Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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55. Die Emillae-Glocke




In alten Tagen, in der Silla-Zeit, hat ein König einem Glockengießer befohlen, für den Tempel des Buddhalandes eine Glocke zu machen. Überall im Land wurde dafür Metall gesammelt.

Einer kam in ein Haus, wo eine Mutter mit ihrer Tochter im Arm saß. »In unserem Haus gibt es nichts. Wenn Ihr was mitnehmen wollt, müßt Ihr schon unsere Tochter nehmen«, so scherzte die.

Später hat man dann aus dem Metall, das überall im Land gesammelt worden war, die Glocke gegossen, aber, seltsam, sie gab keinen Ton von sich. »Das muß doch einen Grund haben«, meinten alle, und man fragte herum, ob es beim Sammeln des Metalls irgendetwas Besonderes gegeben hatte. Einer stand auf. »Ja, als ich in ein Haus kam, scherzte die Hausfrau, sie habe nichts, sie könne mir nur ihre Tochter mitgeben!« Als er das hörte, schickte der Abt des Tempels Leute, diese Tochter herzuholen. Aber die Mutter weinte fürchterlich, wollte ihr Kind nicht hergeben, mit Gewalt entriß man ihr das Mädchen. Die Glocke wurde zerschlagen und eingeschmolzen, in das flüssige Metall stieß man das Mädchen und goß eine neue Glocke. Diesmal gelang sie wirklich gut. Als man die Glocke anschlug, hörte man bis in die Stadt Kyóngju den Glockenklang. Immer, wenn man die Glocke anschlug, tönte sie: »Emillae, Emillae!«, das heißt: »Mutter, deinetwegen!« So fand der Schmerz des Mädchens seinen Ausdruck, und bis zum heutigen Tag ist es zu hören: »Emillae! Emillae!«