Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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77. Kleben lassen, fallen lassen




In alten Tagen lebte in einem Tal eine sehr reiche Familie. Für diese Familie arbeitete ein Diener, der mußte viel Schlimmes einstecken, aber er hatte ein aufrechtes Herz und ertrug alles.

Eines Tages stieg er auf den Hügel hinter dem Berg, um Holz zu holen. Eine ganze Weile hatte er Holz gesammelt, dann lehnte er sich gegen einen Baum und wollte gerade einschlafen, als es neblig wurde und der Berggeist ihm erschien.

Der Berggeist sah den Diener an und sprach zu ihm: »Aus dem Haus, wo du arbeitest, wird doch in ein paar Tagen eine Tochter verheiratet. Wenn man sich auf den Weg macht ins Haus des Bräutigams, dann sollst du mitgehen und dabei das, was ich dir geben werde, mitnehmen«, und er gab dem Diener zwei Blatt Papier, auf die chinesische Schriftzeichen geschrieben waren. Auf dem einen stand das Zeichen für »fallen«, auf dem anderen das Zeichen für »kleben«.

Als er dann wirklich am Hochzeitstag mit aufbrach, den Bräutigam abzuholen, fiel er unterwegs in einen Bach, seine Kleider wurden naß, die mußte er trocknen. So saß er noch, als schon die anderen mit dem Bräutigam zurückkamen, mit ihnen zusammen konnte er nur noch ins Brauthaus zurückkehren.

Es kam der Abend, für das junge Paar die Hochzeitsnacht. Braut und Bräutigam schliefen in ihrem Zimmer. Da schob der Diener sein Papier mit dem chinesischen Schriftzeichen für »kleben« ins Brautgemach, murmelte dazu: »Klebt!«, und Braut und Bräutigam klebten aneinander fest.

Die Nacht ging vorüber, der Morgen dämmerte, die Sonne ging auf, und als sie zu der Zeit, die wir heute acht Uhr nennen würden, noch immer nicht aufgestanden waren, ging die Brautmutter ins Zimmer hinein. »Ihr zwei! Wollt ihr gar nicht aufstehen?«, sie schüttelte die beiden — und blieb auch mit der Hand an ihnen kleben. Weil es ihm zu lang dauerte, seine Frau immer noch nicht herausgekommen war, ging endlich auch der Hausherr dorthin, versuchte, die drei zu trennen — aber er blieb selbst auch mit der Hand an ihnen hängen.

Die Hochzeitsgäste kamen dazu, jeder wollte helfen, alle miteinander sind sie hängengeblieben. Als dann als letzter schließlich der Diener hereinkam, hörte er ein großes Wort. Was sagte der Hausherr da gerade? »Dem, der mich hier losmachen kann, will ich die Hälfte meines Besitzes geben.« — >Das ist ja was!< dachte sich der Diener. >Das will ich schon schaffen.< Er fragte den Hausherrn noch einmal: »Die Hälfte Eures Besitzes wollt Ihr dem geben, der helfen kann, sagt Ihr?« — »Ja, das will ich!«

Also holte der Diener sein Papier heraus, das er vom Berggeist bekommen hatte, diesmal das mit dem Zeichen für »fallen«, rief dazu: »Fallt!« — und alle fielen auseinander. Damit hat der Diener den halben Besitz seines Herrn gewonnen, lang, lang hat er glücklich gelebt.