Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

PLEASE NOTE: This is an HTML preview only and some elements such as links or page numbers may be incorrect.
Download the book in PDF, ePub, Kindle for a complete version.

50. Das Bärenweibchen vom Ponghwa-Berg




Oben auf dem Ponghwa-Berg gibt es einen großen, flachen Platz. Heute wächst dort nur Unkraut in Hülle und Fülle, niemand verliert auch nur ein Wort darüber, man scheint die alten Tage vergessen zu haben. Früher einmal soll hier eine große Kiefer gestanden haben, ein paar hundert Jahre alt. In dieser Geschichte geht es um eben diesen Baum.

In alten Tagen lebte hier eine Bärin, die wünschte sich nichts mehr, als in ein menschliches Wesen verwandelt zu werden. Hundert Tage lang betete die Bärin, dann endlich ging der Wunsch in Erfüllung. Sie wurde in ein hübsches junges Mädchen verwandelt. Und noch mehr — das junge Mädchen hatte die Fähigkeit, sich nach eigenem Belieben wieder in eine Bärin zurückzuverwandeln, immer wenn es etwas zu essen suchte. Diese Bärin lebte in der Nähe der Kiefer auf dem Ponghwa-Berg.

Eines Tages im dritten Frühlingsmonat war ein Jäger unterwegs. Er kam vom Wege ab, irrte ein paar Tage hin und her, bis er das Mädchen entdeckte. Der Jäger war inzwischen schon fast verhungert in den Bergen, wo nicht einmal der Schatten eines Menschen, geschweige denn ein Mensch zu sehen ist. Als er dann doch einen Menschen traf, war er so erleichtert, daß ihm die Sinne schwanden und er zu Boden fiel.

Das Mädchen sah das mit an, schnell holte sie Wasser herbei und flößte es ihm ein, nun wartete sie, daß er die Augen öffnete. Als er dann nach einer Weile zu sich kam und die Augen aufschlug, sah er in die Augen des Mädchens, das ihn umsorgte. Völlig sprachlos machte ihn ihre Schönheit, immerfort sah er das Mädchen nur an.

Dann öffnete er den Mund. »Wenn du vielleicht etwas zu essen hast für mich? Ich wäre dir wirklich sehr dankbar.« Sie antwortete: »Wenn du etwas zu essen haben willst, gedulde dich, bitte, nur einen Augenblick«, sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Aber wenn du ißt, was ich dir bringe, dann mußt du dein ganzes Leben mit mir zusammenbleiben. Wenn du das nicht willst, dann mußt du sterben!« Als er das hörte, dachte er an Vater und Mutter daheim, an seine Geschwister, an Frau und Kinder, unmöglich, dachte er, aber wenn er nicht sein Leben verlieren wollte, blieb ihm doch nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Das Mädchen wurde rot, verlegen lächelte sie. »Warte nur einen Augenblick!«, sie verschwand irgendwohin, im Nu war sie wieder zurück mit einem Korb, gefüllt mit allerbesten Speisen. So kam es, daß der Jäger und das Mädchen beide ihre Vergangenheit vergaßen und in einer Höhle in der Nähe ein glückliches Leben miteinander begannen.

Ein Jahr war vergangen, der Frühling kam wieder, und an einem solchen Frühlingstag sehnte sich der Jäger plötzlich so sehr nach seinem Zuhause. Zwar lebte er mit seiner neuen Frau sehr glücklich zusammen, aber die Sehnsucht nach seiner ersten Frau und den Kindern war zu stark. Er war sogar bereit, dafür zu sterben, nur um sie noch einmal wiedersehen zu können.

Seine neue Frau war gerade weggegangen, um etwas zu essen zu holen, beim Weggehen hatte sie ihm noch gedroht: »Wenn du nur die Höhle verläßt, mußt du sterben!«, aber er ging einfach hinaus und lief den Berg hinunter.

Frohen Herzens kehrte seine Bärenfrau in die Höhle zurück, sie brachte ihm gutes Essen mit, aber wie sehr erschrak sie! Ganz hoffnungslos war sie, lief aus der Höhle, lief überall herum, um ihren geliebten Mann zu suchen, aber sie konnte ihn nirgends finden. Ein paar Tage lief sie so ohne zu essen herum, immer wieder rief sie nach dem geliebten Mann. Doch dann verließen sie ihre Kräfte, sie kehrte zurück zu der alten Kiefer und erhängte sich dort.