Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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73.  Den Großvater wegwerfen




Es war in alten, ganz alten Tagen. In einem Bergdorf lebte einer, der schon von Kindheit an seinen Eltern nicht gut gehorcht hatte, ein richtiger Querkopf war das. Ganz schlimme Spiele trieb er, war für seine Eltern immer ein Grund zur Sorge.

Dieser Nichtsnutz wurde erwachsen, heiratete schließlich. Sein Vater wurde alt und krank, es kam so weit, daß er nicht mehr vor die Tür gehen, geschweige denn auf dem Feld arbeiten konnte. Seine Krankheit wurde schlimm und schlimmer, er mußte schließlich sogar seine Notdurft im Zimmer verrichten. Für die Familie war das keine schöne Sache. Nicht nur das — er aß nichts, was man ihm hinstellte. »Das schmeckt mir nicht«, sagte er oder: »Das ist zu fest, das kann ich nicht kauen«, dauernd mäkelte er herum. Auch klagte er in einem fort: »Mein Rücken tut weh!« oder: »Meine Beine schmerzen.«

Der Sohn war ja von Anfang an ein Nichtsnutz gewesen, aber auch bei dem Mädchen, das seine Frau geworden war, konnte gar nicht die Rede sein davon, daß sie etwa den Schwiegervater pflegte. Auch sie behandelte ihn ganz grob.

Das Ehepaar sprach miteinander: »Andere Leute werden auch nicht besonders alt, sterben früh. Der Alte da, der sucht nur Tag und Nacht was zu essen, im Zimmer verrichtet er seine Notdurft. Muß man denn leben, wenn man mal so widerlich geworden ist?« Eine ganze Weile besprachen sie das Für und Wider, dann rief der Vater den Sohn Kaptúk herbei. Der hatte draußen vor der Tür gespielt; als er den Vater rufen hörte, kam er herbeigesprungen. »Du, Kaptúk, bring die alte Kraxe mal her, die an der Stallmauer hängt!« Kaptúk dachte bei sich: >Was soll denn das?< und fragte: »Was wollt Ihr denn mit der Kraxe, daß ich die auf einmal holen soll?« Der Vater wurde zornig. »Du Kerl! Mach nur, was der Vater sagt, halt die Augen geradeaus. Was soll das Gerede!« fuhr er den Sohn an.

Kaptúk sagte kein Wort, er rannte und kam mit der Kraxe zurück. Der Vater ging ins Zimmer damit, hob leicht den Großvater auf, der krank darniederlag, setzte ihn dann auf die Kraxe. Hier und da band er ihn mit einem Seil fest, damit er, falls die Kraxe unterwegs rüttelte und schüttelte, nicht herunterfiel. Ganz fest band er ihn, und dann befahl er Kaptúk: »Schnell, bring ihn in die Berge, laß ihn dort mit der Kraxe zurück!«

Kaptúk war sprachlos über das, was der Vater da von ihm verlangte, für eine solche Grausamkeit konnte er keine Worte finden. >Da kann ich wohl gar nichts machen<, dachte er sich nur, >sicher ist der Vater verrückt geworden, ich muß einfach gehen, kann sein, daß mir unterwegs etwas Gutes einfällt.< Er nahm die Kraxe auf den Rücken und ging nach draußen. Der kranke Großvater, was mußte der nun miterleben!

Auf seiner Kraxe saß er wie leblos, ganz traurig weinte er vor sich hin. »So üble Kerle! Wo in der Welt gibt es denn so was noch? Euch hab ich aufgezogen, wer hätte da ahnen können, daß das einmal ein solches Ende nehmen wird? Schlimme Kerle sind das. Du, bitte, bitte, bring mich nicht in die Berge, bring mich lieber auf der Stelle um!«

Kaptúk meinte: »Großvater, weint nicht. Man muß sich ja vor den Leuten schämen. Vielleicht ist Vater nur kurz verrückt geworden und macht deshalb so was. Wenn wir nur ruhig hinaufsteigen und die anderen Leute nichts merken lassen, gibt es, wer weiß, vielleicht doch einen Ausweg. Kann sein, daß Vater sich doch schuldig fühlt, dann hole ich Euch zurück. Bitte, weint nicht mehr!« So bat er sehr höflich — und wirklich, der Großvater hörte auf zu weinen.

Weiter kamen sie in die Berge hinauf, dort ließ Kaptúk den Großvater unter einem großen, schattigen Baum herunter, riet ihm, dort ein wenig auszuruhen. »Großvater, bleibt hier ein wenig sitzen und ruht Euch aus. Ich will zum Vater gehen und ihm gut zureden, dann hole ich Euch wieder. Macht Euch keine Sorgen, wartet nur auf mich!«

Die Kraxe, die er eigentlich auch hatte dalassen sollen, nahm er wieder auf den Rücken und marschierte nach Hause zurück. Als der Großvater das sah, stieg in ihm ein Verdacht hoch. »He, Kaptúk! Warum nimmst du denn die Kraxe mit? Sieht so aus, als ob du nicht mehr zurückkommen willst.« — »Nein, ich nehme die Kraxe nur auf den Rücken, damit ich Euch wieder holen kann, keine Sorge, Großvater, wartet nur auf mich!« So beruhigte er den alten Mann und ging nach Hause. Dort nahm er die Kraxe vom Rücken und hängte sie wieder an den Stall.

Der Vater machte die Zimmertür auf. »Du Mistkerl! Warum machst du denn nicht, was man dich heißt? Wozu hast du denn die Kraxe wieder mitgebracht? Schnell, wirf das Ding weg!« schimpfte er. Kaptúk sagte: »Ich habe sie nur mitgebracht, weil sie vielleicht noch einmal gebraucht wird!« — »Du Kerl, wann willst du das Ding denn nochmals benutzen?« — »Wenn man sie einfach da hängenläßt, ergibt sich gewiß noch mal eine Gelegenheit, wo man sie brauchen kann.« — »Wozu willst du die denn noch verwenden? Schnell, wirf das Dreckding weg!« — »Vater, warum sagt Ihr, ich soll sie unbedingt wegwerfen? Laßt sie nur dort hängen. Ich kann sie doch ganz gut brauchen, so wie heute, wenn Ihr mal alt geworden seid«, antwortete Kaptúk.

Dem Vater und der Mutter fehlten die Worte, sie bekamen einen ganz schönen Schreck. Bis über die Ohren wurden Vater und Mutter rot, sie sahen Kaptúk an. »Wir haben einen Fehler gemacht. Vielleicht sind wir einen Augenblick lang verrückt geworden. Wie kann man eine solche Schuld nur auf sich laden? Das soll es niemals wieder geben. Schnell, geh zurück und hol den Großvater wieder her!«

Vergnügt sprang Kaptúk, die alte Kraxe auf dem Rücken, den Berg hinan und holte den Großvater wieder heim.