Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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79. Wie der Tiger sich selbst in den Schwanz gebissen hat




Der Tiger war hungrig, lief in den Bergen umher, da traf er den Hasen. Nun brauchte er sich nicht länger Gedanken zu machen, das Wasser lief ihm schon im Maul zusammen. Er trat auf den Hasen zu. »Du, Hase, gut, daß ich dich treffe. Ich habe wirklich einen fürchterlichen Hunger. Es tut mir zwar leid, aber ich muß dich auffressen«, das sagte er und lachte herzlich dazu.

Der Hase erschrak ganz schön. »Herr Tiger, was sagt Ihr denn da? Sind wir nicht schon lange gute Freunde? Wie könnt Ihr mich denn auffressen? Überlegt doch mal, wenn Ihr so einen kleinen Kerl wie mich freßt, werdet Ihr davon vielleicht satt? Ich will Euch etwas gar Köstliches herholen, woran Ihr Euch wirklich satt fressen könnt.« — »Was Köstliches, sagst du?« — »Nicht nur daß es schmeckt, nein — wenn das zwei zusammen essen, merkt der eine nicht, daß der andere unterdessen gestorben ist, so gut ist das!« — »Hm, ist das wahr?«

Der Tiger schien zufrieden, eilig lief der Hase zum Bach hinunter, holte elf glitzernde, glänzende Kieselsteine herbei. »Wie soll ich denn das essen?« — »Ihr braucht sie nur kurz über dem Feuer zu rösten, dann schluckt sie auf einmal runter. Das schmeckt gut und macht wirklich satt.«

Schnell suchte der Hase Holz zusammen, machte Feuer an und röstete die Steine. Er ließ sie so lange im Feuer liegen, bis sie glühend rot waren, wie eine reife Kam-Frucht. »Aber so sollt Ihr sie nicht essen, ich will ins Dorf laufen und Sojasoße herbeiholen, da tunkt sie hinein und eßt sie dann.«

Der Tiger konnte es nicht abwarten, das Wasser lief ihm aus dem Maul. »Kann man sie denn wirklich nicht einfach so essen?« — »Ihr wollt sie einfach so essen?« — »Ja, ohne sie in Sojasoße zu tunken, was soll der Umstand?« — »Natürlich schmecken sie auch, wenn man sie einfach so ißt, aber wenn Ihr sie in Sojasoße tunkt, schmecken sie halt viel besser. Ich will mich beeilen, die Soße schnell herbeischaffen, aber, bitte, wartet, versucht nicht, auch nur einen so zu essen. Alles in allem liegen zehn im Feuer. Wartet, bis ich zurückkomme!« — »Ja, ist schon recht, aber beeil dich!«

Immer noch war der Tiger voller Gier, zu gern hätte er gleich einen von den Steinen gefressen. Der Hase merkte das wohl, leise lachte er vor sich hin, als er davonlief. Tiger sind in allem schnell, und wenn sie Hunger haben, können sie überhaupt nicht warten, er schmatzte vor sich hin. Er zählte die Steine, ja, und das waren nicht zehn, sondern elf!

»Guck sich das einer an! Da ist ja einer mehr! Hihihi!« Da hatte er etwas Schönes herausgefunden, hihihi, lachte er weiter, zählte noch einmal. Es blieb dabei, auch diesmal waren es elf. »Das trifft sich gut«, er freute sich wie ein kleines Kind, sogleich schlang er einen der glühenden Steine hinunter. Aber der Stein war so heiß, daß er es nicht aushalten konnte, wie verrückt hüpfte er herum, der Tiger, schrie und jaulte.

