Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

PLEASE NOTE: This is an HTML preview only and some elements such as links or page numbers may be incorrect.
Download the book in PDF, ePub, Kindle for a complete version.

57.  Wie die Schildkröte eine Schuld abtrug




In alten, ganz alten Tagen lebte einmal ein Mann, der mit Pfeil und Bogen umgehen, aber genauso gut seinem Vergnügen nachgehen und Geld ausgeben konnte. Eines Tages schlenderte er am Meeresstrand herum, als er in der Ferne Burschen aus dem Dorf zusammenstehen sah, die schrien sich laut an. Er wollte gern wissen, was da los war, trat darum herzu. Sieben Burschen stritten miteinander um eine große Schildkröte, die drei Schwänze hatte. Jeder wollte die Schildkröte für sich haben, aber weil sie alle gemeinsam das Tier gefangen hatten, sah es nicht so aus, als ob sie irgendwie übereinkommen könnten. Da meinte einer von ihnen: »Zu siebt haben wir sie gefangen, es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als sie unter uns sieben aufzuteilen« — und er zog sein Messer heraus und schickte sich an, die Schildkröte in sieben Teile zu zerschneiden.

Den sicheren Tod vor Augen blickte die Schildkröte sie alle an, so, als ob sie um etwas bitten wollte. Das sah der, der da am Meeresstrand spazierengegangen war, ihm erschien die Schildkröte ganz bedauernswert, er gab den Burschen Geld, kaufte die Schildkröte und ließ sie im Meerwasser wieder frei. Sie war ihm sehr dankbar. »Ich bin der Drachenkönig vom Meeresgrund. Gerade als ich heute endlich einmal aus dem Meer herausgekommen bin, um mir das feste Land anzusehen, bin ich gefangen worden. Durch deine Freundlichkeit bin ich noch einmal davongekommen. Wenn du hinfort in Gefahr gerätst, dann komm hierher und suche nach mir. Dann werde ich dir helfen und die Schuld, in der ich bei dir stehe, abtragen« — sprach’s und schwamm ins Meer hinein.

Später einmal unternahm der Mann eine weite Reise. An einem Abend war er noch unterwegs, aber weil es dunkelte, trat er in eine Herberge ein, um dort zu übernachten. Die Großmutter in der Herberge begrüßte ihn ganz erfreut. Nach dem Abendessen erzählten sie sich diese Geschichte und jene Geschichte, und dann erzählte der Mann auch, daß er nur so zu seinem Vergnügen herumwandere und am nächsten Morgen auch mal auf den Berg hinter der Herberge steigen wolle. Als die Großmutter das hörte, suchte sie ihm davon abzuraten, sie sagte: »Ich bin eigentlich der Geist dieses Berges dort hinten. Von einem bösen Weib, das jetzt den Berg beherrscht, bin ich verjagt worden. Deshalb siehst du mich jetzt hier in der Herberge. Wenn du auf den Berg hinaufsteigst, wird dir Schlimmes widerfahren. Es ist noch niemand lebend zurückgekehrt von denen, die es gewagt haben, auf den Berg zu steigen.« Er aber gab an: »Ich bin doch ein großer und kräftiger Mann, wie kann ich denn vor so was Angst haben? Ist man dann noch ein richtiger Mann?«

Am nächsten Morgen kletterte er wirklich auf den Berg hinauf, wo nun das böse Weib anstelle des wahren Berggeistes regierte. Als er oben ankam, wurde es schon dunkel. Tief im Wald sah er ein Feuer brennen. Er marschierte in diese Richtung. Da trat ein junges und hübsches Mädchen zu ihm und hieß ihn höflich willkommen. Er bat um ein Nachtlager, und gern stimmte sie zu. Sie brachte ihm zu essen, der Tisch war reich gedeckt mit köstlichen Speisen.

Spät am Abend wollte er endlich schlafen gehen, doch da bat sie, mit ihm das Bett teilen zu dürfen. »Ich bin der Berggeist hier, willst du mit mir zusammenleben?«

Der Mann hatte schon so etwas geahnt, bei sich dachte er: >Jetzt scheint sie was Schlimmes mit mir vorzuhaben< — und er antwortete ihr: »Du scheinst wohl Sitte und Anstand nicht zu kennen! Mit mir kannst du das nicht machen!«, ganz fest lehnte er alles ab.

