Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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54.  Der Feuergeist der Schwiegertochter




Seit alten Tagen hat man in unserem Land ein Feuer im Haus dauernd brennen, und man glaubt, daß, wenn dieses Feuer einmal verlöscht, dann die Familie aussterben wird. Wenn wirklich einmal dieses Feuer ausgegangen war und man bei den Nachbarn um Feuer zu betteln mußte, dann hielt man es für nicht mehr wiedergutzumachen.

Einmal hat in unserem Kreis in der Gegend, die die Leute das Kaji-Tal nennen, eine Schwiegertochter mit ihrem Mann im Hause der Schwiegermutter gelebt; die war starrköpfig und streng, diese Schwiegermutter. Es waren noch keine paar Monate vergangen, seit die Schwiegertochter in dieses Haus geheiratet hatte. Sehr fleißig war sie. Wie sie die Schwiegermutter und ihren Mann aufmerksam bediente, das war einfach unvergleichlich.

Als sie eines Tages nach dem kostbaren Feuer sah, fuhr sie zurück — das Feuer hatte kurz zuvor noch schön geflackert, jetzt war es ganz schwach geworden und drohte ganz zu erlöschen. Sie war wirklich froh darüber, daß sie das vor der Schwiegermutter entdeckt hatte, mit aller Kraft versuchte sie, das Feuer neu zu entfachen. Aber sosehr sie sich auch Mühe gab, es war alles umsonst, das Feuer ging endgültig aus.

Sie wußte sich keinen Rat mehr, wohl oder übel mußte sie nun der Schwiegermutter berichten, was geschehen war. Ganz zornig war die Schwiegermutter, sie schrie die Schwiegertochter an, die zitternd vor ihr stand, schimpfte sie tüchtig aus. Still hörte sich die Schwiegertochter diese Schimpferei an, sie hatte die Familie ihres Mannes und auch ihre eigene Familie beschämt, nun war sie entschlossen, das durch ihren Tod wiedergutzumachen.

Wenn heutzutage ein Mädchen gerade in ein Haus eingeheiratet hat und einen kleinen Fehler macht, dann werden alle gern darüber hinwegsehen, früher aber hat man eine Schwiegertochter auch wegen eines kleinen Fehlers schwer bestraft, selbst wenn sie erst vor ein paar Tagen ins Haus gekommen war.

Die Schwiegertochter hat sich sauber gewaschen. Die Seidengewänder, die sie getragen hatte, als sie nach der Hochzeit ins Haus gekommen war, stopfte sie ins Feuerbecken hinein, sagte ein einsames Lebetwohl. Zum Fluß ging sie hinunter und ertränkte sich an einer tiefen Stelle.

Aber ist der letzte Wunsch, der einzige, den sie noch hatte, in Erfüllung gegangen? Rock und Jacke, die sie in das Feuerbecken gestopft hatte, fingen tatsächlich zu brennen an! Ihr Mann und die Schwiegermutter wußten von alldem nichts. Voll Sorgen sahen sie, als sie aufwachten, wie im Hof Flammen hoch aufloderten, es nach verbrannter Seide roch. Von der Schwiegertochter war nichts zu sehen, nur ihre aufrechte Seele blieb übrig, sie war ein ewig brennendes Feuer geworden. 

Noch heute, wenn man tief in der Nacht ins Kaji-Tal hineingeht, gibt es irgendwo dort im Dorf ein schwachglimmendes Feuer, ganz gleich, ob es Sommer ist oder Winter, immer ist es zu sehen, und alle Leute erzählen, daß dies die Seele der Schwiegertochter ist, die damals aus dem Leben geschieden.