Später traf er wieder einmal auf den Hasen. Für diese Gelegenheit hatte er sich etwas vorgenommen. Mit einem großen Satz sprang er den Hasen an, packte ihn mit den Vordertatzen am Hals. »Ach, Herr Tiger, was tut Ihr denn da?« — »Was fragst du denn noch? du hast mich einmal betrogen, meinst du, das ist in Ordnung und vergessen?« — »Was redet Ihr denn von Betrug? Bevor ich die Sojasoße bringen konnte, habt Ihr einen von den Steinen gegessen. Aber laßt das mal, es gibt schließlich noch Besseres.«

Das traf genau die schwache Stelle des Tigers, schon war er davon angetan und ließ den Hals des armen Hasen los. »Was Besseres, sagst du?« — »Es ist nichts als — Ihr könnt auf einmal ein paar Säcke voll Spatzen zu fressen bekommen. Macht nur, was ich Euch sage. Ist dort drüben nicht ein Dornengestrüpp? Dort legt Euch hin und haltet nur einfach den Mund weit offen, den Rest will ich für Euch erledigen. Ich werde Euch die Spatzen bis in den Mund treiben, den braucht Ihr dann nur, ganz wie Ihr wollt, zuzumachen und könnt die Vögel runterschlucken!«

»Da hast du dir wirklich etwas Feines ausgedacht«, der Tiger staunte über den Hasen, vertrauensselig lief er zu dem Gestrüpp, legte sich hinein und riß sein Maul weit auf. Der Hase rief dauernd: »Hoi, hoi!«, lief rings um das Gestrüpp und legte Feuer.

Völlig ahnungslos der Tiger, er wartete und wartete auf die Spatzen, immer heißer wurde es ihm, und erst spät merkte er, was los war. Ringsum fand er sich von einem Feuermeer umgeben. Hin und her sprang er, suchte einen Weg nach draußen. Mit knapper Not schaffte er es dann auch, dem Feuer zu entkommen. Aber wie weh taten die brennenden Dornen, die in seinem Fell hängenblieben!

Es kam der Winter. Gerade waren die Brandwunden des Tigers verheilt. Er kam zum Bach, um Wasser zu trinken — und traf wieder auf den Hasen. Wie lange hatte er auf diese Begegnung gewartet! »Du Kerl von einem Hasen!« schrie er.

Bei der Stimme des Tigers fuhr der Hase zusammen, aber er faßte sich schnell, tat ganz harmlos, fing sogar an zu schmeicheln: »Ach, Ihr seid’s, der Herr Tiger! Gut, daß ich Euch treffe. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, daß ich vielleicht die vielen Fische im Bach alle allein aufessen muß. Wollt Ihr mir nicht dabei helfen?«

Wieder wurde der Tiger schwach, als er das hörte. »Wie können wir die denn fangen?« — »Darüber macht Euch keine Gedanken. Tut nur, was ich Euch sage, dann wird es schon gehen. Hängt einfach Euren Schwanz ins Wasser und bleibt ruhig sitzen. Die Fische werden glauben, daß Euer Schwanz was zu fressen ist. Wenn Ihr den Schwanz dann später herauszieht, wird er voller Fische hängen.« — »Das ist wieder mal ein großartiger Plan!« Wie ihm der Hase geraten, hängte der Tiger seinen Schwanz ins Wasser hinein und blieb gedankenverloren sitzen.

Das sah der Hase, und als wollte er von oben her dem Tiger die Fische zutreiben, hoppelte er davon. Der Tiger blieb den ganzen Tag sitzen, es wurde dunkel. Nun wollte er doch endlich einmal sehen, wie viele Fische denn schon angebissen hatten. Er versuchte, seinen Schwanz aus dem Wasser zu ziehen. Aber der Schwanz war im Wasser festgefroren, bewegte sich kein bißchen.

Der Tiger, der ahnungslose Kerl, meinte, es hingen so viele Fische an seinem Schwanz, und zog um so fester. Aber der Schwanz, der kam nicht heraus. Die ganze Nacht hindurch zog und zog er, alles vergebens. Er zog bis zum nächsten Morgen — da nämlich machten ihm die Menschen den Garaus.