Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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49. Großvater und der Kam-Baum




In alten Tagen waren einmal ein prächtiges Haus, in dem ein Staatsminister lebte, und eine strohgedeckte Hütte, in der ein alter Großvater wohnte, einander so benachbart, daß die Gärten nebeneinanderlagen. Im Garten des Großvaters wuchs ein Kam-Baum, der schon ein paar Jahrzehnte lang gewachsen war. Wenn es Herbst wurde, waren seine Zweige überreich behängt mit Kam-Früchten, die rot und reif wurden.

Der Großvater pflückte diese Früchte, brachte sie zum Markt und verkaufte sie, davon lebte er. Nach einigen Jahren fing der Kam-Baum an, seine Zweige in den Garten, der zum Haus des Staatsministers gehörte, hineinzustrecken. Ja, und dann trug er mit einem Mal an seinen alten Zweigen keine Früchte mehr, nur noch an den neu gewachsenen Zweigen.

Im Haus des Staatsministers gab es eine recht boshafte Dienerschaft, die dachten alle, es sei ein großes Glück für sie, daß die Zweige vom Kam-Baum des Großvaters zu ihnen herüberwuchsen, und ohne Grund rissen sie die Kam-Früchte ab, lange bevor sie reif waren. Dem Großvater tat das weh, aber er konnte überhaupt nichts unternehmen. Weil es die Diener aus dem Haus eines Staatsministers waren, hatte er Angst, auch nur ein Wort zu sagen — ein falsches Wort, und es wäre gewiß auf ihn selbst zurückgefallen. Der Großvater war traurig über solches Unrecht, er ging ins Haus und legte sich in seine Ecke.

Im nächsten und übernächsten Jahr war es ganz genau dasselbe. Drei Jahre hindurch konnte er keine Kam-Früchte ernten — geschweige denn verkaufen. Daher wurde sein Haus nur noch ärmer. Der Großvater konnte es nicht mehr länger ertragen, manchmal dachte er daran, den Kam-Baum zu fällen, doch dann sah er wieder nur am Baum hoch und seufzte. Da kam ein zehnjähriger Knabe zum Spielen zu ihm. Er hatte den Großvater sehr gern, obwohl er ein Schlingel war und der Anführer der Kinder in der ganzen Gasse; es gab in der Nachbarschaft niemanden, der seinen Namen nicht gekannt hätte.

Als dieser Junge nun merkte, daß der Großvater ein so besorgtes Gesicht bekommen hatte, fragte er: »Großvater, worüber macht Ihr Euch denn solche Sorgen?« — »Ich habe keine besonderen Sorgen.« — »Warum seufzt Ihr dann immer so?« — »Ja, ja«, nickte der nur mit dem Kopf und lächelte. »Um die Wahrheit zu sagen — weil der Kam-Baum mir nur Ärger macht, habe ich daran gedacht, ihn zu fällen.« Der Knabe wußte nicht, um was es ging, er bohrte weiter. Immer dringender fragte er: »Warum sagt Ihr, der Kam-Baum ärgert Euch?« — »Wegen des Kam-Baums bin ich ärgerlich. Aber das ist nicht weiter schlimm. Willst du nicht ein paar Früchte pflücken, sie sind zwar noch nicht ganz reif, aber ...« — »Nein, ich habe keine Lust. Jetzt erzählt mir lieber, warum Ihr den Kam-Baum fällen wollt.«

Der Großvater konnte nicht ausweichen, er erzählte dem Knaben alles. Da wurde es ihm selbst ein wenig leichter ums Herz. »Weil er mich zu sehr gequält hat, deshalb dachte ich daran, ihn zu fällen.«

Der Junge dachte einen Augenblick nach. »Keine Sorge mehr, ich werde die Sache schon zu einem guten Ende bringen«, sagte er voll Selbstvertrauen. »Vielen Dank für deinen Trost«, sagte der Großvater unter Tränen, »auch wenn du sagst, es ist dir etwas Gutes eingefallen — denkst du auch daran, daß das Haus da einem Staatsminister gehört?« sagte er und lächelte schon wieder sanft.

Es geschah in der nächsten Nacht. Der Junge ging allein zum Haus des Staatsministers. Er stellte sich vor die Tür, hinter der der Minister ein Buch studierte. Groß fiel der Schatten des Ministers auf die mit Papier beklebte Tür. Mit geballter Faust schlug der Junge in das Papier.

»Was für ein Kerl ist denn da?« rief der Minister erschreckt. Der Knabe draußen nannte seinen Namen. »Weißt du denn, wer ich bin? Was soll das hier?« Der Minister kannte den Namen des Knaben wohl, erfragte weiter: »Warum machst du denn so ein dummes Spiel?« — »Das ist kein Spiel! Ich bin gekommen, weil ich Euch etwas zu sagen habe«, antwortete der Junge, die Faust steckte noch immer in der Tür. »Was willst du denn nun eigentlich?« — »Wem gehört diese Faust?« — das war alles, was er hatte fragen wollen. »Ohne Zweifel ist es deine Faust, warum fragst du so was?« — »Ohne Zweifel also, das ist meine Faust?« — »Das sag ich doch, ohne Zweifel!« — »Wenn nun irgend jemand behauptet, das sei seine Faust, nicht meine, was soll ich denn dann machen? Muß ich mir so was gefallen lassen?« — »Wo gibt’s denn das? Wer sagt denn so was?« — »Aber das gibt es, ich lüge nicht!« Der Staatsminister dachte nach, was denn das bedeuten sollte, und so ließ er zuerst einmal den Jungen zu sich ins Zimmer kommen. Erfragte ihn freundlich, wer denn so etwas behauptet hatte.

Der Knabe erzählte dem Staatsminister die ganze Geschichte vom Kam-Baum des Großvaters. Er erzählte auch, daß der Großvater deshalb in Not geraten war. Der Minister streichelte ihm den Kopf. »Jetzt weiß ich Bescheid. Ich verspreche dir, ich werde die Kerle bestrafen«, so gab er seine Zusage. Der Knabe verbeugte sich und ging hinaus.

Am nächsten Tag rief der Minister seine Dienerschaft zusammen und schimpfte sie fürchterlich aus. Beim Großvater entschuldigte er sich und gab ihm das Zweifache des Wertes seiner Kam-Früchte der letzten drei Jahre.

Später, wenn die Leute zusammenkamen und über den Jungen, der mit der Faust in die Tür geschlagen hatte, sprachen, sagten sie: »Da haben wir noch einen guten Staatsminister mehr«, und sie freuten sich, als ob es ihr eigenes Kind wäre. Und tatsächlich — dreißig Jahre, nachdem das alles geschehen war, wurde der Junge wirklich ein großartiger Staatsminister.