Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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56.  Die Kwanúm aus der Podók-Höhle




Das ist die Geschichte, die sich vor ungefähr tausend Jahren zugetragen hat. In den Diamantbergen gab es zu Füßen der Kiefer-Netz-Spitze die Kiefer-Netz-Einsiedelei. Dort lebte ein junger Mann, gerade in voller jugendlicher Kraft, das war der spätere Meditations-Meister Hoejóng. Tausend Tage lang blieb er in Versenkung. Als nur noch ein paar von den tausend Tagen seiner Meditation übriggeblieben waren, erschien ihm ein Bodhisattva und sprach: »In der Präfektur Yangu im Kreis Haean lebt in der Pangbu-Gasse ein Mann namens Molgolongch’ósa. Schnell, mach dich nach diesem Ort auf, dort vertiefe dich weiter in die Lehre!«

Das hörte der junge Mönch, und gleich brach er auf, diesen Ort zu suchen. Dort gab es einen dichten Wald, aber er konnte ein winziges Haus finden. Er öffnete das Hoftor, rief laut — heraus kam ein hübsches Mädchen von achtzehn, neunzehn Jahren, außer ihr war niemand da.

Der junge Mönch zögerte einen Augenblick. »Du, Mädchen, gibt es hier jemanden, der Molgolongch’ósa heißt?« Da schien das Mädchen ein wenig zu erschrecken. »Ich weiß zwar nicht, wer Ihr seid, aber wenn Ihr schon fragt — Molgolongch’ósa, das ist mein Vater.« — »Ach so! Weil der Bodhisattva es mich geheißen, bin ich aus den Diamantbergen hierhergekommen, um bei deinem Vater die Lehre zu studieren.« — »So? Sicher habt Ihr lange gebraucht, uns hier zu finden, aber ich fürchte, die Suche war vergeblich.«

Der junge Mönch, wegen des hübschen Mädchens neugierig, wollte nicht so leicht umkehren, wieder Weggehen, er trat näher auf das Mädchen zu und fragte weiter: »Wieso?« — »Wirklich, es ist keine Frage, mein Vater, der kann Euch gar nichts lehren. Im Gegenteil, er ist von Natur aus so bösartig, wenn er jemanden sieht, den er nicht kennt, macht er immer ganz dumme Sachen. Bei Tag geht er immer zum Jagen hinaus, die Sonne geht schon unter, er wird bald zurückkommen. Wenn es nur für eine Stunde ist, bitte, geht schnell weg!« — »Dann hätte ja der Bodhisattva gelogen! Jedenfalls, wenn ich jetzt wegginge, würde ich unterwegs in die dunkle Nacht kommen, also, bitte, leg beim Vater ein gutes Wort für mich ein.«

So sehr bedrängte er das Mädchen, daß sie gar nicht mehr wußte, was sie mit dem jungen Mönch anfangen sollte. Doch da, ganz unerwartet, lächelte sie ihn an. »Es ist schon schwer. Wenn mein Vater dich sieht, wird er dich kaum so einfach wieder ziehen lassen.« — »Ich weiß Bescheid. Wenn es nur um deinen Vater geht, sehe ich der Gefahr gefaßt entgegen. Da ich das alles auf Geheiß des Bodhisattva tue, vertraue ich darauf, daß er mir helfen wird.« — »Ja, aber, das ...« — »Ich sage es noch einmal — gegen den Willen des Bodhisattva darf und kann ich nicht verstoßen!«

Es war dem jungen Mönch schon längst selbst klargeworden, daß er sich in das junge Mädchen verliebt hatte. Er dachte: >Wenn das der Bodhisattva gemeint hat, daß ich vom Vater des Mädchens getötet werden soll, auch dann will ich zufrieden sein.< Der Mönch glaubte fest, nicht mehr zurückzukönnen, so wurde schließlich von seinem Bitten und Flehen auch das Herz des Mädchens bewegt. »Also, wir wollen es so machen — wenn ich dem Vater sage, daß ich Euch gern habe, dann wird er Euch nichts an tun. Ich will eine gute Gelegenheit abwarten und ihm zureden. Ich werde ihm sagen, daß wir Mann und Frau werden wollen.« — »Wenn das so ist! Ach, du, meine Liebste!« — »Wenn nur diese Nacht gut vorübergeht, bis der Vater morgen früh wieder zum Jagen in die Berge geht, will ich ihm nach und nach alles erzählen.« — »Wirklich, ich bin dir so dankbar! Auf jeden Fall, rede ihm gut zu.« — »Überlaß das nur alles mir.« Das junge Mädchen legte die Hand auf die Brust und sah den Mönch liebevoll an. Sein Gesicht war voll Freude. »Wie heißt du eigentlich?« — »Ja, ich heiße Podók.«