Sofort wurde sie zornig, weißer Schaum stand ihr vor dem Mund. »Wenn du sagst, du willst mich nicht ...? Wart, du wirst was erleben!« Und sie fing an, ihre Zauberkräfte einzusetzen: Eine Zauberformel schrieb sie auf ein Stück Papier, verbrannte es, blies den Rauch in die Höhe, murmelte noch einen Zauberspruch vor sich hin — und mit einem Mal war die ganze Welt, Himmel und Erde, so schwarz, als hätte man alles mit Tusche angemalt. Blitze zuckten, Donner krachte. Die Blitze sahen aus, als ob jemand mit dem Messer herumfuchtelte. Der Mann geriet ganz durcheinander, ihm wurde klar, daß er gar keine Aussicht hatte, diesem bösen Weib zu entgehen.

Plötzlich aber fiel ihm die Schildkröte ein, der er das Leben gerettet hatte. Er bat die Frau, ihm einen Aufschub zu gewähren, er wollte die Sache erst noch einmal überdenken. Das böse Weib glaubte ihn schon ein wenig gewonnen zu haben, sie lachte ihn aus und gab ihm sieben Tage. Aber sie drohte ihm: »Wenn du mich irgendwie hereinlegen willst, dann werde ich dich töten!«

Der Mann ging ans Meer, dorthin, wo er der Schildkröte das Leben gerettet hatte, und rief nach dem Drachenkönig. Aus dem Wasser kam ein hübscher Knabe, der brauchte nur einen Zauberspruch zu sagen, und schon teilten sich die Fluten. Auf diesem Weg zwischen den Wassern folgte der Mann ihm hinunter zum Drachenkönig. Der hörte sich an, in welcher schlimmen Lage der Mann war, dann beorderte er drei seiner Generale herbei und befahl ihnen, gemeinsam das böse Weib anzugreifen.

Mit den drei Generalen trat der Mann wieder aufs feste Land, und sie marschierten los, um das böse Weib zu bekämpfen. Wer weiß durch welche Zauberkraft — Himmel und Erde verdunkelten sich, Sturm und Regen kamen auf, nichts konnte dem widerstehen. Aber als das böse Weib das sah, lachte sie nur. »So, du hast dir Hilfe vom Drachenkönig geholt. Aber der vermag nichts gegen meine Zauberkraft!«, wieder schrieb sie eine Zauberformel auf ein Papier, verbrannte es, blies den Rauch in die Luft und — wie konnte das nur geschehen? — die Generale starben einen grausamen Tod.

Der Mann stand völlig regungslos, es blieb ihm nun wohl nichts anderes übrig, als dem bösen Weib seinen Wunsch zu erfüllen. Aber er bat sie noch einmal um Bedenkzeit. Das böse Weib erwiderte: »Was du auch für einen Plan hast, es wird nichts herauskommen dabei«, aber sie gewährte ihm noch einmal, diesmal sogar einen Monat, Aufschub.

Wieder sprach er beim Drachenkönig vor. Der sorgte sich ernstlich, er meinte, da müsse man wohl den Höchsten Jadekaiser im Himmel selbst um Hilfe angehen, und stieg dorthin auf. Der Höchste Jadekaiser sandte drei Generale zur Erde hinunter, die benutzten ihre Zauberkraft, machten Sturm und Regen, ließen Blitze zucken. Das böse Weib lachte nur. »Hast du sogar den Beistand des Himmels gewonnen! Jetzt sollst du mal sehen, wie mächtig ich bin!«, wieder schrieb sie ihre Zauberformel auf ein Stück Papier, verbrannte es, blies es in die Luft. Aber nichts, gar nichts änderte sich: Sturm und Regen, Blitze tobten wie zuvor. Und dann, zuletzt, kam ein gewaltiger Donnerkeil vom Himmel herunter, der traf das böse Weib und erschlug sie.

Und als sie den Leichnam des bösen Weibes betrachten wollten, da war der in einen riesigen alten Fuchs verwandelt. Dieser Fuchs hatte als Berggeist den Menschen so viel Schlimmes gebracht. — Der Mann bedankte sich bei den drei Himmelsgeneralen, auch der Großmutter in der Schenke entbot er seinen Gruß, dann suchte er noch einmal den Drachenkönig im Drachenpalast auf. Danach kehrte er wohlbehalten nach Hause zurück.