Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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53.  Gelehrter und Geomant




In alten Tagen lebte im oberen Haus ein Schönschreiber, der den ganzen Tag nur schrieb, im unteren Haus aber ein Geomant. Der Geomant, der gute Plätze für Gräber und dergleichen aussuchte, führte ein gutes Leben, während der, der immer nur schrieb, es ziemlich schwer hatte herumzukommen.

Deshalb sprach die Frau des Schönschreibers eines Tages zu ihrem Mann: »Der im unteren Haus ist Geomant, der kann gut leben, du aber guckst immer nur in deine Bücher. Kann man da Reis essen? Kann man da seinen Brei verdienen? Versuch du doch auch mal, ob du nicht mit der Geomantik unseren Lebensunterhalt verdienen kannst.« Er antwortete — da es sich so gehörte: »Aber da braucht man einen Kompaß!« Als seine Frau ihn nun fragte: »Wenn du nun einen Kompaß bekommst, wirst du es dann machen?« — da blieb ihm nichts anderes übrig, als ja zu sagen. »Ich such dir einen Kompaß, dann fängst du damit an«, sagte sie und ging hinaus.

Die Frau hatte immer, wenn sie im Nachbarhaus war, im Besucherzimmer dort unter einer Kleiderstange etwas hängen sehen, und sie war entschlossen, das zu stehlen. Wirklich, es gab im unteren Haus zwei Kompasse, einer war kein guter Kompaß, den konnte man nicht gebrauchen, der andere war der, den der Geomant immer mit sich nahm. Die Frau hat das alles nicht gewußt, sie hat einfach einen gestohlen, den hat sie dann ihrem Mann gebracht und ihn zur neuen Arbeit weggeschickt.

Der Mann war ganz ahnungslos, ob das ein guter Kompaß oder ein schlechter war, er band ihn an einem Kleiderband fest und brach auf. Einmal aus dem Haus heraus, lief er gleich ein paar Tage herum, hier und da und dort, trotzdem kam niemand zu ihm, der seine Dienste in Anspruch nehmen wollte. Er dachte sich: >Vielleicht muß ich den Kompaß außen festbinden, damit die Leute ihn sehen und wissen, daß ich ein Geomant bin. Vielleicht kommt dann endlich jemand, der sich von mir einen Grabplatz aussuchen lassen will.< Also hat er seine Jacke aufgebunden und den Kompaß außen festgemacht.

Er kam in ein Dorf, dort saßen ein paar alte Leute im Schatten eines Baumes und erzählten sich was. Er wollte sich auch ein wenig ausruhen und trat zu ihnen, da sahen sie seinen Kompaß. »Es sieht so aus, als ob du ein Geomant bist? Warum läufst du dann in unserer Gegend herum? Dort drüben in dem großen Dorf, das du da siehst — wenn du dahin gehst, findest du ein großes Haus, dort ist jemand gestorben. Zwölf Geomanten sind da schon am Werk, da mußt du auch hingehen!«

Weil er Hunger hatte, suchte er das beschriebene Haus auf, und dort saßen tatsächlich in einem großen Zimmer zwölf Geomanten und redeten laut durcheinander. Er ging hinein und setzte sich hin. Die anderen sagten: »Da ist noch einer gekommen«, und ließen ihm einen Tisch mit Speisen bringen. Er aß alles auf, saß aber allein in einer Ecke, als ob er gar nicht dazugehörte. Die anderen zwölf redeten weiter laut durcheinander : »Ich habe da und da einen guten Platz gefunden, der ist wirklich glückverheißend«, jeder erzählte so was.

Unser Gelehrter, der wußte von nichts, er hatte zwar viel studiert, aber auf diesem Gebiet hatte er keine Ahnung. Also blieb er wie geistesabwesend in seiner Ecke sitzen, doch da trat der Haupttrauernde zu ihm. »Warum sagt Ihr denn kein einziges Wort?« — »Was soll ich denn schon sagen?« — »Alle anderen schreien wild durcheinander, wer weiß was für einen guten Grabplatz sie gefunden haben, Ihr aber sagt kein Wort.« — »Was nützt denn ein guter Platz, den einmal früher einer gefunden hat?«, und er meinte damit, das wichtigste sei, jetzt einen guten Platz zu finden. Der Haupttrauernde dachte nach, ihm schien das ein wahres Wort zu sein, heimlich zog er ihn mit sich hinaus in eine kleine Kammer, dort blieben sie allein. Nochmals setzte er ihm zu essen vor, und so viel futterte der ausgehungerte Gelehrte, daß er davon Durchfall bekam.

