Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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67. Der Drachenbrunnen




In alten Tagen lebte im Kreis Yongjóng in der Präfektur Changyón, die in der Provinz Hwanghae liegt, in der Nähe des Drachenbrunnens ein Mann namens Kim Sóndal, der als Militärbeamter berühmt war.

Eines Nachts erschien ihm im Traum ein weißhaariger Alter. »Ich bin der grüne Drache, der im Brunnen hier in der Nähe lebt. Jetzt ist irgendwoher plötzlich ein gelber Drache aufgetaucht, der mir meine Wohnstatt wegnehmen will. Morgen werde ich mit dem gelben Drachen kämpfen. Wenn dann sein Schwanz aus dem Wasser herauskommt, dann erschieß du ihn für mich!« sagte er und war im Nu verschwunden.

Kim Sóndal erwachte aus seinem Traum. Seltsam, dachte er, aber am nächsten Tag nahm er Pfeil und Bogen und ging zu dem Brunnen. Mit einem Mal stiegen aus dem Brunnen dunkle Wolken auf, ringsum wurde es düster, und da war in den Wolken der Schwanz des gelben Drachen zu sehen. Es war das erste Mal, daß Kim Sóndal so etwas zu Gesicht bekam, er erschrak und verpaßte deshalb die Gelegenheit zum Schuß. Nicht mehr lange dauerte es, die Wolken verzogen sich, der klare Himmel war wieder zu sehen, und der Schwanz des gelben Drachen tauchte nicht noch einmal auf.

In der Nacht erschien Kim Sóndal wieder der weißhaarige Alte, er bat noch einmal um Hilfe, und Kim sagte für den nächsten Tag zu. Gesagt, getan. Am nächsten Morgen ging Kim Sóndal wieder mit Pfeil und Bogen bewaffnet zum Brunnen hin. Wie am Tag zuvor stiegen auf einmal dunkle Wolken auf, die beiden Drachen kämpften miteinander, und der Schwanz des gelben Drachen kam aus dem Wasser heraus. Kim Sóndal spannte mit aller Kraft seinen Bogen, schoß ab — und der Pfeil traf den Drachen genau, rotes Blut färbte den Brunnen.

In dieser Nacht erschien der weißhaarige Alte ihm nochmals im Traum, sein Gesicht war zufrieden, und er bedankte sich.

»Ich will dir vergelten, was du für mich getan. Was auch immer du wünschst, sag es mir!« sagte er.

Für Kim Sóndal gab es gar nichts, was er sich besonders gewünscht hätte, das sagte er auch, und da sprach der weißhaarige Alte: »Also, ich will das Brachland hier in der Nähe in fruchtbares Ackerland verwandeln, das vererbe du an deine Kinder und Kindeskinder« — und er verschwand.

Am nächsten Tag blitzte es und donnerte es, vom Morgen an begann es in Strömen zu gießen, und aus dem Brunnen stieg das Wasser, überflutete das Brachland, und in kürzester Zeit war es in Ackerland verwandelt.

Kim Sóndal nahm das alles in Besitz, bestellte das Feld und wurde einer, der zehntausend Sack Reis erntet. Von da an nannte man den Brunnen Drachenbrunnen und das Dorf in der Nähe das Drachenbrunnendorf, und die Straße, wo die Nachfahren des Kim Sóndal lebten, die nannte man Zehntausend-Sack-Gasse.