Als der Mönch Podók zum ersten Mal erblickt hatte, war er tief beeindruckt, jetzt brannte sein Herz wie Feuer. Sie hatte gesagt, sie wolle ihn heiraten, sie wollte beim Vater ein gutes Wort für ihn einlegen, das alles war wie ein Traum. Das mußte doch wahre Liebe sein! Für eine Frau war das alles noch viel schwerer zu entscheiden — solche Gedanken hatte der junge Mönch, wirklich, er konnte nicht anders als nur glücklich sein. Es war wirklich wie verhext — das Mädchen ging dem Mönch nicht mehr aus dem Kopf. Am nächsten Tag ging er auch nicht weg, blieb einfach da. Eines Tages wollte er sogar dem Mädchen Gewalt antun. In dem Augenblick, da er Podók umarmen wollte, schwanden ihm die Sinne. Als er wenig später wieder zu sich kam, so, wie man aus einem Traum erwacht, versuchte er seine Sinne zu sammeln, aber er konnte einfach nicht unterscheiden, ob das alles Traum oder Leben gewesen war.

Von Liebe trunken suchte der junge Mönch, die geliebte Podók zu finden. Seltsam genug, wie ein Schatten hatte sie keine Spuren hinterlassen, neben ihm, seiner eigenen Gestalt gleich, ragte nur hoch ein Felsen auf. Wie ein Verrückter sprang er herum, suchte sie überall. Merkwürdigerweise ging er dabei denselben Weg zurück, den er auch gekommen war, und gelangte wieder zu den Diamantbergen.

Bis er sich endlich besann und aufhören wollte, einem Mädchen nachzulaufen, hierhin und dorthin zu wandern, war der junge Mönch schon weit in die Berge gekommen. Als er gerade wieder eine Bergspitze erkletterte und sich anschickte, wieder ins Tal abzusteigen, sah er drüben — welch eine Freude — Podók, wie sie in einem Bergbach ihr Haar wusch. Er sah sie, er folgte ihr — doch einem Vogel gleich flog sie auf und war spurlos verschwunden.

Als der junge Mönch ins Tal kam — da stand plötzlich das Mädchen, das er suchte, dort hoch über einem Lotosteich. »Oh, du ...«, rief er, wollte ihren Spuren folgen. Und da erblickte er die Bergspitze vor sich — dort stand nicht etwa seine geliebte Podók, nein, dort stand zu seiner Verwunderung Kwanúm selbst in all ihrer Würde. Das war wirklich ein Wunder. »Das hat doch wie Podók ausgesehen« — wieder blickte er zum Lotosteich hinüber, das Bild, das wie Podók ausgesehen hatte, war in das Bild der Kwanúm verwandelt. Schnell ging der junge Mönch in die Knie, beugte den Rücken. »Ach, ich habe gefehlt! Die Frau, die ich als Podók sah, war eine Verkörperung der Kwanúm.« Den ganzen Körper des jungen Mönchs überzog eine Gänsehaut. Die Kwanúm hatte sich, um seine geistige Reife zu prüfen, in Podók verwandelt! Jetzt sah er, daß sie sein Herz genau kennen mußte, und als er selbst sein Herz prüfte, da sah er ein, wie sehr er, ein Schüler, ein Nachfolger Buddhas, gefehlt hatte. Er erkannte seine Schwächen, er bereute alles mit ganzem Herzen, widmete sich nur noch dem rechten Lebenswandel; er wurde ein sehr berühmter Mönch, von der ganzen Mönchsgemeinde hoch geachtet.

Später, als er längst ein Meditationsmeister geworden war, baute er dort, wo er die Erscheinung der Podók — der Kwanúm — gesehen hatte, in halber Höhe des Berges das, was heute die Podók-Höhle genannt wird. Hier ließ er ein Standbild der Kwanúm aufstellen, und dort soll er dann auch die wahre Erleuchtung erlangt haben.