In der Nacht konnte er nicht schlafen, zu sehr zwickte es ihn, eilig lief er zum Örtchen und wollte sich erleichtern. Da hörte er vom Haus her Frauenschritte näher kommen, genau bis vor die Tür, hinter der er hockte. Er wollte sich nicht lächerlich machen, wußte nicht, was er denn und wie er es denn jetzt anstellen sollte. Da sprach leise die Frau vor der Tür: »Sie! Hören Sie?« — der Stimme nach mußte es eine junge Frau sein. »Bitte, nehmt mir eine große Last ab! Wenn Ihr mir helft, werde ich auch für Euch etwas Gutes tun können!« Der Geomant fragte: »Was für eine Last ist das denn?« — »Nichts so Schlimmes. Ich habe nur schon sieben Monate nach der Hochzeit ein Kind zur Welt gebracht, und weil man sich im Haus so vornehmer Leute wegen so was schämt, sollten die Nachbarn und die Leute im Dorf nichts davon erfahren. Deshalb hat man mich mitsamt dem Kind in ein Hinterzimmer gesteckt und uns da mit Reisbällchen, nichts sonst, gefüttert. Nun, mein Bruder, der hat auch die Kunst der Geomantik studiert, und ich habe dabei auch ein wenig mitbekommen. Bitte, macht Ihr nur das, was ich Euch sage!« — »So, was soll ich denn machen?« fragte er. »Wenn morgen der Tag anbricht, wird man sicher zuerst hingehen, wo schon Vorfahren der Familie begraben sind, und fragen, wie denn dieser Platz sich auf das Schicksal der Familie ausgewirkt hat. Bitte, sagt, daß dies ein Platz ist, der unter Tigereinfluß steht, sagt, daß wegen dieses Grabplatzes sicher in der Familie einmal ein Siebenmonatskind zur Welt gekommen ist, das späterhin die Familie sehr reich machen wird. Sagt ihnen, daß die Familie aussterben muß, wenn es kein Siebenmonatskind gegeben hat. Dann wird man Euch zu dem Platz führen, den man schon früher für dieses Begräbnis jetzt ausgesucht hat. Wenn Ihr dorthin kommt, dann sagt, daß dies ein Platz ist, wo Feen Tuch weben. Davor ist ein Teich. Nur wegen dieses Teiches haben alle anderen Geomanten gemeint, es sei das ein schlechter Platz. Ihr aber müßt sagen, daß die Feen das Wasser des Lotosteiches brauchen, um ihre Fäden anzufeuchten. Sagt ihnen, daß man diesen Platz ruhig benutzen soll!«

Noch auf dem Örtchen prägte sich der Gelehrte diese Worte genau ein, auswendig lernte er sie. Dann schlich er sich in sein Zimmer zurück, wo er die Geschichte mehrmals vor sich hinsagte. Die Frau aber ging schnell in ihr Hinterzimmer zurück.

Wie vorhergesagt, gingen am nächsten Morgen die Geomanten, der Haupttrauernde und ungefähr zwanzig Leidtragende hinaus. Unser Gelehrter sagte: »Zuerst müssen wir uns den Platz ansehen, wo schon früher Mitglieder der Familie begraben worden sind«, und alle gingen dorthin.

