Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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62. Hundert-Tage-Rot




In alten Tagen lebte irgendwo am Meeresstrand ein armer Fischer mit seiner einzigen Tochter. Jeden Tag bestieg er sein Fischerboot, um zum Fang hinauszufahren, aber er brachte immer nur so viel, daß es gerade für den Tag reichte. Eines Tages ging die Tochter, so wie sie es jeden Tag machte, mit ihrem Vater, der zum Fischfang ausfahren wollte, zum Strand hinunter. Dort sprach sie zu ihm: »Vater, fangt doch heute mehr!« Doch als es Abend wurde und die Zeit gekommen war, zu der sie ihren Vater zurückerwartete, kam er, niemand weiß warum, nicht zurück. Die Tochter machte sich große Sorgen, sie fürchtete, der Vater hätte bei Wind und Wellen den Weg verloren, irrte jetzt da draußen herum. Deshalb ging sie von nun an jede Nacht auf einen hohen Berg hinauf, suchte Holz zusammen und entzündete ein Feuer, um den Vater wissen zu lassen, wo sie war. Auch als sie immer weniger zu essen hatte — das Feuer zündete sie an. Als es genau hundert Tage waren, daß die Arme so lebte, ohne richtig gegessen noch richtig geschlafen zu haben, da fand ihr Leid ein Ende, sie starb.

Die Leute aus dem Dorf beklagten sie, begruben das arme Mädchen auf dem Hügel hinter dem Dorf. Im Sommer des nächsten Jahres sahen die Dorfleute, daß auf ihrem Grab eine rote Blume blühte, deren Namen niemand kannte. Sie dachten, das müsse die Seele des armen Mädchens sein, das gestorben war, weil es den Vater vermißte, und man nannte diese Blume Hundert-Tage-Rot.