicken. Dann legte er sich in seine Kammer, er hatte Sorgen, seufzte. Er versuchte nachzudenken, warum denn das so gekommen war. Hund und Katze sahen, wie der Alte so dalag, sie beratschlagten, was denn nun zu tun sei. »Weil unser Herr seine Murmel verloren hat, macht er sich Sorgen. Wir wollen in den Nachbarhäusern nachsuchen, und wenn wir die Murmel finden, können wir sie ihm zurückbringen«, und sie gingen, die Murmel zu suchen.

Sie suchten in allen Nachbarhäusern, ließen kein einziges aus — aber sie fanden nichts. Sie gingen auch ins Dorf auf dem anderen Ufer des Flusses, suchten auch dort in jedem Haus. Die Katze fand schließlich die Murmel, schnell nahm sie die in ihr Maul und wollte nach Hause zurückeilen. Aber sie kam an den Fluß, mußte das Wasser überqueren. Die Katze, nun, die konnte nicht schwimmen, der Hund aber, der konnte das gut.

So behielt die Katze die Murmel in ihrem Maul, der Hund nahm sie auf seinen Rücken und schwamm mit ihr über den Fluß.

Beide machten sich Sorgen, daß irgend etwas schiefgehen könnte, und als sie so durchs Wasser schwammen, fragte der Hund die Katze dauernd: »Hältst du sie gut fest?« — »Ja, ganz fest!« antwortete sie. Wieder und wieder ging es so: »Hältst du sie gut fest?« — »Ja, ganz fest!« Sie schwammen und schwammen, hatten fast das andere Ufer erreicht, als die Katze nur einen Augenblick lang nicht aufpaßte und die Murmel ins Wasser fallen ließ. Sie erschrak ganz schön. »Ja, was machen wir denn jetzt?«, auch der Hund war erschrocken. »Ja, was machen wir denn jetzt?«, und gleich tauchte er ins Wasser und suchte herum, aber vergebens. Nichts war zu finden. Hund und Katze waren völlig zerschlagen. Sie krochen ans Ufer und setzten sich, ratlos starrten sie auf das Wasser und beklagten ihr Unglück.

Gerade da waren am Flußufer ein paar Männer, die angelten. Einer von ihnen fing einen Fisch, er wollte ihn als kleinen Happen zum Trinken zubereiten, schnitt ihm den Bauch auf, holte die Innereien heraus und warf sie weg. Er merkte nicht, daß da etwas wie eine Murmel drin war, er warf einfach alles weg. Das sahen Hund und Katze, sie waren glücklich. »Gutgegangen! Das ist die Murmel, die wir verloren haben. Der Fisch da hat sie verschluckt, und jetzt ist er an die Angel gegangen.« So schnell konnten die Männer gar nicht gucken, sie rannten hin, bissen in den Abfall und machten sich mit der Murmel davon.

Als sie nach Hause zurückkamen, konnten sie dem Alten seine Murmel überreichen. Der Alte, der war ganz verzweifelt liegengeblieben, seit er die Murmel verloren hatte, nun faßte er neuen Mut. Liebevoll streichelte er Hund und Katze, durch ihre Hilfe konnte er wieder mit seinem Weinhandel anfangen.