Der Gelehrte, der von Geomantik überhaupt keine Ahnung hatte, holte seinen schlechten Kompaß heraus, stieg auf die Hügelkuppe, stellte seinen Kompaß auf, las ihn ab. Nach allen Seiten sah er sich um. »Dieser Berg steht unter Tigereinfluß.« Die anderen Geomanten waren entsetzt. »Das ist ja ganz falsch! Was für einen Tigereinfluß soll es denn hier geben?« schimpften sie. Später fragte der Gelehrte den Haupttrauernden: »Sagt mal, hat es da etwa in Eurer Familie ein Siebenmonatskind gegeben? Wenn es nämlich kein Siebenmonatskind gegeben hätte, wäre sicher Eure Familie schon längst zugrunde gegangen.«

Der Haupttrauernde erschrak ganz schön, als er das hörte. >Der weiß ja etwas, was nicht mal unsere Nachbarn wissen! Der muß ja ganz ungewöhnliche Kenntnisse haben<, dachte er sich und sagte: »Tatsächlich, als unsere Schwiegertochter sieben Monate im Haus war, hat sie ein Kind zur Welt gebracht. Weil wir uns geschämt haben, versteckten wir sie mit dem Kind in einem Hinterzimmer.« Der Gelehrte ermahnte ihn: »Schnell, geht hin und holt Mutter und Kind da heraus! Sorgt nur gut für sie! Wenn das Kind einmal ausgewachsen sein wird, dann wird es eine ganz bedeutende Persönlichkeit werden.« Da waren die anderen Geomanten ganz sprachlos, sie hörten nur zu. Er sprach weiter: »In einem großen Haus wie dem Euren ist es üblich, schon bevor jemand stirbt den besten Platz für ein Begräbnis für ihn auszusuchen. Habt Ihr das nicht auch so gemacht?«, und als man das bejahte, meinte er, als nächstes müsse man dann wohl dahin gehen.

Dort angekommen, holte er wieder seinen Kompaß hervor, legte ihn auf den Boden, sah sich nach allen Seiten um, alles ohne die geringste Ahnung, warum er das so tun mußte. »Hier weben die Feen Tuch, das ist ein Platz, den Ihr benützen müßt!« Wieder schimpften die übrigen Geomanten ihn aus: »Wie kann man das als Grabplatz benutzen, wenn davor ein Teich ist?« — »Wenn man Tuch webt, muß man die Fäden in Wasser legen, nur dann kann das Werk gelingen. Wie kann man an einem Platz weben, wo es kein Wasser gibt?« Und er empfahl dem Haupttrauernden, diesen Platz zu nehmen. 

Als die anderen Geomanten das hörten, zogen sie einer nach dem anderen den Schwanz ein, heimlich, still und leise verschwanden sie.

Als man dann nach Hause zurückkam, holte man als erstes die Schwiegertochter aus ihrem Hinterzimmer und kochte Seetangsuppe für sie. Der Geomant meinte dann: »Wenn Eure Schwiegertochter was sagt, dann tut das, hört gut auf sie, sie ist eine ganz kluge Frau.«

Als die Begräbnisfeierlichkeiten zu Ende waren, mußte man dem Geomanten seine Mühe entlohnen, aber niemand hatte darüber nachgedacht, was man ihm denn geben sollte. Sie fragten die Schwiegertochter: »Meinst du, es geht, wenn wir dem Geomanten für seine Mühe eine Ladung Geld geben?«, aber sie meinte, das gehe wohl nicht. Sie sagte: »Haben wir nicht ein Reisfeld, das im Jahr tausend Sack Reis einbringt? So viel, daß er zweihundert Sack im Jahr hat, soll ihm gehören, über den Rest soll er Oberaufseher werden, und was die Frage nach einem Haus für ihn betrifft, so kann er doch in das Aufseherhaus einziehen?« — »Aber wenn er nicht hierherziehen will?« Die Schwiegertochter meinte:»Wenn man sieht, was er für Kleider angezogen hat, dann scheint er ziemlich arm zu sein«, und sie ging hinaus zu ihm und fragte, ob er da wohnen wolle. »Ich habe doch hier kein Haus, dann kann ich auch nicht hierherkommen.« — »Um ein Haus macht Euch keine Sorgen, kommt nur einfach her!«

Und wirklich, der Geomant, der keiner war, zog in das Aufseherhaus ein. Von seinem Land und den zweihundert Sack Reis, die er davon ernten konnte, lebten er und seine Frau hinfort ganz gut.